Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 06.09.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-09-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189909060
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18990906
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18990906
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-09
- Tag 1899-09-06
-
Monat
1899-09
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 06.09.1899
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Politische Rundschau» Deutschland. * Der Kaiser hielt am Freitag auf dem Tempelhofer Felde die Herbstparade über das Gardekorps ab. * Bei dem Parademahl brachte der Kaiser folgenden Trinkspruch aus: „Es drängt Mich, an der Neige des Jahrhunderts Meinem Gardekorps den Dank auszusprechen; denn am heutigen Tage ist es das letzte Mal, daß die Fahnen der Garde auf dem Tempelhofer Felde ge meinschaftlich in diesem Jahrhundert geweht haben. Der Rückblick auf das Jahrhundert führt an Königsgräbern und an Königsstandbildern vorbei. Es ist dem Gardekorps beschieden gewesen, Meinen Vorfahren in Treue zu dienen; Ich wünsche, daß dasselbe auch im neuen Jahrhundert sich auszeichne in unermüdlicher Friedensarbeit und, wenn not wendig, auch auf dem Schlachtfelde. Offiziere und Mannschaften aller Grade mögen dabei hin- blicken auf die nun Men Häuser Meiner beiden Vorfahren; zumal auf das historische Eckfenster des Großen alten Kaisers. Alle Empfindungen des Dankes und der Freude über Mein Garde korps fasse Ich zusammen in den Ruf: Das Gardekorps Hurra! Hurra! Hurra!" * Gelegentlich der Kaisermanöver kommen nach Karlsruhe außer dem Kaiser, der König von Sachsen, Prinz Albrecht von Preußen, der Großherzog von Hessen, der Herzog-Regent von Mecklenburg-Schwerin, Prinz Leopold von Bayern, der Fürst von Hohenzollern, der Statt halter von Elsaß - Lothringen, Staatssekretär Graf Bülow, und auf Einladung des Kaisers der General v. Schlichting. *Die Londoner ,Truth' erfährt, am Hofe von Windsor glaube man, daß die Ver lobung des ältesten Sohnes des Prinzen Albrecht von Preußen mit Prin zessin Marie, der ältesten Tochter des Herzogs von Cumberland, beschlossen worden sei. (,Truth' ist nur zu wenig zuverlässig.) *Der .Reichsanz.' veröffentllicht einen Erlaß des preuß. Staatsministeriums, worin denjenigen politischenBeamten(Regierungs präsidenten, Landräten :c.), welche als Ab geordnete gegen die Kanalvorlage gestimmt haben, der Standpunkt der Regierung klar gemacht wird. „In allen Beziehungen, in welche sie (die poli tischen Beamten) durch ihre amtliche Stellung mit dem öffentlichen Leben gebracht werden, haben sie sich gegenwärtig zu halten, daß sie die Träger der Politik der Regierung Sr. Majestät find und den Standpunkt derselben wirksam zu vertreten haben, unter keinen Umständen aber auf Grund ihrer persönlichen Meinungen die Aktion der Regierung zu erschweren berechtigt find. Sie würden im andern Falle durch ihr Verhalten die Autorität der Staatsregierung schwächen, die Einheitlichkeit der Staatsver waltung gefährden, ihre Kraft lähmen und Ver wirrung in den Gemütern Hervorrufen." Im Anschlusse daran wird von den verschiedensten Seiten gemeldet, daß die betreffenden Land- räte in den einstweiligenRuhestand versetzt worden find. * Die zur Expedition des deutschen Seefischere i-V ereins nach derBären- insel gehörigen beiden Fischdampfer „August" und „Elma" find nach Bremerhaven zurückge kehrt und man wird wohl bald authenüsche Mitteilungen über die Ergebnisse des Unter nehmens erhalten. Die Expedition, die mit derjenigen des Herrn Theodor Lerner nichts zu thun