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Allgemeiner Anzeiger : 31.05.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189905311
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- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-05
- Tag 1899-05-31
-
Monat
1899-05
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 31.05.1899
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Politische Rundschau. Deutschland. *Der Kaiser wird zu dem in Ausficht gestellten Besuch beim 1. Leib-Husaren-Regiment in Danzig am 2. Juni über See kommen und von dort die Weiterfahrt nach Cadinen und weiter nach Pröckelwitz antreten. *Tie Ko bürg er Erbfolge ist, wie jetzt aus London berichtet wird, entgegen den bisherigen Nachrichten, noch keineswegs end gültig geordnet. Die Angelegenheit soll erst in diesen Tagen zur Entscheidung kommen, da der Herzog von Sachsen-Koburg zu den Geburtstag feierlichkeiten der greisen Königin in London weilt. Innerhalb der königlichen Familie wird die ganze Erbfolge mit sehr verschiedenen Augen angesehen. Die Königin steht derselben sehr sympathisch gegenüber, während der Prinz von Wales und der Herzog von Jork dem Herzog von Connaught unbedingt Recht geben in dessen natürlichem Wunsche, ein Engländer zu bleiben. Was endlich den jungen Prinzen Arthur anbe langt, der vor einigen Tagen konfirmiert wurde — er ist am 13. Januar 1883 geboren —, so sagt ein Gerücht, daß er sich energisch weigert, die Thronfolge anzunehmen. * Die gegenwärtig in Berlin stattfinden den Sitzungen der vereinigten Syndikate, die sich mit dem Ausbau der Eisenbahnen und der Errichtung von Bergwerken in der chinesi schen Provinz Sch antu ng beschäftigen, haben zu einer Beendigung der Verhandungen über diese Punkte noch nicht geführt. Soweit fich bis jetzt ergibt, werden die Konzessionen für die Bahnen und Bergwerke schon in nächster Zeit zu erwarten sein. * Auch der Verband der Postunter- Le amten will seinen Frieden mit Herrn v. Podbielski machen. Der ,Voss. Ztg.' wird geschrieben: Man ist geneigt, den bisherigen Verbandsvorfitzenden, der durch einige scharfe Schreiben an die Zentralbehörde vor allem Anstoß erregt hat, fallen zu lasten. Außerdem soll formell beschlossen werden, daß die Wünsche und Beschwerden der Unterbeamten nicht mehr durch die Presse und den Reichstag wahr- genommen werden sollen. Mit diesen Beschlüssen erhofft man die Gunst der vorgesetzten Behörde wieder erringen zu können. *Die deutsche Nordmeerexpedi tion bezweckt, zu untersuchen, ob fich die herrenlose Bäreninsel als Stützpunkt für die deutsche Hochseefischerei im Eismeere ver wenden ließe. Oesterreich-Ungarn. *Die Ausgleichskrise ist sehr ernst und Graf Thun wird wohl „springen" müssen. Der Kaiser hatte bis Donnerstag abend noch keine Entscheidung gefällt. Der ungarische Ministerpräsident Szell erklärt, unter keinen Umständen nachgeben zu können. Die in Ungarn hergestellte Ordnung dürfe nicht gestört werden. Szell bleibt in Wien, bis die Entscheidung ge troffen ist. *Die Vorstände der Parteien der Rechten sind in Wien versammelt, um die Lage zu besprechen und ihr Votum über die Regelung der Sprachenfrage abzugeben. Arankreicki. * Es wird, wie man der Magd. Ztg.' aus Paris meldet, versichert, der Bericht Ballot- Beauprös befürworte die Revision und spreche gleichzeitig das Bedauern aus, daß Frau Dreyfus nicht die Nichtigkeits erklärung des Urteils gefordert habe, was nach den Ergebnissen der Untersuchung sofort bewilligt worden wäre. England. *Jn einem Artikel über die festliche Be gehung des 