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Allgemeiner Anzeiger : 28.06.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189906284
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18990628
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-06
- Tag 1899-06-28
-
Monat
1899-06
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 28.06.1899
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Politisch- Pundscha«. Deutschland. *Am Donnerstag hat die «Kieler Woche" (Binnenmeer- und Seeregatten) begonnen, wozu das Kaiserpaar in Kiel eingetroffen ist. * Der Kaiser hat dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Staatsminister v. Bülow, den Grafentitel verliehen. * Die Gerichtsferien beginnen für das ganze Deutsche Reich am 15. Juli und endigen am 15. September. Nach 8 202 des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes werden während der Ferienzeit nur erledigt: 1) Straffachen, 2) Arrest sachen und die eine einstweilige Verfügung be treffenden Sachen, 3) Meß- und Marktsachen, 4) Wohnungsstreitigkeiten zwischen Mieter und Vermieter, 5) Wechselsachen, 6) Bausachen, sofern es sich um die Fortsetzung eines bereits be gonnenen Baues handelt. Auch Mahn-, Zwangs- versteigerungs- und Konkursverfahren werden während der Ferien geführt. Im Interesse der Gesuchsteller empfiehlt es sich, alle nach vor stehenden Bestimmungen als Feriensachen zu behandelnden Anträge und Eingaben, sowie namentlich diejenigen, die an und für fich einer Beschleunigung bedürfen, an einer in die Augen Menden Stelle als „Feriensache" zu be zeichnen. *DieproduktionsstatistischenAr- beiten im Reichsamt des Innern erfahren weitere Ausdehnung. Jüngst ist in einer Ver sammlung der Interessenten der für dieSchuh - und Schäftefabrikation vom Reichs amt aufgestellte Fragebogen durchgearbeitet worden, so daß nunmehr in einer nicht langen Zeit die Erhebungen auch für diesen Berufs zweig ihren Anfang nehmen werden. Für eine Ausdehnung der bekanntlich bisher nur für die zur Berufsgenoffenschaft gehörenden Betriebe in der Lederindustrie und Gerberei vorgenommenen statistischen Erhebung auch auf die übrigen Ierbereibetriebe hat sich jüngst der Zentralverein der deutschen Lederindustrie aus gesprochen. Da im Reichsamt des Innern Geneigtheit vorherrscht, auch auf die nicht in den Berufsgenossenschaften vereinigte Produktion die Erhebung zu erstrecken, so darf wohl angenommen werden, daß auch nach dieser Richtung eine Er gänzung der früher schon vorgenommenen statisti schen Arbeiten in Aussicht steht. * In derKanalkommission des Preuß. Abgeordnetenhauses gab der Verkehrs- minister Thielen die Erklärung ab, daß die Regierung grundsätzlich die Entschädi gungsansprüche der einzelnen Provinzen wegen Schädigung durch den Mittellandkanal nicht anerkennen, daß sie dagegen gewillt sei, die Wasserstraße zwischen Ober- schlesien undBerIin leistungsfähiger aus zubilden und eventuell die Kanalisierung der Lippe vornehmen zu lassen. Die Kom mission hat fich bis Dienstag vertagt. * Die Verhandlungen wegen Wiederher stellung der BerlinerProduktenbörse sind nach dem,Berl. Tgbl/ neuerdings wieder ausgenommen worden. Oesterreich-Ungarn. *Jm ungarischen Abgeordnetenhause wurde am Mittwoch die Verhandlung der Ausgleichsvorlagen begonnen. Abg. Kossuth verwarf namens der Unabhängig keitspartei die Vorlage zur Regelung der Zoll- und Handelssachen, welcher die Zollgemeinsam keit mit Oesterreich bis zum Jahre 1907 fest setzt. Kossuth begründete seinen Widerstand damit, daß Ungarn infolge der Zollgemeinsam- keit noch immer als eine Provinz Oesterreichs erscheine und beantragte eine Resolution dahin gehend, daß die Regierung angewiesen werde, für Errichtung von Zollschranken Oesterreich gegenüber mit Ablauf des jetzigen Provisoriums am 1. Januar 1900 Sorge zu tragen. Nach