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Allgemeiner Anzeiger : 27.05.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189905276
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18990527
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-05
- Tag 1899-05-27
-
Monat
1899-05
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 27.05.1899
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Politische Rundschau. Deutschland. * Beim Kaiserpaar fand am Mittwoch im Neuen Palais eine Festtafel zur Feier des 80. Geburtstages der Königin Viktoria von England statt, zu der u. a. auch der eng lische Botschafter und das gesamte Personal der Botschaft geladen worden war. *Jn Gegenwart des Kaiserpaares wurde am Montag in Potsdam das „Schrippen fest" (Stiftungsfeier des Lehr - Infanterie- Bataillons) gefeiert. * Das deutscheKreuzergeschwader in Ostasien bestand bisher aus zwei Divi sionen; der Geschwaderchef führte die erste, ein besonderer Divisionschef die zweite Division. Nunmehr ist verfügt worden, daß versuchsweise alle Schiffe direkt dem Geschwaderchef unter stehen sollen, wodurch für die Schiffe der bis herigen zweiten Division eine Instanz weg gefallen und eine Vereinfachung des Dienst betriebes eingetreten ist. Der Chef der bis herigen zweiten Division wird zweiter Admiral und Stellvertreter des Geschwaderchefs. Die Maßnahme ist auf einen Anttag des bisherigen Chefs des Kreuzergeschwaders, Vize-Admiral v. Diederichs, zurückzuführen, dem sich der neue Chef, Prinz Heinrich, angeschloffen hat. *Auf Veranlassung des Reichsmarineamts ist der Deutsche Seefischereiverein mit den Inter essenten wegen Verbesserung des Sturm - Warnung s-und Küstensignalwesens an den deutschen Küsten im Interesse der See- und Küstenfischerei in Verbindung getreten. * Für die Aufnahme der Handelsver trags - Verhandlungen zwischen Deutschland und den Ver. Staaten hat der deutsche Botschafter in Washington dem dortigen Staatssekretär des Auswärtigen neue Vorschläge gemacht. Der Staatssekretär aber hat nach dem Mobe' erwidert, es würde Zeit vergeudung sein, Vertragsbestimmungen zu er örtern, so lange die deutsche Regierung nicht die auf den amerikanischen Fleischprodukten lastendenVerbote aufgehoben habe. *Das Reichspostamt hat die Oberpost direktionen aufgefordert, wieder Beamte vor zuschlagen, die zur Beschäftigung in den deutschen Schutzgebieten und bei den deutschen Postanstalten im Ausland geeignet und bereit find. Die Zahl der zum Dienst in den Schutzgebieten fich Meldenden ist sehr gering. * Der in der Kulturkampfzeit als Redakteur der ,Germania' vielgenannte Dr. Paul Ma junke, zuletzt Pfarrer in Hochkirch, ist daselbst am 21. d. gestorben. * Zur Einrichtung deutscher Schulen in Deutsch-Ostafrika ist der Rektor Rzesnitzel in Bogutschutz (Oberschsefien) auf ein Jahr veurlaubt worden. Oesterreich-Ungarn. * Zu den Sprachenkämpfen in Oesterreich hat in bemerkenswerter Weise Kardinal Fürstbischofs Dr. Kopp Stellung ge nommen. Dr. Kopp beauftragte die Pfarrämter seiner österreichischen Diözesen, fich im Verkehr mit Behörden und Aemtern der deutschen Sprache zu bedienen und sich auf Neuerungen, die mit dem Sprachenerlaß in Zusammenhang stehen, nicht einzulassen. Frankreich. *Der Urteilsspruch des Kassations hofes in der Dreyfussache ist nunmehr (hoffentlich endgültig) auf den 3. Juni festgesetzt worden. *Das Blatt ,Petit Bleu' will jetzt aus authentischer Quelle das Nachstehende über die Vorgänge beim Dreyfus-Kriegsgericht am 22. Dezember 1894 