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Allgemeiner Anzeiger : 24.05.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-24
- Sprache
- Deutsch
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- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-05
- Tag 1899-05-24
-
Monat
1899-05
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 24.05.1899
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Politische Rundschau. Deutschland. * Bei der Tafel, welche am Donnerstag aus Anlaß des Geburtstages des Zaren in Wiesbaden stattfand, brachte KaiserWil - Helm einen Toast aus, in welchem er in be sonders bemerkenswerter Weise der gleichzeitigen Eröffnung der Friedenskonferenz im Haag ge dachte. Der Kaiser betonte ausdrücklich, daß die Vertreter Rußlands und Deutschlands auf dieser Konferenz ihre Instruktionen in ganz gleichem Sinne erhalten haben. Der Trinkspruch lautet wie folgt: „Zu dem Toast auf die Gesundheit Seiner Majestät des Kaisers von Rußland, den ich wie alljährlich aus vollem Herzen ausbringe, füge Ich am heutigen Tage Meinen herzlichsten Glückwunsch zu dem Beginn der Seiner Allerhöchsten Initiative entsvrungenen Konferenz hinzu. (Zum russischen Botschafter gewandt): Mein verehrter Graf,Mein Wunsch geht dahin, daß es Seiner Exzellenz dem Baron von Staal und dem Grafen zu Münster, zwei erprobten und erfahrenen Staatsmännern, gelingen möge, auf dem Boden der alten bewährten Tradition, die Mein Haus mit dem Seiner Ma jestät und die 'das deutsche mit dem russischen Volke verbindet, gemäß den vom Kaiser und Mir an beide Herren ergangenen übereinstimmenden Befehlen die Konferenz so zu führen, daß ihr Er folg Seine Majestät den Kaiser befriedigen werde. Seine Majestät der Kaiser Nikolaus Hurra I" * Zur Reform der Versicherungs gesetzgebung des Reiches hat Staatssekretär Graf Posadowsky in der Gewerbekommisfion des Reichstages am Donnerstag angekündigt, daß für die nächste Session eine Reform des Unfallversicherungsgesetzes und für die zweit folgende Session eine Reform des Krankenver- ficherungsgesetzes in Aussicht genommen sei. *Ueber das Schicksal der Kanal vorlage bringt die amtliche ,Berl. Korresp.' eine längere Ausführung, an deren Schluß sie unter Hinweis auf die von dem Finanzminister und dem Eisenbahnminister in Aussicht gestellten Entschädigungen die Erwartung ausspricht, „daß nach diesen Erklärungen, sowie nach den für die Verhandlungen im Plenum weiter zugesagten Darstellungen der Staatsregierung, besonders auch im Hinblick auf die dem Kanalprojekt günstigere Zusammensetzung des Plenums des Abgeordnetenhauses das große, die Verbindung des Ostens mit dem Westen des Vaterlandes bezweckende verkehrspolitische Kulturwerk dennoch gelingen werde." *Von agrarischer Seite wird zu Erörte rungen über das Fleischschaugesetz darauf aufmerksam gemacht, daß die Produktion von Kalb-, Rind- und Schweinefleisch im Jnlande von 74 Pfund im Jahre 1883 auf 93 Pfund im Jahre 1897 auf den Kopf der Bevölkerung gestiegen ist, also über den Bevölkerungszuwachs weit hinausgegangen ist. Oesterreich-Ungarn. * Gleich nach Pfingsten werden die deutsch liberalen Mitglieder des böhmischenLand- tages in Prag zusammentreten, um zu be raten, ob sie ihre Mandate niederlegen sollen oder nicht. Die deutschnationalen Ab geordneten find für alle Fälle für die Nieder legung. Frankreich. *Mit dem Pariser Briefträger streik beschäftigte sich am Donnerstag die französische Deputiertenkammer. Sie verwarf nach einer Erklärung des Ministerpräsidenten Dupuy — die Regierung werde es nicht zu- lassen, daß Staatsangestellte in den Ausstand treten können, die Verteilung der Briefe werde in Paris wie gewöhnlich weiter erfolgen, wenn die Briefträger ihren Dienst nicht wieder auf nehmen, würden sie einfach durch andere ersetzt werden, die Regierung werde sich vor