80. Geburtstages der Königin verweisen die .Times' auf das von dem deutschen Kaiser zu Ehren der Königin gegebene Festmahl, dem der britische Botschafter beiwohnte, und bemerken, der Besuch desdeutschenGeschwadersinDover am gleichen Tage sei zweifellos auf die Initiative des Kaisers und seinen Befehl hin erfolgt. Dies sei eine der liebenswürdigen, ansprechenden Höflichkeiten, die zu ersinnen Kaiser Wilhelm das glückliche Geheimnis besitze. (Das 'lingt alles sehr schön; besser aber wäre ^Mwenn die ,Times' auch im übrigen Deutschland und der deutschen Politik eine gerechte Würdigung zu teil werden ließen.) * Die Amtss prach e der Insel Malta ist die italienische. Der englische Kolonial minister Chamberlain hat nun die Absicht ge äußert, nach und nach das Englische au deren Stelle zu setzen, worüber unter der Be völkerung der Insel große Erregung herrscht. Italien. *Das italienische Parlament ist am Donnerstag wieder zusammengetreten. Ein ungünstiges Anzeichen für das Kabinett Pelloux ist, daß der Kammerpräsident Zanardelli sofort sein Amt niedergelegt hat mit der Erklärung, er halte es unter den gegenwärtigen Umständen für seine Pflicht, das Präsidium niederzulegen. Wie der ,Nat.-Ztg.' gemeldet wird, findet das neu gebildete Kabinett in der Kammer eine unfreundliche Stimmung vor. Die äußerste Linke, sowie die Anhänger Zanardellis und Giolittis find bereit, sofort eine parlamen tarische Schlacht zu liefern. Rudinis Haltung gilt noch als unsicher. Die Entlassung des Kammerpräsidenten Zanardelli wird als Protest gegen die Lösung der jüngsten Krisis angesehen und setzt das Kabinett in Verlegenheit. Holland. *Jn bettest der Schiedsgerichts frage läßt sich die Londoner Morning - Post' aus dem Haag melden: Als die Frage eines internationalen Schiedsgerichts von den De legierten erörtert wurde, widersetzten sich die deutschen Vertreter dem Gedanken. Ihnen schlossen fich die Vertreter Oesterreichs und Italiens, außerdem auch noch die Türkei an, während die Delegierten Englands, Frankreichs, Rußlands, Amerikas und Spaniens dafür waren. — In dieser Form klingt die Nachricht wenig wahr scheinlich. Der Eindruck wird verstärkt durch folgende offenbar tendenziöse Mitteilung desselben Blattes: „Der allgemeine Eindruck hier im Haag ist der, daß ungeachtet der Versprechungen des deutschen Kaisers die Vertreter des Drei bundes gegen alle wichtigen Maßnahmen opponieren werden." Spanien. * Emilio Castelar, der Führer der Repu blikaner und eine Zeitlang (1873 nach der Ab dankung des Königs Amadeus) selbst Staats oberhaupt von Spanien, ist am Donnerstag in San Pedro de Pinator gestorben. Rußland. *Jn der russischen Panslawisten bewegung ist es zu einem argen Krach ge kommen, seitdem die Regierung der pansla wistischen Agitation ihr Wohlwollen entzogen hat. Am 22. Mai fand in Petersburg eine von 123 Personen besuchte Versammlung des „sla wischen Wohlthätigkeitsverems" statt behufs Wahl eines neuen Präsidenten und zweier Vize präsidenten, da der bei der letzten Wahl zum Präsidenten gewählte Chefredakteur des „Swet", Oberst W. W. Komarow vom Minister nicht bestätigt wurde. Die Neuwahl erfolgte aber nicht, da es zu stürmischen Szenen kam und die Sitzung ganz erfolglos verlief. Balkanstaaten. * Auf der Insel Kreta gärt es weiter. Die neuesten aus Kanea und Heraklion ein- getroffenen Meldungen berichten, daß fich die Auswanderung der Mohammedaner von der Insel in ungeschwächtem Maße fort setzt, da sie von Konstantinopel aus fortwährend Ermunterung erhält. Die Hoffnung, daß durch den Besuch des Prinzen