hat, war vom Seefischerei-Verein entsandt worden mit dem Auftrage, die Wege für eine Beteiligung der deutschen Hochseefischerei an der Ausbeutung des Nordpolarmeeres zu erkunden und dieses praktisch und wissenschaftlich zu unter suchen. Hierbei war die Bäreninsel dazu aus ersehen, der Expedition zum Stützpunkt zu dienen. *Die Meldungen junger Mädchen, welche nach Südwestafrika übersiedeln wollen, sind so zahlreich bei der Deutschen Kolonialgesellschaft cingelaufen, daß der vor läufige Bedarf gedeckt ist. Weitere Bewerbungen find daher zur Zeit zwecklos. Oesterreich-Ungar«. *Der der deutschliberalen PMei des Herrenhauses angehörende Freiherr von Chlumecky', der unter der Koalition Präsi dent des Abgeordnetenhauses war, ist in Ischl vom Kaiser empfangen worden. Man knüpft an die Audienz in deutschen Kreisen die Hoff nung, daß die Tage des Ministeriums Thun gezählt seien, da der Ministerpräsident in letzter Zeit vom Kaiser auffallend selten zur Be sprechung gezogen ist. Es ist aber sehr möglich, daß diese Hoffnung zum mindesten verfrüht ist, da man nicht weiß, ob Chlumecky nicht auf Vorschlag Thuns vom Kaiser empfangen ist, um diesem zu gestehen, daß er auch keine Mittel wisse, den Staatskarren aus seiner bedrängten Lage Herauszureißen. Frankreich. *Am Donnerstag sagte der ost genannte Lebrun-Renauld vor dem Kriegsgericht aus, daß ihm Dreyfus vor seiner Degra- dierung ein indirektes Geständnis ge macht, indem er geäußert habe: „Ich bin un schuldig ; in drei Jahren wird meine Unschuld an den Tag kommen. Der Minister weiß es; er hat es mir in meiner Haftzelle durch du Paty de Elam sagen lassen; wenn ich Schriftstücke ausgeliefert habe, so war es, um wertvollere dafür im Austausch zu erhalten." *Die Untersuchung in der Kom- plot t-A ngelegenheit macht schnelle Fort schritte. Bei zwei jungen Royalisten fanden Haussuchungen statt, die sehr belastende Schrift stücke zu Tage förderten. Die beiden Royalisten, deren Namen man verschweigt, find vorläufig noch aus freiem Fuß belassen worden. In einem Gasthaus fanden bei zwei Mitgliedern der antisemitischen Jugend aus Caen Haus suchungen statt; es wurde ein Protokoll aus genommen. Wahrscheinlich werden neue Vor- sührungsbefehle erlassen werden, jedoch werden dieselben, um Indiskretionen zu vermeiden, mit Umgehung der Polizei-Präfektur unmittelbar an die Beschuldigten gerichtet werden. *Die sofortige Einberufung der Kammer zu beantragen, hatte der Vorsitzende der parlamentarischen Gruppe der Landesverteidi gung Berry sämtliche 581 Deputierte brieflich aufgefordert. Aber nur 67 haben sich zustimmend geäußert. Mehrere Republikaner-erhoben heftigen Einspruch gegen den Schritt Berrys. *Nach einem Brief aus Saint Louis ließ Hauptmann Voulet den Obersten Klobb und den Leutnant Meynier aus per sönlicher Rache wegen langjähriger Feindschaft niederschießen. Leutnant Chanoine und die übrigen Offiziere Voulets seien an jenem Tage auf einer entfernten Sendung und bei dem Ge metzel nicht zugegen gewesen. Belgien. * Die Repräsentantenkammer verwarf am Donnerstag mit 59 gegen 31 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen eine Revision der Verfassung, welche die Vorlegung eines Gesetzentwurfs bezüglich des allgemeinen Stimmrechts zugelassen hätte, in Erwägung zu ziehen. Balkanstaaten. * Der griechischen Kammer wird in der nächsten Sitzung ein Gesetzentwurf betreffend die Neuorganisation der Armee vorgelegt werden. Es ist darin eine starke Ver mehrung des griechischen Heeres vorgesehen. Kavallerie und Train sollen um je ein Regiment, Artillerie aber um zwei Regimenter vermehrt werden. Der Infanterie soll sogar eine