erfahren haben: Nachdem die Richter ins Beratungszimmer eingetreten seien, habe der Vorsitzende Oberst Maurel die ganze Angelegenheit noch einmal zusammen- gefaßt. Hierauf seien den Richtern drei ge heime Schriftstücke mitgeteilt worden, nämlich das Schriftstück „Diese Kanaille v. D.", ein zweites zur Vergleichung der Schrift der ersten Mitteilung und ein drittes, die Abschrift des Berichts du Paty de Clams, der zwei Seiten und einige Zeilen umfaßt habe. Die Depesche Panizzardis sei nicht vor gelegt worden, weder in der richtige noch in der falschen Fassung. Dagegen haoe Oberst Maurel die Erklärung abgegeben, der Minister besitze die Abschrift einer Depesche an eine aus wärtige Regierung, welche für Dreyfus be lastend sei, denn sie lasse keinen Zweifel darüber zu, daß Dreyfus Beziehungen zu den Agenten einer fremden Regierung gehabt habe. Hierauf sei zur Abstimmung geschritten worden. England. *Jn England gibt man fich wieder einmal unnützen Befürchtungen hin über angebliche Ausdehnungsgelüste Deutschlands. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß auch das neueste Gerücht nichts weiter als ein Phantafieprodukt ist, und daß die Beunru hig u n g, die hierüber angeblich in Japan entstanden ist, vermutlich ebenfalls nur den sehnlichen Wünschen eines englischen Bericht erstatters ihre Entstehung verdankt. Die,Times' melden aus Japans Hauptstadt: Man argwöhnt, Deutschland versuche die Insel Ku la n g s u, gegenüber Amoy, zu erwerben. Wie man bestimmt versichert, wird sich Japans Vor gehen nicht auf einen bloßen Protest beschränken, falls Deutschland oder eine andere Macht ver suchen sollte, irgend einen Teil von Tokien oder von dessen Seeküste zu erwerben. Italien. *Der italienische Gesandte in Peking erhielt die Anweisung, die Verhandlungen wegen der Sanmun-Bai mit der chinesischen Regie rung von neuem zu eröffnen; hoffentlich ge schieht dies mit besserem Erfolg wie bisher. Holland. *Ueber die Rede des Präsidenten v. Staal in der zweiten Sitzung der Friedenskonferenz verlautet, der Redner habe das Hauptgewicht auf die Frage der Vermittelung und des Schiedsgerichts gelegt. An zweiter Stelle habe er die Frage der Kriegsgesetze be- handelt und ausgeführt, daß die bereits be stehenden Abmachungen über humanere Gestal tung der Kriegführung erweitert werden sollen. Den dritten Punkt bilde die Frage der Ein schränkung der Rüstungen. — Der Tag der nächsten Sitzung ist noch nicht fest gesetzt, da dies von dem Fortgang der Kom missionsarbeiten abhängt. Die Delegierten wer den persönlich durch das Büreau des Kongresses davon Mitteilung erhalten, sobald der Tag der Sitzung feststeht. Spanien. *Bei den jüngsten Wahlen für die Cortes wurden Anhänger des Konseilpräsi denten Silvela sowie solche des Kriegs- Ministers Polavieja gewählt, die einander wechselseitig befehdeten. Das Blatt ,El Liberal' glaubt nun, infolge der zwischen dem Ministerpräsidenten Silvela und dem Kriegs minister Polavieja entstandenen Spannung werde eine teilweise Umgestaltung des Ministeriums noch vor dem Zusammentritt der Kammer erfolgen. Das Kriegsbudget ist von dem Ministerrat noch nicht festgestellt. Ruhland. *Das russische Geschwader im Stillen Ozean wird um drei Kriegsschiffe vermehrt. * Zu Gunsten der polnischenBauern in Litauen hat die russische Regierung so eben eine sehr bemerkenswerte Verfügung er lassen. Bis jetzt dursten die polnischen Bauem in Litauen und zwar seit dem Ausstand v Z 1863 nicht über 10 Deßjatinen Land besitzen. Vom nächsten Jahre ab wird