keiner Drohung beugen — mit 400 gegen 177 Stimmen eine von dem Sozialisten Millerand beantragte Tagesordnnng, in welchem dem Bedauern Aus druck gegeben wird, daß die den Briefträgem gemachten Versprechungen nicht gehalten worden sind, und nahm mit 383 gegen 112 Stimmen eine Tagesordnung an, in welcher die Erklärung der Regierung gebilligt wird. England. » H * Die ,Daily Mail' erörtert ekneut die Ab - rüstungskonferenz und sagt: Niemand zweifle an der Aufrichtigkeit des Zaren, viel aber an der Aufrichtigkeit der russischen Staatsmänner. Das einzige Ergebnis der Konferenz wird eine Verbesserung der Kriegsgesetze sein. Demselben Blatte wird aus Petersburg gemeldet, daß der russische Kriegs minister augenblicklich die Einführung eines neuen Geschützes für die Artillerie studiere, mit welchem 20 Schüsse in der Minute abge feuert werden können. Wahrscheinlich, um eleganter Salut schießen zu können nach Be endigung der Haager Konferenz. Holland. *Nach einer Mitteilung von zuständiger Stelle wird die Friedenskonferenz drei Kommissionen niedersetzen. Die erste Kommission wird über die Einschränkung der Rüstungen und der militärischen Ausgaben, die zweite über die Festsetzung von Kriegsgesetzen beraten. Die dritte Kom mission wird vom praktischen Standpunkt aus die wichtigste sein und sich mit der Vermittelung und dem fakultativen Schiedsspruch zu beschäftigen haben. Spanien. * Ein hervorragender Karlist erklärte einer Madrider Meldung zufolge, seine Partei werde für jetzt nicht versuchen, die Ordnung zu stören. Man werde warten, bis das Land völlig über zeugt sei, daß die bisherigen Regierungen nicht fähig seien, Spanien der Wiedergeburt entgegen zuführen. Sobald dieser Mißerfolg handgreiflich sein werde, würden die Karlisten einen Aufruf erlassen und den Umsturz herbeiführen. Portugal. *Die Regiemng gab Mittwoch zu Ehren der Offizieredes ersten deutschenGeschwaders ein Bankett zu 250 Gedecken, bei welchem der portugiesische Minister, sowie der deutsche Ge sandte Graf v. Tattenbach und der deutsche Admiral freundschaftlich gehaltene Trinksprüche ausbrachten. Donnerstag fand auf der deutschen Gesandtschaft eine Festlichkeit statt, bei welcher der König und die königl. Familie erschienen. Balkanstaaten. *Der macedonische Kongreß in Sofia hat seine Arbeiten beendet. Es ist ein neues Zentralkomitee gewählt, darunter sind vier Reserve - Offiziere, welche 1895 den Auf stand mitgemacht haben. Der Kongreß hat den selben empfohlen, energischer zu handeln. Afrika. * Neuerdings wird die Verschwörung gegen Transvaal etwas kühler aufgefaßt. Die sieben in Johannesburg Verhafteten wurden Mittwoch früh vor den Landdrost in Pretoria gebracht unter der Anklage des Hochverrats, worauf Todes st rafe steht; sie machen einen verkommenen Eindruck. Es wurden beschworene Aussagen vorgelegt, nach denen von den Ver hafteten 2000 Mann für Militärdienste ange worben sein sollen, mit der Absicht, daß diese Leute in Natal bewaffnet würden, dann nach der Kirste zurückkehrten und auf ein gegebenes Zeichen das Fort von Johannesburg besetzen und es etwa 24 Stunden hielten, bis zur An kunft britischer Truppen. Die Gefangenen wur den nach dem Verhör auf 14 Tage wieder in die Hast abgeführt. — Die Blätter in Pretoria sagen indes, die Regiemng bettachte die Ange legenheit als einen unglücklichen ört lich e n V o r f a l l, der die allgemeine politische Lage nicht störend beeinflusse. Allerdings wur den britische Offiziere, die Kapstadt mit Urlaub nach England verlassen wollten, im letzten Augenblick zurückgehalten, und es heißt, das Truppentransportschiff „Avoca", welches von Simonstown nach England in See zu gehen hatte, habe durch direkte Anweisung der Admiralität Gegenbefehl erhalten. Da man indessen in Kapstadt glaubt, daß den Ver haftungen eine übertriebene Wichtigkeit beigelegt