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Politische Rundschau. Deutschland. *Der Kaiser traf am Montag auf Helgoland ein. *An der Nordlandreise des Kai sers wird der dritte Sohn des Kaisers, Adal bert, an Bord des Schulschiffes „Charlotte" teilnehmen. Prinz Adalbert wird an Bord der „Hohenzollern" von Norwegen zurückkehren, während die „Charlotte" die Umsegelung von Afrika antreten wird. *Aus dem Militärkabinett des Kaisers ist die Nachricht nach Diedenhofen gelangt, daß der Kaiser an den dort am 24. bis 30. August stattfindenden Belagerungsübungen teilzunehmen gedenke. Man glaubt, daß die kais erlich e Familie zu der angegebenen Zeit auf Schloß Urville wohnen und dann nach Beendigung der Belagerungsübung der Kaiser sich am 1. September nach Rastatt zu den Schwarzwaldmanövern begeben werde. Auf Schloß Urville wird alles zur Auf-, nähme der hohen Gäste bereit gehalten. * Dem Reichstag ist der Nachtragsetat für die neuen Erwerbungen in der Südsee vorgegangen. Es werden 17 850 000 Mark gefordert. Davon soll Spanien 17 300 000 erhalten, der Rest ist für die Verwaltung der neuen Gebiete, die dem Gouverneur von Neu- Guinea unterstellt werden sollen, bestimmt. * Die Thronfolgefrage mKoburg- Gotha ist für das Land von außerordentlich großer Bedeutung bezüglich der Staatsfinanzen, da sie eng verknüpft ist mit der Domänen- frage. Das Domänenabkommen ist im Jahre 1855 vom Landtag genehmigt worden. Es be stimmt, daß das ganze Domänengut als Pri vatvermögen an die jetzige Herrscherlinie fällt, sobald diese zu regieren aufhört. Das Domänenabkommen ist dem Staatsgrundgesetz gleich zu achten und unanfechtbar. Aus dem Erträgnis der Domänen erhält der Herzog jährlich 300 000 Mk. als Zivilliste, der Rest, der ungefähr 1 Mill. Mk. beträgt, fällt zur Hälfte an den Herzog, zur Hälfte an die Staats kasse. Für den Fall, daß ein Fürst aus einer anderen Dynastie als der regierenden als Thron folger berufen würde, müßte das ganze Domänen gut an den Mannesstamm der jetzt regierenden Linie als dessen Privateigentum fallen. * Der Ausschuß des Gewerbegerichts zu Berlin für Gutachten und Anträge be züglich gewerblicher Fragen hat einstimmig — Arbeitgeber und Arbeitnehmer — beschlossen, eine Petition an den Bundesrat und Reichstag zu richten, in welcher um Ab lehnung des Gesetzentwurfs zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhält nisses mit folgender Begründung gebeten wird: 1) Die Bestimmungen des Entwurfs liegen weder im Interesse der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer. 2) Die durch den Gesetzent wurf angestrebte Beschränkung des zur Zeit ge währleisteten Koalitionsrechts kann für die ge sunde Entwickelung der gewerblichen Verhält nisse im Deutschen Reich nur verderblich sein. 3) Die zur Zeit bestehenden gesetzlichen Be stimmungen bieten Arbeitswilligen ausreichenden Schutz. Oesterreich-Ungarn. * Die Erkrankung des Kaisers Franz Joseph an Hexenschuß ist zwar schmerzhaft, aber keineswegs gefährlich. Frankreich. * Zwischen Lipp' und Kelchesrand schwebt der dunklen Mächte Hand!" Das hat Wal deck-Rousseau wieder erfahren müssen. Sein Ministerium war fast vollzählig, selbst der Kriegsminister Krantz wollte bleiben, doch scheiterte das Uebereinkommen an der For derung Waldeck-Rousseaus, die