Ansicht parlamentarischer Krise soll die Erörte rung über die Ausgleichsvorlagen, deren An nahme mit großer Mehrheit gesichert erscheint, kaum zwei Wochen dauern. Frankreich. * Bei seinem zweiten Versuche ist Wal deck-Rousseau glücklicher gewesen, sein Kabinett setzt fich wie folgt zus »wmen: Vorfitz und Inneres Waldeck-Rousseau, Aeußeres Delcasss, Krieg General Gallifet, Marine Lanessan, Justiz Monis, Ackerbau Jean Dupuy, Handel Millerand, Finanzen Caillaux, Unterricht Leygues, öffentliche Arbeiten Pierre Baudin, Kolonien Decrais. Die Mischung ist höchst originell. Millerand, der neue Handelsminister, und Baudin, der Minister der öffentlichen Ar beiten sind Sozialisten, die bisher den neuen Kriegsminifter Gallifet den „Henker der Commune" nannten. Jetzt find sie Kollegen! * Der disziplinierte Direktor der französischen Marineartillerie General Delaroque richtete infolge seiner von dem bisherigen Marineminister Lockroy verfügten Versetzung in den Ruhestand ein Schreiben an den Präsidenten Loubet, in welchem er gegen jene Verfügung energisch protestiert. Lockroy verhängte hierauf über den General Delaroque bis auf weiteres strengen Arrest. *Der italienische General Giletta soll am Montag wegen Spionage vor dem fran zösischen Zuchtpolizeigericht erscheinen. Die Ver handlungen werden nicht öffentlich sein. England. *,The Latest', eine neue Abendzeitung, die auf vier Quartblättern ausschließlich über und für das „vornehmste London" schreibt, meldet: „Es besteht jetzt überhaupt kein Zweifel mehr, daßPrinzArthur sowohl als derH e rzo g von Connaught endgültig sich entschieden haben, trotz aller Verführung zum Gegenteil, in England zu bleiben. Italien. *Um ein Ende mit den stürmischen Kammersitzungen und der Obstruktion zu machen, hat der König das Dekret, wodurch das Parlament vertagt wird, am Donners früh unterschrieben. (Immerhin hat die äußerste Linke ihren Zweck, die Beratung der politischen Vorlagen zu verhindern, zunächst erreicht. Spanien. * Zu der in Arcachon erfolgten Beschlag nahme von 4000 Chaffepotgewehren schreibt man aus Madrid: Von kartistisch er Seite wird zugestanden, daß diese Gewehrsendung von Anhängern ihrer Partei veranlaßt worden sei, aber ohne Mitwirkung der Parteioberleitung. Einige Heißsporne, die schon längst Don Karlos nötigen wollten, seine bisherige Zurückhal tung aufzugeben, hätten während der letzten Monate gegen 700 000 Frank aufge bracht und dafür bei englischen Agenten Gewehre bestellt. Nach vielen Verhandlungen hätten die selben endlich 4000 Chassepotgewehre zu liefern versprochen, wozu sie die englische Barke „Fire- flig" charterten. Man habe aber bald erfahren, daß die Gewehre völlig unbrauchbar und ver altet seien, weshalb man auf karlistischer Seite glaubt, die englischen Agenten hätten die Ge wehre absichtlich den spanischen Behörden in die Hände gespielt. Dadurch seien sie be rechtigt, den auf einer Bank niedergelegten Be trag sofort zu erheben, der sonst erst dann fällig gewesen wäre, nachdem man die Gewehre für brauchbar befunden hätte. Amerika. * In den Ver. Staaten machen fich die Folgen des siegreichen Krieges recht unangenehm fühlbar. DaS Defizit für das mit Ende Juni ablaufende Finanzjahr wird auf nahezu 100 Mill. Dollar veranschlagt. Der Schmerz über dieses Defizit wird noch verschärft durch die verzweifelte Lage auf den Philippinen. Es verlautet, daß 100 000, ja 200 000 Mann auf gebracht und unverzüglich nach den Philip pinen gesandt werden sollen, doch ist es sehr fraglich, ob dies möglich sein wird. Die einst so enthusiastischen Freiwilligen haben längst ihren schönen Eifer verloren, und die bereits im Kampfe befindlichen sollen nur daran denken, wie sie die todbringenden Inseln möglichst schnell wieder verlassen können. * Der ,Evening Post' wird aus Washington gemeldet, man spreche dort