ganze Brigade beigefügt werden. Die einzelnen Regi menter sollen eine Verstärkung von je einem Bataillon erfahren. Amerika. * Aus Cuba wird gemeldet, daß am Mitt woch in Havana eine Proklamation Mac Kinleys veröffentlicht worden ist, in welcher eine all gemeine Volkszählung und Ver mögenseinschätzung angeordnet wird, als erster Schritt zum Zweck der Selbstver waltung auf Cuba. Afrika. *Aus Johannesburg kommt die charakteristische Mitteilung, General Joubert habe erklärt, die Regierung habe eine Enquete angeordnet und diejenigen Uitlander, welche 1 das Wahlrecht zu erwerben wünschen, aufge-' fordert, sich zu melden, um so die Anzahl der das Wahlrecht Erstrebenden feststellen zu können. Die südafrikanische Liga habe darauf sofort durch alle ihre Agenten die englischen Uitlander auf gefordert, den Beamten der Republik keinerlei Antwort zu geben und sich nicht in die Liften eintragen zu lassen. „Das geschieht," äußerte General Joubert, „lediglich weil die Agitatoren sehr wohl wissen, daß diese Enquete die ganze sogenannte Reformbeweguug in lächerlichem Lichte zeigen würde, da offenbar nur ein ganz geringer Teil selbst der englischen Uitlander wirklich das Wahlrecht zu erwerben wünschen." Keine Pestgefahr. Aengstliche Gemüter könnten aus der Meldung der zur Sensation geneigten ,Agence Havas', daß in Paris sechs Pestfälle konstatiert seien, trotz des inzwischen erfolgten Dementis doch einige Nahrung für ihre Furcht entnehmen. Zu ihrer Beruhigung möge das Urteil einiger vom ,Kl. Journ.' in dieser Sache zu Nate gezogenen an gesehenen medizinischen Fachgelehrten dienen, die ihre Ansicht dahin zusammenfaßten, daß in Deutschland, selbst in dem entlegensten Winkel, wo die Hygiene kaum dem Namen nach bekannt ist, eine eigentliche Pestgesahr, d. h. eine epi demische Ausbreitung der Krankheit, zu den Un möglichkeiten gehört. Bisher hat die Erfahrung gelehrt, daß die Seuche besonders dort einen fruchtbaren Boden fand, wo eine starke Bevölkerung in schmutzigen, unmittelbar auf ebenem Boden gebauten Häusern eng zusammengepfercht war. Man hat ferner auch festgestellt, daß die Ratten, indem sie die Pestbazillen im Erdboden verbreiten, zur Ueber- tragung auf die Menschen wesentlich beitragen. Kranke Tiere dienen den anderen zur Nahrung, die wiederum die giftigen Stoffe bei ihrer unter irdischen Wühlarbeit verschleppen und dem Boden mitteilen. In vielen Fällen wird dann die An steckungsgefahr durch das Barfußgehen, das in südlichen Ländern, namentlich in den Hafen gegenden bei der ärmeren Bevölkerung gang und gäbe ist, wesentlich erhöht. Durch wunde Stellen an den Füßen gelangen die Pestbazillen unmittelbar in das Blut. Eine Ansteckung durch die Lust, durch die Nahrung, ist bei der Pest nicht wie bei der Cholera, dem Typhus oder den Pocken zu befürchten. Oporto, das jetzt als der Ausgangspunkt der Pestgesahr gilt, ist ein Ort, der schon seit einiger Zeit in bezug auf seine mangelhaften gesundheitlichen Verhältnisse die Aufmerksamkeit der Nachbarstaaten auf sich gezogen hat. Italien und England haben dorthin bereits ihre medizinischen Kommissionen entsandt, neuerdings find ihnen Frankreich, Oesterreich, Spanien gesolgt und auch Deutsch land geht mit der Absicht um, Fachgelehrte zum Studium der Krankheit dorthin zu schicken. Die spanische Kommission hat einen genauen Bericht über die hygienischen Mißstände in der portu giesischen Hafenstadt bereits erstattet und die Regierung hat energische Vorkehrung getroffen, ein Uebergreifen der Epidemie auf spanischen Boden zu verhüten. Es bliebe demnach nur noch der Weg zur See für eine Verschleppung der Krankheit offen. Da