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Allgemeiner Anzeiger : 17.06.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189906175
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18990617
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-06
- Tag 1899-06-17
-
Monat
1899-06
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 17.06.1899
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Politische Rundschau. Deutschland. * Unter Vorsitz des Kaisers fand am Dienstag einKronrat statt, der sich, wie ver lautet, mit der Kanalvorlage beschäftigte. *Das kaiserliche Hoflager wird am 15. d. von dem Neuen Palais bei Potsdam nach Wilhelmshöhe verlegt, wo die Kaiserinmit ihren Kindern Aufenthalt nehmen wird. Der Kronprinz mit seinen beiden Brüdern Prinz Eitel Friedrich und Adalbert weilen bereits in Wilhelmshöhe, da ein im Plöner Kadetten hause aufgetretener Krankheitsfall das Wohnen dort ausgeschlossen hat. Die Kaiserin be gibt sich mit den drei jüngsten Prinzen und der kleinen Prinzessin Luise Viktoria am Donnerstag dieser Woche nach Wilhelmshöhe, während der Kaiser von Kiel aus, wo die „Hohenzollern" bereits zur Abfahrt bereit liegt, die Nord- landsreise antritt. * Der Großherzog vonHessen ist an Varioloiden (mildere Form der echten Pocken) erkrankt. Nach dem ärztlichen Bülletin nimmt die Krankheit einen normalen Verlauf, das Allgemeinbefinden istgegenwärtigbefriedigend. * Die Novelle zum Gesetz über dieRechts - Verhältnisse der deutschen Schutz gebiete ist am Montag vom Bundesrat an genommen worden und soll vom Reichstag noch vor dessen Vertagung verabschiedet werden. * Der Kolonialrat ist am Montag in Berlin zusammengetreten, nachdem die letzte Tagung im Herbst stattgefunden hatte. Dem Kolonialrat find unter anderm zugegangen der Entwurf einer Verordnung betreffend die Ein führung des deutschen Maß- und Gewichts systems für das südwestafrikanische Schutzgebiet, die Denkschrift und das Gutachten des Geh. Medizinalrats Prof. Dr. Koch und Oberstabs arztes Prof. Dr. Kohlstock betreffend die Er richtung eines tropischen Gesundheitsamtes, und ein Geletzentwurf betreffend die Vorbildung der Kolonialbeamten. *Am Donnerstag beginnt im Preuß. Ab geordnetenhaus die zweite Lesung der Kanal- vorlage. Man rechnet jetzt darauf, daß die Vorlage angenommen werden wird und zwar mit größerer Mehrheit, als man bisher zu hoffen wagte. Diese günsüge Wendung wird auf die Haltung des Finanzministers den Kon servativen gegenüber zurückgeführt. Auch die Zahl der oppositionellen Zentrumsabgeordneten Schlesiens dürfte sich infolge der beabsichtigten Lösung der Kompensationsfrage vermindern. *Jm koburg-gothaischen Land tage brachte der Abg. Dr. Heisinger einen neuen Dringlichkeitsantrag ein, der Minister solle noch diese Woche Auskunft über die Thronfolge erteilen. Oesterrei ch-Ung arn. * In Oesterreich-Ungarn hat das Kompromiß noch im letzten Augenblick zu scheitern gedroht. Die halbamtliche .Wiener Abendpost' gibt am Montag zu, daß noch im Laufe - der Verhandlungen wegen Text- legung des Uebereinkommens Schwierigkeiten aufgetaucht seien, aber in den jüngsten Kon ferenzen vollständig beseitigt wurden, sodaß das Kompromiß als durchaus fertig angesehen werden könne. Frankreich. * Die Rempeleien in Auteuil am Sonntag der vergangenen Woche haben nach träglich noch zum Sturze desKabinetts Dupuy geführt. In der Kammer wurde die Regierung wegen der Vorgänge und zugleich wegen der tumultuarischen Vorfälle, die sich am letzten Sonntag ereignet hatten, interpelliert. Eine von radikaler Seite gestellte Tagesordnung, die die Regierung ablehnen zu müssen erklärte, wurde sodann mit großer Mehrheit (321 gegen 175 Stimmen) angenommen. Sie