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Allgemeiner Anzeiger : 10.06.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189906104
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18990610
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-06
- Tag 1899-06-10
-
Monat
1899-06
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 10.06.1899
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Politische Rundschau. Deutschland. *Der Kaiser kam am Dienstag von Prökelwitz nach Danzig-La ngfuhr, nahm im Offizierkafino daselbst das Frühstück ein, besichtigte darauf die kaiserl. Werst und setzte dann seine Rückreise nach Potsdam fort. * Der Kaiser soll einen weiteren Besuch Cadinens mir der Kaiserin noch in diesem Jahre in Aussicht gestellt haben. * Angesichts der Wiesbadener Zusammen kunft der Königin Marie von Hanno ver mit dem Prinz-Regenten von Braunschweig, Prinzen Albrecht von Preußen, ver zeichnen die ,Berl. Neuesten Nachr.' das „Ge rücht", daß die Vermählung des Prinzen Friedrich Heinrich (des ältesten, am 15. Juli 1874 zu Hannover geborenen Sohnes des Prinzen Albrecht) mit der Prinzessin Marie Luise von Cumberland, geb. 11. Oktober 1879, im Werke sei. * Auf denKarolinen hat die deutsche Regierung nach Washingtoner Meldung der Londoner Morningpost' den Ver. Staaten eine Kabelstation gegen Abtretung einer Kabel st ation auf den Philippinen angeboten. * Am Dienstag haben nach Beendigung ihrer Pfingst ferien der Reichstag und das preußische Abgeordnetenhaus ihre Arbeiten wieder ausgenommen. * Wie man vernimmt, dürfte der Reichs tag nach Erledigung der Invaliditäts- Gesetzvorlage sowie nach jener betreffend die Erwerbung der Karolinen vertagt werden. Andere Dispositionen scheinen hinsicht lich der Sessionsdauer des preußischen Landtages zu bestehen. In maßgebenden Kreisen hofft man, die Tagung des Abgeordneten hauses bis Ende Juli erstrecken zu können, um die auf das B ür g e rli ch e Gesetzbuch bezüglichen Justizgesetze unter Dach zu bringen. * Die Denkschrift zur weiteren Begrün dung des Gesetzentwurfs zum Schutze des gewerblichen ArbeitsVerhält nisses soll dem Reichstage in den nächsten Tagen zugehen. Es ist ein ziemlich umfang reiches Aktenstück von über 100 Seiten und bringt nähere Mitteilungen über den Umfang und die Art der Ausschreitungen bei den Arbeits kämpfen der letzten Jahre auf Grund der in sämtlichen Bundesstaaten vorgenommenen Er hebungen. * Eine im koburg-gothaischen Land tag eingebrachte Interpellation des Abg. Heusinger fordert sofortige Auskunft über die gegen wärtige Sachlage in der Thronfolgefrage. Frankreich. *Jn der Kammersitzung am Montag ging es äußerst stürmisch zu. Gelegentlich der Besprechung der Vorgänge in Auteuil be schimpften die Nationalisten den Präsid en- tenLoubet und nannten ihn einen „Pana- misten". Infolgedessen wurde über den konser vativen Abg. Largentain die Zensur (Ausschließung) verfügt. Er verließ erst nach Androhung von Gewalt den Saal. Sodann wurde mit 400 gegen 40 Stimmen eine Sym pathie-Adresse an Loubet ange nommen. *Die Regierung tritt den Natio nalisten gegenüber fest und energisch auf. Sie hat alle Fr e il assun g s g e su ch e für die am Sonntag in Auteuil beim Krawall Verhafteten ab gelehnt. Die Erhebung der Anklage gegen Mercier, Gonse und Boisdesfre steht nunmehr fest. Die bisher eingeleiteten Prozesse werden die weitere Hand habe zum Vorgehen gegen alle im Dreyfus- Handel belasteten Personen bieten. In allen vornehmen Klubs, wurden Haus suchungen abgehalten, die meisten dieser Klubs geschlossen. * Man scheint einigen Truppenteilen nicht recht zu trauen, wie aus folgender Meldung heroorgeht: Die zehnte Brigade