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Allgemeiner Anzeiger : 24.05.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189905246
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- Saxonica
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- Strukturtyp
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-05
- Tag 1899-05-24
-
Monat
1899-05
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 24.05.1899
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Halle a. S. Vor nunmehr 200 Jahren huldigte das ehemalige kursächsische Amt Peters berg dem damaligen Kurfürsten von Branden burg. Zur Erinnerung an diese geschichtliche Thatsache fand auf dem hohen Petersberge, dem Riesen des Saalekreises, eine Erinnerungsfeier statt. Die versammelten Festgäste sandten an den Kaiser nach Wiesbaden eine Depesche, in der sie die von ihren Voreltern geleistete Huldi gung, in dankbarem Gedenken an die in zwei Jahrhunderten unter dem Zepter der Hohen- zollern empfangenen Wohlthaten, eriieuerten. Darauf ging aus dem Zivilkabinett em Dankes telegramm des Kaisers ein. Braunschweig. Völlig niedergebrannt ist am Mittwoch abend das Warenhaus Rudolf Karstadt in der Schuhstraße. Der Schaden an Waren und Gebäuden betrügt etwa eine halbe Million. Das Feuer ergriff rapid alle vier Etagen, sodaß die Angestellten in Gefahr ge rieten und zum Teil aus den Fenstern springen und sich über die Dächer retten mußten. Mehrere verletzten sich dabei schwer. Es erhält sich das Gerücht, daß unten den Trümmern Leichen liegen. Die Ursache des Brandes soll Kurzschluß bei der elektrischen Beleuchtungsanlage sein. — In der That bestätigt es sich nach weiteren Meldungen, daß bei dem Brande fünf junge Mädchen in den Flammen umgekommen find. Außerdem ist ein Schwerverletzter seinen Wunden erlegen. Mehrere Personen find teils schwer, teils leichter verletzt. Königsberg. Die Verhaftung zweier Ent lastungszeugen im Rosengartschen Mordprozeß, der Frauen Pusch und Ziegrahn, ist auf Ver anlassung des Staatsanwalts wegen Meineids verdachts am Mittwoch erfolgt. Die Verhaftung erregt großes Aufsehen. — Das Ehepaar be findet sich zur Zeit in Italien auf der Hoch zeitsreise. Paris. Am Donnerstag ist hier ein all gemeiner Briesträg erstreik ausgebrochen, an dem gegen drei- bis viertausend Beamte teilnehmen. Das geschäftliche Leben und Treiben erleidet dadurch eine gewaltige Störung. Nachmittags kam es zu einem Zusammenstoß zwischen den Streikenden und der Polizei, da bekannt ge worden war, daß Mannschaften der Garde re- publicaine die Briefe austragen sollten. Es wurden mehrere Verhaftungen vorgenommen. Zürich. Ein mysteriöser Unglücksfall, der sich in der vergangenen Woche in der Axenstraße am Vierwaldstättersee ereignete, scheint sich als ein scheußliches Verbrechen des Gattenmordes herauszustellen. Die Anzeichen, welche auf eine solche Unthat Hinweisen, haben sich im Laufe der angestellten Untersuchung so sehr gemehrt, daß ein gerichtliches Verfahren zweifellos er folgen wird. Der mutmaßliche Thäter, welcher in Haft fitzt, ist der 25 jährige Buchhalter Ber nardin Fäßler aus Jberg (Schwyz), wohnhaft in dem Kurort Seewen bei Brunnen. Am Nach mittag des 8. Mai fuhr Fäßler mit seiner um zwei Jahre jüngeren Frau, einer Luzernerin, mit der er seit drei Jahren