jedoch ein Pestfall sich nicht so lange hinschleppt wie Cholera oder Typhus und für jeden Arzt schnell und sicher erkenntlich ist, so wären nur noch in den Hafen städten der Seuche die Thore zu verschließen. Das ist, so weit Deutschland dabei in Bettacht kommt, mit aller Strenge und Umsicht geschehen. In Hamburg fitzt Dr. Noch!, ein tüchtiger und allgemein anerkannter Forscher, in Bremen Dr. Riedel und auch in den anderen Hafen städten, wie Lübeck, Rostock, Stettin, Danzig, Königsberg, Memel rc. wird das Quarantäne wesen mit der gleichen fachmännischen Gründlich keit gehandhabt. Portugal versendet seine Exportgüter zumeist auf dem Umwege über England, das sich in der Abschießung gegen die Pest bei dem häufigen Auftreten der Krankheit in Indien vortrefflich bewährt hat. Trotzdem in Frankreich, insbe sondere Marseille, in Italien-Genua und die Hafenplätze am Suezkanal für Fracht- und Güterverkehr aus Indien, dem am meisten durch ! die Pest heimgesuchten Lande, die Hauptstaiionen sind, wurden in den bett. Plätzen nur selten Pestfälle konstatiert und dann so wirksam be kämpft, daß von einem Umsichgreifen der Gefahr bisher nicht die Rede sein konnte. Bei dem heutigen Stande der Bakteriologie find Infektionskrankheiten sofort aus dem Blut befunde der Verdächtigen zu konstatieren. Es wird dann nicht nur der einzelne untersucht, sondern jeder andere, der mit dem Kranken in unmittelbare Berührung kam, beobachtet und eventuell gleichfalls von dem Verkehr abge schlossen. In jedem Krankenhause Berlins sind heute Isolier-Baracken, -Säle oder -Zimmer vorhanden, und wie gut sich dieses System be währt, zeigte sich bei der jüngsten Pestgefahr in Wien, wo die Seuche lediglich auf die Klinik des Professor Nothnagel beschränkt blieb. Am 23. d. hat sich die größte Autorität, die Deutschland auf dem Gebiete der bakteriologischen Forschung infektiöser, epidemisch auftretender Krankheitssymptome besitzt, Professor Dr. Koch, von Neapel aus nach Batavia eingeschifft, um dort Malariafieber und andere alljährlich auf tretende tropische Erkrankungen auf ihren Ursprung hin zu studieren. Würde die Regierung der Pestgefahr, von Oporto ausgehend,' die ihr schon damals bekannt war, eine Bedeutung beimessen, so hätte fie zweifellos den Gelehrten zurück- berufen, obwohl er tüchtige Schüler und auf dem gleichen Forschungsfelde thätige Gelehrte, wie Professor Gaffky in Gießen, Dr. Pfeiffer und andere zurückgelassen hat. Trotzdem ist die Regierung der Gefahr gegenüber nicht unthätig geblieben. Der Reichskanzler hat die Bundes regierungen ersucht, die allgemeine Anzeigepflicht für Pest und pestverdächtige Fälle, soweit fie in den Einzelstaaten noch nicht besteht, einzuführen und zu veranlassen, daß dem kaiserlichen Ge sundheitsamt als Zentral-Meldestelle für das Reich von etwaigen Erkrankungs- und Todes fällen, bei welchen die Pest oder Pestverdacht vorliegt, telegraphische Mitteilungen gemacht wird. Auch soll darauf Bedacht genommen werden, daß Untersuchungsstationen zur bakterio logischen Feststellung der Seuche zur Ver fügung stehen. Zwar liegt eine unmittelbare Gefahr für Deutschland, wie auch die Regie rungsorgane ausdrücklich konstatieren, nicht vor und es find Erkrankungen oder sonstige Er scheinungen, welche zu irgend welcher Besorgnis Anlaß geben könnten, bis jetzt nicht eingetreten; bei dem sprungweisen Vorgringen, welches die Pest in der letzten Zeit gezeigt hat, ist es aber geraten, für alle Fälle gerüstet zu sein. Dazu ist vor allem nötig, daß von etwa vorkommen den Erkrankungen, besonders von den ersten Fällen, die Behörden sogleich benachrichtigt wer den, damit