Volltext Seite (XML)
Politische Rundschau. Deutschland. * Auf Befehl desKaisers werden sämtliche Schiffe des ersten Geschwaders am Tage von Eckernförde (15. April 1818) vor Eckernförde ankern. * Ter Kaiser hat an den Reichs kanzler Fürsten zu Hohenlohe fol gendes Telegramm gerichtet: „Ich freue Mich, Euer Durchlaucht zur heutigen Vollendung Ihres achtzigsten Lebensjahres Meine wärmsten Glückwünsche aussprechen zu können. Gott der Herr hat Sie in Ihrem Leben und in Ihrer Arbeit bisher sichtbar gesegnet. Er wolle Ihnen auch ferner Gesundheit und Kraft ver leihen, damit Ihre ausgezeichneten Dienste Mir und dem Vaterlande noch lange erhalten bleiben mögen. Ich weiß Mich eins mit Meinen hohen Verbündeten und dem ganzen deutschen Volke, wenn Ich Ihnen auch an Ihrem heutigen Ehrentage die Gefühle tiefempfundenen Dankes zum Ausdruck bringe für die ausopfernde Treue, mit welcher Sie als ein leuchtendes Vorbild Ihres so verantwortungsvollen Amtes walten. Ihr wohlgeneigter Wilhelm, I. L." * In der Samoafrage sollen jetzt die drei beteiligten Mächte die Entsendung einer Spezialkommission beschlossen haben, die an Ort und Stelle in unparteiischer Weise die Sachlage prüfen und sodann die ent sprechenden Maßnahmen anordnen soll. * Die neue Militärstrafgerichts- Ordnung, die nach dem zugehörigen Ein führungsgesetz bis zum 1. Januar 1901 in Kraft gesetzt sein muß, soll nach den ,Leipz. N. N.' im Herbst 1900 in Geltung treten. Der nächste Etat wird daher ziemlich beträchtliche Mehrsorderungen infolge der großen Vermehrung der Militärjustizbeamtenstellen enthalten. * Der FreihafenbezirkvonDanzig- Neufahrwasser, dessen Errichtung durch Bundesratsbeschluß vom 24. Oktober 1895 an geordnet wurde, sollte am Mittwoch feierlich er öffnet werden. Der neue Freibezirk ist sür den Danziger Handel von hoher Wichtigkeit. Im Auftrage des Ministers für Handel und Gewerbe sollten mehrere höhere Ministerialbeamte der Er öffnungsfeier beiwohnen. *Die Preuß. Regierung hat in Brüssel zum 30. Juni d. das bisher geltende Abkommen gekündigt, das den im preußisch-bel- gischenGrenzbezirk vorhandenen Fabrik betrieben gewisse Erleichterungen bezüglich der Ein- und Ausfuhr von Roherzeugnissen und Halbfabrikaten zubilligt. Oesterreich-Ungarn. *Erzherzog Ernst Rainer, der Sohn des ehemaligen Vizekönigs der Lombardei und Venetiens, ist 75 Jahre alt in Arco (Süd tirol) gestorben. Aus seiner kriegerischen Lauf bahn ist er durch die Vertreibung Garibaldis aus Toskana (1848) bekannt. Frankreich. *Der ,Figaro' veröffentlicht rechts widrig die Aktenstücke über die von der Kriminalkammer in der Dreyfus- Revisions-Affäre geführten Verhand lungen. Die Negierung hat sofort eine Unter suchung angeordnet. * In der Dreyfus-Angelegenheit setzt der,Figaro' allen bereits gegen das Blatt eingeleiteten gerichtlichen Schritten zum Trotz seine Veröffentlichungen von Aktenstücken aus den Verhandlungen des Kassationshofes fort. Besonders günstig für Dreyfus lautet die am Sonntag veröffentlichte Aussage des Ministerpräsidenten Dupuy vor dem Kassationshofe. Derselbe erzählte, wie der General Mercier den Fall Dreyfus zur Kenntnis der übrigen Minister brachte, welche im staftgehabten Ministerrat vom 1. November 1894 beschlossen, eine Untersuchung einzuleiten, obwohl Hanotaux mit Rücksicht auf die Herkunft des Bordereaus dagegen Bedenken