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Allgemeiner Anzeiger : 10.06.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189906104
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18990610
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-06
- Tag 1899-06-10
-
Monat
1899-06
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 10.06.1899
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Rathenow. Ein schlimmes Abenteuer er lebten am Freitag auf einer Wagenfahrt Stadt baurat Feldtkeller, Oberingenieur Rolau aus Berlin und Ingenieur Smreker aus Mannheim. Sie durchfuhren die städtische Forst, als der Wagen plötzlich in einen Sumpf geriet und weder vorwärts noch rückwärts konnte. Stadt- Laurat Feldtkeller rettete sich durch einen gewal tigen Sprung, nachdem er sich der Beinkleider entledigt hatte, ins Trockene und es gelang ihm, die Pferde loszuschirren. Unterdessen sank aber der Wagen mit den beiden Ingenieuren immer tiefer, so daß die Herren die höchsten Punkte des Wagens ersteigen mußten. In dieser Lage ver blieben sie länger als vier Stunden, jeden Augen blick gewärtig, im Sumps mit dem Wagen vollends zu verschwinden. Inzwischen wurde der Versuch gemacht mit einem dritten, von dem Stadtrat herbeigeholten Pferde, das Gefährt herauszuziehen. Das mißlang gänzlich und hatte nur den Erfolg, daß das Tier vollständig in den Morast einsank und nur noch mit dem Kopfe aus dem Schlamm heraussah. Trotzdem arbeitete es sich nach längerer Zeit heraus. Es war die höchste Zeit, daß endlich aus der Stadt geholtes Militär eintraf, um den versunkenen Wagen unter großen Anstrengungen samt den Insassen zu retten. Teltow. Ein grauenvolles Vorkommnis hat sich am Montag in Kiekebusch bei Walters dorf zugetragen; dort wurde der Kossät Grothe von seinem Sohn, mit dem er in einen Wort wechsel geraten war, durch einen Stich mit der Forke am Kopf schwer verwundet. Der junge Grothe begab sich darauf in ein Stallgebäude, das er von innen verriegelte und setzte dasselbe in Brand; er ist in den Flammen umgekommen. Potsdam. Einen Selbstmordversuch unter nahm in der Kaserne des Lehr-Jnfanterie- Bataillons zu Eiche ein zum Bataillon kom mandierter Sergeant vom 98. Jnfanterie-Regi- ment, indem er sich mittels seines mit Platz patronen und Wasser geladenen Dienstgewehres m den Mund schoß, wodurch ihm der ganze Unterkiefer zerschmettert wurde. Der Schwer verletzte wurde noch lebend nach dem Militär lazarett transportiert. Das Motiv zur That soll Furcht vor Strafe gewesen sein, welche den jungen Soldaten wegen einer Urlaubsüber schreitung erwartete. Lenzen. Vor etwa süns Wochen wurde der in die Lenzener Schmuggel-Affäre verwickelte Gemeindevorsteher Brüning aus Gaarz wegen Verdachts des Meineides verhaftet. Der bisher unbescholtene Mann verfiel seit der Zeit in Tiefsinn und hat nun in diesem Zustande Hand an sich gelegt. Mittels eines Handtuches hat sich Brüning in seiner Zelle erhängt. Pritzwalk. Ein erschütterndes Familien- drama hat sich hier abgespielt. Eine ganze Familie namens Benzin beging Selbstmord. Der Mann erhängte sich an der Bettstelle, und Mutter und Tochter starben an Gist. Als Motiv wird Vermögensverfall bezeichnet. Halle. Die Halloren, die echten Nach kommen der ehemaligen Gründer der alten Salzstadt Halle, nahmen am Freitag nach her kömmlicher Sitte ihr „Pfingstbier" ein. Vor einem halben Jahrhundert noch war damit ein feierlicher Umzug verbunden, der die Bewohner aus Stadt und Land herbeilockte, die altertüm lichen, kostbaren Trachten zu bewundern. In den letztverflossenen Jahrzehnten wurden diese Umzüge nicht mehr abgehalten. Doch bei der Feier des diesjährigen „Pfingstbieres" fand wieder ein