schuldigen Offi ziere des Generalstabs energisch zu verfolgen. Darauf wollte sich Krantz nicht einlassen, er wollte nicht in die Nesseln greifen, und daran ging die ganze Kabinettsbildung zu Grunde. Jetzt ist der Radikale Bourgeois mit der Zusammensetzung eines Ministeriums betraut worden. Derselbe ist erster Vertreter Frank reichs auf der Friedenskonferenz im Haag, hat aber dort alles stehen und liegen lassen und ist am Mittwoch vormittag zur BesprW-ig mit dem Präsidenten Loubet in Paris' einge troffen. *Der frühere Kriegsminister General Mercier erklärte einem Berichterstatter des .Journal', daß er nach den in der Dreyfuß- Angelegenheit erfolgten Enthüllungen keine Schwierigkeiten darin erblicken würde, wenn die Verhandlungen vor dem Kriegsgericht in Rennes öffentlich geführt werden sollten, abgesehen vielleicht von der Uebermittelung zweier geheimer Aktenstücke, über die bei verschlossenen Thüren zu verhandeln wäre. (Also wieder zwei geheime Aktenstücke! Wer mag denn die fabriziert haben?) *Zu der Spionenaffäre in Nizza übergab der Kommandeur der 29. Division der Staatsanwaltschaft einen Bericht, der durchaus ungünstig gegen den italienischen General Giletta lautet. Gerüchtweise verlautet, in seinen Effekten sei eine Patrone neuesten Modells gefunden worden. England. * In der englischen Presse läßt sich wieder eine Stimme hören, die der Stellung - nahmeDeutschlands auf dem Friedens kongresse in der Schiedsgerichtsfrage gerecht wird. Der.Standard' schreibt: „Wir können wirklich über die Haltung Deutschlands bezüglich der Schiedsgerichte nicht überrascht sein. Schiedsrichter sind leicht gefunden in Fällen, in denen sich ohnedies eine friedliche Erledigung leicht erreichen läßt, aber ernste Streitigkeiten, bei denen die Interessen der nationalen Ehre in Frage kommen, lassen sich nicht oft in solcher Weise behandeln." Italien. *Mit den vom Papste Leo am Montag vollzogenen Kardinalsernennungen erreicht das heilige Kollegium die Zahl von 65 Mitgliedern. Auch mit den zwei Kardinalen in xsetore (d. h. Kardinale, deren Namen aus äußeren Gründen noch nicht amtlich veröffentlicht werden. Die Red.) fehlen zur Vollzahl immer noch drei. Die italienischen Kardinale haben mit 35 Stimmen die Mehrheit. Sv amen. *Die spanischen Cortes haben die Vorlage wegen Abtretung derSüdsee-Jnseln an Deutschland angenommen und die Königin - Regentin sogleich dem Abkommen mit Deutschland die Bestätigung erteilt. Rustland. * Der russische,Regierungsbote' berichtet über die Arbeiten der im Jahre 1894 unter dem Kaiser Alexander III. eingesetzten Kommission zur Revision der Gesetze über die Gerichts- Ordnung in Rußland, daß die Arbeiten zu Ende geführt worden seien. Aus diesem Anlaß drückte Kaiser Nikolaus der Kommission seine völlige Zufriedenheit aus und befahl dem Justiz minister, der Kommission seine aufrichtige Dank barkeit für die Erfüllung dieser umfangreichen und wichtigen gesetzgeberischen Arbeit zu über mitteln. Balkanstaaten. *Es scheint sich allmählich ein richtiger kleiner Grenzkrieg zwischen Türken und Serben entspannen zu haben. Graf Goluchowski auch tritt für Serbien ein, das seinerseits in Konstantinopel erklärt hat, seine Geduld sei zu Ende. Es sollen bereits Divi- fionsmobilifierungen angeordnet