wurde, wird erwartet, daß die „Avoca" binnen kurzer Zeit abfahren wird. Asten. * Die Lage in China wird in den,Times' in einer Mitteilung aus Peking schwarz gemalt. Der russische Gesandte lehne es ab, die Weige rung der chinesischen Regierung, den Weiterbau der russischen Eisenbahn nach Peking zu gestatten, entgegen zu nehmen. China werde, wenn es bei keiner andern Macht Unterstützung finde, bald dem Drucke Rußlands nachgeben. Ein Er gebnis der britischen Politik, die britischen Inter essen im Norden fallen zu lassen, werde ein baldiges Vorrücken der russischen Militärbahn nach Peking sein. Die Chinesen seien in un gewöhnlichem Grade beunmhigt. Deutscher Reichstag. Am 18. d. wird die Beratung desJnvaliden- Versicherungsgesetzes fortgesetzt bei dem den Abschnitt „örtliche Rentenstellen" einleitenden § 51 und den dazu gestellten Anträgen v. Löbell (kons.), Gerstenberger (Ztr.), Richter (frs. Vp.), Albrecht (soz.) und Hilbck (nat.-lib.). Abg. Hilbck (nat.-lib.) begründet seinen Antrag, den Absatz 2 zu streichen, wonach die Landeszentral behörde ermächtigt sein soll, nach Anhörung der Vorstände und Ausschüsse der Versicherungs-An stalten die Errichtung von Rentenstellen anzuordnen. Abg. Stadthagen (soz.) tritt für den Antrag Albrecht ein, die Errichtung der Rentcnstellen obli gatorisch zu machen. Seien die Rentenstellen über haupt gut, so müßten sie jedenfalls obligatorisch sein. Abg. v. Kardorff (freikons.) hält die Schaffung der Nentenstellen für die allerbedenklichste Neuerung, welche die Vorlage bringe. Eine Notwendigkeit zu einer solchen Neuerung liege nicht vor. Von den vorliegen Anträgen gefalle ihm allein der des Abg. Richter, der eine solche Rentenstelle nur durch ein Landesgesetz schaffen will. Sollte der Antrag Richter abgelehnt werden, so würde es seinen Freunden nicht möglich sein, dem ganzen Gesetz zuzustimmen. Staatssekretär Graf Posadowsky: Die Vor lage schlug generell die Schaffung von Rentenstellen vor und ließ nur unter gewissen Voraussetzungen Aus nahmen zu. Die Kommission hat die Einrichtung fakul tativ gemacht und der Landes-Zentralbehörde eine gewisse Initiative eingeräumt, wenn sich ein Bedürfnis herausstellt. In derselben Richtung bewegen sich die Anträge Gerstenberger-Schmidt und v. Löbell. Sie wollen nur eine andere Fassung der Voraussetzungen. Im wesentlichen entnehme ich aus der Verhandlung, daß die Mehrheit des Hauses auf dem Boden der Beschlüsse seiner Kommission steht, also die fakul tativen Rentenstellen will. Und es wird sich auch als durchaus praktisch erweisen, daß überall da, wo sich eine Lokalinstanz als unzureichend erwiesen hat, eine dieser neuen Nentenstellen errichtet wird. Damit fällt auch der Einwand fort, daß die Sache zu kost spielig werde. Der Anttag Richter, der zur Errich tung jeder Rentenstelle ein Landesgesetz fordert, er schwert die Sache außerordentlich. Abg. Hitze (Zentr.): Für uns ist von Anfang an das Bestreben maßgebend gewesen, das Gesetz noch in diesem Sommer zu stände zu bringen. Wir handeln damit im Interesse der arbeitenden Bevöl kerung, nicht derjenigen, die die Verhandlung durch unnötige Anträge und Reden aufhalten. Wir ver zichten deshalb auf die Darlegung unserer Gründe, auch auf die Widerlegung der Gegner. Wir stehen auf dem Boden der Kompromitzvorschläge der Kom mission. Wir werden daher nur die Anträge Gersten berger, Schmidt und v. Löbell annchmen. Abg. v. Loebell (kons.) kann ein Bedürfnis für solche Rentenstellen nur für die großen Städte und Jndustriebezirke anerkennen, er bitte daher seinen Anttag anzunehmen. Abg. Molkenbuhr (soz.) erwidert dem Abg. Hitze, feine Freunde würden sich durch ihn nicht in dem Bestreben hindern lassen, Verbesserungen in das Gesetz hineinzubringen und für sülche Anträge zu sprechen, auch auf die Gefahr hin, daß der Reichstag noch eine Woche