Georg in Heraklion ein Umschwung in der Gesinnung der Mohammedaner eintreten würde, hat fich demnach als trügerisch erwiesen. Amerika. * Admiral Dewey, der auf dem Wege nach Amerika ist, wo ihm die größten Ehrungen vor bereitet werden, hat in Hongkong einem Zeitungs berichterstatter das Geheimnis mitgeteilt, wie dem Aufstand auf den Philippine« dem nächst ein Ende bereitet werden würde, um für die neue Aera Raum zu machen Man brauche nur Aguinaldo und dessen Generale gefangen zu nehmen dann werde der Krieg ein iähes Ende haben. Das ist allerdings richtig, aber das Nürnberger Sprichwort, daß man „keinen hängt, man habe ihn denn zuvor", gilt auch für die Ver. Staaten, und deren Truppen haben bis jetzt das andere Geheimnis, w i e man näm lich Aguinaldo und seine Generale fängt, noch nicht entdeckt. * Eine Depesche des ,New Dort Herald' aus Washington besagt, der Regierung seien amtliche Berichte aus Manila zugegangen, denen zufolge die Konferenz mit den Filipinos geschlossen worden ist. Die Filipinos seien ins Hauptquartier Aguinaldos zurückgekehrt, ohne daß ein befriedigender Ab schluß der Verhandlungen erzielt worden wäre. Asien. * In Port Arthur nisten fich die Russen immer fester ein. Nach einer Meldung aus Rußland ist am 18. Mai in Port Arthur die erste Militärkirche eingeweiht worden. Australien. * Wie jetzt erst durch ein Kabeltelegramm be kannt wird, ist die S a m o ak o m mis sio n am 13. d. in Apia eingetroffen. Es wurden so gleich Verhandlungen mit denMataafa - und den Tanu - Leuten wegen Waffennieder legung angeknüpft. Mataafa sandte der Kommission einen Brief, in der er sie willkommen hieß. Ueber Flottenbauten schreibt die,Köln. Ztg.': Die Entwickelung der Kriegsflotten der Großmächte und selbst kleinerer Staaten läßt mehr und mehr die Frage hervor treten, ob auch Deutschland durch sein Flotten gesetz in den Stand gesetzt sei, in einer seiner Finanzlage angemessenen Weise mit den übrigen Mächten Schritt zu halten. Es ist kürzlich be reits (von dem Flottenverein) darauf hingewiesen worden, daß die Einnahmen des Reiches im abgelaufenen Jahr den Voranschlag um 102 Millionen Mark überstiegen haben, daß nach menschlicher Berechnung auch im laufenden Jahr ein hoher Ueberschuß zu erwarten steht, daß in folge dieser Finanzlage die im Etat 1898 vor gesehene Anleihe für Schiffbauten, Neubewaffnung der Artillerie u. s. w. sich von 55 Millionen auf etwa 13 Millionen Mark vermindert, und daß die im Etat 1899 vorgesehne Anleihe von 33 Millionen Mark für Flottenzwecke aller Voraussicht nach überhaupt nicht begeben zu werden braucht. Es ist bekannt, daß die andern Mächte, die ihre Flotten verstärken, gleiche Ueber- schüsse nicht zu verzeichnen haben. Die augen blickliche Lage der Flottenbauten der wichtigsten Seemächte ergibt fich aus folgender Uebersicht. Es haben im Bau oder in der Ausrüstung: Linienschiffe gr. Kreuzer I. England 16 23 (Rußland 11 12 II. l Nordamerika 11 9 ^Frankreich 7 13 ^Deutschland 5 4 HI. Italien 5 3 (Japan 3 6 Deutschland steht also noch immer zusammen 39 23 20 20 9 8 8 mit seinen Flottenbauten hinter Rußland und Nordamerika zurück, während es diese in den achtziger Jahren noch weit überflügelte. Aus dieser verschiedenen Bauthätigkeit muß fich naturgemäß mit fort schreitender Indienststellung der neugebauten Schiffe eine Machtverschiebung zur See ent wickeln, deren Tragweite fich schon heute in etwas überschauen läßt, wenn man die Schiffs zahlen nach den bisher gewohnten und nach andern möglichen Gruppierungen der Mächte zu sammenstellt. Indessen genügt es