eS aber den pol nischen Bauern gestattet werden, bis zu 60 Deß jatinen in eigenem Besitze zu haben. Balkanstaaten. *Ein Jrade des Sultans ordnet die Neuformation von 585 Reserve- Bataillonen aus allen überschüssigen Mannschaften an. In Verbindung mit dem Jrade hat der Sultan fast sämtliche vom Militär dienst befreiende Privilegien gewisser musel manischer Stände sowie die Militärfreiheit, die die muselmanischen Einwohner von Konstanti nopel und Umgebung, Mekka und Brussa ge nießen, aufgehoben. *Die Armenier, die aus Rußland nach der Türk-ei zurückkehren wollten, wurden an der Grenze von den Türken zurück- gewiesen. * Der Oberkommandant der serbischen Armee, Milan, hat sein Gehalt für die ersten sieben Monate des laufenden Jahres zur Verfügung der Kriegsverwaltung mit der Bestimmung ge stellt, daß aus diesem Bettag solchen Offi zieren eine Unterstützung gewährt werde, welche einer Badekur benötigen, aber die dafür er forderlichen Mittel nicht besitzen. Natürlich hat die Armee mit Jubel von diesem Entschluß Kenntnis genommen. Der Unbeteiligte aber fragt sich: was steckt hinter dieser Sache? Amerika. * Daß die Lage auf Cuba trotz aller amerikanischen Verschleierungsversuche noch immer recht wenig befriedigend ist, beweist die That- sache, daß trotz der wiederhergstellten guten Be ziehungen zwischen Maximo Gomez und dem nordamerikanischen Gouverneur General Brooke die Proklamation des letzteren, welche die Soldaten der cubauischen Armee zur Ab lieferung der Waffen gegen Auszahlung der ihnen zugesagten Soldbeträge auffordert, bisher keinen Eindruck gemacht hat. Streik der Pariser Briefträger. In Paris war am Donnerstag ein Streik ausgebrochen, dem so leicht kein ähnlicher an die Seite zu stellen sein wird und wie er ohne Frage bei uns in Deutschland zu den Unmög lichkeiten gehören würde: Die Pariser Brief träger hatten den Dienst eingestellt. Die Pariser Briefträger find in fünf Abteilungen eingeteilt. Eine Abteilung derselben in Stärke von un gefähr 800 Mann hielt am genannten Tage früh in der Rue Rousseau eine Versammlung ab. In derselben hielt der Unterstaatssekretär für Posten uud Telegraphen Mougeot eine An sprache. Trotz seiner Ermahnungen weigerten sich die Briefträger jedoch, ihren Dienst zu thun. Mougeot kündigte an, er werde veranlassen, daß ihnen eine Antwort auf ihre Forderungen zu teil werde. Die Ausständigen verhielten fich sehr ruhig. Eine zweite, fast ebenso starke Ab teilung schloß fich den Kundgebungen an. Die Briefträger erklären, sie seien keinerlei Aufhetzung gefolgt, ihr Entschluß, zu streiken, sei spontan nach Kenntnisnahme der Mitteilung des.Journ. officiel' gefaßt worden. Als Unterstaatssekretär Mougeot seine An sprache an die ausständigen Briefträger hielt, um fie zur Wiederaufnahme des Dienstes zu veranlassen, wurde er vielfach mit den Rufen unterbrochen: „Entlassung geben! Wir wollen nur den Abänderungsanttag Groussier!" Der Polizeipräfekt gab den Ausständigen Frist bis 10V, Uhr vormittags zur Ernennung von Ab ordnungen, doch weigerten die Briefträger fich, solche zu ernennen, und blieben bei ihrer For derung der Annahme des Abänderungsantrages Grousster. — Der Abänderungsanttag Groussier verlangte die Bewilligung von zwei Millionen für Erhöhung der Briefträger-Gehälter; der An ttag war von der Deputiertenkammer genehmigt, vom Senat abgelehnt worden. Die Post hat am Donnerstag früh nicht verteilt werden können; die Zahl der Brief träger, welche den Dienst eingestellt haben, be trägt 3800. Der Unterstaatssekretär