lautet: „Die Kammer, entschlossen, nur eine Regierung zu unterstützen, welche gesonnen ist, mit Ent schiedenheit die republikanischen Einrichtungen zu verteidigen und die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, geht zur Tagsordnung über." Darauf verließen die Minister die Kammer und reichten ihr Entlassungsgesuch ein, das auch sofort angenommen wurde. *Graf Christiani, der Mhrer der EmeUte inAuteuil, der mit dem Stock nach dem Präsidenten Loubet schlug, ist vom Pariser Zuchtpolizeigericht zu vier Jahr Gefängnis verurteilt worden. * Die Pariser Anklagekammer hat in Sachen des Obersten Picquart und seines Vertei digers Leblois erkannt, daß kein Grund zur Verfolgung derselben vorliege, da, wie in den Urteils gründen erklärt wird, das Urteil des Kassationshofes und die in der Sache eingeleitetc Untersuchung dargethan hätten, daß die gegen Picquart und Leblois erhobenen An klagen in offenbarem Widerspruch mit dem Er gebnis dieser Untersuchung und dem Urteil des Kassationshofes ständen. *Am Sonntag wurden in Nizza zwei Jäger-Offiziere verhaftet, welche beim Zapfenstreich eine sympathische Kundgebung des Publikums mit den Rufen: „Es lebe das Heer", „Nieder mit den Verrätern!" beantwortet hatten. Man brachte die Verhafteten nach dem Polizeiposten und sodann in ihre Kaserne, wo sie interniert wurden. - Italien. * König Humbert hat am Sonntag Erlasse unterzeichnet, durch welche Strafen für Ver gehen gegen die Steuergesetze und gegen die öffentlicheSicherheit sowie Strafen für Desertionen aus der Handels marine erlassen werden. Auch für Per sonen, welche sich der Wehrpflicht in der Armee oder der Marine entzogen haben, ist ein Amnestie-Erlaß ergangen, der die Jahres klassen 1859 bis 1878 umfaßt. Holland. *Die Präsidenten der Sekttonen der Friedenskonferenz traten am Montag unter dem Vorsitz des Barons v. Staal zu einer Sitzung zusammen und beschlossen, der Presse nicht nur über die Plenarsitzungen, sondern auch über die Sitzungen der Komitees und Sektionen Mitteilungen zukommen zu lassen. Dieser im Interesse der Konferenz und der Presse zu begrüßende Beschluß ist bekanntlich auf die Anregung des deutschen Vertreters Graf Münster zurückzuführen. Schweden-Norwegen. * Der am 11. d. verstorbene norwegische Bischof Jakob Sverdrup war unter seinem Oheim, dem radikalen Staatsminister Johann Sverdrup, 1884—89 Chef des Kultusressorts gewesen uud versah dann dasselbe Amt unter dem ersten Ministerium Steen 1891—93, endlich in dem Koalitionskabinett Hagerup 1896—98 und zwar dort als Ver treter der gemäßigten Demokratie; sein- Bistum erhielt er dann als Rückzugsposten. Er war ein ungewöhnlich begabter Mann, der aber gleich seinem berühmteren Oheim, dem 1892 ver storbenen Johann Sverdrup, zuletzt bei sämt lichen Parteien das persönliche Vertrauen und Ansehen eingebüßt hatte. Spanien. * Ministerpräsident Silvela hat am Montag die Vorlage betreffend Abtretung der Karo linen- und Marianeninseln an Deutschland im Senat eingebracht. Die Opposition, welche der Vorlage wohlwollend gegenübersteht, wird keine Einwendungen gegen dieselbe erheben. Balkanstaaten. *Jn Konstantinopel spukt das Gespenst eines armenischen Aufruhrs. An der armenischen Mädchenschule der Stambuler Vor stadt Psamatia war am Sonntag folgender Aufruf angeschlagen: „Der Augenblick der Er hebung ist gekommen. Die kretische Frage ist erledigt. Möge das Blut von 300 000 Arme niern unvergessen bleiben. Armenier, erhebet euch!" Man glaubt, daß es sich hier um eine Mystifikation oder um die Intrige eines be zahlten Geheimagenten handle. Es wurden zahlreiche Personen verhaftet, von denen einige wieder freigelassen worden find. Afrika. * Zur Transvaalfrage liegen folgende