an hoher Stelle davon, daß russische Agenten mit ameri kanischen Geschützfabriken über schleunige Lieferung von 100 Batterien schnell- feuernder Feldgeschütze, im ganzen 600, verhandeln. Die Kosten sollen 6 Millionen Dollar betragen. — (Und die Abrüstungskon ferenz S) Afrika. * Die Regiemng der südafrikanischen Republik hat endgültig beschlossen, die Vertretung der Goldfelder im Volks raad zu erweitern, wahrscheinlich bis zu 6 Mit gliedern. * Aus dem Sudan kommen wieder recht schlimme Nachrichten: Der Kalif hat, nachdem ihm Osman Digma über zehn tausend Mann Fußvolk und Reiterei aus Darfur zugeführt und sämtliche Baggarastämme fich um seine Fahne geschart, sich ostwärts dem weißen Nil zugewandt, während er einen seiner Emire in seinem Lager zu Schirkeleh, am gleichnamigen See, zurückgelassen hat. Seine Vorhut zog mordend und brennend denweißen Nil hinab und gelangte sogar einmal bis auf einen Tages marsch vor Duam, den südlichsten britischen Posten, dessen Garnison aus einem Bataillon, vier Geschützen und einem Kamelkorps besteht. Die Kanonenboote können, da der Nil gegen wärtig niedrig und durch Sandbänke gesperrt ist, so weit nicht Vordringen, sodaß die ganze obere Nilgegend dem Kalif auf Gnade und Ungnade preisgegeben ist. Australien. *Auf den Samoa-Jnseln herrschen jetzt wieder friedliche Zustände. Die Anhänger beider „Könige" haben ihre Waffen abgeliefert. Das Königtum ist abgeschafft; dafür wird ein Gouverneur eingesetzt, dem drei von den Großmächten Ernannte als gesetzgebender Rat zur Seite stehen. Außerdem sollen die Einge borenen durch ein Repräsentantenhaus ver treten sein. Deutscher Reichstag. Am 22. d. wird zunächst die Zustimmung des Reichstages zu dessen Vertagung bis zum 14. No vember einstimmig erteilt. Sodann wird die erste Beratung des Gesetzes zum Schutze des gewerblichen Arbeitsver hältnisses fortgesetzt. Abg. Heine (foz.): Abg. Arendt machte uns den Vorwurf, wir wollten die Religion vernichten. Sonst sagt man, wir seien zu paritätisch, wir dulde ten Evangelische, Katholiken, Dissidenten und sogar Juden unter uns. Im übrigen hat Abg. Arendt nur bewiesen, daß er auf einem veralteten Boden steht, auf dem des Sozialistengesetzes. Wir stellen uns aber auf den Boden der Gegenwart und be kämpfen alle Ausnahmegesetze. Zu diesem vorliegen den Ausnahmegesetz haben nicht die Arbeiter den Anlaß gegeben, sondern gewisse Leute, die nach dem Attentat auf die Kaiserin von Oesterreich in einem Telegramm den Kaiser zu strengen Maßnahmen auf forderten. Man kann sich ein solches Vorgehen nicht anders erklären, als daß die Herren hin und wieder von einer Art Koller befallen werden. Der preußi sche Handelsminister rügte es gestern, daß Reden des Monarchen hier in die Debatte gezogen werden. Für Regierungsakte können wir wohl den Reichs kanzler verantwortlich machen, nicht aber für Reden des Kaisers, die nicht gegengezeichnet sind. Wenn wir von einer besonders strengen Bestrafung von Arbeitern gesprochen haben, so hatten wir keineswegs einzelne Urteile im Auge, sondern eine bestimmte, konsequente Richtung in der Judikatur. Die scharfen Konsequenzen der Gesetzgebung werden nur den Arbeitern gegen über gezogen. Redner schließt mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß die Vorlage nie Gesetz werden möge. Staassekretär Nieberding: Ich verstehe nicht, wie ein so feiner Jurist, wie der Vorredner, hier von einem Ausnahmegesetz sprechen kann. Arbeit geber und Arbeitnehmer werden unter gewissen Vor aussetzungen gleichmäßig unter Strafe gestellt. Abg. Heine beschwerte sich dann über eine bestimmte Art der Rechtsprechung. Es ist aber ganz unmöglich, an der Hand von einzelnen Wendungen in der Be gründung einzelner Urteile Schlüsse auf eine Rich tung in der Judikatur zu ziehen. In den mir vor liegenden Erkenntnissen des Reichsgerichts, die