historischer Aufzug statt. In ihren blauen, lila, roten und schwarzen Röcken, Westen mit silbernen Knöpfen, Wadenstrümpfen, der Kleidung angepaßt, und Schnallenschuhen zogen die Halloren von der Residenz am alten „Sol brunnen" vorüber nach dem „Paradies . Voran schritt der „Bote". Der Hauptmann mit seinen Chargierten, die Kranzjungfern, die Platzknechte, Fischerstecher, Schwertträger und Fahneiffchwenker nahmen sich recht nett aus. Als erste Fahne er blickten wir die Fahne Kaiser Wilhelms H. Außer dem waren noch drei Fahnen früherer Preußen könige vertreten. Im „Paradies", dem ältesten Restaurationslokal der Stadt, machte der Zug Halt. Um die schattige Pfingstmaie herum schwangen sich hier die Paare im wirbelnden den daß'die Arbeitssperre nach drei Wochen nicht aufgehoben wird. Christiani«. Mit großen Schneefällen hat der Juni im nördlichen Norwegen begonnen. In Hammerfeft find alle Straßen einige Fuß hoch mit hartem Schnee bedeckt, stellenweise liegen die Schneehügel in Mannshöhe. Die Berge der Umgegend enthalten solche Schnee massen, daß sie in diesem Sommer kaum schnee frei werden dürften. Auch aus anderen Teilen des Landes wird gemeldet, daß die Schnee menge in diesem Winter größer denn je ge wesen ist. Eine widerspenstige Königin. Das der jugendlichen Regentin von Holland gehörige Schloß im Haag „Huis ten Bosh", Haus im Walde, in dem gegenwärtig die Friedenskonferenz tagt, war die Lieblings- refidenz der verstorbenen Königin Sophie, der ersten Gemahlin Wilhelms III. Seit 1873 ist dieser romantisch gelegene Palast geschlossen und verlassen gewesen. Erst in letzter Zeit find regelmäßige Pilgerfahrten dorthin organisiert worden und zwarvonEngländern, die den nach den Angaben der geistreichen, kunstliebenden Königin möblierten und ausgeschmückten Sälen und Gerichtshalle. Berlin. Gegen die amerikanische Zeitung ,New Mork Herald' gelangte am Montag vor per siebenten Strafkammer des Landgerichts ein objektives Strafverfahren wegen Beleidigung des deutschen Kaisers zum Abschluß. Wie erinnerlich sein wird, wurde der Kapitän Coghlan, welcher ein Schiff der amerikanischen Flotte vor Manila befehligt hatte, nach seiner Rückkehr in Amerika stark gefeiert. Ge legentlich eines Banketts hielt er eine Rede, welche bei den Deutschen böses Blut erregte, und daran knüpfte er die Deklamation eines Spottgedichts auf den deutschen Kaiser. Der ,New Dort Herold' brachte am 23. April d. das Gedicht zum Abdruck. Hierauf gründete sich, da eine Persönlichkeit nicht zu belangen war, das objektive Verfahren wegen Majestätsbelei digung. Der vereidete Dolmetscher, Rechtsanwalt Dr. Schneider, las dem Gerichtshöfe das Gedicht in der Uebersetzung vor. Der Gerichtshof erkannte auf Grund des beleidigenden Inhalts des Gedichts auf Einziehung der betreffenden Nummer des ,New Jork Herold'. Freiberg. Das hiesige Schwurgericht verurteilte den 19 jährigen Schüler der Bauakademie Lehmann wegen Raubversuchs und Erpressung zu zwei Jahr sechs Monat Gefängnis. Lehmann hatte seine Pensionswirtin unter thätlichen Angriffen und Drohung des Erschießens zur Herausgabe von Geld gezwungen, um sich mit seinen Schulfreunden ver gnügen zu können. Gegen mehrere andere der Mit schuld verdächtige Bauschüler konnte wegen mangeln der Beweise keine Anklage erhoben werden. Hamburg. In der Zivilklagesache der fürstlich Bismarckschen Erben gegen die Photographen Wilcke und Priester wegen Herausgabe der Platten und photographischen Ausnahmen der Leiche Bismarcks auf dem Totenbette verwarf das hanseatische Ober landesgericht die Berufung der Beklagten als un begründet unter Verurteilung der Photographen in die Kosten des Revisionsverfahrens. Sagan. Der Zahlmeister-Aspirant