ohne Verzug die zur Isolierung der Krankheit erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden können. Diesem Zwecke dient die allge meine Anzeigepflicht. Die Schaffung einer Zentral-Meldestelle für das Reich hat sich bereits bei den Cholera-Epidemien der Jahre 1892 bis 1894 bewährt. Die Bereitstellung bakteriologi scher Untersuchungsstationen endlich soll dazu dienen, die Natur verdächtiger Krankheitsfälle mit Zuverlässigkeit festzustellen und die Ver breitung falscher Nachrichten zu verhüten. Deutsch land insbesondere, Europa im allgemeinen hat bei der genauen Kenntnis des Ursprungs und des Wesens der Krankheit, bei der einmütigen Rüstung gegen den unsichtbaren Feind, die in Quarantäne, Jsoliersystem, Anzeigepflicht und der modemen Hygiene ihre kräftigsten Waffen besitzt, keine epidemische Ausbreitung der Pest zu befürchten. Uo« Nah ««d Fern. Marienburg. Dem kaiserlichen Wunsche, daß der verbrannte Stadtteil in Marienburg möglichst in der früheren altertümlichen Form wieder aufgebaut werde, haben die Hausbesitzer nachzukommen beschlossen. Bekanntlich hat der Monarch auch eine Subvention in Aussicht gestellt. Metz. Begnadigt hat der Kaiser den Leut nant Schlickmann, der den Mühlenpächterssohn Fillement Anfangs Januar im Duell erschoß. Der Begnadigte hat von seiner Festungsftrafe bisher sechs Monate verbüßt. Der Börsenkönig. 18) Roman von Karl Ed. Klopfer. sF.rUtzuuz.) Einige Zoll unter dem breiten Ende war eine Oese angebracht, in die der Schlosser lude eine Art Kurbel steckte. Dann setzte er die stählerne Spitze an die Mauer, trieb sie mit kräftigen Hammerschlägen auf den Kurbel knauf in das Ziegelwerk und drehte hierauf die Handhabe mehrmals auf und ab, daß Mörtel und Ziegelstaub aus der Mauerwunde herab rieselten. Nun wieder mit Schlägen darauf los getrieben, bis der Mauerbrecher von selbst fest stak — und abermals energische Drehung des Hebels, daß der Bohrer im Gestein knirschte. So ging es noch viele Male fort, und das Loch in der Mauer wurde immer tiefer und größer. Das war kein leichtes Stück Arbeit. Schlosser lude warf noch seine Jacke ab und arbeitete mit aufgekrempelten Hemdsärmeln. Nach etwa einer halben Stunde ließ er ab und bedeutete dem Genossen, das Werk fortzusetzen. Während sich nun John mit dem Mauerbrecher abmühte, schlüpfte der andere wieder in seine Unterkleider und holte aus seinem Sacke, der unerschöpflich schien, einen halben Laib Brot und eine Schnaps flasche hervor, um sich zu stärken. Die zwei Kumpane hatten sich wohl ausgerüstet, da fie eine Arbeitsthätigkeit vorausgesehen, die fie mög licherweise zwei Nächte und den dazwischen liegenden Sonntag in Anspruch nehmen konnte. Schlosserlude hatte — als altgeübter Kunde — ganz richtig die Dauer ihrer Arbeit berechnet. Als seine alle Tombakuhr nicht mehr weit von der siebenten Morgenstunde war, zeigte sich die Oeffnung in der Mauer durch die abwechselnde Arbeit groß genug, um einen Menschen hindurch- zulafsen. Der Strahl der Blendlateme belehrte das Paar sofort, daß es sich auf dem gewünschten Wege befand: unmittelbar an der durchgebrochenen Mauer erhoben sich die ersten Stufen der kleinen Wendeltreppe, die in das Vorzimmer zu Sno- wards eigenem Arbeitsgemach emporführte und vordem die Verbindung zwischen dem Rokoko zimmer des Excelfior-Restaurants und der Küche gebildet hatte, welche jetzt als Papiermagazin diente. Nun ging es mit dem Diebshandwerk und dem Proviant so vorsichtig als möglich die Schneckenstiege hinauf. John Archer, der wieder vorne war, lächelte befriedigt, als er, oben ange kommen, bemerkte, daß an den Fenstern zum Hofe die Jalousien herabgelassen