sein. Afrika. *Die ,St. James' Gazette' will erfahren haben, im Kriegsfälle würde General Joubert (Transvaal) sofort in den Oranje-Freistaat einmarschieren, Kimber ley nehmen, die Dinamitminen in die Luft sprengen, die Kapstadt-Buluwayobahn durch Boernfreunde in der Kapkolonie zerstören lassen und durch die westlichen Provinzen direkt auf Kapstadt marschieren. Die Boern seien stark genug, um erfolgreich angriffsweise vorgehen zu können. Aus dem Reichstage. Der Reichstag beendete am Montag die dritte Lesung der Verlängerung des englischen Handels provisoriums. Die Vorlage wurde an eine Kom mission verwiesen. Darauf begann die erste Lesung des Gesetzentwurfs zum Schutz des gewerblichen Arbeitsverhältnisses. Die Debatte wurde vom Reichs kanzler Fürst zu Hohenlohe mit einer kurzen Rede eingeleitet. Wie der Reichskanzler, so bestritt auch Staatssekretär Graf Posadowsky, daß es sich um eine Beschränkung oder Aufhebung des Koalitions rechts handle. Nur der Mißbrauch desselben solle getroffen und dem Terrorismus gegen Arbeitswillige gesteuert werden. Abg. Bebel (soz.) wandte sich in scharfen Worten gegen die Darlegungen des Staats sekretärs und gegen die der Vorlage beigegebene Denkschrift. Am 20. d. wird die erste Beratung des Gesetzes zum Schutze des gewerblichen Arbeits verhältnisses fortgesetzt. Abg. v. Levetzow (kons.): Meine Freunde wollen das Koalitionsrecht aufrechterhalten. Die Vorlage läßt, wie sie ist, das Koalitionsrecht voll kommen unberührt, sie will nur den Arbeitern den Schutz gewähren, den sie vielfach gefordert haben, gegen den Zwang, der ausgeübt worden ist und gegen die Ausschreitungen, die bei Arbeitseinstellungen Vorkommen. Wer allein nach dem Text des Gesetzes urteilt, wird anerkennen müssen, daß dasselbe dem Deutschen Reiche zum Nutzen gereichen wird. Ich beantrage namens meiner Freunde die Verweisung der Vorlage an eine Kommission von 28 Mit gliedern. Abg. Lieber (Zentr.): Meine Freunde, in deren einstimmigem Auftrage ich spreche, bedauern, daß die Vorlage in Widerspruch mit allem steht, was wir zum Schutze des Koalitionsrcchts fordern müssen. Wenn man die Koalitionsfreiheit schützen will, so muß sie erst wirklich da sein. Es muß also zunächst ein positives Gesetz über das Koalitionsrecht einge bracht werden, in dem der Kreis der Personen und die Zwecke, für die es gelten soll, genau abgegrenzt sind. Ehe das nicht durchgeführt ist, kann von einem Schutze der Koalition keine Rede fein. Dieser Vor lage ist außerdem noch der Vorwurf der Lückenbüßerei zu machen. Wie so oft, hat man eine Lücke zu entdecken geglaubt, die ausgefüllt werden muß. Der Z 153 der Gewerbeordnung ist ein Aus nahmegesetz der schlimmsten Art. Mit seiner Aufhebung und Ersetzung durch allgemeinrechtliche Vorschriften wären wir durchaus einverstanden. Die Vorlage aber will ihn ersetzen durch ein neues, noch viel schlimmeres Ausnahmegesetz. Abg. Bebel hat gestern Fälle vorgeführt von außerordentlich harten Strafen auf der einen, von außerordentlich milden auf der anderen Seite, die doch von einer himmel schreienden Parteilichkeit Zeugnis ablegcn. (Präsident Graf Bal lest rem: Der Herr Abgeordnete hat die deutschen Gerichte einer himmelschreienden Partei lichkeit geziehtN Das kann ich nicht zulassen, ich rufe ihn deshalb zur Ordnung!) Abg. Lieber (fortfahrend): Solche Urteile wollen auch wir für die Zukunft unmöglich gemacht wissen. Wir stimmen darum nicht dafür, daß die Vorlage sofort beseitigt werde. Wir begrüßen es vielmehr, daß ein längerer Zeitraum vergehen wird bis zur zweiten Lesung. Vielleicht entschließt sich die Regierung bis dahin, die Vorlage durch eine bessere zu ersetzen. Abg. Bassermann (nat.