Beüin beim 5. Feld-Artillerie-Regiment wurde vom Kriegsgericht wegen gewerbsmäßigen Glückspiels und Betruges zu drei Monat Gefängnis und zur Degradation ver urteilt. Zimmern einen Besuch abstatten wollten. Es dürfte nur wenig bekannt sein, daß diese vor mehr als drei Dezennien sehr elegant und modern gewesenen Einrichtungen stets den Nsmostrewen Sier labten sich die Halloren am gespendet aus mächtigen silbernen Humpen. „ . . Dresden. Der Bauarbeiter Ludewig, der Frau und Kind ermordet hat, ist trotz der energischsten Nachforschungen der Polizei noch nicht ermittelt worden. Ludewig arbeitete zuletzt bei einem Steinmctzmelster. Er soll früher ein ordentlicher und fleißiger Arbeiter gewesen und erst nach seiner Verheiratung liederlich geworden sein. Es ist anzunehmen, daß der Mann nach der scheußlichen That selbst Hand an sich gelegt hat, denn sonst hätte er schon — auch infolge seiner mvngelhaften Fußbekleidung, die nur ans Filzpantoffeln bestand — entdeckt werden müssen. Uebrigens hat sich erst vor zwei Wochen ein Bruder Ludewigs selbst entleibt. Düsseldorf. Ein schreckliches Unglück er eignete sich auf Zeche Roland in Dümpten. Die Bergleute Hermann und Heinrich Mattheus aus Alstaden (Brüder), waren im Begriff, nach beendeter Schicht von der vierten zur dritten Soole im Schachte heraufzuklettern, als sich plötzlich das Kontregewicht des Förderkorbes löste und die beiden von demselben getroffen wurden. Der älteste war sofort tot, da ihm der Schädel gespalten wurde; der jüngere Bruder wurde nach dem Krankenhause gebracht, wo ihm ein Bein amputiert wurde. Auch er starb bald nach der Operation. Meppen. Ein Drittel des Kreises Meppen steht unter Wasser. Mehrere Dämme sind ge brochen. Bei Hüntel, Brook und Wesuwe stehen fast alle Felder unter Wasser. Bei Emmeln und Haren ist der Damm gebrochen. Vierzig Ge fangene arbeiten an der Dichtung des Dammes. Der Wasserstand beträgt bei Haren 3,10 Meter über normal. Der angerichtete Schaden ist durchweg sehr groß. Mainz. Die an den Außenwerken und Pulvermagazinen stehenden Posten haben keine angenehme Aufgabe. Jüngst erschoß nachts ein Posten eine sich ihm nähernde Kuh, die ihrem Transporteur entlaufen und ins Glacis geraten war. Der Posten hatte das „Ungeheuer" an gerufen, keine Antwort erhalten und fünf Mal geschossen. Gleich darauf wurde eiu Außenposten angeschossen ausgefunden. Der rätselhafte Fall ist noch nicht aufgeklärt. Kürzlich nachts schoß wieder ein Posten an einem Pulvermagazin auf ein Geräusch hin, das sich ihm näherte und als auf Anrufen keine Antwort erfolgte. Am Morgen fand man den Erschossenen — einen Wolfsspitz I Innsbruck. Gegen einen Standesherrn hat das hiesige Landgericht folgenden Steckbrief erlassen: „Maximillian Albrecht Graf zu Pappen heim, am 15. Februar 1860 zu Pappenheim in Mittelfranken geboren, ehemals bayrischer Haupt mann, seit Ende Januar vorigen Jahres aus Reutte flüchtig, ist des Betruges und der Ver untreuung verdächtig." Graf Pappenheim ent stammt dem deutschen, vormals reichsständischen, jetzt standesherrlich untergeordneten Grasenhause Pappenheim, dem das Recht der Ebenbürtigkeit mit den regierenden Fürstenhäusern zusteht. Er ist der älteste Sohn des 1883 gestorbenen Grafen Ludwig Pappenheim. Nach dem Tode des Vaters war er Chef des Hauses, hat aber auf seine Würde als Familien-Chef und alle standesherrlichen Rechte unter Vorbehalt der eventuellen Succession am 30. April 1890, zu Gunsten seines einzigen Bruders, des Grafen Ludwig Pappenheim, verzichtet. Zürich. Infolge Versagens der Bremse fuhr der Nachtschnellzug Zürich-Aarau im Bahn hof Aarau auf zwei zum Vorspann bereitstehende Lokomotiven auf. Ein Gepäckwagen und