länger in den Sommer hinein zusammenbleibm müsse. Auch bei diesen Rentenstellen komme es darauf an, den Arbeitern größere Rechte einzuräumen. Das geschehe durch die Schaffung wirklich sachverständiger Renten stellen, auf die die Arbeiter Einfluß habm durch das allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht. In den Städten und Jndustriebezirken fehle es selten an Sachverständigen, wohl aber auf dem Lande. Des halb dürfe das Platte Land hier auf keinen Fall ausgenommen werden. Abg. Richter: Es kann für die Diskussion nur förderlich sein, wenn Rede und Gegenrede sich folgen. Ueber die Hauptpunkte eines so wichtigen Gesetzes darf man doch den Meinungsaustausch nicht abschnciden. Der Antrag Schmidt-Gerstenberger ist kaum mehr als eine redaktionelle Aenderung der Kommissionsfassung. Denn das geschäftliche Be dürfnis wird sehr leicht nachzuweiscn sein. Die ganze Einrichtung ist einmal zu teuer, sie ist ferner nicht nötig und endlich unzweckmäßig. Die Zahl der von den Schiedsgerichten geänderten Rentenfest setzungen ist prozentualiter sehr gering. Die Füh lung zwischen der Behörde und den Versicherten ist auch jetzt ausreichend vorhanden durch das Institut der Vertrauensmänner. Man sollte lieber diese und die Kontrollbeamten vermehren, als diese Renten- stellcn schaffen, die mindestens zehn Millionen kosten werden. Ich hoffe, daß sich bis zur dritten Lesung alle Gegner der Rentenstellen über eine Fassung einigen werden, durch die dieses Institut möglichst unschädlich gemacht wird. Staatssekretär Graf Posadowsky: Abg. Richter hat wohl scharfe Kritik an den Rentenstellen geübt, er hat aber kein Wort darüber gesagt, was geschehen soll, wenn die unteren Verwaltungsbehörden die Geschäfte nicht mehr erledigen können. Eine Dezentralisation ist aber schon 1895 als dringend notwendig anerkannt worden. Die Kosten der neuen Einrichtung werden wesentlich überschätzt. Alle bis herigen Berechnungen gehen von obligatorischen Rentenstellen aus. Nach den Kommissionsbeschlüssen handelt es sich aber nur um fakultative. Die Ver sicherungsanstalten haben sich als solche keineswegs gegen die Rentenstellen ausgesprochen, sondern nur ein von fünf solcher Anstalten niedergesetzter Aus schuß, und vor allem auch nur deshalb, weil die Anstalten weitergehende Rechte bei der Ernennung der Vorsitzenden haben möchten. Abg. Roesicke - Dessau (wildlib.) wundert sich, daß Abg. Richter eine so schroff ablehnende Stellung gerade in dieser Frage einnehme, wo es sich doch um die Beteilung des Laienelements handle. Die Selbst verwaltung werde durch die Rentenstellen nicht be einträchtigt. Der Antrag Richter würde den Erfolg haben, daß in Preußen mit seinem Dreiklaffen- Wahlrecht, mit seinem Herrenhause, der Landtag darüber zu entscheiden hätte, ob dieses Reichsgcsetz zur Ausführung kommen soll oder nicht. Abg. Moeller (nat.-lib.) hält die gewichtigsten Bedenken gegen die Rentenstellen dadurch für be seitigt, daß sie nach den Kommissionsbeschlüssen nur fakultativ sein sollen. Vertreter derjenigen Parteien, welche das Zustandekommen des Gesetzes wünschten, sollten jedoch zwischen der zweiten und dritten Lesung eine Fassung zu vereinbaren suchen, die auch für diesen Punkt eine Möglichst große Mehrheit sichere. Abg. v. Loebell hat seinen Antrag inzwischen dahin geändert, daß auch die Zustimmung des Pro vinzialausschusses zur Errichtung einer Rentenstelle notwendig sein soll. Damit schließt die Diskussion. In der Abstimmung werden ab gelehnt die Anträge Albrecht, Richter und Hilbck. Bei der Abstimmung über den Prinzipalantrag Loebell (dicht bevölkerte und industrielle Bezirke) bleibt das Büreau zweifelhaft, es kommt daher zur Auszählung. Dieselbe ergibt 92 Stimmen für, 82 gegen den Antrag von Loebell. Das Haus ist mithin nicht beschlußfähig. Die Sitzung muß daher abge brochen