äußerte. Dupuy erklärte weiter, er habe von dem Ge heimaktenstück persönlich erst Kenntnis genommen, als dasselbe dem Kassationshofe mitgeteilt wurde und habe von demselben früher nur indirekt sprechen hören. Er gebe zu, daß er im Laufe eines Gespräches mit Poincarö und Lanesfl geäußert habe: „Ich srage mich, ob wir .: Jahre 1894 nicht Opfer einer Täuschung waren." * Der frühere Abg. Jaurss, welcher in Paris, anläßlich der Einweihung des neuen sozialistischen Vereinshauses weilt, erklärte gegenüber einem Vertreter der Presse, die V e rö f s e n tli chun g des .Figaro' bedeute die vollständige Niederlage des General st ab es und aller seiner Anhänger, etwas anderes als die volle Unschuldigerklärung Drey- f u s' durch den Kassationshof sei ausgeschlossen. Andernfalls würde kein Verteidiger Dreyfus' den Kampf für Recht und Gesetz aufgeben. * Mathieu Dreyfus richtete an die ,Agence Havas' einen Brief, in welchem er die Behauptung, er habe direkt oder durch Ver mittelung anderer Esterhazy oder dem Fräu lein Pays Geld angeboten, damit Esterhazy sich als Verfasser des Bordereaus bekenne, in aller Form für unwahr erklärt. Italien. *Eine römische Meldung konstatiert, daß in der öffentlichen Meinung Italiens die Be denken, welche das englisch-fran zösische Uebereinkommen bezüglich Asrikas wachgerufen hat, sich verstärken. Es findet die Besorgnis immer lebhafteren Ausdruck, daß durch die Konvention das Gleichgewicht im Mittelmecre, welches schon durch die fran zösische Okkupation in Tunis eine Erschütterung erlitten hat, neuerdings eine Ver schiebung zu Ungunsten Italiens erfahren könnte. So ernste Erwägungen aber auch in allen politischen Kreisen, inbegriffen die leitenden, an die möglichen Wirkungen der englisch-französi schen Abmachungen geknüpft werden, wäre es doch vollständig unzutreffend, zu vermuten, daß Italien die tripolitanische Frage auf zuwerfen beabsichtige. * Dem Vatikan wird eine in freundschaft lichstem Tone gehaltene russische offi- ziöseMitteilung zugehen über die Gründe, aus denen von seiner Zuziehung zurFriedens- konferenz abgesehen werden muß. Dänemark. * Gegenüber Nachrichten über politische Pläne Dänemarks inOstasien stellt ,Ritzaus Büreau' fest, daß die Aussendung eines Kreuzers nach den ostasiatischen Gewässern lediglich den Zweck habe, die gegenwärtige Handelspofition Dänemarks in Siam und China zu befestigen, und daß man keinerlei politische Zwecke damit verfolge. Balkanftaalen. * Das ganze griechischeKabinett ist zurückgetreten. *Wie aus guter Quelle verlautet, hat bei Kizil - Avatsch an der Bahnlinie Jamboli- Adrianopel ein ernsterer Zusammenstoß zwischen türkischen und bulgarischen Grenztruppen stattgefunden. Die Türken griffen die schwachen bulgarischen Grenzposten an, wurden jedoch mit Hilfe der bewaffneten Bevölkerung zurückgeworfen. Der Kampf dauerte 4 Stunden, auf beiden Seiten sind Ver luste an Toten und Verwundeten zu verzeichnen. Anlaß zum Kamps bot der von türkischer Seite gemachte Versuch, sich einer bisher in bulgari schem Besitz befindlichen Anhöhe zu be mächtigen. Amerika. * General Brooke hat beschlossen, die drei Millionen Dollar, welche die Ver. Staaten der Armee der Kubaner bewilligt haben, nach Washington zurück- zuschicken, da er über die Verteilung des Geldes keine Entscheidung zu treffen vermag. Natürlich werden die cubanischen Revolutions