verheiratet ist, nach Brunnen, und beide spazierten von hier aus die Axenstraße entlang, wo sie zwischen drei und vier Uhr zusammen gesehen wurden. Etwas nach vier Uhr passierte ein Kutscher die Axen- straße in der Stühe der Unglücksftelle bei der sogenannten Waftfluh und traf hier an die Straßenmauer gelehnt und den Kopf in Händen haltend einen Mann, eben den Fühler, der ihm auf Befragen, was ihm fehle, antwortete, seine Frau sei eben beim Wachholdcrpflücken vom Felsen in den See gestürzt. Um vier Uhr nach mittags wollen Personen in Morschach unten einen durchdringenden Schrei gehört haben, ver mutlich einen Hilferuf der Verunglückten, deren Leiche bis jetzt noch Nicht ans Tageslicht kam. Als in Seewen und Brunnen die Nachricht vom Absturz der Frau Fäßler bekannt wurde, be zichtigte der Volksmund alsbald den Ehemann des Mordes an seiner Frau und wurde F. am selben Abend noch verhaftet. Der bisherige Lebenswandel desselben ist nicht sonderlich günstig; er gab früher viel Geld für Frauen zimmer aus und stand auch nach seiner Ver heiratung noch mit Frauenzimmern m Verbin dung ; auch empfing er von solchen Briefe unter Deckadresse. Der gerichtliche Augenschein der Un- alücksstätte ergab, daß die Wachholder, die laut Aussage des Verhafteten seine Frau pflücken wollte, so gefährlich in den Felsenrissen stehen, daß kein Vernünftiger sie zu pflücken wagen würde, am allerwenigsten eine Frau. Gravie rend für Fäßler ist u. a. auch, daß er sich kürz lich ein gewisses Arzneimittel in einer Apotheke zu verschaffen suchte und auf den Namen seiner Frau eine Zeitung abonnierte, die ihre Abonnenten auf Todesfall versichert. Bis jetzt leugnet Fäßler hartnäckig. Rom, Der siebenarmige Leuchter des Tempels zu Jerusalem ist von den Leuten, die mit den Fundamentierungsarbeiten der Cavour- Brücke über den Tiber beschäftigt sind, im Schlamm vergraben gefunden worden. Der Leuchter, der noch sehr gut erhalten ist, besteht aus Bronze und entspricht in Form und Aus sehen genau dem berühmten siebenarmigen Leuchter der Juden, den seiner Zeit Titus nach der Zerstörung Jerusalems nach Nom gebracht hat. Ein getreues Abbild dieses Leuchters be findet sich auf dem Triumphbogen des Titus in der Nähe des korum romanum. Wie nun aber dieser Leuchter auf den Grund des Tiber ge raten ist, bleibt vorläufig noch ein Rätsel. — Unter der in Neapel entdeckten Jn- dustrieritter-Bande befinden sich zwei Marchesen, ein Fürst, dessen Namen die Blätter noch ver schweigen, vier Bankiers, drei Ingenieure und acht Verbrecher gemeinen Schlages. Die Bande steht unter Aufsicht der Camorra. Helfingfors. In der Nähe der Stadt ist eine ganze, aus sieben Personen bestehende Familie ermordet worden. Das Anwesen, in welchem die entsetzliche That geschah, liegt von den anderen Wohnungen des Dorfes ziemlich entfernt. Am Abend vorher hatte man die Be wohner des Hauses noch gesehen. Als man am nächsten Morgen die Wohnstätte betrat, bot sich ein schreckliches Bild dar. Im ersten Zimmer lag der Besitzer des Hauses, der 64jährige Johann Aspelin, mit zerschmettertem Schädel, in ihren Betten sah man seine 34jährige Tochter und eine Magd, die bei der Familie arbeitete — beide ermordet. Im nächsten Zimmer fand man ein nur einige Wochen altes Kind, eine Enkelin Aspelins, dessen Kopf vom Rumps fast