-lib.): Der Reichs kanzler hat gestern sein Erstaunen darüber aus gedrückt, daß Parteien die Vorlage verwerfen, die auf dem Boden der bestehenden Gesellschafts-Ordnung stehen. Wenn ich mich gleichwohl heute gegen die Vorlage und auch gegen die Kommissions- Beratung ausspreche, so kann der Reichskanzler überzeugt sein, daß wir damit jenen Boden keineswegs verlassen. Wir haben den Entwurf ein gehend geprüft, und bas hat zu einem ungünstigen Resultat geführt. Die Vorlage verletzt die Koalitions freiheit, sie schafft nicht gleiches Recht für alle. Das Anwachsen der Sozialdemokratie wollen auch wir möglichst verhüten. Unter meinen Freunden befinden sich zahlreiche Arbeitgeber, aber gerade diese sind der Meinung, daß unter den heutigen Verhältnissen im allgemeinen die staatlichen Machtmittel ausrcichen. Die Arbeitgeber-Koalitionen, die doch erst in der Entwickelung begriffen sind, sind dabei schon jetzt ungleich mächtiger als die Arbeiterkoalitionen. Da mit wird eine immer festere Gewähr geschaffen gegen die sogenannten frivolen Streiks. Wir sind der Meinung, daß die jetzigen staatlichen Machtmittel ausrcichen. Ein Teil meiner Freunde hält freilich einen Ausbau des 8 153 der Gewerbeordnung für erwünscht und notwendig. Im übrigen wünschen meine Freunde, daß die Vorlage im Herbst so schnell wie möglich zur Ablehnung gelangt. Staatssekretär Nieberding: Ich erkenne an, daß die Vorlage vornehmlich die Arbeiterwelt trifft. Sie richtet sich forma! gegen Arbeiter und Arbeit geber. (Ruf bei den Soz.: Formal!) Es soll da mit aber nicht etwa zum Ausdruck gebracht sein, daß wir der Arbeiterbewegung feindlich gegen überstehen. Aber wir müssen doch darauf achten, daß die Bewegung nicht übergreift in andere Interessen. Vor allem dürfen wir die Ver gewaltigung des freien Willens der Arbeiter nicht dulden, wie sie von den sozialdemokrati schen Organisationen gegen die außerhalb dieser stehenden Arbeiter geübt wird. Ein Ausnahmegesetz ist die Vorlage nicht, es bewegen sich vielmehr alle Bestimmungen durchaus auf dem Boden des gemeinen Rechts. Will das Haus aber einzelnen Bestim mungen eine andere Fassung geben, so kann ich er klären, die Regierung wird dagegen nichts einzu wenden haben, wenn das Prinzip dabei besser zum Ausdruck kommt. Ich kann Sie daher nur bitten, lehnen Sie die Vorlage nicht so rundweg ab, wie der Vorredner es empfahl. Lassen Sie in Ruhe die Zeit bis zur zwecken Lesung hingehen und prüfen Sie dann von neuem. Ich bin überzeugt, daß Sie sie dann mit günstigeren Augen ansehen werden. Abg. Arendt (frcikons.): An der Erklärung des Abg. Bassermann hat mir vor allem gefallen, daß wenigstens ein Teil seiner Freunde die Notwendig keit von Schutzvorschriften gegen den Terrorismus anerkennt. Die allgemeine Beurteilung, von der Abg. Bassermann sprach, ist nicht schwer zu erklären. Die Agitation hat dem Publikum eben ein