werden. Nächste Sitzung Dienstag 6. Juni. Vreutzlflher Zanvtag. Das Abgeordnetenhaus erledigte am Donnerstag in seiner letzten Sitzung vor den Pfingstferien eine Anzahl kleinerer Vorlagen, darunter auch den Ent wurf betr. den Bau von Arbeiterwohnungen in zweiter und dritter Lesung. Ferner wurden eine Anzahl Petitionen erledigt. Das Haus vertagte sich bis zum 6. Juni. Uon Uah und Fern. Berlin. Zwischen einem Trainoffizier und einem Zivilisten hat am Mittwoch früh 6 Uhr im Walde hinter Jagdschloß Stern, auf der linken Seite der Gütergotzer Chaussee, ein Pistolenduell stattgefunden, wobei der Offizier beim ersten Gang einen Schuß in den Arm, beim zweiten Gang einen ihn kampfunfähig machenden Schuß in die Brust erhielt. Geschossen wurde auf zwanzig Schritt Abstand. Der Schwerverwundete wurde mittelst Wagens nach Berlin geschafft. — Ein weiteres Pistolenduell hat am Donnerstag früh im Grunewald in der Nähe von Schlachtensee stattgefunden und eben falls einen blutigen Ausgang genommen. Gegner waren zwei Zivilpersonen. Die Veranlassung gab die Beleidigung einer jungen Dame in Verbindung mit einem nicht gehaltenen Ehever sprechen. Der Beleidiger, der von dem Bruder der Dame unter schweren Bedingungen gefordert worden war, erhielt einen Schuß in die Brust, der ihn wohl das Leben kosten wird. Die Kugel drang etwas seitwärts ein und trat am Rückgrat aus dem Körper wieder heraus. Pirmasens. Wegen Teilnahme an der Maifeier wurde ein Mitglied des hiesigen Krieger-Vereins ausgeschlossen. Der Polizei verfallen. 2) Erzählung von Philipp Galen. (Forts-Sung.) ' Indessen, der Student war in den damals so verlockenden und waghalsigen Jünglingen viel versprechenden Strudel allgemeiner Weltver besserung geraten, und so ereilte auch ihn das über so viele jetzt hochangesehene Männer hereingebrochene Schicksal, — er wurde gefäng lich eingezogen und nach kurzer Untersuchungs haft in Halle nach Berlin gebracht, um hier ein stiller Bewohner der vielbesprochenen Hausvogtei zu werden. Achtzehn Monate dauerte dieser unfreiwillige Aufenthalt in dem, neuen Gästen immer gastfrei seine Hallen öffnenden Hause, da hatten die leitenden Herren des Gerichts endlich heraus gebracht, daß Albert N. eigentlich ein politisch ganz ungefährlicher, ja harmloser Mensch sei, den nur einige tolle Burschenschafter in ihre Netze gezogen, um mit dem schönen, starken jungen Mann bei Gelegenheit eine hübsche Parade zu machen, und nachdem man bei den Behörden seiner Heimat wiederholt Erkundigungen nach seinen Familienverhältnissen eingezogen, die sämtlich außerordentlich günstig lauteten, wurde er der Freiheit an jenem Sonntag wiedergegeben, an welchem wir ihn um die vierte Nachmittags stunde bei uns eintreten sahen. Natürlich erfuhren wir, sobald der arme und jetzt doch so glückliche Adalbert Hunger und Durst gestillt, alle Einzelheiten seiner langen Gefangenschaft, und um dieselben aus kom petentestem Munde dem Leser mitzuteilen, wollen wir ihn hier die hauptsächlichsten derselben selbst vortragen lassen, die, wenn sie auch nichts Ab sonderliches und nie Dagewesenes enthalten, im ganzen doch interessant und zur Charakterisierung einzelner anderweit bekannt gewordener Menschen lehrreich genug sind. „Ja, meine Jungen," sagte der jetzt so glück lich Freigelassene, nachdem er mir und ich ihm in schmeichelhaftester Weise vorgestellt war, „ich habe es eigentlich, wenn ich die pure Wahrheit sagen soll, nicht schlecht in meiner Gefangenschaft gehabt, und in manchen Dingen hat man mich sogar liebevoll behandelt, so daß es mir oft vorkam, als ob die Herren, die mich besuchten und nach allen möglichen Dingen fragten, — man nennt das verhören, — es gar nicht ernst lich mit ihrer peinlichen Untersuchung meinten, sondern nur einem höheren und ihren Gefühlen selbst widerstrebenden Gebot folgten, wenn sie mich als