der darauffolgende internationale Lyoner Wagen erster Klasse wurden teilweise zertrümmert. Zwei Personen wurden getötet, drei leicht und eine schwer verletzt. Die Getöteten find Schweizer. Amsterdam. Bei dem Eisenbahnunglück in Vlissingen am 2. d. ist die jüngere Tochter des schweizerischen Gesandten in Berlin und Delegierten zur Friedenskonferenz Dr. Roth ge tötet worden. Dr. Roth erhielt erst am Montag Kenntnis von dem Tode seiner Tochter und reiste sofort nach Vlissingen. Kopenhagen. Der bekannte reiche Brauer ""rl Jacobsen hat Fachvereinen der Arbeiter eine Million Kronen angeboten für den Fall, höchsten Unwillen des Königs erregt hatten und die Ursache zu den ersten ernsthaften Streitig keiten zwischen Sophie und ihrem erlauchten Gemahl waren. Die Königin war eine Künstler natur und die häufigen Reisen nach Paris, wo sie mit ihrer Gegenwart den Hof Napoleons III. zierte, verfeinerten ihren Geschmack und ent wickelten ihre Vorliebe für alles nicht Kon ventionelle. „Wenn es irgend etwas gibt, was ich hasse," sagte sie einst, „dann ist es eine gerade Linie." Darauf erwiderte der wenig galante Monarch: „Wenn es irgend etwas gibt, was ich hasse, dann ist es ein krummer Ver stand." Als die deutsche Prinzessin ihr Vater land verließ, um fortan in den holländischen Palästen ihres königlichen Gatten zu leben, mochte sie sich beim Anblick der verblichenen Draperien, des schweren, steifen Meublements und der verstaubten altmodischen Dekorationen wohl etwas enttäuscht gefühlt haben; sie verlor jedoch kein Wort darüber und suchte sich hinein zufinden. Nachdem sie aber die erste Pariser Ausstellung besucht hatte, kam sie mit einer Aus wahl prächtiger Teppiche, zartfabiger Vorhänge und anderen schönen Dingen zurück. Trotz der unzufriedenen Mienen und heftigen Proteste des Königs begann Sophie alles umzuändern und ihre kostbaren Schätze so zu arrangieren, daß sie zur schönsten Geltung kamen. Aller dings gelang ihr dies nicht sogleich, denn zu wiederholten Malen ließ Wilhelm von Oranien die Sachen teilweise wieder entfernen und über die herrlichen neuen Teppiche die alten ver blaßten nageln. Außerdem hielt er streng darauf, daß die Fensterläden fast den ganzen Tag geschlossen blieben, damit die Sonne nicht ihr Zerstörungswerk an den Gardinen und den empfindlichen Möbelbezügen ausüben konnte. Auf diese Weise hatte die arme Königin nicht viel Freude an ihren Neuerungen, aber nach und nach gewann sie den Mut, ihrem könig lichen Eheherrn Opposition zu machen. Sehr viel trug Kaiserin Eugenie dazu bei, ihre liebe Freundin Sophie gegen die Tyrannei des Gatten aufzustacheln, indem sie ihr die Ueber- zeugung beibrachte, daß jede Frau und viel mehr noch eine Königin in ihren Zimmern ihre eigene Herrin sei und dort schalten und walten könne, wie sie wolle. Bei dem ersten Besuch, den der König seiner Gemahlin nach deren Rückkehr aus Paris abstattete, blieb er sprach los auf der Schwelle des „Bouton d'Or-Salon" stehen, in den die Strahlen der Herbstsonne ungehindert hereindrangen und alles mit goldenem Licht überfluteten. Im nächsten Moment stürzte er zu den Fenstern und schloß die inneren Läden. Die Königin, die nie ihre Ruhe verlor, stand ruhig auf und öffnete nicht nur die Läden, sondern auch die Fenster ganz weit. Zittemd vor Wut schloß sie der König wieder. Jetzt erklärte Sophie mit fester Stimme, daß sie die Läden offen zu haben wünsche. Wilhelm III. hielt es nun doch für angemessen, nicht weiter zu gehen. Mit einem verächtlichen Blick aber sah er sich in dem Salon um und meinte dann: „Nun, Madame, dieser ebenso kostspielige wie lächerliche gelbe Tand wird ja bald genug verdorben sein, wenn Sie der Sonne stets freien