ganz falsches Bild von der Vorlage entworfen. Wie sich das Zentrum in der zweiten Lesung der Vorlage gegenüber verhalten wird, hat Abg. Lieber nicht ge sagt. Wir werden es also abwarten müssen. Die Vorlage berührt das Koalitionsrecht in keiner Weise. Wäre dies der Fall, so würden meine Freunde sie rundweg ablehnen, denn wir stehen auf dem Boden des Koalitionsrechts. Meine Freunde werden jeden falls für den Antrag Levetzow auf Verweisung der Vorlage an eine Kommission stimmen. Es handelt sich nicht um Kampfmaßnahmen gegen, sondern um Schutzmaßnahmen für die Arbeiter. Abg. Lenzmann (frs. Vp.): Die Vorlage ist schon heute als gefallen anzusehen, beeilen wir uns, den Toten möglichst schnell zu begrabm. Das Gesetz verletzt zweifellos die Koalitionsfreiheit, und das wird eigentlich noch mehr bestätigt dadurch, daß auch die Anhänger der Vorlage Liebe für das Koalitions recht — ich spreche nicht von den Herren hier im Hause — heucheln. Das Gesetz trügt ferner unzwei deutig den Stempel des Ausnahmegesetzes an der Stirn. Nur ein kleiner Teil der Bestimmungen kann ev. auch gegen die Arbeitgeber angewendet werden. Im ganzen wird der Terrorismus der Arbeitgeber fortdauern, auch der von Arbeitgebern gegen Arbeit geber geübte. Daß die Denkschrift Irrtümer enthält, ist schon gesagt worden. Aber es finden sich auch direkte Täuschungen — ich meine nicht selbstbewußte Täuschungen, sondern Mitteilungen, die nur einem stark getäuschten Selbstbewußtsein entsprungen sein können. So wird zu Unrecht behauptet, daß aus der Mitte des deutschen Volkes das Verlangen nach einem solchen Geseß gestellt worden sei. Schließlich ist aber der Inhalt ganz einseitig zusammen gestellt, Polizei, Staatsanwälte und Landräte haben das Material geliefert. Das sind doch keine ge eigneten Quellen für solche Dinge. Unsere Arbeiter freundlichkeit bethätigen wir am besten dadurch, daß wir den Angriff auf die Koalitionsfreiheit mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Äbg.Lieb ermann v. Sonnenb erg(Antis.): Wir halten die Vorlage ganz und gar nicht für zeit gemäß. Wir sind auch der Meinung, daß wir mit den jetzigen Machtmitteln auskommen können. Wir treten nicht für die sozialdemokratischen, sondern für Forderungen der kaiserl. Botschaft von 1891 ein. Die Vorlage geht dieser Botschaft schnurstracks ent gegen. Erst muß das Koalitionsrecht gesichert wer den, dann ließe sich allenfalls über Maßnahmen zum Schutz der Koalltionssreit sprechen. Darauf wird ein Vertagungsantrag angenommen. vrrukisch-r Landtag. Das Abgeordnetenhaus nahm am Montag das Kommunalbeamtengesetz debattelos in dritter Lesung an. Der Antrag Langerhans (ff. Vp.) betr. Auf hebung der Konsistorialordnung von 1573, wurde in zweiter Lesung abgelehnt. Die konservativen Redner gegen den Antrag und der Regierungsvertreter gaben der Anschauung Ausdruck, daß ohne Entschädigung an die Kirche dem Antrag nicht stattgegeben werden könnte. Der Antrag des Grafen Kanitz (kons.), der eine Abänderung des Rentengütergesetzes in dem Sinne bezweckt, daß die Befugnisse der General kommission hinsichtlich der Ansiedelung beschränkt und auf die Selbstverwaltungsorgane, insbesondere den Kreisausschuß, übertragen werden, wurde an eine Kommission verwiesen. Es folgten Petittonen. Am Dienstag