sich speziell auf Erpressungsfälle bei Ausständen usw. be ziehen, ist jedesmal der Thatbestand klar dargelegt und das auf Grund dieses Thatbestandes gefällte Urteil begründet. Das Reichsgericht hat den Er- pressungsparagraphcn durchaus sachgemäß angewendet. Ich schließe auch heute mit der Erklärung, daß das, Was die Vorlage will, wenn nicht jetzt, so später zum Gesetz wird erhoben werden müssen. Abg. Jacobskötter (kons.): Das Gesetz ist von den Arbeitgebern freilich nicht mit Jubel, wohl aber mit Befriedigung ausgenommen worden. Speziell die kleinen Handwerker und sonstigen kleinen Gewerbetreibenden haben außerordentlich unter dem Terrorismus der Arbeiter zu leiden. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß das Gesetz, wenn es abge- lehnt werden sollte, wiederkommen wird. Abg. Frhr. v. Hodenberg (Welfe) erklärt, seine Freunde hielten die Vorlage moralisch für ver werflich und politisch für einen schweren Fehler, sie würden deshalb nicht nur gegen die Vorlage, sondem auch gegen Verweisung an eine Kommission stimmen. Abg. Pichler (Zentr.): Um dem Terrorismus der Arbeiter ein Ende zu machen, bedarf es einer solchen Vorlage nicht. Diese ist einmal nicht not wendig, dann aber erfüllt sie gar nicht den Zweck, dem sie dienen soll. Die Vorlage hat nur die eine Wirkung gehabt, daß die Sozialdemokratie wieder auf der ganzen Linie geeint dasteht. Nicht mit poli zeilichen Maßnahmen, sondern mit geistigen Waffen müsse die Sozialdemokratie bekämpft werden. Der Reichskanzler hätte, anstatt ein solches Gesetz zu schaffen, auf die Kultusminister der Einzelstaaten ein wirken sollen, daß sie bessere Schulverhältnisse schaffen. Jetzt sei die Vorlage da und sie werde während der Vertagung von der Opposition zur Agitation auS- genutzt werden. Das bedauere er, die Regierung könne es aber verhindern, indem sie die Vorlage zurückzieht. Darauf wird die Diskussion geschloffen. Der Antrag auf Verweisung der Vorlage an eine Kommission von 28 Mitgliedern wird gegen die Stimmen der Konservativen, der Freikonservativen, der Antisemiten und etwa zehn Nationalliberalen a b g e l e h n t. ES folgt die dritte Beratung des Nachtrags - etats betr. die Erwerbung der Karolinen rc., deS Nachtragsetats für die Schutzgebiete, des Anleihe gesetzes und des Handelsabkommens mit Spanien. Abg. Fürst Bismarck (wildkons.) bestätigt die gestrigen Angaben des Staatssekretärs v. Bülow, daß der frühere Reichskanzler Fürst Bismarck die Karolinen nur mit bezug auf einen schweren Krieg als eine Lumperei bezeichnet habe, und daß für den selben namentlich mitbeflimmend gewesen sei die Ab sicht, die damals schwache Monarchie in Spanien zu stärken. Er nahm dann Veranlassung festzustellen, daß der Staatssekretär des Aeußeren neulich nicht habe sagen wollen, daß seit der Samoa-Akte die Wirren auf Samoa nicht aufgehört haben in dem Sinne, daß die Akte etwa an den Wirren schuld sei. Er seinerseits erkenne dagegen an, daß die gegen wärtige Samoakonferenz nach seiner Ansicht ein sehr nützliches Werk sei. Er hoffe, die Politik deS jetzigen Staatssekretärs auf Samoa werde sich auch weiterhin so gut bewähren. Die vier Vorlagen werden darauf im einzelnen und schließlich in der Gesamtabstimmung endgültig angenommen. Damit ist die Tagesordnung erschöpft. Präs. Graf BalIestrem: Ich habe Grund zu der Annahme, daß wir am Schluffe dieses Sessions- Abschnittes angekommen sind. Da voraussichtlich längere Zeit verstreichen wird, bis wir uns wieder zu unseren Beratungen in diesem Saale versammeln werden, so würde ich es für mißlich halten, Ihnen schon heute Tag und Ta»csordnung für die nächste Sitzung vorzuschlagen. Ich erbitte mir daher die Ermächtigung, Tag und Tagesordnung für die nächste Sitzung selbständig festzustellen, und ich werde, wenn die Ermächtigung erteilt wird, Ihnen recht