schon, festzu stellen, daß Deutschland nicht gleichen Schritt mit Staaten hält, die gleichfalls in erster Linie Kontinentalmächte find, und denen es in bezug auf überseeische Interessen weit voraus ist. In folgedessen entstand der von uns bereits erörterte Gedanke, daß der Rahmen, den das Flotten gesetz dem Ausbau unserer Marine gegeben hat, gegenüber dem raschen Anwachsen der fremden Flotten bereits zu eng geworden sei. Wir haben schon bemerkt, daß diesem Gedankengang nach Lage der Dinge so lange keine praktische Folge gegeben werden kann, als fich nicht die Regie rung an die Spitze der Bewegung stellt. Wohl aber ist zu erwägen, ob es nicht möglich ist, für die Verstärkung unserer Flotte das mögliche zu thun, ohne den Rahmen des FlottengesctzeS zu überschreiten. In der That läßt fich inner halb dieses Rahmens in den nächsten Jahren mehr leisten, als es auf den ersten Blick scheinen Möchte. Durch das Gesetz ist festgelegt, daß an Neubauten bis zum 1. April 1904 fertiggestellt sein müssen 7 Linienschiffe, 2 große und 7 kleine Kreuzer. Ebenso ist gesetzlich festgelegt, daß, sobald Linienschiffe 25, große Kreuzer 20 und kleine Kreuzer 15 Jahre alt geworden find, der Ersatz dafür beschafft sein muß. Zu einer Ver längerung dieser Ersatzfristen bedarf es im Einzel falle der Zustimmung des Bundesrates, zu einer Verkürzung derjenigen des Reichstages. Bis zum 1. April 1904 wären hiernach an Ersatz schiffen in Bau zu nehmen vier Linienschiffe („Sachsen", „Bayern", „Württemberg", „Baden"), drei große Kreuzer („König Wilhelm", „Kaiser", „Deutschland") und 12 kleine Kreuzer („Zielen", „Blitz", „Pfeil", „Arcona", „Alexandrine", „Greif", „Schwalbe", „Sperber", „Wacht", „Jagd", „Irene", „Prinzeß Wilhelm"). Nach dem Flottengesetz ist aber der Reichstag „nicht verpflichtet", während der Jahre 1898 bis 1903 für Schiffbauten und Armierung mehr als 356,7 Millionen Mark bereitzustellen. Von dieser Summe find bisher 106,4 Millionen Mark in den Etats 1898 und 1899 ausgeworfen, der Rest von 250,3 Millionen Mark ist nach dem Gesetz innerhalb der Zeit bis zum Jahre 1903 bereitzustellen, ohne daß eine gesetzliche Vorschrift bestände, in welchen jährlichen Raten dies zu geschehen habe. Es steht also nichts im Wege, diese 250,3 Millionen so frühzeitig auf den Etat zu bringen, daß nicht nur die Neubauten, sondern auch ein möglichst großer Teil der Ersatzbauten bis zum 1. April 1904 vollendet sein können, also bereits in den nächsten zwei bis drei Jahren. Damit ließe fich schon eine recht erhebliche Beschleunigung des Flottenbaues erzielen. Allerdings reichen die 356,7 Mill., die der Reichstag bis 1903 nicht zu überschreiten braucht, wenn er nicht will, keineswegs aus, um außer den gesetzlichen Neubauten auch alle Ersatzbauten innnerhalb der gesetzlichen Ersatzfrist in Bau zu nehmen. In dessen liegt zur Zeit noch kein Anlaß vor, die Frage zu prüfen, wie die Mittel, die hierzu er forderlich wären, beschafft werden könnten; denn es steht uns, namentlich für den Bau von Linienschiffen und großen Kreuzern, nur eine beschränkte Zahl von Werften zur Verfügung (die kaiserlichen Werften in Wilhelmshaven, Kiel und Danzig, die Privatwerften Germania in Kiel, Vulkan in Stettin, Schichau in Danzig, Blohm u. Voß in Hamburg und Weser in Bremen), und diesen dürste es schwer fallen, in den nächsten zwei bis drei Jahren mehr Geld zu verbauen als die 356 7 Mill. Mk., zu deren Bereitstellung fich der Reichstag im Flottengesetz Verpflichtet hat. Was jedoch danach zu ge- schehen hat, diese Sorge kann man füglich den nächsten