getrennt war. Im Bett lagen die Mutter des Kindes und Aspelins Frau und noch eine Enkelin, die sich bei der Familie zum Besuch aufhielt. Alle Leichen waren gräßlich ver stümmelt, die Wände und der Fußboden mit Blut bedeckt. Der Verdacht richtete sich sofort auf den einzigen noch lebenden Bewohner des Hauses, dessen blutige Kleider in einer Ecke lagen, nämlich auf den Hausknecht Malmelin, der seit zwei Jahren im Dienst der Familie stand. Er war spurlos verschwunden und mit ihm auch das Geld Aspelins und mehrere Wertsachen. Die Unglücklichen scheinen mit einem Beil, das im Hause gefunden wurde, er mordet worden zu sein. Malmelin hatte vor kurzem um die Hand der 34jährigen Tochter Aspelins angehalten, war jedoch abschlägig be- schieden worden. Seit jener Zeit war er finster und einsilbig geworden, und man vermutet, daß er die schreckliche That aus Rache begangen habe. Die Gegend, wo Aspelin wohnte, Hal übrigens einen schlechten Ruf. Die Bevölkerung ist sehr streitsüchtig und in den letzten Jahren sind dort mehrere Verbrechen vorgekommen. New Uork. Der Dampfer des Nord deutschen Lloyd „Barbarossa", der am Donners tag früh mit ungefähr 450 Passagieren abging, kehrte, nachdem er Sandy Hook erreicht hatte, um, weil Feuer im Vorderraum ausgebrochen war. Der Dampfer ankerte an der Quarantäne- Station. Ein Regierungsschlepper und zwei Feuerspritzdampfer find zur Hilfe abgegangen. GerichtshMe. Berlin. Eine interessante Verhandlung, bei welcher es sich um die Frage handelt, ob und in wieweit die Gepflogenheit der Weinhändler die ver schiedensten Weingattungen nach Belieben zu eti kettieren, berechtigt ist, beschäftigte die 7. Strafkammer des Landgerichts l. Die Polizei hatte eines Tages von einem Kaufmann eine halbe Flasche Rotwein zum Preise von 65 Pfennig entnommen, welche die stolze Bezeichnung „Oranü vin Lontst Oanot Loräsaux^ trug. Durch sachverständige Untersuchung wurde festgesteär ^aß der Wein nur einen Extrakt gehalt von 1,219 hatte, während Bordeaux-Wein einen Mindest-Extraktgehalt von 1,50 haben mutz. Der Kaufmann hatte den Wein aus einer hiesigen alt renommierten Grotz-Weinhandlung bezogen und gegen den Inhaber dieser Handlung wurde die Anklage wegen Nahrungsmittelverfälschung und Verstoßes gegen das Weingesetz erhoben. Der Angeklagte ver wies vor dem Schöffengericht darauf, daß dieser billige Wein, der ein mit rotem Hardtwein ver schnittener billiger Bordeauxwein sei, aus reinem Traubensaft bestehe. Von irgend einer Täuschung könne gar keine Rede sein, da der Käufer zweifellos wisse, daß ein Wein, der für 85 Pf. pro Flasche verkauft werde, unmöglich reiner Bordeauxwein fein könne. Es sei im Weinhandel durchaus Usance, solche Verschnitte als Bordeauxweine zu verkaufen, und was die Etikettierung betrifft, so sei auf allen Preislisten besonders darauf aufmerksam gemacht, daß die Bezeichnung keine bestimmte Bezugsquelle des Weines angeben, sondern nur die ungefähre Art desselben kennzeichnen solle. Auch dies sei im Weinhandel durchaus Gebrauch. Das Schöffengericht hielt diese Einwände für begründet und erkannte auf Freisprechung, der Staatsanwalt aber, der sogar Gefängnisstrafe beantragt hatte, legte Berufung ein. Nach dem von der Strafkammer wiederholten Sach- Verständigen-Gutachten, wonach der Exiraktgehalt des qu. Weines