von Orleans kommt in wenigen Tagen nach Paris zur Ersetzung der Rogetschen Brigade. Italien. * König Humbert hat am Sonntag eine Amnestie erlassen. Es wurden alle Gefan genen, diewegen revolutionärerThaten im Mai v. verurteilt worden waren, in Frei heit gesetzt. Die Gnade kommt aber nicht jenen zu gute, die nach dem Ausland ge flohen sind. Trotz der Befreiung bleibt aber doch immer für die Befreiten der Verlust der politischen Rechte bestehen. Deshalb zeigen sich die extremen Parteien mit diesem Dekret nicht völlig zufrieden; sie fahren fort, den Kampf gegen die Regierung zu predigen und fühlen keine Dankbarkeit für die Begnadi gung aller revolutionären Führer, wie Turati, Deandreis, Romusst und Chiefi. Holland. *Von der Friedenskonferenz im HaaP, deren Beratungen geheim gehalten werden sollen, hört man mehr als genug, um das Endresultat bald eintreten zu sehen. Die kleinen Staaten wollen sich gewissen Bedin gungen nicht fügen, die für große durchführbar wären, und auch große Staaten verlangen be deutsame Rücksichten. In erster Reihe Eng land. Wie die ,Times' erklärt haben, daß England auf die Du m - Dum - G es ch o f se nicht verzichten könne, da es Kriege zu führen habe, die nicht unter demselben Gesichtspunkte wie andere beurteilt werden dürften, so äußert sich fast die gesamte englische Presse. Sehr offen und rückhaltslos erklärt der .Standard': „Mit allem möglichen Respekt vor der ersten Kommission der Friedens-Konferenz fürchten wir, daß es doch ohne die Dum-Dum-Geschosse nicht gehen wird. Mit 18 gegen 3 Stimmen hat die Kommission ihr Veto gegen die Verwendung derselben eingelegt, aber wir möchten die Afridi, Jirghas und den Kalifa vor voreiligen Beglück wünschungen warnen. Die Konferenz ist kein Kongreß, und darin liegt der Unterschied. Wir können nicht gegen unseren Willen durch eine, wenn auch noch so starke Majorität gezwungen werden, einen Schritt zu thun, der unseren Interessen schadet." Spanien. *Der Generalstaatsanwalt hat nunmehr auf die vor einigen Wochen ihm vom Justizminister unterbreitete Frage erklärt, es sei Anlaß vor handen, die gerichtliche Untersuchung einzuleiten bezüglich der schlechten Behandlung, der die G e s an g e n e n inMontjuich aus gesetzt waren. (Was hier „schlechte Behandlung" genannt wird, war bekanntlich diegrausamste Folterung.) Rußland. * Schlag auf Schlag folgen sich die Maß regeln gegen das Deutschtum in den Ostseeprovinzen. So hat der Kurator des Rigaischen. Lehrbezirks auf der letzten Kon ferenz der Volksschulinspektoren mitgeteilt, daß die Erteilung von Unterricht in nicht obligatori schen Lehrfächern an Schüler der Gemeinde schulen verboten werden soll, weil dadurch die Kinder in unnützer Weise belastet würden und eine Verminderung der Leistungen in der Schule die Folge sei. (!) Während der lettische und esthnische Sprachenunterricht in den Lehrplan ausgenommen ist, hat man schon vor Jahren den deutschenSprachenunter- richt als nur fakultativen Lehrgegenstand zuge lassen. Die Folge der erwähnten Anordnung ist also, daß in Zukunft an allen baltischen Gemeinde schulen der deutsche Sprachunterricht vollständig ausgeschlossen ist. Das ist eine der härtesten Maßregeln, die gegen das Deutschtum in den Ostseeprovinzen ersonnen werden können. Afrika. * Präsident Krüger und General-Gouver neur Millner haben ihre Unterhandlungen in Bloemfontein beendet. Ueber den Inhalt wird nichts verraten. Affen. * Die .Deutsch-asiatische Warte' berichtet von einem Kampf eines deutschen Posten ganges mit aufrührerischen Chinesen, von denen drei getötet wurden. *Die Regierung in Washington hat be schlossen, die Feindseligkeiten auf den Philippinen während der