beschäftigte sich das Abgeordneten haus mit der ersten Lesung des Gesetzes betr. den Karfreitag. Kultusminister Dr. Bosse erklärte cs für bedauerlich, daß eine Vorlage wie diese zum Gegenstand einer scharfen Polemik gemacht worden sei. Es habe durchaus fern gelegen, die protestantische Karsreitagsfeier den katholischen Landesteilen aufzu nötigen. Man habe bestritten, daß die Kabinetts ordres, auf Grund deren die Sonntagsorduungen erlassen worden waren, noch Gültigkeit hätten. Eben um deswillen sei der Weg der Gesetzgebung gewählt, wie bei der Vorlage über die Verlegung des Buß tages. Abg. Dittrich (Ztr.) plädierte für Wieder herstellung der Kommissionsbeschlüsse des Herren hauses. Allseitig wurde der Hoffnung auf Verstän digung Ausdruck gegeben. Der Polizei verfallen. 11) Erzählung von Philipp Galen. lForlsrtzung.) „Wie," sagte der Polizeirat, ,,Sie kennen mich? Ei, das ist ja artig und mir höchst an genehm, — doch halt! Auch Sie kommen mir bekannt vor, nur weiß ich im Augenblick nicht, wo ich schon das Vergnügen gehabt habe, Sie zu sehen." Ich wollte ihm eben die nötige Aufklärung geben, da faßte er mich schärfer ins Auge, lächelte in seiner alten mir bekannten Art und fuhr rasch fort: , . „Nein, nein sagen Sie Mw nicht, wo wir uns schon gesehen, — ich muß das selbst aus findig machen können, und mein Gedächtnis, bisher noch in der gehörigen Verfassung, darf mich auch diesmal nicht im Stich lassen. Ich will es also einmal auf die Probe stellen. — Hm! ja, daß Sie mir schon vor die Augen ge kommen find, ist gewiß," — und er strich sich mit der Hand über die Stirn, als wollte er sein Gehirn und seine Augen zu schärferer Auffassung meiner Person anfeuem — „vor Gericht war es nicht, nein — also wo anders, doch wo, wo!" Und nachdem er mich noch einmal scharf be obachtet und ich schon zn lächeln begann, rief er plötzlich: „Halt! Ich hab's, doch es sind schon Jahre her, daß wir uns sahen, nicht wahr ? Und mir kamen so viele Physiognomien vor die Augen, daß man mir wohl verzeihen kann, wenn ich einmal etwas langsam und vorsichtig das Chaos meiner Erinnerungen zu entwirren suche. — Doch ja, ich hab's und nun weiß ich es be stimmt, — war es nicht in der Dorotheenstraße?" „Beim Professor —, wenigstens ihm gegen über, ja," sagte ich, „da war es, und Sie haben mir oder eigentlich meinem Freunde M . . ., bei dem ich nur zum Besuche war, damals die Ehre erwiesen, eine Tasse Kaffee mit uns zu Winken und von dem Fenster unseres Zimmers aus die Bewegung der Gardinen zu beobachten, um auf diese Weise die drei Einbrecher zu er- tappen, die sich die Abwesenheit des Herrn Pro fessors zu Nutze machen wollten." „Richtig, richtig," sagte er, „so ist es, ich erinnere mich an den schönen Sonntag-Nach mittag ganz genau, — es war ein Hauptspaß, — o, mein Gedächtnis ist noch ganz gut, wie Sie sehen, aber — da fällt mir ein, war da bei Ihnen an jenem Tage nicht auch von meinem ehemaligen Gefangenen, dem Theologen Adalbert N ... die Rede?" „Gewiß, Herr Polizeirat," sagte ich lachend, während er schon neben mir auf dem Sofa Platz genommen, „aber der ist jetzt kein Theolog mehr —« „Nein, nein, ich weiß, ich weiß," unterbrach er mich, „er ist ein berühmter Sänger in München geworden und erfüllt die ganze Welt mit seinem Ruhm. Aber