Zutritt gestatten. Im übrigen, ist dies ein Zimmer, das der Königin von Holland würdig wäre? Sollten Sie meine Ansicht zu hören wünschen, Madame, so sage ich Ihnen, daß Ihr Salon genau dem Boudoir einer Kokotte gleicht." — „Dann werden Sie sich hier jedenfalls mehr zu Hause Wien, als in irgend einem andern Raum des Palastes," entgegnete die schlagfertige Königin mit ihrem süßesten Lächeln. Es wird be hauptet, daß der König von jenem Tage an nur noch selten etwas gegen die Anordnungen seiner Gattin einzuwenden hatte. Kuntes Allerlei. Ein Scherzwort von Helmholtz mag aus Anlaß der Enthüllung seines Denkmals aufgefrischt werden: Der berühmte Gelehrte wurde in einer Gesellschaft einst einer Dame vorgestellt, die hocherfreut, ihn kennen zu lernen, sich bemühte, ihre Vertrautheit mit seinen Werken zu zeigen. Sie sprach von seiner jüngsten Schrift, in die sie wohl in Erwartung des Zu sammentreffens einen flüchtigen Blick gethan hatte, und bemerkte: „O, Herr Geheimrat, ich habe alles in dem Werke verstanden, nur der Unterschied zwischen — konkret und konkav ist mir nicht ganz klar geworden, vielleicht können Sie mir die beiden Begriffe erläutern." — „Das ist nicht ganz leicht," erwiderte Helmholtz mit feinem Lächeln, „aber ich will Ihnen ein Beispiel geben. Sehen Sie, die beiden Begriffe sind etwa so verschieden voneinander wie Gast hof und Gustav." . . . Wenn die Dame später Helmholtz begegnete, vermied sie es ängstlich, dem Gelehrten ihre geistreiche Unterhaltung auf zudrängen. * * Doch etwas. Tochter: „Papa, was gibst du mir denn, wenn ich mich verheirate?" — Vater: „Meine Einwilligung!" war noch lange nicht ganz überwunden, und immer wieder trat uns die Besorgnis nahe, daß einmal irgend etwas geschehen könne, was uns, wenn auch ohne unser Verschulden, mit der ge fürchteten Polizei und ihren Handlangem in eine nähere Berührung brächte. War das Instinkt, eine dunkle Ahnung, ein unbegreifliches Vorgefühl, oder was war es sonst? Genug, wir beiden unschuldigen Seelen litten, so viel ist gewiß, an einer unklaren, dumpfen Empfindung, daß auch wir bald mit der Polizei bekannter werden würden, und die Empfindung täuschte uns nicht, wir wurden wirk lich mit ihr bekannt, obgleich in einer ganz an deren und minder gefährlichen Weise, als der arme Sänger Adalbert N ... es erfahren. Allein seinem Geschicke entgeht auf dieser Erde niemand, und so sollte es auch uns ge schehen; merkwürdig war dabei nur, daß die- felbe Person, die in der Erzählung unseres ge- sangeskundigen Freundes die Hauptfäden der Handlung geleitet, auch uns in den Weg geführt wurde, um vor unseren Augen eine nicht weniger interessante Rolle zu spielen. Höre man also, was uns beiden fleißigen Studenten der Medizin zwei Wochen später, und zwar gerade wieder an einem Sonntage begegnete, bis zu welchem der bereits sehnlich erwartete Brief des Freigelassenen aus Thüringen noch nicht an meinen Freund Wilhelm einge laufen war. Wir saßen nachmittags drei Uhr wieder auf des letzteren Zimmer in der Dorothenstraße bei sammen, hatten uns schon die Knochen zurecht- gelegt. die wir uns diesmal vordemonfttieren auf dem Tisch liegenden Schienbeinknochen, als wir jemand, gerade wie vor vierzehn Tagen, nur nicht so heftig und stürmisch polternd, auf dem Flur an unsere Thür treten hörten. Auch stand er, wie Adalbert damals, eine Weile an derselben still und schien ebenfalls die daran haftende Visitenkarte zu lesen. „Da kommt wieder jemand, der uns stört," sagte ich und blies vor Verdruß eine un geheure Rauchwolke aus meiner langen Pfeife in die Luft. „Wer sollte heute kommen, am Sonntag?" erwiderte mein scharf aufhorchender Freund. „Ruprecht, Baumbach und die anderen