Regenzeit e i n z u ft e l l e n. * Nach einer Depesche aus Manila hat General Rios mit dem Rest der spani schen Truppen den Hafen verlassen und die Reise nach Spanien angetreten. *Japan faßt die „Abrüstung" in folgender Weise auf: Die Flotte soll wesent lich verstärkt und das Land he er auf 300 000 Mann gebracht werden, wobei eine Verstärkung derArtillerie in großem Maßstabe erfolgen soll. Ferner werden alle strategischen Punkte an den Küsten st ar k und nach neuestem System befestigt. Es geht aus allen diesen Maßnahmen hervor, daß Japan sich auf eine wichtige Rolle im weiteren Verlauf der chinesischen Frage vorbereitet, ein Verhalten, das schon jetzt in London und in Petersburg ernste Beachtung findet. Deutscher Reichstag. Am 6. d. erhält vor Eintritt in die Tagesord nung das Wort Staatssekretär v. Bülow: Ich habe das Wort erbeten, um dem hohen Hause mitzuteilen, daß Deutch land mit Spanien einen Staatsvertrag abgeschlossen hat über die Abtretung der Karolinen-, Palau- und Marianen-Inseln zur Aus gestaltung seines Besitzes in der Südsee. Im Hin blick auf die gewichtigen Interessen, die wir in der Südsee haben, haben wir es für unsere Pflicht ge halten, dafür zu sorgen, daß diese Inseln im Falle eines Besitzwechsels nicht Deutschland verloren gehen. — Das mit Spanien getroffene Abkommen setzt fest, daß die genannten drei Inselgruppen gegen eine Ent schädigung von 25 Mill. Pesetas an Deutschland ab getreten werden, während Spanien ans jeder derselben ein Kriegs- und Kohlendepot verbleiben soll. Die beiden Staaten haben sich handelspolitisch Gleich berechtigung zugestanden. Das Abkommen soll so bald wie möglich der verfassungsmäßigen Zustim mung der Parlamente unterbreitet und sodann ratifiziert werden. Sobald die spanischen Cortes den Verkauf der Inseln genehmigt haben werden, werden wir dem hohen Hause die erforder liche Vorlage unterbreiten, und es wird dann dem hohen Hause Gelegenheit zur vollen Prüfung der Angelegenheit geboten sein. Mit Rücksicht darauf aber, daß das Abkommen zur Zeit noch den spani schen Cortes vorliegt, würde die kaiserliche Regie rung es mit Dank anerkennen, wenn das hohe Haus zur Zeit von einer weiteren Besprechung Abstand nehmen wollte. Darauf tritt das Haus in die erste Beratung des Nachtragsetats für 1899. Abg. Oriola (nat.-lib.) bedauert, daß die Dotation für das Archäologische Institut in Rom um 10 000 Mk. gekürzt worden, daß die an die Ge brüder Denhardt für den Schaden, den dieselben in Witu erlitten haben, zu zahlende Entschädigung nur auf 100 000 Mk. bemessen werden solle. Damit könne man das gefährdete Haus nicht retten. Bei der Marine handle es sich im wesentlichen um die Neu-Organisation der oberen Marine-Behörden. Seine Freunde hätten gewünscht, daß diese Aende- rung in einer ausführlichen Denkschrift begründet worden wäre. Er beantrage, den Nachtragsetat an die Budgetkommission zu verweisen. Abg. Lieber (Zentr.) schließt sich dem Antrag auf Verweisung an die Budgetkommission an. Redner bemängelt die Einbringung von Nachtragsetats im Prinzip. Auf den Erwerb ver drei Inselgruppen einzugehen, versage er sich nach der Erklärung des Staatssekretärs aus vaterländischen Rücksichten. Die vom Vorredner bereits gerügte Kürzung der Dotation für das Archäologische Institut bedauere auch er. Dieselbe dürfe jedenfalls nicht dauernd sein. Abg. Bebel (soz.) weist darauf hin, daß auch diesmal für Ostasrika ein Betrag von 50 000 Mk. zur Linderung der Hungersnot gefordert werde. Das könne gerade nicht verlockend wirken im Sinne einer Vergrößerung unseres Kolonialbesitzes. Eine solche sei ja soeben in der Südsce vollzogen worden, und wenn auch der Staatssekretär gebeten