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Allgemeiner Anzeiger : 29.04.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189904295
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18990429
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-04
- Tag 1899-04-29
-
Monat
1899-04
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 29.04.1899
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Politische Rundschau. Teutschland. * Der Kaiser wird am Freitag, von Karlsruhe kommend, dem schwedischen Königspaar in Wiesbaden einen Besuch abstatten. (König Oskar weilt dort seiner Kur wegen.) * In Wien wird versichert, daß Kaiser Wilhelm zur Enthüllung des Denkmals des Erzherzogs Albrecht am Pfingstsonntag, 21. Mai, nach dort kommen werde. Prinz-Regent Luit pold und der König von Rumänien werden zu dieser Feier gleichfalls erwartet. *Ueber die Einnahme an Zöllen und Verbrauchssteuern im Etatsjahr 1898 liegt der vorläufige Ausweis nunmehr vor. Sie hat insgesamt 779,5 Mill, oder 48,1 Mill, mehr als im vorhergegangenen Jahre betragen. Gegen über dem Etatsanschlag hat die Wirklichkeit ein Mehr von 78 Mill, ergeben. * Staatssekretär v. Podbielski hat in be zug auf den schriftlichen Verkehr zwischen Post und Publikum an die Oberpost direktionen eine bemerkenswerte Amtsverfügung erlassen. Die Verfügung hat, wie wir hören, folgenden Wortlaut: „Eingaben des Publikums sind mit möglichster Beschleunigung zu behandeln. Soweit sie zur Erledigung durch die beteiligte Verkehrsanstalt geeignet erscheinen, find sie an Liese abzugeben; der Absender der Eingabe ist hiervon zu benachrichtigen. Falls die Erledigung bei der, Oberpostdirektion erfolgt und voraus sichtlich nicht binnen acht Tagen geschehen kann, ist ein Vorbescheid zu erteilen." *Wie es heißt, soll im Nachtragsetat auch ein Betrag ausgeworfen sein, um die Er forschung römischer Altertümer auf deutschem Boden einer systematischen Leitung zu unterwerfen. Die römische Altertums- Erforschung in Deutschland wird von zahlreichen einzelnen Sachverständigen und lokalen Vereinen gefördert. Es wird sich deshalb nur darum handeln können, für die sehr ersprießliche Ver- einsthätigkeit eine Art einheitlicher Leitung zu schaffen, welche das Material sammelt, sichtet und für die gesamte Altertumsforschung wissen schaftlich nutzbar macht. *Die bayrische Regierung beabsichtigt eine vollständig neue Organisation des Ge richtsvollzieherinstituts, das ver staatlicht werden soll. Die Gerichtsvollzieher und ihre Beamten sollen in die Kategorie der statusmäßigen Beamten übergesührt werden. Eine entsprechende Vorlage wird nächstens dem Landtage zugehen. *Jn Kiautschou ist ein Gouverne ment s r a t gebildet worden, dem die Beratung des Gouverneurs in Angelegenheiten obliegt, die für die Kolonie im allgemeinen von Be deutung find, sowie auch in sonstigen wichtigen Angelegenheiten. Er besteht aus dem Kom mandeur des 3. Seebataillons, dem stellver tretenden Zivilkommissar, dem Intendanten, dem Chefarzt, dem Hafenbaudirektor und dem Hafen kapitän. Oesterreich-Ungarn. * Zum Schutzeder Singvögel hat der Tiroler Landtag im vorigen Jahre mit Vieler Umsicht ein Gesetz ausgearbeitet, wonach der Fang und das Töten nützlicher Tiere über haupt und zwar in ganz Tirol strengstens ver boten wird. Dieses Gesetz hat die kaiserliche Zustimmung nicht erhalten. Frankreich. *Die vielerörterte Vernehmung des Kapitäns FreystStter vor dem Kassa tionshof hat am Montag stattgefunden. Die Verhandlung geschah „in geheimer Sitzung", was ja erfahrungsgemäß nicht ausschließt, daß die Aussagen trotzdem an die Oeffentlichkeit ge langen können. *Deroulede und Marcel Habert haben an die Anklagekammer eine Denkschrift gerichtet, die bezweckt, darzulegen, daß sie