Drahtmeldungen vor: In Bloemfontein glaubt man zu wissen, daß Präsident Krüger bei dem Volksraad die Abschaffung des Dynamit Monopols in Vorschlag gebracht habe und daß der Oranje-Freistaat seinen Einfluß in Pretoria für die Erlangung von Reformen geltend mache. — Von Kapstadt eingelaufene Nachrichten machen es wahrscheinlich, daß das Ministerium der Kapkolonie, unterstützt von der Liga der Afrikander, sich in einem dem Frieden günstigen Sinne aussprechen werde. Asien. * Ansprüche, Forderungen und Beschwerden von feiten europäischer Mächte, zumal Eng lands, haben die chinesischen Zentral- und Provinzialbehörden immer auss neue zu er ledigen. Wie die ,Times' aus Peking melden, hat die britische Gesandtschaft dort bei der Regierung die Forderung erhoben, den Gou verneur vonKweitschau seines Postens zu entheben. Die Angelegenheit hänge mit der Ermordung des Missionars Fleming in der ge nannten Provinz zusammen. Aus dem Reichstage. Der Reichstag trat am Montag in die zweite Beratung des Nachtragsetats für 1899, dessen einzelne Teile entsprechend dem Vorschläge der Kommission unverändert bewilligt wurden. Einem Antrag des Abg. Lieber (Zentr.) gemäß wurde die Abfindungs summe der Gebrüder Denhardt auf 150 000 Mk. be messen, wogegen diese auf alle Ansprüche Verzicht leisten. Es folgte die zweite Beratung des Hypo- thekenbankgesetzes. Auf Antrag des Abg. Büsing (nat.-lib.) wurde das Gesetz en bloo angenommen. Am 13. d. wird in dritter Lesung zunächst debattelos das Gesetz betr. die Verwendung von Mitteln aus dem Reichs-Jnvalidenfonds zu Unterstützungen an nicht anerkannte Veteranen, sowie Witwen und Waisen von solchen nach den Beschlüssen zweiter Lesung unverändert ange nommen. Sodann tritt das Haus in die dritte Beratung des Hypothekenbankgesetzes ein. — In der Generaldiskussion erklärt Abg. Gamp (freikons.), seine Freunde seien keineswegs durchaus einverstanden mit den Kom missionsbeschlüssen. Wenn sic auf die Stellung von Abänderungsanträgcn verzichteten, so geschehe dies lediglich mit Rücksicht aus die Geschäftslage. Im ganzen sei das Gesetz aber notwendig und es bringe so wesentliche Verbesserungen gegen den bisherigen Zustand, daß seine Freunde ihm auch zustimmen könnten. Abg. Schrader (freis. Vgg.) sieht im wesent lichen in dem Gesetz auch eine Verbesserung des bis herigen Zustandes, hat allerdings auch Bedenken gegen einzelne Bestimmungen, verzichtet aber auf die Stellung von Anträgen mit Rücksicht auf die Ge schäftslage. Abg. v. Strombeck (Zentr.) erklärt, auch seine politischen Freunde hätten aus den gleichen Rück sichten, wie sie vock dem Vorredner geltend gemacht worden seien, von der Stellung von Anträgen ab gesehen. Abg. v. Löbell (kons.) schließt sich im wesent lichen den Erklärungen des Vorredners an. Auch seine Freunde wollten das Inkrafttreten des Gesetzes durch Abänderungsanträge nicht verzögern. Abg. Munckel (frs. Vp.) erklärt, auch seine Partei übe Resignation, denn wenn man einmal Wünsche geltend mache, würde sich bald zeigen, daß die Wünsche der verschiedenen Parteien sich diametral entgegcnstrebten. Abg. Dietrich (kons.) legt Wert darauf, daß die Staatsaufsicht möglichst streng geübt werde. Damit kann das Vertrauen in dre Sicherheit der Pfandbriefe nur gestärkt werden. Damit schließt die Generaldiskusston. Das Ge setz wird ohne Spezialdiskusfion auf Antrag des Abg. Büsing (nat.-lib.) sn Kloo angenommen. Es folgt die dritte Beratung des Invaliden» vcrsicherungsgesetzes. In der General debatte nimmt zunächst das Wort Abg. Gamp (freikons.), um lediglich auf Grund eines Schreibens des früheren sozialdemokratischen Abg. Lütgenau eine diesem von dem Landtagsabg. Korn zugeschriebene Aeußerung zu Gunsten der Prügelstrafe richtigzustellen. Abg. Frhr. v. Schele - Wunsdorf (Welfe) sieht das Gesetz als höchst unpraktisch und wenig nutz bringend an. Es schaffe nur Unzufriedenheit und bereite der Sozialdemokratie den Boden in immer weiteren Kreisen. Abg. Möller-Duisburg (nat.