habe, aus Gründen der Kourtoisie nicht auf diese Erwerbung einzugehen, so könne er es sich doch nicht versagen, auf die unverhältnismäßige Höhe der Erwerbungs kosten hinzuweisen. Jeder der Bewohner jener Südsee-Jnseln würde danach auf 340 Mk. zu stehen kommen. Eine Vorlage, die die gleiche Summe von rund 17 Millionen Mark zur Bekämpfung der Lungen-Tuberkulose forderte, würde jedenfalls mit größerem Beifall ausgenommen werden. Man moti viere die Ausdehnung des Kolonialbesitzes um den Handelsintcressen. Der Aufschwung des Handels sei aber nur dadurch möglich, daß die deutschen ' Arbeiter zum großen Test zu Hungerlöhnen arbeiten müssen. Zum Dank dafür bedenke man jetzt die Arbeiter mit einer Vorlage (Schutz der Arbeits willigen), die er das ärgste Attentat auf die Freiheit und Unabhängigkeit der deutschen Arbeiter nennen müsse. Staatssekretär Graf Posadowsky: Wie Abg. Bebel die Kolonialforderungen mit den Löhnen in der Industrie zusammenbringt, ist mir unverständlich geblieben. Was die von ihm erwähnte Vorlage betrifft, so teile ich selbstverständlich die Auffassung des Abg. Bebel in keiner Weise. Ich beurteile die ganze Frage ruhiger und ich kann wohl sagen, von einer höheren Leiter aus. Ich habe das dringendste Interesse daran, daß zunächst die Denkschrift vom deutschen Publikum studiert Wird. Ich fürchte aber nicht, daß die Vorlage in den breitesten Schichten der Bevölkerung zum Gegenstand der Kritik gemacht wird, weil wir überzeugt sind, daß wir mit derselben nur Auswüchse des Koalitionsrechts treffen wollen, die kein Kulturstaat dulden kann. Abg. Graf Stolberg (kons.) stimmt der Ver weisung des Nachtragsetats an die Budgetkommission zu und gibt der Hoffnung Ausdruck, daß die Ge brüder Denhardt mit diesen 100 000 Mk. nicht end gültig abgefunden werden sollen. Abg. Graf Bernstorff-Lauenburg (freik.) fragt an, wie weit die Verhandlungen über die Ein schränkung der Branntweinpest in Afrika gediehen seien. Unterstaatssekretär Frhr. v. Richthofen er widert, die Verhandlungen der Brüsseler Konferenz über diesen Gegenstand würden demnächst zum Ab schluß kommen. Abg. Richter (frs. Vp.) will auf die Zucht hausvorlage nicht eingehen. Seine Freunde würden derselben jedenfalls nicht zustimmen. Auch auf den Erwerb der neuen Kolonien wolle er nicht eingehen. Der Staatssekretär brauche allerdings wohl nicht zu fürchten, daß die spanischen Cortes aus einer Debatte im deutschen Reichstage Anlaß herleiten könnten, den Kaufpreis noch zu erhöhen. Er stelle jedenfalls fest, daß die Rede des Staatssekretärs v. Bülow nicht auf allen Seiten des Hauses mit Beifall ausge nommen worden sei. Abg. Werner (Antis.) bemängelt die Gering fügigkeit der den Gebrüdern Denhardt zugebilligten Abfindung. Abg. Lenzmann (frs. Vp.) verweist darauf, daß den Gebrüdern Denhardt ein Rechtsanspruch nicht zur Seite steht, sonst hätten sie ihn wohl ver folgt. Der Reichstag habe in der angenommenen Resolution selbst nur eine Entschädigung aus Billig keitsgründen verlangt. Da könne man doch jetzt diese 100 000 Mark nicht als ein Trinkgeld be zeichnen. Abg. Bebel hält den Gebrüdern Denhardt gegenüber nicht nur Billigkeits-, sondern einen wirk lichen Rechtsanspruch für vorliegend. Da müsse die Entschädigung auch ausreichend bemessen sein. Dem Staatssekretär Grafen Posadowsky erwidere er, daß bisher noch kein Kulturstaat es gewagt habe, seiner Bevölkerung ein solches Gesetz zu bieten. Der Nachtrags-Etat wird darauf an die Budget- Kommission verwiesen. Es folgt die erste Beratung des Entwurfes einer Reichsschuldenordnung. ReichsschatzsekretärFrhr. v. Thielmann verweist darauf, daß das Neichsschuldeuwesen jetzt durch eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen geregelt werde. Durch eine solche Zersplitterung werde die llebersichtlichkeit beeinträchtigt. Der Entwurf erstrebe daher die Zusammenfassung jener Bestimmungen zu einem einheitlichen Gesetze. Er bitte um Annahme desselben. Abg. v. Strombeck (Zentr.) ist im wesentlichen mit der Vorlage einverstanden und beantragt Ver- jveisung derselben an die Budget-Kommission. Abg. Richter hält eine einheitliche gesetzliche Regelung zwar für erwünscht, ist aber zweifelhaft, ob es nötig sei, dieses Gesetz noch jetzt zu verab schieden. Die Vorlage wird nach kurzer Debatte an die Budgetkommission verwiesen. Vreutztscher Lanvraa. Im Abgeordnetenhaus wurde am Dienstag die Vorlage betr. die Versetzung richterlicher Beamten in den Ruhestand nach längerer Debatte einer be sonderen Kommission überwiesen. Der Justizministcr teilte mit, daß nach einer Umfrage zwei Drittel sämtlicher in Betracht kommenden Richter (über fünf undsechzig Jahre alt) sich bereit erklärt hätten, unter den in der Vorlage enthaltenen Bedingungen ihre Versetzung in den Ruhestand nachzusuchen. Uon Uah und Fern. Stettin. Die Einführung einer Fahrrad steuer, die vom hiesigen Magistrat geplant war, ist an dem Widerstand der Stadtverordneten- Versammlung gescheitert, die die Magistrats- Vorlage nach lebhafter Debatte mit großer Mehrheit ablehnte. Der Polizei verfallen. 7) Erzählung von Philipp Gale». lFortNtzungg „Da nahmen wir denn mit fast thränenden Augen Abschied von dem guten Mann und dankten ihm aus überströmendem Herzen für seine uns so vielfach bewiesene Güte. Nachdem er uns nun noch einmal die Hände geschüttelt, verließ er uns rasch und sichtbar gerührt, wir aber packten unsere erbärmlichen Habseligkeiten so schnell wie möglich in zwei Bündel und traten hastig, wie mit Flügeln begabt, aus der Thür, die unser guter Schließer uns schon mit freudigem Gesichte weit geöffnet hatte. Gleich darauf stürzten wir wie besessen die Treppe hinab, drückten uns auf der Straße noch einmal die Hand, und ich — sprang in die erste beste Droschke, um meinen Weg sofort zu dir zu nehmen, lieber Wilm. Und hier bin ich und hoffe, daß du mir als bald mit etwas Geld unter die Arme greifen wirst, damit ich mir schon morgen neue Wäsche und einen Rock kaufen kann, um bald nach meiner Heimat und zu meinem alten Vater ab reisen zu können. Bis ich aber das kann, mußt du mir auch Quartier geben, und sollte deine Philiströse dir kein zweites Bett für die paar Nächte aufschlagen können, so schlafe ich hier auf dem Sofa und decke mich mit dem Schlafrock zu, den du unbescholtener Staats bürger da auf deinem Leibe trägst. Und das ist alles, was ich für jetzt euch sagen kann und will, und damit Punktum, ^tms ooroaLt oxus. Amen." Wir zwei Studenten der Medizin, die wir uns noch kurz vorher mit den trockenen Knochen längst verstorbener Menschen so eifrig beschäftigt, hatten der lebensfrischen Erzählung des so talentvollen jungen Mannes, von dem wir da mals nicht ahnten, daß er schon in drei Jahren als weitberühmter Sänger die ganze theatra lische Welt mit seiner herrlichen Tenorstimme entzücken würde, mit der größten Aufmerksam keit und Spannung zngehört, und als er nun damit fertig war, blieben wir eine Weile stumm und in uns versunken vor ihm fitzen und starrten ihn wie eine Art modernen Wunder tieres an, das schon viel mehr vom Leben ge sehen und erfahren als wir, und von dem wir nicht wußten, ob wir ihn ob seines merkwürdi gen, so früh über ihn hereingebrochenen Schicksals mehr bewundem oder bedauern sollten. Indes sammelten wir bald unsere aufge regten Lebensgeister wieder und sprachen ihm mit warmen Worten unsere ganze Teilnahme und