waren. Diese Sorgsamkeit des Dieners, am Ruhetage auch keinen Sonnenstrahl in die Geschäftsräume einzu lassen, kam den zwei Gaunem trefflich zu statten. Jetzt konnten fie um so ungestörter arbeiten. Die Thür, die vom Vorzimmer in das Rokokokabinett des Bankiers führte, erwies sich an der Außenseite mit braun-lackiertem Eisenblech verkleidet, ein Umstand, der dem Schlosserlude nur ein flüchtiges Achselzucken des Aergers ab nötigte. Ein eigentliches Hindernis war es ihm nicht, es kostete nur ein wenig Zeit. Vorerst holte er sich aus seinem Werlzeugsack ein Bund Dietriche, mit denen er das Schloß der Thür prüfte. Keiner der Diebesschlüffel paßte. Der Verbrecher nickte nur, als wollte er sagen: „Das hab' ich mir gleich gedacht! Eine eisengefütterte Thür hat auch ein kompli zierteres Schloß." Hieraus nahm er einen kleineren Eisendrill bohrer zur Hand und setzte ihn dicht über der Klinke an die Thür. Binnen wenigen Minuten hatte er ein kleines durchgreifendes Loch erzeugt. Ein Zentimeter davon entfernt bohrte er auf dieselbe Art ein zweites, hierauf ein drittes, viertes und so fort eine ganze Reihe von Löchern, in kleinen Abständen von einander gereiht, daß fie um das ganze Thürschloß, von der Klinke abwärts, einen Halbmond beschrieben. Das war die Zeichnung, die man in Fachkreisen eine „Tewisse" nennt. Jetzt brauchte der Ein brecher nur mit einer spitzen scharfen Stichsäge in das oberste Loch zu fahren und sägend die Bohrlöcher miteinander zu verbinden, um dann mit Hilfe des Stemmeisens das unversehrte Schloß lauft seiner Umgebung zu „würgen," das heißt aus den Kolben herauszuheben — und die Thür, die man wer weiß wie sicher verwahrt zu haben glaubte, war offen. „Mach' aus!" befahl Schlosserlude leise, ehe er den Thürflügel zurückschlug. John schloß die Blenden der Laterne und trat mit dem Genoffen in das Kabinett des Bankchefs. Auch hier waren dre Jalousien herabgelassen. Durch die Fugen schimmerten bereits die schwachen Strahlen des jungen Tageslichtes. „Da find wir nun," flüsterte Schlosserlude. „Und du meinst also, daß wir in diesem Zimmer die beste Beute machen können?" „Da steht ja seine Kasse," gab der Mulatte ebenso leise zurück. „Ich lasse mich hängen, wenn der Kerl da nicht den größten Teil m. seinem „Kies" verwahrt hat! Ich sage dir ja, ich habe damals in seinem Portefeuille ganze Pakete von den größten Banknoten gesehen." Das log der Sanguiniker, indem ihm seine Phantasie einen Streich spielte. „Na, dann gehen wir an die Hauptsache! Die wird freilich noch Schweiß kosten." Damit nahm Schlofferlude dem andern die Laterne aus der Hand, öffnete die Blenden nur so weit, um einen Strahl durchzulassen, mit dem er die Wände suchend abstreifen konnte, und hielt gleich daraus in der Ecke, wo der schwere Geldschrank, die Handkaffe des Bankiers, stand. Sorgfältig beleuchtete er das Ding von allen Seiten, besonders die Schlüssellöcher, deren Klappen er aufzog und mit kundigem Auge prüfte. Dann schüttelte er seufzend das strup pige Haupt. „Das ist gediegene Arbeit neuesten Systems. Da können wir vielleicht mehr als den ganzen Tag dran setzen." „Verdammt!" murmelte John und rüttelte wütend an den Handgriffen der Kassenthür. „Wenn wir den Lärm nicht fürchten müßten, thäte man am besten, das Schloß mit Pulver aufzusprengen." „Ja, wenn . . . Aber was da! Der Lohn wird groß sein. Hast du nicht dein vorzügliches Schränkzeug und bist du nicht schon öfter mit gutem Erfolg über einem solchen Werk her gewesen ?" „Ueber einem Ding von dieser Sorte noch nicht," brummte Schlosserlude, den Kassenschrank
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)