niedriger sei, als durch die Verordnung des Bundesrats zugelassen worden, beantragte der Staatsanwalt vor der Strafkammer nur 100 Mark Geldstrafe, indem er die Möglichkeit zugab, daß der zum Verschnitt aus Bordeaux be zogene Wein möglicherweise schon dort mit Wasser verdünnt worden sein könnte, so daß dem Angeklagten nur eine Fahrlässigkeit zur Last fallen würde. Die Strafkammer erkannte nach dem Anträge des Ver teidigers auf Verwerfung der Berufung, da nach dem Weingesetz ein Verschnitt von Wein mit Wein ge stattet ist und eine Verfälschung durch Zusatz von Wasser nicht festgestellt werden konnte. Wenn es auch eine ganz falsche Ansicht der Weinhändler sei, daß sie den Weinflaschen jedes beliebige Etikette aufkleben dürfen, so liege doch in diesem Falle eine Täuschung nicht vor, da unter der Bezeichnung Lontot, Oanst nicht ein Wein von ganz besonderem ausgeprägtem Charakter verstanden werden kann. — Dem Faktor U., der sich bei hier dem Druckereibcsitzer Bl. in Stellung befand, war ge kündigtworden. Während es früher dem Faktor ge stattet war zu rauchen, erhielt er nach seiner Kün digung die Anweisung, das Rauchen in der Betriebs stätte seines Arbeitgebers zu unterlassen. U. rauchte aber trotz des Verbots weiter, da er sich sonst blamiert hätte. Nachdem erdarauf entlassen worden sei, habe Bl. das Rauchen im Betriebe wieder gestattet. Bl. habe den Faktor nur so bald wie möglich aus seinem Betriebe entfernen wollen. Das Gewerbegericht wies nun mehr auch die Klage des Faktors als unbegründet ab. Der Arbeitgeber habe ein Recht darauf, in seinen Räumen Herr zu sein: wenn der Arbeitgeber das Rauchen in seiner Betriebsstätte verbiete, so müssen sich die Arbeitnehmer nach dem Verbot richten. Handele der Arbeiter dem Verbot zuwider, so liege Widerspänstigkeit vor, die eine sofortige Entlassung des Arbeiters rechtfertige. Als die größte Grploston, die je in einer chemischen Fabrik stattgefunden hat, wird die bezeichnet, welche jüngst, wie tele graphisch gemeldet, in St. Helens in der im nordwestlichen England gelegenen Grafschaft Lancashire sich ereignete. Das Unglück entstand dadurch, daß in einem Hause der Kurtzschen Vereinigten Alkaligesellschaft, in welchem chlor saures Kali kristallisiert wurde, ein Feuer aus brach. Die Feuerwehr wurde geholt und sämt liche Arbeiter wurden alarmiert. Alsbald ergriff das Feuer die etwa 80 Tonnen umfassenden Vorräte chlorsauren Kalis und zwei furchtbare Explosionen erfolgten kurz nacheinander. Die Arbeiter, welche in der Nähe dem Feuer zusahen, wurden weggeschleudert und etwa zwanzig schwer verletzt. Die Trümmer wurden nach allen Seiten geworfen und in der benachbarten Fabrik von Hardshaw-Brook wurden zehn große Behälter, von denen jeder 100 Tonnen Vitriol enthielt, dem Erdboden gleichgemacht, so daß sich 1000 Tonnen Vitriol in Strömen über die Straßen und in die Kanäle ergossen. Die städtischen Gaswerke wurden ebenfalls stark beschädigt. Einer der Gasometer erhielt oben einen Riß, das Gas strömte aus und fing Feuer, das mit einer gewaltigen Flamme aufflackerte. — Ueber die Folgen der furchtbaren Explosion wird aus London geschrieben: Die Stadt wird jetzt über- überall ausgeflickt. Viele kleine Häuser find für unsicher erklärt worden. Die armen Bewohner wissen kaum, wo fie ein Obdach finden