wie, — ist das etwa alles, was Sie von ihm wissen?" sragte er lächelnd weiter, „ich, o, ich weiß noch viel mehr." „Was denn?" fragte ich verwundert; denn seine Miene hatte bei den letzten Worten einen eigentümlichen Glanz angenommen. „Nun, man, — das heißt, die Tochter des damaligen — Ministers Exzellenz, die schöne Bertha, die einen so herrlichen Sopran sang und auch jetzt noch singt, hat mit ihm seit Jahren in lebhaftesten: Briefwechsel gestanden, und jetzt hat sie ihn, wie sie ihm einst ver sprochen, — hierher gerufen, um sich von ihm nicht nur ihre Lieblingsarien Vorsingen zu lassen, sondern um sich, — nun, das übrige werden Sie sich schon denken können —" „Nein, das kann ich mir nicht denken," sagte ich etwas erregt, „der immer so kühne Mensch hat doch nicht etwa seine Augen zu der so hoch stehenden Dame erhoben und um ihre Hand ge worben ?" „Was Sie gut raten können!" lachte er laut auf. „Ja, so ist es, ich will es Ihnen wenig stens sud rosa anvertrauen, obwohl es fürs erste noch nicht unter die Leute kommen soll. Aber, daß die Verlobung bald stattfinden wird, ist gewiß; die beiden jungen Leutchen brauchten sich nur ein- oder zweimal zu sehen und zu hören, und sie brannten für einander so lichterloh, daß es nicht Wasser genug auf der Welt gab, um die Flammen in ihrem Innern zu löschen, und so mußte der exzellente Alte, der in der That ein herzensguter Mann ist und seine Kinder ebenso wie die Musik über alles liebt, aus der Not eine Tugend machen und sagen: „Na, wenn Gott will und wenn ihr wollt, dann will ich auch und so segne ich euch!" Haha!" Ich war still und nachdenklich geworden; denn das hatte ich von Adalbert N . . . doch nicht erwartet und erwarten können; auch war es mir vollkommen neu; denn ich hatte nur einmal vor einem Jahre von meinem Freunde Wilhelm einen Brief erhalten, worin er mich von den günstigen Erfolgen des jungen schönen Sängers, des ehemaligen Demagogen unter richtet. „Ja, ja," fuhr der Polizeirat langsam und bedächtig redend fort, „so geht es im Leben,— per asxern aä astr», vom Theologen und Dema gogen zum Hofopernsänger, vom armen Schlucker zum reichen Mann —" „Ist er denn schon reich?" fragte ich höchst naiv. „Noch nicht, aber er wird es werden; denn so viel weiß ich bestimmt, daß seine zukünftige Frau einen reichen, — einen sehr reichen Vater und zwei alte, ebenso reiche kinderlose Onkel hat, und da wird auch wohl für ihn etwas abfallen. — Doch genug davon," brach er plötzlich ab, und sein Gesicht nahm eine ernstere und nachdenkliche Miene an. „Jetzt will ich mit Ihnen von einer anderen Sache reden, von der, die mich heute in die Neue Charitee geführt hat. So hören Sie denn, und nun muß ich einmal wieder den Kriminalpolizisten vor Ihnen spielen. Vor einigen Tagen ist hier in Berlin bei einem unserer ersten Juweliere ein raffinierter Einbruchsdiebstahl ausgeführt und eine Menge goldener Kostbarkeiten nebst wertvollen Edel steinen geraubt worden. Auch eine Rolle mit Gold, fünfzig Friedrichsd'or enthaltend, hat in der eisernen festgeschlossenen Kasse gelegen, welche mitzunehmen die stechen Eindringlinge nicht verschmäht haben. So weit Ort und Stelle des Einbruchs bis jetzt untersucht worden sind, hat sich heraus gestellt, daß ins Innere des Juweliergeschäftes