find alle nach Treptow gefahren, die also können es nicht sein. — Still," unterbrach er sich, „es klopft!" Ja, es hatte hörbar eine Hand an die Thür gepocht, aber fie ging bescheidener zu Werke, als die Adalberts vor vierzehn Tagen, der gleich mit der Thür in die Stube gestürzt kam; denn der leise Ton. der diesmal an unser Ohr drang, klang gerade so, als ob der Klopfende eine demütige Bitte ausspräche, in das Heiligtum der fleißigen Studenten eingelassen zu werden. „Herein!" rief Wilhelm mit möglichst kräftiger und ziemlichen Unwillen verratender Stimme. Da that sich die Thür ganz langsam und vorsichtig auf, als zage der ungebetene Gast, ffffff °ie drohenden Augen der ihn nicht gerade willkommen heißenden Insassen des Zimmers zu treten. m Indessen hatten wir uns beide in dieser Annahme ungeheuer getäuscht, das sollten wir AEen, und warteten mit dem Beginn unseres Vollends lange, bis der seiner Kreits nahe Kaffee aus der An TM» s^>h°uüge Sonntagsarbeit wurde n^.-n^Rcvetttinn-»Oemacht, einmal weil wir in unseren Nepetmonen bis zu den langweiligen Fußwurzelknochen gekomm/n waren, die ein gehcnder Mediziner nur selten in sein Herz schließt, und ^°"n weil es ein herrlicher sonniger Tag war, der alle Welt ins Freie lockte und auch uns zu verfuhren drohte, bis Wilhelm m edler Fassung und Selbstbezwin- i» frische schöne Natur spricht vornehmlich zu unseren Herzen, aber wir wollen «ns fürs erste nicht dadurch verfuhren n "- Treiben wir also Osteologie bis fünf oder halb stch- und dann wollen nach dem Tiergarten wandern und uns "ff,einer Satte kühler saurer Milch ein Genüge thun. Das war mir natürlich recht, und dtt länd liche gemütliche Albrechtshof, so ^fach m allem und jedem, wie kein anderes Kaffeelokal um ganz Berlin, zog damals g°^e solche Leute sympathisch an, wie wir waren, das heißt die sich für weniges Geld erquicken und dem Treiben der großen Welt aus behaglicher Ferne zu schauen wollten, ohne in den Strudel derselben gezogen zu werden. Endlich gab unsere Umstülpmaschme, zum Zeichen, daß fie ihre Pflicht erfüllt, vollen Dampf aus, ich griff schon nach dem vor mir auf den ersten Blick wahrnehmen, den wir auf den Störenfried warfen. Unmittelbar auf den lauten Hereinruf trat ein fein gekleideter, ziemlich hochgewachsener Mann von gedrungenem Körper bau vor unser Auge. Er zeigte ein volles männliches, überaus gesundes Gesicht; sein schmaler brauner Backen bart reichte L la Friedrich Wilhelm III. nur bis zu den Ohrzipfeln herab, sonst waren Wangen und Lippen vollständig bartlos. Aber dies behäbige, scheinbar einem gemüt lichen Lebemann angehörende Gesicht hatte dennoch, wenn man es genauer bettachtete, einen bedeutsamen und mir anfangs ganz unerklärlichen Ausdruck, namentlich blickten seine blaugrauen Augen wundersam bedächtig, gleichsam tastend im Zimmer umher, als wollte er sich in dem nie betretenen Raum und bei den nicht wenig verwunderten Bewohnern desselben genau orien tieren, was für Leute er vor sich habe, worauf er mit einem nicht ungefälligen und mir fast verschmitzt erscheinenden Lächeln auf unsem ver dutzten Mienen hasten blieb. Gleich von Anfang an fiel mir, der ich ihn scharf ins Auge faßte, die ungekünstelte Ruhe, ich möchte sagen, die duldsame Friedfertigkeit in den Mienen und allen Bewegungen dieses Mannes auf, der durchaus keinen unangenehmen Eindruck auf mich machte, aber doch augenblicklich das nicht obzuweisende Gefühl in mir erregte, als habe ich es hier mit jemand zu thun, den ich nicht zu gering schätzen dürfe, ja, als habe er mehr, viel mehr zu bedeuten, als er im ersten Augenblick merken lassen wollte. P» ? (Fortsetzung folgt.)
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