und ihre geringe Habe unterbringen können. Der ganze Ort sieht aus, als ob er mit Shrapnells be schossen worden wäre. An Stelle der Raffinerie wo das Feuer entstand, fieht man einen wirren Haufen von Mauersteinen, verbogenem Eisen, Maschinen und Rädern von Eisenbahnwaggons, großen, viereckigen Balken, welche im Feuer an gesengt und von der Gewalt der Explosion ge spalten worden, verkohlten hölzernen Bassins und Tonnen von chlorsaurem Kali und Schwefel. Ein Schornstein, welcher am äußersten Ende der Raffinerie steht, ist unberührt geblieben. Ueberall sind die Zeichen der Verwüstung zu sehen, nur nicht in einem tief gelegenen Eisen bahn-Durchschnitt. Es standen da mehrere offene Eisenbahnwagen, als sich die Explosion ereignete, doch wurden sie seltsamerweise nicht im gering sten beschädigt. Hunderte von Werkstätten und Häusern und einige Fabriken haben großen Schaden gelitten. Nicht nur flogen Tausende von Fensterscheiben aus den Rahmen, teilweise wurden auch Rahmen mitsamt Mauerwerk fort gerissen. Thüren wurden aus den Angeln ge brochen und zersplittert. Es war nichts Seltenes an dem Unglückstage, arme Frauen, fast ruinierte Habe tragend, weinend aus ihren eigenen demolierten Häusern durch die Straßen nach den Häusern ihrer Bekannten wandern zu sehen. Andere arme Leute verklebten ihre Fenster mit Papier, um Wind und Regen wenigstens etwas abzuhalten. Wieder andere nagelten dünne Brettchen vor die Fenster. Er staunlich ist, daß nur drei Personen getötet und etwa 20 verletzt worden sind. Es hat das seinen Grund darin, daß alle Leute ihre Häuser verlassen hatten und ins Freie gegangen waren, um dem Feuer, das vor der Eplosion aus brach, zuzusehen. Wären fie daheim geblieben, so wäre die Anzahl der Toten und Verletzten bedeutend größer gewesen, da dann viele unter Trümmern begraben worden wären. Kuntes Allerlei. Ein Zweirad für 65 066 Gulden. Ein Diamant- und Goldgrubenbesitzer aus Süd- Afrika sah unlängst auf einer Radfahr-Aus- stellung in Wien ein originelles Zweirad. Die Maschine war aus massivem Gold und Silber gefertigt, aber dabei verhältnismäßig sehr leicht. Die Arbeit selbst war von künstlerischer Voll endung, so daß das Rad besser einen Platz im Museum verdient hätte, als auf schmutzigen Straßen und Chausseen dahinzurollen. Doch der Afrikaner ging auf Freierssüßen und suchte gerade ein passendes Geschenk für seine Zu- künftige. Was konnte jedoch dem verliebten Minenbesitzer gelegener kommen, als dieses goldene Zweirad, zumal die Auserwählte seines Herzens sehr passionierte Radlerin war? Er erkundigte sich daher nach dem Preise und erfuhr, daß derselbe fünfzigtausend Gulden betrage. Eine armselige Kleinigkeit für einen Nabob! Er kaufte es und ließ das Rad außerdem, da ihm das Geschenk noch nicht kostbar genug erschien, mit Edelsteinen besetzen, so daß es insgesamt 65000 Gulden kostete. Ein edler Charakter l In einem bekannten Jnsertionsblatte liest man folgendes Heirats gesuch: „Ein junger Kaufmann, welcher ge sonnen ist, in einigen Monaten sein Geschäft zu begründen, im Alter von 22 bis 25 Jahren, sucht auf diesem Wege, da angeborene Blödig keit ihn bisher abhielt, sich dem schönen Ge schlecht zu nähern, eine Lebensgefährtin, welche in gleichem Alter mit ihm steht und dabei die zu einer glücklichen Ehe nötigen Eigenschaften, einen von äußerlichen Gebrechen freien Körper, hauptsächlich aber ein disponibles Vermögen von 20—30 000 Thalern besitzt. Sollte das Ver mögen das Doppelte der genannten Summe be tragen, so würden sich die Ansprüche auf die persönlichen Eigenschaften um die Hälfte redu zieren und ein noch einmal so hohes Alter kein Hindernis sein." * * * Getroffen. Verheiratete Dame: „Können Sie sich etwas Schlimmeres denken, als Heirat ohne Liebe?" — Ledige Dame: „O ja, — Liebe ohne Heirat." ..