-lib.): Ich bitte Sie, das Gesetz im wesentlichen in der in der zweiten Lesung beschlossenen Fassung anzunchmen, jedoch unter Berücksichtigung der Abändcrungsanträge, über die zwischen den Parteien ein Einvernehmen erzielt sei, welche das Zustandekommen des Gesetzes wünschen. Abg. v. Löbell (kons.) bemerkt, seine Freunde hätten manchen Wunsch zurückgestellt, aber sie hätten es gethan, weil sie anerkennen, daß die Vorlage eine ganze Reihe von Verbesserungen bringe. Solche Verbesserungen liegen in der Erhöhung der Renten, in der Erweiterung des Versicherungszwanges und des Rechts auf Selbstversicherung für die nicht Ver sicherung spflichtigen, sie liegen aber vor allem in dem Vermögensausgleich zwischen den einzelnen Ver sicherungsanstalten. Auch mit den Nentenstellen hätten sich seine Freunde insoweit befreundet, als sie wünschten, daß ein Versuch mit diesen Renten stellen gemacht werde. Direktor im Reichsamt des Innern v. Woeotke dankt namens des Staatssekretärs Grafen Posa- dowSky, der durch andere dienstliche Obliegenheiten abberufen worden sei, den Vorrednern für die wohl wollende Stellungnahme zu dem Entwurf. Die selben könnten versichert sein, daß die Regierung das Gesetz loyal ausführen werde, vor allem die Be stimmungen über die Bildung von lokalen Renten stellen. Abg. Molkenbuhr (soz.) bedauert, daß auch in diesen: Gesetze wieder einige Verbesserungen durch eine ganze Reihe von Verschlechterungen erkauft wer den sollen. Seine Freunde befänden sich aber heute in einer anderen Lage als vor zehn Jahren. Da mals hätten sie gegen das Gesetz gestimmt. Das neue Gesetz erfülle nicht alle Wünsche seiner Freunde, aber es bringe doch eine Reihe von Verbesserungen. Deshalb würden seine Freunde, da sie die Annahme von Verschlechterungsanträgen in dritter Lesung für ausgeschlossen hielten, diesmal für das Gesetz stimmen. Abg. Hitze (Zentr.): Ueber diese letztere Er klärung kann ich nur meine Genugthuung aussprechen. Es sind keineswegs alles Verschlechterungen, was der Vorredner als solche ansieht. Manches hätten auch wir allerdings gern anders gestaltet gesehen. Im wesentlichen wird der Vorredner anerkennen müssen, daß die Vorlage eine ganze Reihe von Vorteilen für die Arbeiter bringt. Von diesem Gesichtspunkt geleitet, haben wir alle die Wünsche zurückgedrängt, auf deren Erfüllung wir nicht mehr rechnen können. Ich bitte Sie, vereinigen Sie sich von der äußersten Linken bis zur äußersten Rechten und verhelfen Sie dem Gesetz zur Annahme. Abg. v. Staudy (kons.): Unsere Stellung hat Abg. v. Löbell bereits dargelegt. Dieselbe wird uns wesentlich erleichtert durch die Erklärung des Direktors von Woedtke. Ich habe in erster Lesung bereits gesagt, wie schwer uns die Zustimmung wird. Aber angesichts der großen Notlage, in der sich einige An stalten befinden, müssen wir bestrebt sein, einen Aus gleich zu schaffen. Diesen Ausgleich hatten wir unS allerdings wesentlich vollkommener gedacht, aber'wir werden uns auch mit dem in zweiter Lesung be schlossenen zufrieden geben können. Auch die Nentcn- stellcn hätten wir am liebsten ganz herausgehabt, aber die Rede des Direktors v. Woedtke stärkt das Vertrauen in uns, daß von der Einrichtung nur da Gebrauch gemacht werden wird, wo ein wirkliches Bedürfnis vorliegt. Ich hoffe auch, daß mit diesem Gesetz nicht die weiteren organischen Reformen auf dem Gebiet der Sozialpolitik verhindern werden, sondern daß die Regierung