Jahren überlasten. Kon Wah «ad Fern. Kassel. Das Kaiserpaar traf Donnerstag nachmittag in Kassel zum Sangeswettstreit ein. Auf eine Ansprache des Vizebürgermeisters Dr. Endemann dankte der Kaiser mit herzlichen Worten, wobei er ungefähr sagte, er erinnere fich mit Vergnügen aus seiner Jugendzeit, daß Kassel eine Stadt sei, in welcher auch Musik und Gesang eine besondere Pflege erhalten; deshalb habe er Kassel zum Orte dieses ersten Sängerturniers gewählt. Kassel brauche vor anderen Städten in keiner Weise zurückzustehen. Die Vorbereitungen, welche die Stadt getroffen habe für diesen Wettstreit, von denen ihm be richtet worden sei, seien dankenswert reiche. Er danke dafür der Bürgerschaft Kastel und bitte den Vizebürgermeister, der Bürgerschaft dies mitzuteilen. Flensburg. Der Arbeiter Moeller machte einen Mordversuch auf seine Geliebte, indem er derselben auf offener Straße mehrere tiefe Messerstiche beibrachte. Die Schwerverletzte wurde in das Diakonissenhaus eingeliefert. Der Thäter ist verhaftet. Das Motiv der That ist vermutlich Eifersucht. Der UoUxei verfallen. 4^ Erzählung von Philipp Galen. IFortstzung.) „Ich habe nämlich," fuhr der Polizeirat mit stereotypem Lächelu fort, „etwas ganz Besonderes bei Ihnen auszurichten und stehe heute gewißer- maßen als Botschafter eines Höheren, und zwar in Privatangelegenheiten, also nicht m amtlicher Eigenschaft, vor Ihnen. Doch zur Sache! Ich habe einen Freund, will sagen, einen mir außer ordentlich wohlwollenden Gönner in Berlin, der ein ebenso hochgestellter Beamter wie glücklicher Familienvater und zugleich ein sehr humaner Staatswürdenttäger ist. Wer und was er ist und wie er heißt, danach fragen Sie nicht! Es genügt für Sie, zu wissen, was ich Ihnen be reits von ihm gesagt, und ich füge nur noch hinzu, daß er namentlich für Sie beide ein Mann von Wichtigkeit ist, da er möglicherweise einen bedeutsamen Einfluß auf die Gestaltung Ihrer nächsten Zukunft haben könnte. Genug, dieser Herr feiert in acht bis vier zehn Tagen seinen fünfzigsten Geburtstag und zugleich sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum als — königlicher Beamter. An diesem Tage soll nun in seinen: Hotel, — ich meine in seinem Hause, — ein schönes Familienfest gefeiert worden. Seine Familie besteht aus einer liebens würdigen Gattin und drei höchst talentvollen Kindern. Sein ältestes Kind ist ein Sohn, der fich in seinen Mußestunden mit großer Vorliebe der Musik gewidmet und bereits sehr hübscht und allgemein anerkannte Kompositionen ge liefert hat. Die beiden jüngeren Kinder find Mädchen, achtzehn und neunzehn Jahre alt und ebenfalls ungewöhnlich musikalisch begabt; denn sie singen wie die Lerchen, die eine Sopran, die andere Alt. Nun hat der hinter dem Rücken des Jubilars abgehaltene Familienrat beschlossen, am Abend des festlichen Tages einige lebende Bilder zu stellen, und der musikalische Sohn hat dazu ein vierstimmiges Gesangstück komponiert, das von den beiden Töchtern und außerdem von einem Tenor und einem Baß ausgeführt werden soll. Das Ganze ist etwas theatralisch gehalten; denn in der betreffenden Familie liebt man der gleichen und besitzt auch das nötige Geschick dazu. Sopran- und Altstimme hat man also in erster Hand, und es fehlen nur noch der Tenor und der Baß. Da mm nun keinen Künstler von Beruf dazu engagieren will, — die Gründe, weshalb man das nicht wünscht, lassen Sie mich ver schweigen, — so habe ich, der viel von Ihren schönen Stimmen erzählt hat, den etwas kühnen Vorschlag zu machen gewagt, Ihre Kräfte und Mitwirkung dazu