-«7. .-»v'. Eines Abends, nach einem Tage, den ich nr schrecklicher Langeweile zugebracht, wurde meine Kerkerthür aufgeschlossen und vom Wärter eine hellbrenneiide Lampe auf meinen Tilch, — er war nicht von Mahagonieholz und hatte keme Marmorplatte mit blumenreichem Teppich, — gesetzt, und zwar mit einer Miene, die ich nicht recht verstand, die aber doch meine Aufmersam- keit rege machte. Gleich darauf trat ein feingekleideter Herr in mein Zimmer, der anfangs seinen Hut aus dem Kopfe behielt, mir nur freundlich zumckte und dann ruhig vor mir stehen blieb und mich mit einem Blick betrachtete, als wollte er damit bis in das Innerste meiner Seele dringen. Ich fand das im ersten Augenblick nicht gerade höf lich und ermutigend, allein ich hatte mich in meinem ersten Urteil über den mir bis dahin Unbekannten geirrt. Denn die Szene änderte sich bald, der Herr nahm seinen Hut ab, setzte ihn auf den Tisch und sagte mit lächelndem Ge sicht zu mir: „Guten Abend, Herr N.l Sie kennen mich wohl nicht, wie?" „Nein, ich habe nicht die Ehre," sagte ich höflich, noch vor ihm stehend, der auch stehen geblieben war und mich unausgesetzt aufmerksam betrachtete. „Nun," fuhr er fort, „wir können uns bei unserer Unterhaltung setzen, und dann wird die nähere Bekannschaft zwischen uns bald eingeleitet sein. Ich bin nämlich der Polizeirat Duncker und habe Sie zu inquirieren. Sie wissen doch was das heißt, obgleich Sie kein Student der Jurisprudenz, sondern der Theologie und also ein zukünftiger Geistlicher sind. Und da wil ich denn gleich von vornherein die Bitte an Sie richten, recht aufrichtig gegen mich zu sein, alle meine Fragen auf das bündigste zu be antworten und mir dadurch nicht allein die Aus übung meines Amtes zu erleichtern, sondern auch Ihre eigene Lage womöglich zu einer besseren Zu gestalten." Und nun begann er mir wenigstens zwanzig Fragen vorzulegen, die sämtlich mein Vorleben bis zu meiner Gefangennehmung, meine poli tische und soziale Gesinnung, meine Familien verhältnisse und meine Aussichten in die Zukunft betrafen. Das alles aber geschah so klar, so um- sichug, so freimütig und fast so herzlich, daß ich nicht umhin konnte, Vertrauen zu dem seltsamen Manne zu fassen, und so sagte ich ihm alles, was er wissen wollte, ohne eine Sekunde mit der Antwort zu zögern oder ihm irgend einen Gedanken meiner Seele zu verschweigen. Dabei gewahrte ich denn sehr bald, daß mein vom hohen Gericht abgesandter Inquisitor ein sehr leicht verständlicher und dabei überaus ge wandter Mann war, der die Fähigkeit besaß, seinen ihm überwiesenen Malifikanten bis auf das tz seines Innern auszuforschen und ihm bis in die tiefste Tiefe seiner Seele zu blicken. Ja, er gefiel mir sehr, und ich glaube hin zufügen zu dürfen, ich gefiel ihm auch, wenigstens bewies er mir sein