vor einen Staatsgerichtshof gestellt werden müssen, weil sie es unternommen haben, die Regierungsform abzuändern. (Es genügte doch, gegen sie den Paragraphen vom „groben Unfug" anzuwenden!) Belgien. *Die Lage im Streikrevier ist schlimm; die G es amtzahl derStreiken- den beträgt 70 000, die Erregung der Arbeiter massen nimmt zu; die gesamte Garnison ist in Bereitschaft gehalten, da Unruhen. befürchtet werden. Bisher haben sieben Eisenwerke wegen Kohlenmangel den Betrieb eingestellt. Spanien. * Gerüchte über ein Bündnis Spaniens mit Frankreich und Rußland hatten, im Anschluß an Vermutungen über eine bündnis freundliche Stimmung zwischen Italien und Frankreich, jüngst in mehreren Blättern das Licht der Welt erblickt. Darauf hat die Madrider ,Riforma' ein Mitglied der spanischen Regierung befragen lassen, ob jene Gerüchte begründet seien. Aus der Unterhaltung schließt indes das Blatt, daß die gegenwärtige Regierung, unter Aufrechterhaltung herzlicher Beziehungen zu allen Mächten, eine Politik des Alleinstehens befolgen wolle, bis nach erfolgter Vermehrung der Land- und Seestreitkräfte bessere Vorbedingungen für ein Bündnis geschaffen seien. * Die Wahlen zum Senat haben ohne Zwischenfall stattgesunden. Der Polizei in Barcelona gelang es angeblich, ein karlisti - sches Komplott zu vereiteln. Es wurden fünf Personen, darunter ein angeblicher Brigade- General, festgenommen. 40 alte Gewehre wur den beschlagnahmt. In der Gegend von Barce lona herrscht vollständige Ruhe. Voraussichtlich ist es mit dem Komplott nicht weit her. Indessen soll der Kreuzer „Temerario" an der Nordküste Spaniens kreuzen, um eine Landung von Waffen durch die Karlisten zu verhindern. Rußland. *Der Zar wird der Prinzessin Jutta von Mecklenburg, der Braut des Prinzen Danila von Montenegro, eine Aus steuer im Werte von einer Million Rubel zum Geschenk machen. *Die Fertigstellung der vom Kriegsmini sterium beschlossenen Umwandlung der Artillerie wird ausschließlich von russischen Fabriken vollzogen werden; kein einziges Stück wird aus dem Auslande bezogen. Man glaubt, daß die vonständige Umwandlung aller Kanonen und Gewehre in Schnellfeuer-Systeme innerhalb von drei Jahren beendet sein wird. *Die bei der Astronomischen Gesellschaft in Petersburg niedergesetzte Kommission zur Prüfung der Kalenderreform wandte sich an alle Ministerien mit der Bitte, ein Gutachten abzu geben. Die Ministerien der Verkehrswege, des Innern, der Finanzen und des Aeußern sprachen sich dahin aus, daß eine schleunigeReform wünschenswert sei. Die Kommission wird die Arbeiten sofort nach den Osterferien auf nehmen und dieselben voraussichtlich Anfang Juni beendigen. Amerika. * Ungewöhnliches Aufsehen erregt eine Tisch rede, die der amerikanische Kapitän Cogh lan in New Jork über die Behandlung gehal ten hat, die angeblich Admiral Dewey in den philippinischen Gewässern den dort statio nierten deutschen Schiffen und deren Führern hat angedeihen lassen. Coghlans Aus führungen gipfelten in der Behauptung, zuletzt hätten die Deutschen nicht dreimal hinter ein ander Atem zu holen gewagt, ohne zuvor Dewey um Erlaubnis zu bitten. Solche lächerlichen Privatradomontaden eines einzelnen werden hoffentlich die sich wieder besser gestaltenden Be ziehungen zwischen Deutschland und Nordamerika nicht stören. Affen. *Eine amerikanische Depesche aus Manila gesteht zögernd und verschleiernd ein, daß die Amerikaner dort abermals eine Schlappe erlitten haben. Zwei höhere Offiziere sowie acht Mann find gefallen und etwa dreißig verwundet worden. * Um den verheerenden Ueberschwem- mungen desGelbenFlusses in China ein Ende zu machen, weist ein kaiserlicher Er laß das Revenueamt an, 400 000 TaÄs zur Beschaffung des Materials für die Arbeiten am Gelben