zeitig Mitteilung machen. (Das Haus stimmt dem Präsidenten zu.) Derselbe spricht sodann den Reichs tagsmitgliedern seinen Dank für die ihm bei seiner Amtsführung gewährte Unterstützung aus. Abg. v. Levetzow (kons.) dankt im Namen des Hauses dem Präsidenten für seine unparteiische, geschickte und energische Leitung der Geschäfte. Staatssekretär Graf Posadowsky teilt dem Reichstage eine allerhöchste Verordnung mit, wonach der Reichstag bis zum 14. November d. vertagt wird, Präs. Graf Ballestrem: Meine Herren, wir trennen uns auch bei diesem Sessionsabschnitt mit dem Gefühl der Liebe, Treue und Ergebenheit gegen das Reichs-Oberhaupt. Seine Majestät Kaiser Wilhelm der Zweite lebe hoch, — hoch, — hoch l (Die Mitglieder stimmen dreimal begeistert in dm Ruf ein, die Sozialdemokraten hatten vorher den Saal verlassen.) Ich schließe die Sitzung. Preutztlyer Kan-rao. DaS Abgeordnetenhaus erledigte am Donners tag in zweiter Beratung die Vorlage betr. die Dienststellung des Kreisarztes und die Bildung von Gesundheitskommissionen. Eine Abändemng wurde insofern vorgenommen, daß dem im Krcisarztamt voll beschäftigten Arzte die Privatpraxis im Hause gestattet sein soll. In bezug auf die Bildung von Sanitätskommissionen wurde sie Regierungsvorlage wieder hergestellt, wonach in Landgemeinden und in Stadtgemeinden von nicht über 5000 Einwohnern die Bildung und Berufung der Kommissionen mit Einverständnis des Kreisausschusses erfolgen soll, während die Kommission beschlossen hatte: „nach Anhörung des Krcisausschusses". Nächste Sitzung am 24. d. Der Polizei verfalle«. 12j Erzählung von Philipp Galen. Gortsttzun«.) „Sollte der Bursche übrigens nicht so schlau sein, wie ich voraussetze, und glauben, daß ich nicht seinetwegen allein, sondern aus anderen Grün den hierhergekommen bin, so wird mir sein Be nehmen gewiß den nötigen Fingerzeig darüber geben, und Sie selbst werden fich, wenn Sie recht aufmerksam auf seine Mienen find, bald sagen können, ob ich in ihm den rechten ge funden habe, das heißt, ob er wirklich der von mir gesuchte Einbrecher ist oder nicht." Ich nickte ihm beistimmend zu, und in zwei Minuten war ich zu meinem Rundgange mit ihm gerüstet, nahm meinen Drücker, der mir alle in diesem Hause stets geschlossen gehaltenen Thüren öffnete, und trat mit meinem Begleiter auf den Korridor hinaus, welcher nach der von ihm bezeichneten Station führte. „Lassen Sie uns aber," sagte der Polizeirat, auf diesem Wege noch einmal still stehend, „ganz langsam und bedächtig vorschreiten, ich muß alle auf Ihrer Station mir entgegentretenden Physiognomien genau betrachten, bis wir den Gesuchten gefunden haben, und dann werden Sie sich überzeugen, daß ich meinen Mann auf der Stelle wiedererkenne, obgleich er sich gewiß alle mögliche Mühe gegeben haben wird, seinem Aeußeren ein anderes Aussehen zu geben. Vor kurzer Zeit noch sah der Kerl, den ich heute suche, wie ein ungekämmter blutdürstiger Löwe aus, trug eine wahre Mähne von Haar und einen struppigen Schnauz- und Kinnbart, die ihm beinahe bis auf die Brust herabreichten. Von diesem fürchterlichen Anblick werde ich nun wohl Abstand nehmen müssen; denn ich bin fest überzeugt, daß er mir, in eine Art sanft mütigen Lammes umgewandelt, völlig haar- und bartlos gegenübertreten wird, das werde ich aber auf den ersten Blick mit meinen guten Augen durchschauen, da mir dergleichen Maskenscherze seit langer Zeit nur zu wohl bekannt find. Weiß ich nur erst, daß er hier ist, dann ist alles übrige ein Kinderspiel, wir lassen hn nicht mehr aus den Fingern, und habe ich ihn erst unter meiner Ausficht, so soll das Geständnis seines Diebstahls bald erfolgen, wenn er und sein lieber Bruder auch anfangs mit tausend Eiden ihre Unschuld beschwören. So, jetzt wissen Sie alles, und nun wollen wir getrost unseren Gang antreten, auf den