Wohlwollen schon in den nächsten Tagen auf das unzweideutigste. Denn von jetzt an kam er monatelang fast alle Tage gegen Abend, -hielt sich oft stundenlang bei mir i auf und — ja, das ist das rechte Wort für unsere hochnotpeinliche Unterhaltung: — plauderte mit mir auf die gemütlichste Weise über alle möglichen Dinge, auch über solche, die sich nicht im geringsten aus meine gegenwärtige Lage und mein politisches Vergehen bezogen. Auch wurde er von Tag zu Tag höflicher, freundlicher, ja herzlicher gegen mich, nicht allein mit Worten, sondern auch durch die That. Denn auf sein Geheiß, nachdem ich mich über mein Alleinsein, meine Langeweile und den Mangel an geistiger Beschäftigung beklagt, brachte mir jetzt mein Gefängniswärter zuerst einige Zei tungen, dann Bücher, um die ich gebeten, Papier und Federn, mit der Erlaubnis, an meine Angehörigen und Freunde zu schreiben, natürlich mit dem Bemerken, die fertigen Schreiben geöffnet und nur mit der beigefügten Adresse versehen dem Herrn Polizeirat zu überreichen. So wurden wir allmählich recht gut mit einander bekannt, und ich freute mich jedesmal wenn er kam, zumal er ja der einzige gebildete Mensch war, mit dem ich verkehren und mich unterhalten konnte, und ich gestand mir ein, daß er ein prächtiger Mann sei, und ich mir keinen besseren Inquirenten wünschen könne. Eines Tages — es war ein Sonntag, und ich hatte mich bei dem herrschenden Unwetter den ganzen Tag dämonisch gelangweilt, da ich nicht einmal meinen gewöhnlichen Spaziergang zur Mittagszeit im Gefängnishof abhalten konnte, — kam er, als gerade die kalten Regen tropfen prasselnd gegen mein vergittertes Fenster schlugen, frühzeitiger als gewöhnlich, am Abend zu mir, und gleich hinter ihm trat der Wärter mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern in mein Zimmer, die er vor mich hin auf den Tisch stellte. Der Polizeirat legte Hut und Mantel ab, rieb sich die Hände und bot mir dann, wie er jetzt gewöhnlich that, die Rechte zum Gruß. „Na ja," sagte er mit seinem ewig heiteren Gesicht, wobei ein ironisches Lächeln über seine wohlgerundeten Wangen flog. „Sie langweilen sich heute mehr als billig, nicht wahr?" „Ja, ja, ja," rief ich erfreut, „aber nun lang weile ich mich nicht mehr, da Sie mir heute noch die Ehre Ihres Besuches zu teil werden lassen, auf die ich kaum noch gerechnet hatte." „Aha, das dachte ich mir wohl, versetzte er, „und da es ein so grausiges und kaltes Wetter ist, habe ich uns einen erfrischenden und zu gleich erwärmenden Trank bringen lassen und nun wollen wir zusammen ein gutes Glas Rheinwein — er ist ja deutsches Produkt und harmoniert also mit allen Fasern Ihrer jetzt offen vor mir liegenden Seele, — trinken und dabei wie immer gemütlich plaudern. Aber — erlauben Sie, daß ich mir eine Zigarre anzünde ?" „O, ich bitte Sie," erwiderte ich, „auch ich würde von Herzen gern rauchen, wenn ich nur dürste." „O, Sir dürfen es; warum haben Sie nicht schon längst den Wunsch danach ausgesprochen? — Da, brennen Sie sich eine an, und hier lege ich noch drei Stück davon vor Sie hin, die werden ja wohl bis morgen reichen. Ein Bruder Studio wie Sie raucht ja gern Tag und Nacht, und am liebsten eine — lange Pfeife, nicht wahr?" Po L (Fortsetzung folgt.)
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