Flusse und 600000 TaÄs für die Kosten zur Errichtung von Dämmen an den wichtigsten Stellen desselben zur Verfügung zu stellen. Außerdem sollen die Schatzämter des Reiches eine Zahlung von zwei Millionen zur Vertiefung der Flußmündung leisten. Der Er laß befiehlt den Vizekönigen und Gouverneuren der Provinzen, ihr Aeußerstes zu thuu, um das Geld aufzubringen und beauftragt den Gouver neur von Schantung, sofort die Aufsicht über die Arbeiten zu übernehmen. Deutscher Reichstag. Am 25. d. steht zunächst auf der Tagesordnung die erste Beratung des Antrages Liebermann v. Sonnenberg u. Gen. (Antis.) bctr. das Be täuben der Schlachttiere (Verbot deS Schächtens). Abg. Vielhaben (Antis.) begründet den An trag. Er verweist auf verschiedene Staaten, so Sachsen, die Schweiz, wo das Töten durch Blut entziehung ohne vorausgegangene Betäubung durch Gesetz verboten sei. Auch im Deutschen Reiche sollte mau endlich mit einem solchen Gesetz Vorgehen, um Quälereien des Schlachtviehs zu verhindern. Redner schildert eingehend das Verfahren beim Schächten, beruft sich auf sachverständige Gutachten, denen zu folge das Tier drei bis vier, zuweilen sogar bis zu zehn Minuten mit Bewußtsein leide. Ihm selbst seien aus Anlaß seines Antrages zahlreiche Zuschriften zustimmenden Inhalts, auch von Nichtantisemiten, zugegangen. Trotzdem er nur sachlich gesprochen, sei er überzeugt, daß die jüdische Presse aufs schlimmste über ihn herfallen werde. Abg. Lieber (Zentr.): Die Angriffe jüdischer Blätter gegen uns werden uns nie in der Haltung beirren, welche wir in religösen Dingen auch unseren jüdischen Mitbürgern gegenüber stets eingenommen haben und stets einzunehmen gedenken. Uebrigens haben wir Angriffe auch von Antisemiten erfahren, hat man mir doch sogar nachgesagt, daß ich von einer jüdischen Blutter abstamme. Es handelt sich hier um eine religiöse Frage. Sowohl im Reichs tage, wie in den Einzelstaaten, in Baden, in Bayern haben die Führer des Zentrums dies stets aner kannt, auch Windhorst. 1894 haben die Rabbiner Deutschlands ausdrücklich erklärt, das Schächten sei ein ritueller Akt. Wenn somit anerkannte Vertreter einer anerkannten öffentlichen Religionsgemeinschaft sich in diesem Punkte rituell, religiös verpflichtet fühlen, so muß uns das abhalten, einen solchen Eingriff in religiöse, rituelle Vorschriften zu thun. Es ist ja etwas recht Schönes um die Liebe zu den Tieren, alle Hochachtung vor der Schonung der Tiere, aber diese sind nun einmal bestimmt, den Menschen zur Nahrung zu dienen. Redner stellt so dann fest, daß auch die Autoritäten über das Schächten ganz verschieden dächten. Vermeiden wir daher, uns hier auf den Tierschutz zu berufen, und überlassen wir das Schlachtfeld ruhig der anti semitischen Presse, in der Erwartung, von ihr ge- schächtet zu werden. Abg. Kruse (natlib.): Wenn man behauptet, daß das Schächten mit Tierquälerei verbunden sei, so kann ich positiv erklären, daß dies nicht der Fall ist. Ich habe selbst wiederholt beim Schächten zu- gesehen und muß bekennen, daß von irgend welcher Tierquälerei keine Rede ist. Wenn im einzelnen Fall das Gegenteil beobachtet worden ist, so bestätigt das eben nur, daß alle Schlachtmethodcn ihre Un zuträglichkeiten haben. Auch das Betäuben ist oft schwierig, es kommt vor, daß sechs, sieben, acht Schläge nötig sind. Könnte man den Ochsen fragen, nach welcher Methode er geschlachtet werden wolle, so würde er sicher dem Schächten den Vorzug geben. Abg. Rickert (frs. Vgg.): Die Frage, ob der Staat das Recht hat, in religiöse Gebräuche ein- zugreifen, ist für mich keine so einfache wie für Herrn Lieber. Aber hier handelt es sich nur um die Frage: Ist das Schächten wirklich eine Tierquälerei? Der Antragsteller hat dafür nicht den Schatten