des Mini steriums für Post und Telegraphie Mougeot hat, nachdem er vergebens versucht hatte, die Ausständigen zur Wiederaufnahme ihres Dienstes zu bewegen, mit dem Ministerpräsidenten Dupuy eine Besprechung gehabt. Mougeot hat Maß regeln getroffen, damit die Briefe im Laufe des Tages wieder verteilt werden könnten. Ihm ist Personal aus anderen Zweigen der Staats verwaltung zur Verfügung gestellt worden, um die Briefe zu sortieren. Die Postverwaltung benachrichtigte nach mittags durch Anschlag die Briefträger, daß die jenigen, die innerhalb einer Stunde den Dienst nicht ausgenommen hätten, wegen Verlassens des Dienstes disziplinarisch bestraft werden würden. Die Maßnahme hatte keinen Erfolg. Zahlreiches Publikum hielt sich in der Umgebung der Post auf. Gegen 2V- Uhr entstand ein Durcheinander. Mougeot kam in die Fahrthalle und erklärte, daß alle, die fich gegenwärtig auf der Straße befänden, entlassen seien. Es ent stand ein Handgemenge. Die Briefträger eilten nach der Rue Rousseau, wo es zu einem Zu sammenstoß mit der Polizei kam. Mehrere Polizisten wurden verwundet und mehrere Ver haftungen vorgenommen. Die republikanische Garde schritt ein. Nachdem Mougeot beschlossen hatte, den Bestelldienst durch Soldaten aus führen zu lassen, wurden die Ausständigen, die fich in der Halle befanden, durch ein geschicktes Manöver darin festgehalten, damit fie den vor bereiteten Bestellgang nicht stören konnten. Nach dem ein Polizeikommissar mit einer Abteilung Polizisten vor der Halle Aufstellung genommen hatte, begann die Briefbestellung. Die neuen Briefträger wurden auf der Straße von der Menge verhöhnt, aber nicht Wetter belästigt. In der Kammer interpellierten mehrere Ab- geodnete die Regierung wegen des Briefträger ausstandes. Der Ministerpräsident Dupuy er klärte, die Regierung werde nicht zulaffen, daß Staatsangestellte in den Ausstand treten können. (Beifall.) Die Verteilung der Briefe werde in Paris weiter erfolgen wie gewöhnlich. Wenn die Briefträger den Dienst nicht wieder auf nehmen, würden fie einfach durch andere ersetzt werden. Die Regierung beuge fich vor keiner Drohung. (Beifall und heftige Zwischenrufe auf der äußersten Linken.) Die Debatte wurde hier auf geschlossen. Die Kammer verwarf mit 400 gegen 177 Stimmen die von dem Sozialisten Millerand beantragte Tagesordnung, in der dem Bedauern Ausdruck gegeben wird, daß die den Briefträgem gemachten Versprechungen nicht ge halten worden seien, und nahm mit 383 gegen 112 Stimmen eine Tagesordnung an, in der die Erklärungen der Regierung gebilligt werden. Der Unterstaatssekretär Mongeot, der Polizei präfekt Blaque und der Postdirektor des Seine departements hielten am Abend eine Sitzung ab, in welcher sie beschlossen, an alle Briefträger ein Zirkular zu richten, in welchem fie denselben anzeigen, daß, wenn fie am 19. den Dienst nicht aufnehmen, die Entlassung, die fie fich in folge Weigerung, den Dienst zu übernehmen zu gezogen haben, eine endgültige sein werde. Die Postverwaltung teilte mit, daß die Ex pedition der Post für die Provinzen und für das Ausland gesichert sei. Die Verteilung der Post ging langsam von statten. Hundert Munizipalgardisten find mit den Bestellungen unterwegs. Die für Freitag geplante Truppenschau war infolge desBriefttägerausstandes abgesagtworden. Die Briefträger nahmen am Freitag ihre Arbeit wieder auf. In einigen Provinzstädten macht fich unter den Briefträgern gleichfalls eine Ausstandsbe wegung bemerklich. Uon Nah und Fern. Berlin. Die „Familien-Stammbücher," die der hiesige Magistrat infolge einer Anregung des Ministers v. Köller Ende Januar 1897 ein geführt hat, haben in der Bürgerschaft Berlins großen Anklang gefunden. Bei nahezu 19 400 Eheschließungen wurden in den 11 Monaten des ersten Jahres etwa 10 260 Familien-Stamm bücher ausgefertigt und im vorigen Jahre stieg die Zahl der Bücher auf etwa 12 500 bei rund 19 600 Eheschließungen. Am meisten wurden Familien-Stammbücher im 6. Standesamts bezirke (Luisenstadt und Neu-Kölln) begehrt; von etwa 2000 neuvermählten Paaren machten 1420 Gebrauch von der praktischen Einrichtung. Uebrigens wird das Berliner Muster der Familien-Stammbücher auch von anderen Städten adoptiert und noch heute kommen nach demselben von auswärts Anfragen, obgleich eine große Anzahl verschiedenartig angeordneter Muster existiert. Die Stammbücher find in Erbschafts- und Legitimations-Angelegenheiten, sowie bei genealogischen Fragen ost von größter Wichtig keit, fie pflegen aber auch den Familiensinn: fie find von geschichtlichem Interesse, enthalten interessante Mitteilungen für die beteiligten Familien und dienen grade in unserer Zeit, wo infolge der Erleichterung des Verkehrs die nächsten Verwandten oft weithin verstreut werden, dazu, die Eriunemngen an die Zusammengehörigkeit lebendig zu erhalten. Der Polizei verfallen. 3j Erzählung von Philipp Gale». (Koitsktzung.l „Gewiß, aber ich habe weder Pfeife noch Tabak." „O, warum haben Sie das nicht früher ge'-agt? Na, morgen soll Ihnen der Thomas Pleite und Tabak bringen, und das soll mein Geschenk sein, zum Dank, daß Sie mir stets so auftnMg entgegengekommen find und mir mein Handwerk bei Ihnen so leicht gemacht haben. Wollle Gott, es thäten alle -- Verbrecher," — und hier lachte der Polizeirat schelmisch laut auf, — „so, dann hätten fie und wir den größten Vorteil davon." Dabei füllte er beide Gläser mit dem mir goldig entgegenschimmernden und köstlich duf tenden Wein; denn ich hatte ja monatelang keinen Tropfen eines solchen Labsals über meine Lippen gebracht und war des ewigen, unschuldigen Weißbieres, welches mir mein Wärter besorgte, schon längst überdrüssig ge worden. Dann stieß er mit mir an, wir tranken, erst langsamer, dann rascher und, wie es schien, mit gleichem Behagen die göttlichen Tropfen und verwandelten dabei in wenigen Minuten mein kleines Gefängnis in eine wahre, mit narkoti schem blauen Nebel gefüllte Rauchkammer. Der gute Mann wurde hierbei merklich auf geräumt und erzählte mir einige allerliebste Ge schichten aus seiner über ganz Berlin und Um gegend sich erstreckenden Amtsthätigkeit. Plötzlich aber schwieg er, sah mich durchdringend an, als ob er mir ins Herz schauen wollte, und sagte lang sam: „Ja, in munterer Gesellschaft und wenn man fich so lustige Schnurren erzählen kann, lebt es sich wirklich angenehmer, als wenn man einsam und allein in stiller Klause fitzt und fich einem nutzlosen Brüten überläßt. Aber," fuhr er mit einem neuen durchdringenden Blick fort, „wenn Sie wollen, so können Sie von morgen an einen beständigen Gesellschafter erhalten. Wir haben nämlich einen Göttinger Studenten in ähnlichen Verhältnissen, wie die Ihrigen find, im Hause, der fich auch wie Sie nach Gesell schaft sehnt, und noch dazu paßt er zu Ihnen; denn — er singt —" „Er singt?" rief ich, wie elektrisiert in die Höhe fahrend. „Ja, er singt, nicht so gut wie Sie zwar, und auch keinen Tenor, aber er hat einen anständigen Baß und ist ein ebenso anständiger Kerl wie Sie. O, Sie denken vielleicht," fuhr