helden, die infolge des Entschlusses von General Brooke jetzt gar nichts erhalten, erst recht unzu frieden sein. Der Vorgang wird vielleicht dazu führen, die Unzufriedenheit auf Cuba gegen die amerikanische Herrschaft zur offenen Flamme an zuschüren. Asten. * Nachdem die christenfeindlichen Unruhen in Südschantung neuerdings einen Charakter angenommen haben, die das Leben der dort thätigen deutschen Missionare und Ingenieure ernstlich bedroht erscheinen läßt, ist zum Schutz dieser Reichsangehörigen die Ent sendung einer militärischen Expedition in die Ausruhrgegend von der kaiserlichen Regierung angeordnet worden. Die Expedition, aus der Besatzung von Tstntau entnommen, ist von dort an Bord des Dampfers „Gefion" am 29. v. abgegangen. * Nach einem Telegramm der .Neuesten Nachr.' ist es vor allem das durch die Ueber- schwemmung des Gelben Flusses hervorgerufene schreckliche Elend, welche die Gärung in der Bevölkerung verursacht. Das Vorgehen der Deutschen hat in Peking große Beunruhigung hervorgerufen. Die Behörden wüuschen alles, was den Ursprung zu Reibungen bilden könnte, zu beseitigen, da sie eine weitere Ausdehnung der deutschen Ver waltungssphäre fürchten; so wurden ganz plötzlich drei Gerichtsbeamte abgesetzt. Der Umstand, daß fast das gesamte deutsche Geschwader ver eint bei Kiautschou liegt, wurde als ein An zeichen dafür angesehen, daß Operationen be vorstehen. Ueue Kämpfe auf Samoa. Das Londoner,Reutersche Büreau' verbreitet folgende Depesche aus Apia vom 23. März: Admiral Kautz hat eine Zusammenkunft der Konsuln und der ältesten Flottenoffiziere an Bord der „Philadelphia" veranstaltet, da Mataafa und die zu ihm haltenden Häuptlinge fortführen, im Widerspruch mit dem Berliner Vertrag zu handeln. Die Versammlung beschloß, die pro visorische Regierung zu desavouieren. Infolge dessen erließ Admiral Kautz eine Proklamation, in der Mataafa und seine Häuptlinge aufgefor dert wurden, nach ihren Wohnplätzen zurück zukehren. Mataafa verließ darauf Mulinu und ging ins Innere. Der deutsche Konsul erließ seinerseits eine Gegenproklamation. Die Mataafa- Leute versammelten sich kriegsmäßig und um zingelten die Stadt. Der britische Kreuzer „Royalist" brachte die gefangen gehaltenen An hänger der Malietoapartei von den andern In seln herüber. Die Amerikaner befestigten Mulinu, wohin sich 2000 Eingeborene der Malietoa- Partei flüchteten. Die Mataafa-Leute ver barrikadierten die Straßen innerhalb der Gren zen der Munizipalität und besetzten britische Häuser. Darauf wurde ein Ulimatum an die Mataafa-Leute gesandt, in welchem sie aufgefor dert werden, das Gebiet der Munizipalität zu räumen, sonst werde am 15. März um 1 Uhr die Beschießung beginnen. Die Mataafa-Leute kümmerten sich nicht um das Ultimatum und und begannen, die Stadt anzugreifen. Auf An weisung des amerikanischen und des britischen Konsuls eröffneten nunmehr die Kriegsschiffe „Philadelphia" und „Royalist" das Feuer auf die abgelegenen Dörfer eine halbe Stunde vor dem festgesetzten Beginn der Beschießung. Bei der dichten Bewaldung des Geländes erwies es sich sehr schwierig, den Standort der feindlichen Partei festzustellen. Einige Dörfer am Ufer standen bald in Flammen. Ein fehlerhaftes Geschoß der „Philadelphia" platzte bei dem amerikanischen Konsulat; von den davorstehen den Marinesoldaten wurde einem das Bein