eines Beweises eingebracht. Und so lange er für seine Be hauptungen nicht den Beweis liefert, erkläre ich sic für eine Unwahrheit. In Sachsen hat 1882 der Minister des Innern von Nostiz auf Grund eingezogener Gutachten das Vorlieacn einer Tierquälerei bestritten. In Baden waren Re gierung und Landtag ebenfalls darin einig, in Bayern war die Kommission einstimmig derselben Ansicht. Ich glaube, es ist das beste, wir lassen es an dieser Generaldebatte genug sein und lehnen den Antrag gleich in zweiter Lesung ab. Abg. Hoeffel (freikons.), ebenfalls gegen den Antrag, stellt fest, auch bei anderen Methoden kämen gelegentlich dieselben Unzuträglichkeiten vor wie beim Schächten. Wir haben eben noch keine sichere Methode. Deshalb müssen wir uns wohl hüten, in alte Gebräuche einzugreifen. Objektive Untersuchungen haben uns dazu keinen Anlaß geboten. Meine Freunde und ich lehnen den Anttag ab. Abg. v. Tiedemann (freikons.) führt auf Grund seiner Erfahrungen als Polizeibeamter in Flensburg aus, für das Betäuben haben wir noch keine sichere Methode. Seine Erfahrungen gehen sogar dahin, und es sei ihm das in seiner amtlichen Eigenschaft als Chef der Landespolizei dort von Tierärzten rc. bestätigt worden, daß das Schächten sogar die zweck mäßigste und am wenigsten grausame Methode sei. In bezug auf den religiösen Punkt stehe er völlig auf dem Standpunkt Liebers, ein Eingreifen würde überhaupt nur zulässig sein aus zwingendsten Gründen. Abg. Oertel- Sachsen (kons.) nimmt für den Staat das Recht in Anspruch, einzuschreiten. Den Gutachten von gegnerischer Seite ständen so und so viel andere Gutachten gegenüber. Er und diejenigen seiner Freunde, die seiner Ansicht seien, würden dabei nur geleitet durch Rücksichten des Tierschutzes. Der Antisemitismus komme ihm hier gar nicht in Frage. Das Mindestmaß des Schmerzes finde sich jedenfalls bei dem Betäuben. Sachsen marschiere hier wieder einmal an der Spitze der Zivilisation. Eine große Anzahl seiner Freunde trete für den Anttag ein. Abg. Schrader (frs. Vgg.) meint gleich seinem Fraktionsgenossen Rickert, es sei den Freunden des Antrages in keiner Weise gelungen, den Beweis für die Verwerflichkeit des Schächtens zu erbringen. Abg. Böckel (Antis.) verlangt, daß die Regie rung wenigstens die Frage prüfe, zumal die Juden von dem geschächtcten Fleisch nur gewisse beste Stücke äßen und alles übrige der christlichen Bevölkerung zu essen überließen. Abg. Liebknecht (soz.) bestreitet zunächst, daß Abg. Oertel nnt der Behauptung recht habe, in Sachsen sei die Mehrheit der Bevölkerung mit dem Schächt- verbot einverstanden. In Wirklichkeit seien die Sozial demokraten nicht damit einverstanden gewesen, und diese bildeten doch die Mehrheit in Sachsen. Die Antisemiten sollten nicht so prahlen mit ihrer humanen Gesinnung. Gegen Menschen zeigten sie diese nicht, denn sonst könnten sie nicht die Juden- hctze betreiben, sonst dürften sie auch nicht Gegner der Bäckereiverordnung sein, da diese doch einer unerhörten Menschenquälerei ein Ziel setzen wollte. Auch gegen Saujagden der Hof-Gesellschaft im Grunewald habe sich noch keine antisemitische Stimme erhoben. Abg. Eickhoff (freis. Vp.) gegen den Antrag, verweist auf die vielen Gutachten, die sich jedenfalls nicht gegen das Schächten aussprächen. Abg. Bindewald (Antis.) erwidert, auf oiese Gutachten lege er wenig Wert, denn der an Geld so mächtigen Judenschaft' falle es nicht schwer, sich Gutachten zu ihren Gunsten zu verschaffen. Abg. Hoffmann- Baknang (südd. Vp.) erklärt, er sei zwar ein Gegner des Schächtens und habe sich in diesem Sinne auch in seinem mehrfach erwähnten Gutachten ausgesprochen, aber für so schlecht halte er das Schächten doch nicht, daß sich ein Schächt- verbot rechtfertigen