solche organischen Reformen auch weiterhin anstreben wird. Vor allem muß auf die Abschaffung des Markensystems hingewirkt werden, das in manchen Gegenden geradezu verhaßt ist. Damit könnten wir auch der Einheitsrente nahe kommen. Direktor v. Woedtke: Ich kann dem Vor redner die Versicherung geben, daß mit der Ver abschiedung des vorliegenden Gesetzes keineswegs da- letzte Wort gesprochen sein soll. An der Hand der zu sammelnden Erfahrungen werden wir mit orga nischen Reformen fortschreiten. Der Vorredner sieht aber zu fchwarz, wenn er die Invalidenversicherung allgemein als unbeliebt hinstellt. Sic ist cs in den ersten Jahren zum Teil gewesen, aber in den weitesten Kreisen hat sich doch ein wesentlich günstigeres Urteil Bahn gebrochen, seitdem man erkannt hat, wie segens reich das Gesetz wirkt. Damit schließt die Generaldiskussion. Uon Uah ««d Fern. Seegefeld. Der Kaiser ist kein Freund der strengen Absperrungen bei militärischen Schau spielen, wie schon öfters bemerkt worden ist. Dies hat sich auch kürzlich wieder gezeigt. Als der Kaiser in voriger Woche nach dem Truppen übungsplatz von Döberitz kam, wo eine Garde- Infanterie und eine Garde-Kavalleriebrigade exerzierte, hatte sich auch ein zahlreiches Publi kum angefunden. Der Kaiser, die Menge er blickend, ordnete alsbald an, daß die Zuschauer nicht fortgewiesen werden sollten, sondern be stimmte selbst eine vorzüglich gelegene Stelle, wohin das Publikum geführt werden sollte, weil es, wie er sagte, von da am besten sehen könnte. Der Polizei verfallen. Erzählung von Philipp Gale«. (Fortsetzung.) „Alle diese drei Fenster find, wie Sie sehen, geöffnet, und ebenso find alle Thüren im Innern der Wohnung hinten und vorn weit offen ge lassen, damit es die Herren Diebe so bequem Wie möglich haben. Da es nun keinen anderen Eingang in die Wohnung gibt als von der Straße aus, denn die Treppe, die vom Hofe nach der Küche führt, ist für die Diebe so gut wie garnicht vorhanden, da dort auf meinen ausdrücklichen Wunsch einige handfeste Hofbe wohner sitzen und gemütlich ihre Pfeifen rauchen, so können die Spitzbuben auch nur von der offenen Straße in des Professors Wohnung ge langen. , Sobald sie nun aber, — und jetzt geben Sie acht, — mittels eines Drückers, den sie sich ohne Zweifel verschafft, oder gar mit Gewalt, was ich jedoch des zu befürchtenden Geräusches wegen nicht glaube, die einzig verschlossene Korridorthür öffnen, entsteht ein starker Zugwind, der notwendig die leichten roten und weißen Gardinen an des Professors offenstehenden Fenstern in Bewegung setzen muß. Wenn ich also, und ich gebe mit guten Augen acht, diese Bewegung der Gardine wahr nehme, so weiß ich mit absoluter Sicherheit, daß jemand die Korridorthür von außen ge öffnet hat, und daß dies niemand aus des Pro fessors Familie oder von seilen des Wirtes thut, so können die in den Korridor nutretenden nur die von mir erwarteten ungebetenen Gäste sein. Sobald also die Vorhänge sich zu bewegen beginnen, beginntauch meine Aktion, ich verlasse meinen hiesigen Beobachtungsposten und trete ins Freie, und was dann geschieht, können Sie ganz gemütlich beobachten, wenn Sie sich, nach dem ich Ihr Zimmer verlassen, mit Ihrer langen Pfeife in das Fenster legen und als von mir eingeladene Zuschauer dem da drüben sich ent wickelnden Drama beiwohnen. Da haben Sie meinen Plan, und nun wollen wir wünschen, daß er glücke und wir hier nicht zu lange auf unserem Beobachtungs posten festgehalten werden, denn meine Zeit ist kostbar, und ich habe notwendig noch in der Hausvogtei zu thun." „In der Hausvogtei?" fragte ich unwill kürlich, da mir bei diesem Wort unser Sänger Adalbert eingefallen war und der sehr natürliche Gedanke