zer schmettert, das amputiert werden mußte. Ein Spengstück von eben diesem Geschosse schlug durch das deutsche Konsultat und zertrümmerte das Küchen-Geschirr. Die Deutschen begaben sich darauf an Bord des „Falke." In der Nacht machten die Anhänger Mataafas einen scharfen Angriff auf die Stadt und töteten drei britische Matrosen. Ein britischer Marinesoldat wurde von einer britischen Schildwache versehentlich in die Beine, ein anderer in die Füße geschossen. Ein amerikanischer Wachtposten wurde an seinem Platze getötet. Die Beschießung dauerte acht Tage mit längeren Pausen an. Die Bewohner der Stadt flüchteten an Bord des „Royalist", der gedrängt voll Menschen war. Viele verließen Samoa, denn der Käpitän des „Royalist" er suchte sie dringend darum, damit sie die militä rischen Operationen nicht behinderten. Wieviel Eingeborene getötet wurden, ist noch nicht anzu geben. Das brititische Kriegsschiff „Porpoise" nahm ebenfalls an der Beschießung Teil. Es beschloß die Dörfer östlich und westlich von Apia und nahm viele Bote weg. Die Englän der und die Amerikaner kämpften zusammen. Die Stimmung gegen die Deutschen ist sehr er bittert (I) Ein Engländer und ein Deutscher wurden als Spione verhaftet. Das englische Kriegsschiff „Taurauga", welches auf dem Wege nach Tonga dem Vernehmen nach begriffen war, wurde bei den Fidschi-Inseln auf seinem Wege angehalten. In Berlin liegt über diese neuesten Vorfälle in Samoa bis jetzt nur folgendes amtliche Tele gramm vor: Apia, 20. März. Das Bombardement dauert fort. Auf militärische Anordnung find viele Wohnungen von Weißen geräumt worden. Die auf andere Insel verbannt gewesenen Häuptlinge der Tanupartei sind nach Upolu zurückgebracht. Den Anhängern Tanus wurden die ihnen am 2. Januar abgenommenen Feuerwaffen nebst Munition zurückgegeben. Wie weit die obigen, von dem Londoner Nachrichtenbüreau ausgehenden Mitteilungen sich bewahrheiten, läßt sich noch nicht erkennen. Jedenfalls erweckt der eine Satz: „Die Stim mung gegen die Deutschen ist sehr erbittert," bedeutendes Mißtrauen und steht auch im Wider spruch zu einer anderen Londoner Meldung, daß die Verhandlungen zwischen den Regierungen Deutschlands, Großbritanniens nnd der Ver. Staaten über die Samoa-Frage in freundlicher und zufriedenstelleirder Weise fortgeführt wür den. Was nützen diese „freundlichen" Verhand lungen, wenn sie den Kämpfen und dem Blut vergießen auf Samoa nicht ein Ende bereiten und eine Lösung heibeiführen, die dauernd den Streit zwischen den Vertretern der drei Schutz mächte und damit auch den zwischen den Par teien der Eingeborenen aufhebt. Uon Nah und Fern. Hamburg. Als Belohnung erhält der Kapitän der „Bulgaria", Schmidt, von der Verwaltung der Hamburg - Amerikalinie 15 000 Mark, der erste Offizier Kuhls wird außer der Reihe zum Kapitän befördert; er erhält außer dem 3000 Mk. Der erste Maschinist Bernhard rückt in die höchste Gehaltsklasse eines Ober maschinisten und erhätt 5000 Mk. Der zweite Offizier Schaerges wird befördert zum ersten Offizier mit einem Geldgeschenk von 2000 Mk. Der dritte Offizier Moll wird befördert zum zweiten Offizier mit einem Geldgeschenk von 1000 Mk. Entsprechende Geschenke und Rang erhöhungen erhält auch die Mannschaft. Bromberg. Den sämtlichen Bahnbeamten, Bahnarbeitern, sowie Beamten und Arbeitem des Proviantamts in Bromberg ist von