ließe. Nach einem Schlußwort des Abg. Vielhaben schließt diese erste Beratung. Preußischer Kandtag. Im Abgeordnetenhause wurden am Montag zunächst die Ausführungsgesetze zum Handelsgesetz buch und zur Grundbuch ordnung sowie das Gesetz enthaltend die landesgesetzlichen Vorschriften über die Gebühren der Rechtsanwälte und Gerichtsvollzieher ohne Diskussion der Justizgesetz-Kommission über wiesen. Sodann trat das Haus in die erste Be ratung des Gesetzes bett, die Gerichtsorganisation für Berlin ein. Statt der jetzt bestehenden beiden Land- und Amtsgerichte sollen in Zukunft drei Land- und Amtsgerichte gebildet werden. Justiz minister Schönstedt rechtfertigte die durch das An wachsen der Stadt notwendig gewordene Reform. Maßgebend für den Gerichtsstand dürfe nicht die kommunale Einteilung, sondern nur der Gerichts bezirk sein. Die Vorlage wurde einer besonderen Kommission überwiesen. Nächste Sitzung Mittwoch. Uon Nah und Fern. Berlin. Nach zehntägiger Verhandlung hat der Mordprozeß gegen den Schneider Guthmann aus Frankfurt a. O., der beschuldigt war, die Prostituierte Bertha Singer ermordet zu haben, mit der Freisprechung des Angeklagten geendet. Dieser Prozeß mit seinem Zeugenapparat aus den Kreisen der Dirnen, Kupplerinnen und Zu hälter hat, wie seiner Zeit der Prozeß Heinze, grelle Streiflichter auf die sittlichen Zustände im „dunkelsten Berlin" geworfen. Danzig. Nachdem das Gesetz über den Ankauf der Bernsteinwerke des Geheimen Kom merzienrat Becker vom Landtage angenommen ist, wird der Staatsbetrieb der Bernsteingewin nung am 1. Juli d. beginnen. Zum Leiter der dortigen staatlichen Verwaltung ist der königl. Bergrat Hueck aus Saarbrücken in Aussicht ge nommen, der bereits zur näheren Information hier eingetroffen ist. Durch Keiden zum Glück. 9j Erzählung aus dem Leben v. Oskar Merres. ILorqttzuugq Am Abend war Trude bei der Familie Jänsch, wo der Plan über den Erwerb der Gerickeschen Werkstatt noch einmal ernstlich besprochen wurde. Trude konnte jeden Augenblick den Bettag ihres Legats erheben, und den sehlenden Rest wollte ihr ja Herr von Heimbmg in den nächsten Tagen zustellen. Im Verlauf des nächsten Tages sprach Jänsch mit seinem bisherigen Brotherrn. Der alte Gericke war erst etwas erstaunt, daß der ihm als unvermögend bekannte Gehilfe das Geschäft kaufen wolle. Als er die Sachlage er fuhr, äußerte er sich sehr zufrieden darüber, wie es ihni nur angenehm sei, wenn das von ihm so erfolgreich Geschaffene in solide und fach kundige Hände komme, und versprach, die übrigen Uebernahmebedingungen möglichst leicht stellen zu wollen. Am dritten Tage nach der Ueberfiedelung Trudens erschien Herr von Heimburg bei ihr. Die Uebergabe des gewünschten Darlehns war nur ein Vorwand, sie in ihrer kleinen einsamen Häuslichkeit besuchen zu können. Er wußte sehr wohl, daß das Herz seines Mündels, wie er das Ziel seiner immer stärker erwachenden sinn lichen Begierde nannte, nicht auf leichtgeschürzte Manier zu gewinnen war. Deshalb hielt er es für angebracht, die Miene des leidenden Ehe mannes anzunehmen, um zunächst das Mit gefühl des weichherzigen Mädchens zu erwecken. Er traf damit auch den richtigen Weg, um Truden neben dem Dank, welchen sie ihm für die bereitwillige Hergabe des Darlehns schulden mußte, auch noch ein tieferes Mitgefühl für den mit äußeren Vorzügen so reich ausgestatteten Mann einzuflößen. Herr von Heimburg war so vorsichtig, den errungenen Vorteil nicht gleich zu weit zu ver folgen; er hoffte sein Ziel im langsameren Vor gehen um so sicherer zu erreichen. Wie wenig kannte er das Mädchen, welches er ebenso leichtsinnig, als er bisher gelebt, seiner sündhaften Neigung zu opfern gedachte. Als Arno gegangen war, lehnte sich Trude mit schwermütigem Blick