mich überkam, der Polizeirat habe wieder einen armen Gefangenen daselbst ins Gebet zu nehmen. „Ja, in der Hausvogtei," erwiderte er, sich um einige Zoll nach mir umdrehend. „Warum fragen Sie das so bedeutsam? Habe ich denn nicht alle Tage in dieser Vogtei zu thun, oder wissen Sie das nicht?" „Gewiß weiß ich das," versetzte ich, „und mir fiel bei Ihrer Erwägung der Hausvogtei eben nur jemand ein, der auch achtzehn Monate darin gesessen hat, jetzt aber so glücklich ist, wieder ein sreier Mann und bei seinen Eltern in Thüringen zu sein." Bei diesen Worten drehte sich der Polizeirat ganz zu mir herum und sah mir forschend eine halbe Niinute lang ins Gesicht. Aber sich so gleich wieder dem Fenster zukehrend, sprach er eben so ruhig wie vorher weiter: „So! Welchen freigewordenen und in Thüringen bei den Eltern sich befindenden Mann meinen Sie denn?" Jetzt nahm Wilhelm rasch das Wort und sagte warm und ehrlich: „Er meint unsern Freund und meinen Vetter und Landsmann Adalbert N." — „Oho, kennen Sie den?" rief der Polizeirat sichtlich erfreut. „Gewiß kenne ich ihn, ich bin sogar weit läufig mit ihm, verwandt und war der erste, den er aufsuchte, nachdem Sie ihn heute vor vierzehn Tagen freigelassen hatten." Der Polizeirat lachte heiter auf und ich sah von der Seite, da ich halb hinter ihm stand, daß sein nihiges klares Gesicht sich einen Augen blick mit einer warmen Röte bedeckt hatte. „Aha! Also so steht es," sagte er. „Na, dann hat er Ihnen gewiß auch seine wichtigsten Erlebnisse im Gefängnis erzählt, Ihnen meinen Namen genannt und hinzugefügt, daß er mein guter Freund geworden ist, nachdem ich erkannt, daß er einer der unschuldigsten Demagogen war, der mir je in die Hände geraten ist." „Ja, das hat er uns mit unsäglicher Freude und herzlicher Dankbarkeit erzählt, und Sie haben in der That einem sehr braven Menschen eine Wohlthat erwiesen —" „Still!" unterbrach er mich, mii energischer Handbewegung mich gleichsam von sich abwei send. „Das mag und darf ich nicht hören. Nur das will ich Ihnen ernstlich sagen, junger Mann, und Sie können es, wenn Sie Lust dazu haben, jedermann wiedersagen: wenn ich in der Ausführung meines schweren und verantwor tungsvollen Amtes streng sein muß, bin ich ebne Gnade und Barmherzigkeit streng; wo ich aber finde, daß ich mild und menschlich sein darf, da bin ich es mit ganzer Seele und thue alles meinem Jnkulpaten zuliebe mit einer Freudig keit, wie sie nur ein Mann empfinden kann, der seinen Beruf nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen trägt. — Doch nun still davon, ich muß alle Gedanken auf das Vorliegende richten und darf mich selbst durch die Erinnerung an unseren lieben Sänger in meinem heutigen Unternehmen nicht stören lassen. Es ist wichtig genug." Damit war denn vorerst unsere bisherige Unterhaltung beendet, zumal da wir alle drei aufs höchste gespannt waren, was von nun an in dem gegenüberliegenden Hause sich zutragen werde; wir Studiosen aber blieben über unsern neuen so zuversichtlich bei uns austretenden Gast nicht länger mehr im unklaren; denn der ge wandte, durch den steten Verkehr mit allen Ge sellschaftsklassen der Hauptstadt an Menschen kenntnis und Erfahrung jederlei Art so reiche Polizeimann hatte es verstanden, auch uns in kurzer Zeit für sich und seine so klar zu Tage tretenden, das allgemeine Wohl betreffenden Bemühungen zu gewinnen. Indes muß ich hier, noch bevor ich zu dem Ergebnis unserer Beob achtungen gelange, noch einige Worte über das uns im höchsten Grade imponierende Wesen und Benehmen desselben hinzufügen. Seltsam ruhig, unbeweglich und nur ganz leise und fast unhörbar atmend, saß der zu jeder
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