er lächelnd fort, „ich wisse nicht, daß Sie singen und sogar sehr gut singen, allein darin irren Sie; denn ich habe es oft genug draußen auf dem Flur gehört, wenn Sie fich damit die Langeweile vertrieben, und alle Ihre Ihnen un bekannten Nachbarn wissen es auch und lauschen still wie die Mäuschen, wenn Sie Ihr schönen Lieder und Arien aus allen möglichen Opern erklingen lassen. Ja, Sie fingen gut, sehr gut uud haben eine vortreffliche Schule durchgemacht. Ich verstehe auch etwas davon, o ja! Wer war denn Ihr Lehrer in dieser Kunst?" Ich nannte ihm meinen alten Singmeister in Thüringen und fügte noch einiges andere hinzu, was Bezug auf das Vorliegende hatte. „Hm!" sagte er nach kurzem Nachdenken plötzlich, „Sie hätten zum Theater gehen sollen, da hätten Sie eine bessere Karriere gemacht und wären nicht unter die Burschenschafter geraten, die fich einen Kaiser nach ihrer eigenen Schablone formen wollten." „Freilich, freilich," versetzte ich sinnend, „ich wäre gern Theatelsänger geworden, das Zeug dazu, Stimme und Figur, Bildung und Lust habe ich ja, aber bedenken Sie: mein alter Vater ist Geistlicher, und ich sollte ja einst sein Nachfolger auf der Kanzel werden." „Ich verstehe," sagte er ernst. „Na, man kann nicht wissen, was Sie noch werden, wenn Sie erst hier aus der Patsche sind!" „Wird es noch lange dauern, daß ich darin bleibe?" fragte ich dreist, ohne zu wissen, woher mir der Mut dazu kam. Er seufzte laut auf, trank seinen Wein aus und goß sich und mir gleich ein neues GlaS voll. „Haben Sie Geduld," sagte er ruhig, „ich darf ja nicht aus der Schule plaudern, aber sehr lange, hoffe ich, wird es nicht dauern. Man erwartet eben neue Mitteilungen von Göttingen und Halle aus über Sie, und wenn dieselben günstig lauten, wollen wir weiter dar über reden. Doch fürs erste: wollen Sie den singenden, den Baß singenden Göttinger zum Zimmergesellschafter haben?" „Von Herzen gern, Herr Polizeirat," rief ich unendlich erfreut aus, „und ich bin Ihnen zu tausendfachem Dank für diese neue Wohl- that verpflichtet." Er nickte mir freundlich zu, trank sein Glas Wein langsam aus, ließ den Rest in der Flasche stehen und reichte mir die Hand. „Gut," schloß er seinen diesmaligen Besuch, „morgen sollen Sie ihn haben, aber Sie müssen dann ein größeres Zimmer beziehen. Auch Ihren allen Wärter, den Thomas, sollen Sic behalten. — Sie bekommen doch alle Tage von ihm die Zeitungen, und haben Sie auch noch Bücher genug?" „Für eine ganze Woche habe ich noch Vorrat, aber —" „Aber was?" fragte er scharf. „Wenn Sie so gütig find und uns beiden, dem Göttinger und mir, die Erlaubnis geben, Duette zu singen, so habe ich noch eine Bitte." „Sprechen Sie sic aus!" „Darf ich nicht auch eine Guitarre erhalten, das heißt nur leihweise — ?" Er dachte einen Augenblick nach, dann sagte er: „Gewiß, die Guitarre schallt nicht lauter als ihre Stimme, die durch alle Manern dringt, aber nur spät abends und nachts dürsen Sie keine Musik machen, das müssen Sie mir ver sprechen." Ich versprach es mit Hand und Mund und habe es auch gehalten. Und so hatte ich wider alles Erwarten mit einem Male zwei große Vorteile errungen, nicht nur eine Guitarre, auf der ich klimpern und meinen Gesang begleiten, sondern auch einen Gesellschafter, mit dem ich vernünftig reden konnte, den Göttinger Studenten." -l- 4- * Als unser Erzähler so wett in seinem Vor trage gekommen war, machte er eine kurze Pause, und erst nachdem er fich eine frische
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