ich mich wahrhaft freue; denn wie andere Leute gerne einen Ball oder ein Theater besuchen, um sich zu amüsieren, so besuche ich gerne die Schlupfwinkel, in denen die Verbrecher fich ver bergen und auf ihren Raub vorbereiten, weil mir da bisweilen ein Schauspiel, das heißt, ein Stück Menschenleben vorgeführt wird, um das mich die Götter beneiden könnten. Doch still, das führt mich hier zu weit, also — vorwärts!" So schritten wir denn den langen leeren Korridor hinab, der zu der ersten verschlossenen Thür der bezeichneten Station führte, und bald waren wir innerhalb derselben, worauf ich die Thür hinter uns wieder verschloß. Kaum aber waren wir in einen augenblick lich unbenutzten und von Maurern frisch getünchten Saal eingetreten, der deshalb auch noch nicht mit Betten besetzt war, so wurde unserem Vorschreiten schon Einhalt geboten. Der Polizeirat stand nämlich plötzlich still und faßte einen Mann ins Auge, der uns eben aus dem ersten Krankensaale kommend, entgegen trat, einen leeren Wafserkrug in der Hand trug und gleich stehen blieb, als er mich mit meinem Begleiter so dicht vor fich sah. „Aha!" sagte der Polizeirat zu mir, „warten Sie einen Augenblick; den Mann kenne ich und ich muß ein paar Worte mit ihm reden." „Es ist einer unserer Krankenwärter," be merkte ich etwas rasch und leise; denn ich glaubte schon, er habe irgend einen Verdacht gegen den Mann gefaßt, der mir als ein harmloser, stiller und diensteifriger Mensch bekannt war. „Mag sein," versetzte der Polizeirat, „aber ich muß jedenfalls mit ihm reden. — Guten Tag, Krause!" Der Angeredete war einige Schritte von uns entfernt stehen geblieben, hatte fich bescheiden, seinen leeren Krug in der Hand, beiseite gestellt, und als wir näher gekommen, verneigte er fich ehrerbietig, ja fast demütig vor meinem ruhig auf ihn zugehenden Begleiter. „Guten Tag, Herr Polizeirat," sagte der Wärter Krause. „Ich freue mich, Sie wieder zusehen." „Ich auch, alter Freund," erwiderte der so freundlich Angeredete mit fast liebreichem Tone. „Wie geht es dir, und was macht deine Frau ?" „O, Herr Polizeirat, mir geht es jetzt recht gut," lautete die Antwort, „ja, Gott sei Dank! Ich bin hier seit sechs Wochen als Kranken wärter angestellt, und meine Frau hat ebenfalls eine Unterkunft in der Neuen Charitee gefunden und ist Wärterin auf der Station der wahn sinnigen Weiber geworden. Wir haben ein nettes Zimmer, gute Nahrung, einen anständigen Lohn, und der Dienst ist, wenigstens sür mich, nicht allzu schwer." „So, das freut mich, Krause, Ihr habt eine solche gute Stelle ja auch wohl verdient. Aber nun hört mich einmal aufmerksam an und thut, was ich von Euch verlange. Sobald Ihr Euren Krug mit Wasser gefüllt, folgt uns auf Eure Station und haltet Euch in meiner Nähe! Es ist möglich, daß ich Euren Beistand gebrauchen könnte. Hier aber," und er griff in seine Tasche, zog eine Börse von grüner Seide hervor und nahm einen blanken Thaler aus derselben, den er mit einem freundlichen Blicke dem Wärter hinreichte, „so, da nehmt, wir haben uns lange nicht gesehen, und ich habe schon oft an Euch gedacht. Thut nun aber auch ferner Eure Pflicht, wie bisher. Für dies Geld könnt Ihr Euch irgend etwas kaufen, was gut schmeckt, und nun grüßt Eure Frau von mir, und sie soll auch ihre Pflicht in ihrem neuen Amte erfüllen. So, nun geht und kommt uns bald nach. Zu bedanken braucht Ihr Euch nicht, Ihr wißt schon, warum ich Euch wohl will und den Thaler schenke. Adieu!" Der Mann verneigte fich wieder ehrerbietig und mit dankbarer Miene und ging dann rasch mit seinem Kruge fort, um uns, wie ihm ge heißen, so bald wie möglich nachfolgen zu können. Als die Thür aber hinter ihm zuge fallen und wieder von ihm verschlossen war,, blieb der Polizeirat stehen und sagte zu mir:
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