unseren Glückwunsch über seine endliche Befreiung aus so langer Kerkerhast aus. Natürlich war mein Freund Wilhelm, der sich eines bedeutenden Wechsels seitens seines wohlhabenden Vaters erfreute, sofort bereit, dem alten Schulfreunde und Vetter mit seinen Mitteln beizuspringen. Nur diesen einen Sonntag-Nachmittag und Abend blieben wir ruhig und gemütlich in Wilhelms Zimmer fitzen und besprachen noch einmal weitläufig alles, was wir soeben ver nommen, und wie es zu bewerkstelligen sei, daß der von allen Mitteln Entblößte sich bald wieder in einer sauberen Gestalt der Welt zeigen und dann, innerlich aufs höchste über seine Frei lassung beglückt, in seine Heimat zurückkehren könne. Auch fand er ein bequemes Nachtlager bei unserem guten Wilhelm; dem des letzteren Wirtin, bei der schon jahrelang Studenten gewohnt, hatte sich sofort willig gezeigt, Betten für das hinreichend lange Sofa zu liefern. Schon am nächsten Tage, als ich auf eine halbe Stunde bei Wilhelm vorsprach, erfuhr ich, daß die nötige Wäsche bereits gekauft sei und die übrige erforderliche Kleidung in wenigen Tagen von einem flinken Schneider geliefert werden würde. Aber erst vier Tage nach seiner Freilassung war er völlig neu kamst ausgestattet, und dann reiste er, von uns beiden an den Postwagen begleitet, nach seiner Heimat ab, nachdem er versprochen, uns bald Nachricht von seiner An kunft daselbst und von der Art und Weise seines Empfanges von feiten seines Vaters zu geben. Auch hielt er darin Wort; denn schon nach vierzehn Tagen, nachdem auch wir etwas ganz Neues und Unerwartetes erlebt, was ich auf den folgenden Seiten zu schildern haben werde, langte ein umfangreicher Brief an Wilhelm an, und wir erfuhren daraus, daß Adalbert N. von seinem lieben Vater liebreich ausgenommen sei und dieser sich bereit erklärt habe, von seinem bisherigen Wunsche, seinen Sohn dermaleinst als Geistlichen auf der Kanzel zu sehen, Abstand zu nehmen und zuzugeben, daß er seinem Kunst drange folgen, seine Stimme ausbilden und seinem künftigen Berufe als Theatersänger nach gehen könne. Indessen hatte die eben berichtete Begegnung mit dem unschuldigen Demagogen und die Er zählung seiner Erlebnisse im Gefängnis einen tiefen Eindruck aus uns gemacht, und oft genug besprachen wir, da wir uns fast täglich sahen, was wir von ihm vernommen, und wie gefähr lich es doch sei, sich einer Burschenschaft anzu schließen und durch sie in die politischen Händel der Gegenwart verwickelt zu werden. Wir beide waren nichts weniger als politi sche Kannegießer, ja wir hatten bis dahin keine Ahnung von der Tragweite derartiger Bestre bungen, wie wir sie jetzt kennen gelernt, gehabt. Was mich betrifft, so war ich, trotzdem ich alle Tage eine Zeitung las, ziemlich unbekannt mit dem politischen Treiben der damaligen studenti schen Jugend, und als Eleve des Friedrich- Wilhelm-Jnstituts hätte ich ja auch gar nicht daran denken dürfen, selbst wenn ich Neigung dazu gehabt, mich einer unerlaubten Verbindung anzuschließen. Jetzt aber, nachdem wir die sonnenklare Ueberzeugung erlangt, wohin ein solches Gelüste führen könne, hatten wir erst recht einen uns die Haut schaudern machenden Respekt davor be kommen, und wenn wir auf der Straße oder auf Spaziergängen im Tiergarten einem Gen darm oder Polizeimann begegneten, sprachen wir im stillen ein banges Satauas! denn wir hatten eine heillose Angst, daß dieselben mit ihren seinen Spürnasen auch in uns, da wir Studenten seien, heimliche Anhänger der staatsfeindlichen Umsturzpartei wittern könnten. So vergingen uns acht oder zehn Tage in äußerer Ruhe, aber unsere innere Auflegung
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