in Anspruch zu nehmen, und man hat mir nach einigem Zögern und längerer Beratung beigestimmt für den Fall, daß es mir gelänge, Sie zu der gewünschten Leistung bereit willig zu finden. So bin ich denn also zu Ihnen gekommen, um Sie zu fragen, ob Sie geneigt sind, das besprochene Fest zu stände bringen zu helfen, und darauf geben Sie mir möglichst rasch eine mich hoffentlich befriedigende Antwort." Der Polizeirat schwieg und sah uns beide still lächelnd scharf und bedeutungsvoll an. Wir waren natürlich von dem ganz eigenartigen Vorschläge außerordentlich überrascht, jedoch faßte ich mich schnell, und indem ich nur einen vielsagenden Blick über meine etwas aus den Fugen gegangene Toilette laufen ließ, die ich aus eigenen Mitteln keinesfalls verbessern konnte, sagte ich sofort: „Herr Polizeirat! Sie find sehr gütig gegen uns, wie immer bisher, aber Sie haben dabei nur außer acht gelassen, daß wir in unserer jetzigen Verfassung, ich meine, in unseren derangierten Kleidern, die wir nun schon unab lässig seit siebzehn Monaten tragen, gewiß nicht geeignet sind, bei einer solchen Festlichkeit mit zuwirken und uns in einer so vornehmen Gesell schaft sehen zu lassen." „O, o," erwiderte er mit seiner unfehlbaren Sicherheit und indem er einen mitleidigen Blick über unsere äußeren Menschen laufen ließ, „daran habe ich längst gedacht, und das dürfte m diesem Falle durchaus kein Hindernis bieten. Mitten in dieser vornehmen Gesellschaft sollen Sie gewiß nicht erscheinen, sondern nur unge sehen von allen, außer von dem Komponisten und seinen Schwestern, gleichsam hinter den Kulissen Ihr Licht leuchten lassen. Haben Sie dann Ihre Schuldigkeit gethan, so wird man Sie in ein stilles Zimmer führen, Ihnen ein schmackhaftes Souper vorsetzen, und haben Sie auch das bewältigt, wozu Sie gewiß jugend liche Fähigkeit und Neigung genug besitzen, so steigen Sie mit mir wieder in den Wagen, und ich fahre Sie hierher zurück, wie ich Sie auch an den Ort Ihrer Wirksamkeit bringen werde. Also nun entschließen Sie sich rajch und sagen Sie mir, ob Sie zur Lösung der Ihnen von mir und den schönen Sängerinnen gestellten Auf gabe geneigt sind." Ich sah meinen Göttinger fragend an, der mir sogleich beistimmend zunickte, und so sagte ich auf der Stelle: . „Ganz gewiß find wir dazu geneigt, Herr Pottzeirat, und wir übernehmen die uns zuge dachte Rolle sehr gern, vorausgesetzt, daß wir erst wissen, was wir singen sollen. „Na, das ist mir lieb, meinet- und Ihret wegen," sagte der gute Mann sichtbar freudig erregt und ungewöhnlich rasch, da er sonst immer sehr langsam sprach; „die ganze Partitur des Gesangstückes, welches der Komponist selbst auf dem Flügel hinter dem Vorhänge begleiten wird, brauchen Sie nicht einzusehen, Ihre ausge zogenen Singstimmen aber werde ich Ihnen morgen zeitig genug bringen. Bei Ihrer Fertig keit werden Sie sie bald lernen können, und sobald Sic sie inne haben, wird vor der Aufführung hoffentlich eine Probe mit den Sängerinnen genügen. Nur eine Probe, sage ich, und die muß gründlich sein; denn zu oft möchte ich Sie zu dieser nicht gerade offiziellen Kunstleistung nicht führen, um bei den zahlreichen Bewohnern dieses Hauses, die ja alles darin Vorgehende zu erfahren wissen, nicht zu viel Aussehen zu er regen. Sobald Sie nun im Besitze des Musik stückes find, beginnen Sie Ihre Studien, und ich werde fast jeden Tag zu Ihnen kommen, um zu erfahren, wann Sie die Ihnen gestellte Auf gabe ausführen können." Als er dies gesprochen und wir ihm noch
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