in ihren Stuhl zurück. Sie dachte nicht an den verratenen Gatten, der soeben mit elegischem Angesicht von ihr geschieden; vor ihrem Geiste tauchte die einem Phantom nachjagende schöne Koufine auf, deren Unglücks stern nur die ränkevolle, für jeden Preis ihre Herrschaft sichernde Tante Friederike war. 8. Trude lebte jetzt ruhig und zufrieden, ihre Zeit mit Handarbeiten und guter Lektüre aus füllend. Des Mittags begab sie sich zu Frau Marie, um an dem höchst einfachen, aber kräftigen Mahl teilzunehmen, und abends be suchte sie diese wohl in Gesellschaft des Bruders, wenn sie ihn nicht in der sie vergötternden Familie verbrachte. Die Geldangelegenheit betreffs der Ueber- nahme der Gerickeschen Werkstatt war erledigt, und die beiden bisherigen Gesellen hatten für ihren Uebertritt zur selbständigen Meisterschaft sehr viel zu thun. Das Herbstwetter mit seinen unfreundlichen Regenschauern war eingetreten, und Trude saß in Gedanken versunken an ihrem blumenge schmückten Fenster, mit träumerisch glücklichem Blick in die graue Abenddämmerung hinaus schauend. Wie ruhig lebte sie doch in ihrem kleinen wohligen Nest, fern von aller Pracht und den Menschen, die das Leben nur von der glän zenden, geräuschvollen Außenseite lieben. Das Bild des einfachen Handwerkers stieg in seiner ganzen Treuherzigkeit vor ihrer Seele auf, und wie siegreich stand es neben den mit glatten Worten und eleganter Umhüllung sich brüstenden Herren der sogenannten besseren Gesellschaft. Sie lächelte innig vor sich hin und war glücklich in ihren stillen Gedanken. Da klopfte es schüchtern an ihrer Thür, und als sie öffnete, stand Fritz vor ihr. Er kam heute zum ersten Mal allein, denn Frau Marie hatte große Wäsche, auch nicht mit leeren Hän den, denn sorgsam eingewickelt trug er in seinem Arm eine eben in seinem Frühlingsgarten neu erblühte Geranie. Und als Trude die von ihrer losen Hülle befreite Blume auf dem kleinen Tisch vor sich hatte, da liebkoste sie die an den Frühling mahnenden tieftoten Blüten, und dann lächelte sie den verlegenen Geber freundlich an. „In solchem Wetter denken Sie sogar mit einem Blumengruß an mich?" Fritz saß dem jungen Mädchen gegenüber; aber jetzt, wo er wieder allein mit ihr war, fand er kein Wort, und in seinem Herzen lebte doch eine ganze Welt von himmelan strebenden Ge danken. Und gerade das volle Herz war es, was ihm den Mund erschloß. Trude lächelte wieder, und ihr Herz jubelte über den schüchternen Liebhaber. „Aber, lieber Fritz, warum sind Sie denn immer so still, wenn Sie die seltene Gelegenheit haben, mit mir allein zu sein?" Das frische offene Gesicht des jungen Mannes wurde wie mit Blut übergossen. Er nickte nm, und feinen Lippen konnte man es anmerksn, daß er nach Worten suche. „An jenem Abend, wissen Sie auch noch, da wo Sie mich nach Haus begleiteten, be kamen Sie doch Plötzlich einen so fließenden Vortrag!" Fritz saß auf der Folter seines dreimal in mädchenhafte Schüchternheit eingewickelten Em pfindens. Er hatte ja noch nie eine eigentliche Liebeserklärung gemacht, und da an dem unver geßlichen Abend, was mochte er nicht für Unsinn zusammengesprochen haben. „Ja," würgte er krampfhaft heraus, „da waren Sie so freundlich zu mir, und da bin ich — wohl zu weit gegangen!" „Nur bis an meine Hausthür, lieber Fritz l Aber jetzt sitzen Sie doch so traulich vor mir, und — wissen nicht weiter!" „Ja," wiederholte der arme Fritz wie in einem überwältigenden Taumel, und wagte nicht, in das schelmisch lächelnde Gesicht des anmutigen Mädchens zu schauen. „Wie wankelmütig doch die Männer sind," scherzte diese in komischem Ernst, — „auch Sie! — Sagten Sie mir nicht da, daß Sie mir von Herzen gut wären, und wenn ich ein
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