den vor gesetzten Dienststellen der fernere Gebrauch der polnischen Sprache im Verkehr untereinander streng untersagt worden, ebenso das polnische Grüßen auf der Straße und das Abonnement auf polnische Zeitungen. Die Uebertretung dieses Verbots zieht sofortige Dienstentlassung nach sich! Sömmerda. Dem Erfinder des Zünd- nadelgewehrs, dem verstorbenen Kommisfionsrat H. v. Dreyse, soll hier an der Stätte seines erfolgreichen Schaffens ein Denkmal errichtet werden. Der Gedanke ist von alten Arbeitern und Beamten der Dreyseschen Werke angeregt worden. Stettin. Eine Feuersbrunst zerstörte in der Nacht zum zweiten Feiertage das Logierhaus „Zum grünen Jäger". Die Feuerwehr fand beim Aufräumen des Schuttes die verkohlte Leiche eines Invaliden namens Steffens. Ein italienischer Handelsmann, der während des Brandes aus dem Fenster sprang, wurde schwer verletzt nach dem Krankenhause geschafft. Rudolstadt. Die Stiftsdame Fräulein Jottina v. Holleben ist wegen vieler Werke der Wohlthätigkeit und Nächstenliebe von der Stadt Rudolstadt zur Ehrenbürgerin ernannt worden. Greiz. Die Landesregierung hat den zwi schen dem Fürstentum und dem Königreich Sachsen bestehenden Lotterievertrag für Ende 1900 gekündigt. Wahrscheinlich ist ein Anschluß an die thüringische Lotterie geplant. Durch Keide« xum Gluck. 3) Erzählung aus dem Leben v. Oskar Merres. lDonsetzimg.; Frau Jänsch war ganz rot geworden. Solche Aufmerksamkeit und Güte von einem so vor nehmen Fräulein, das war fast zu viel für die einfache Frau. „Ach du mein Herrgott, von dem reichen Herrn Bendheim, ich weiß ja, ich wasche ja für seinen Portier, und Sie, allerbestes Fräulein, — wie sind wir kleinen Leute nur so viel Liebe wert!" Trude stand ganz glückselig auf und legte die schmale behandschuhte Rechte auf die beiden erhobenen und gefalteten Hände der gerührten Frau. „Das ist ja für meinen guten Onkel nur eine Kleinigkeit, und Sie müssen es auch so aufnehmen. Aber nun möchte ich noch ihrem krankest Mütterchen etwas Trost zusprechen!" Und dann trat sie an das schmale dürftige Bett und streichelte die eingefallenen Wangen der Kranken. „Sie haben gewiß recht große Schmerzen ausgestanden, noch zumal bei Ihrem Alter, und es wird Ihnen daher nur wohlthun, daß Sie so treue Pflege bei Ihren Kindern finden!" Die alte Frau schaute nur auf das liebliche weiße und durch ein unendlich glückliches Ge fühl so rosig angehauchte Gesichtchen, das sich so liebevoll zu ihr herabneigte. Sie wollte sprechen, aber das volle Herz ließ kein Wort über die Zuuge; nur Thränen, reiche Glücks- chränen sprachen ihre Antwort. Frau Jänsch stand zwischen dem Bett und dem Tisch, wo Andreas behutsam die vielen mitgebrachten süßen Kleinigkeiten auspackte. Ihr war überhaupt nicht klar, ob das alles lauter reine Wirklichkeit sei; — ein solch feines, herziges, seelensgutes Fräulein an dem ärmlichen Lager ihres teuren Mütterchens, wie ein lichtverklärter Weihnachtsengel. Sie hatte ja nie geahnt, daß die reichen Menschen auch ein solches Herz haben können. Aber dann plötzlich, wie aus dem aufge drungenen Zauber erwachend, flog sie auf Trude zu, und legte ohne Scheu ihren Arm um deren Taille, sie mit glänzenden Augen fast andachts voll anschauend: „Mein einziges bestes Fräulein, so glücklich bin ich noch nie gewesen. Sie glauben gar nicht, wie wohl uns kleinen Leuten solche