Uebelthäter und Demagogen zu be trachten die Miene annahmen. Zunächst war mein kleines Zimmer, obgleich es aller Bequemlichkeiten, an die ein flotter Studio gewöhnt ist, entbehrte, angenehm genug, im Sommer kühl und im Winter warm, und hier saß ich die ersten vierzehn Monate mutter seelenallein, als ob man mir so hinreichend Zeit lassen wollte, über die begangenen und nicht begangenen Sünden in betreff meines hoch- fliegenden Pattiotismus „fern von Madrid", das heißt bei mir: von meiner schönen Heimat Thüringen, nachzudenken. Auch die Verpflegung ließ manches zu wünschen übrig: Braten, Geflügel, Fische und Kompott, Bordeaux und Rheinwein gab es nicht, und das Dessert beschränkte sich meist auf eine kleine appetitliche Schrippe mit Schweizerkäse, welche mir mein Gefängniswärter dank meiner noch ziemlich gefüllten Börse alle Tage frisch verschaffte. fftreuung in Fülle. Doch nun Hüll ich euch erzählen, welchem Umstand ich mit reinem Male eine Besserung und Lichtung aller moch umgebenden Verhältnisse zu In betreff der Behandlung, von feiten der mir vorgesetzten Personen, vom Lordoberrichter bis zum Gefängniswärter herab, hatte ich nicht zu klagen; man verhätschelte mich zwar nicht wie einen allbeliebten vornehmen Gast und Hausfreund, aber begegnete mir doch wie einem gebildeten und schon durch sein Aeußeres den abgefeimten Bösewicht ausschließenden Menschen, was namentlich in den letzten sechs Monaten sehr bemerkbar war, und zwar aus Gründen, die ich; euch gleich klar zu machen versuchen werde. Was mich anfangs am peinlichsten be rührte, war die Einsamkeit, in der man mich hielt, und zwar glaube ich, aus dem einzigen Grunde, ftm mich erst von allen Seiten kennen zu lernen And zu prüfen, ob ich auch nicht wie Möros den heimlichen Dolch im Gewände trüge. Ja, die .Einsamkeit bedrückte mich in den ersten Monates hart; denn, wie du weißt, Wilm, bin ich von jeher ein geselliger Mensch gewesen, und wenn ich Kuch nie viel in den von Zechern und Rabulisten) überfüllten Kneipen lag, so suchte ich doch gern auf dem Fechtboden, wo ich meine gute Klinge sch agen gelernt, in Konzerten und Theatem und im frohen Umgang mit gleich alterigen und gleichgesinnten Kameraden Unter haltung und Z danken hatte, und da muß ich eines Mannes Erwähnung thun, den ich dem Namen nach schon lange aus verschiedenen Zeitungsberichten und flüchtigen Schilderungen älterer Freunde kannte, der mir nun aber persönlich vor Augen trat und bald einen großen Einfluß auf mich und die Gestaltung meines ferneren Geschickes im Ge fängnis auszuüben bestimmt war. Ja, durch die Bekanntschaft mit ihm, durch sein wahres humanes Wohlwollen gegen mich und die mir merkwürdig gewordene Art und Weise seines inquisitorischen Auftretens geriet ich in eine Art geistigen uud leiblichen Wohlbefindens selbst zwischen den Kerkermauern. Und nun sagt mir zuerst, habt ihr wohl schon einmal von dem Polizeirat Duncker sprechen gehört?" Mein Freund Wilhelm, der nie aus seiner thüringischen Heimat gekommen war und wahr scheinlich auch nicht viele Zeitungen gelesen hatte, schüttelte den Kopf; ich aber, ein geborener Potsdamer und mit den öffentlich auftretenden Gerichtspersonen in Berlin und Umgegend ziem lich vertraut, erwiderte bejahend und sagte, daß ich ihn zwar noch nie gesehen, aber oft als einen sehr geschickten und dabei ganz eigenartig kordialen Polizeimann habe nennen und rühmen hören. Freund Adalbert lachte herzlich auf und sagte: „Nun ja, das unterschreibe ich; gegen mich wenigstens hat er sich sehr geschickt und zugleich eigenartig kordial benommen, indem er mich im Handumdrehen zum vollen Geständnis dessen brachte, was ich zu gestehen hatte, und mir dabei so nahe trat, wie ein polizeilicher Inqui sitor einem politischenGefangenennur treten kann."
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