Herz lichkeit thut!" Ein pausbäckiger Knabe von etwa drei Jahren kam jetzt durch die angelegte Kammer- thür in die Stube getrottet und blieb mit großen Augen stehen. „Muttä, wä is 'n die da?" fragte er, un geniert auf Trude die fünf Finger seines Händ chens ausspreizend. Diese wandte sich nach der Hellen Stimme um und schaute den kleinen, nur mit Hemd und kurzen Höschen bekleideten Burschen mit gleich Hellem Kinderblick an. Dann bückte sie sich uiü> hob ihn trotz seines lebhaften Strampelns in die Höhe. „Wie heißt du denn, mein hübscher Junge?" Doch der schaute wieder auf seine Mutter, als erwarte er von dort seine Vorstellung. Und. sie trat stolz und glücklich näher, und strich ihm das blonde zerzauste Lockenhaar glatt. „Sprich doch, wie heißt du, — du wirst der lieben Dame das schöne seidene Kleid ganz zer knittern. Der Kleine langte mit dem einen Händchen nach seiner Mutter, mü dem andern nach Trudens blitzender Brosche. „Willst du wohl artig sein, —sprich: —Karl Jänsch!" „All änsch!" pustete der zur selbsteigenen Vorstellung gezwungene Krauskopf heraus, und schlug dabei mit beiden Patschhändchen an Trudens Wangen, daß diese zuerst den Kopf zurückbog und dann herzlich auflachte. „Nein, aber so was von dem Bengel, — geben Sie ihm einen tüchtigen Klaps, liebes Fräulein, — er ist ja gar nicht wert, daß Sie so gut zu ihm sind!" „Ach, der kleine Bube ist so herzig," ent schuldigte ihn Trude und fuhr über sein Locken haar, „er ist gewiß Großmütterchens größte Freude." In diesem Augenblick wurde die Stubenthür halb geöffnet; zwei Männer mit arbeitgeschwärzten Gesichtern standen da draußen, aber schlossen die Thür sofort wieder. „Das ist mein Mann und mein Bruder, erklärte die junge Frau, „sie kommen von der Arbeit, und schämen sich gewiß, in ihren staubigen Anzügen hereinzutreten." „Ja, ich muß ja auch gehen," erinnerte sich Trude; sie setzte den kleinen Burschen wieder herab, und reichte der alten Frau ihre Hand. „Sie müssen mir schon erlauben, daß ich mich nächstens wieder nach Ihrem Befinden er kundige !" Die Kranke brachte nur ein hastiges „ja, ja" heraus, und Frau Jänsch sagte etwas verlege«: „wenn ich nur wüßte, wie wir unsern Dank —" Trude lächelte. „Wenn ich wirklich wieder kommen darf, müssen Sie mir schon verspreche», nicht über leicht verdienten Dank, sondern über alle andem Dinge plaudern zu wollen!" Die junge Frau machte ein wunderlich Ge sicht, aber meinte dann aufrichtig: „Ich will alles, was Sie wünschen, wenn Sie nur damit zu frieden find!" Andreas stand mit seinem leeren Korbe an der Thür und machte Trude Platz. Diese er faßte beim Hinausgehen noch einmal die Haud der jungen Frau und flüsterte ihr freundlich zu: „Also auf baldiges Wiedersehen!" Draußen aber schauten die beiden ge schwärzten Männer verblüfft auf die elegante Erscheinung, welche bei ihnen mit artigem Gruß vorüberrauschte, gefolgt von dem würdevoll ihnen zunickenden Andreas. 3. Arno von Heimbnrg hatte es eilig. Rach drei Tagen, wo er seine Werbung um Frieda angebracht hatte, war in den Bendheimsche» Prachträumen eine glänzende Gesellschaft ver sammelt, um die Verlobung der reichen Erbin mit dem vielversprechenden Träger eines alten adligen Namens zu feiern. Trude hatte erst gebeten, von dem großartig vorbereiteten Fest fernbleiben zu dürfen, aber sie mußte den Bitten Friedas nachgeben, welche