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Allgemeiner Anzeiger : 01.04.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189904015
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18990401
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- Zeitungen
- Saxonica
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-04
- Tag 1899-04-01
-
Monat
1899-04
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 01.04.1899
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Politische Rundschau. Deutschland. *Die bei der .Einführung der grauen Mäntel den Offizieren vom Kaiser bewilligte Frist zum Aufträgen der schwarzen Mäntel ist am 1. April abgelaufen. Von diesem Tage an haben die Offiziere nur die grauen Mäntel zu tragen. *Der Reichskanzler begab sich am Dienstag nach Baden-Baden, wo er seinen 80. Geburtstag und die Ostertage verleben wird. * Gegenüber anderweitigen Meldungen, die bereits eineT eilungderSamo a-J nseln unter die drei Mächte in Aussicht stellen, erfährt die Most', daß die Verhandlungen sich zur Zeit im Sinne einer Beibehaltung der Samoa-Akte bewegen. Auch von anderer Seite wird bestätigt, daß die deutsche Regierung durchaus an dem Berliner Vertrage festhält. Allerdings ist im Verlauf der Unter handlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und mit England von deutscher Seite unter anderem auch die Teilung der Inseln unter die drei interessierten Mächte angeregt worden. Dieser Plan hat jedoch insbesondere bei England so wenig Anklang gefunden, daß er als aufgegeben angesehen werden darf. * Bei den deutschen Anspüchen an Marokko, zu deren Unterstützung der Kreuzer „Bussard" in Tanger eingetroffen ist, handelt es sich um wiederholte Beschwerden der deutschen Vertretung wegen der Ueberfälle auf die Ueberlandposten im Innern des Landes, wobei viele deutsche Briefe und, wie es heißt, auch diplomatische Schriftstücke verloren gegan gen sind; auch liegen Klagen deutscher Kauf leute wegen Plünderung von Kaufläden durch Eingeborene und andere Eigentumsverletzun gen vor. * Der Streit, der zwischen dem Reichstag und den Professoren Wallot und Stuck ausgebrochen ist, wird nun allem Anschein nach auch die Gerichte beschäftigen. Der Reichstag verlangt, da er den Deckenfries nicht in der jetzigen Gestalt annehmen will, Stuck aber jede Aenderung ablehnt, Lie Zurückzahlung der bereits auf die Arbeit geleisteten 22 000 Mark. Auf der anderen Seite besteht Stuck darauf, daß ihm der Restbetrag von 8000 Mk. ausgezahlt werde. *Die Produktiv ns statistik ist jetzt auch auf die Spielwarenindustrie aus gedehnt worden. Die beiden für diese Industrie ausgearbeiteten Fragebogen, von denen der eine durch die Fabrikanten, Perleger und Exporteure, der andere durch die Hausindustriellen zu be antworten ist, werdem demnächst vom Reichs amt des Innern zur Versendung gelangen. Die Handels- und Gewerbckammer zu Sonneberg (S.-M.) hat die Beschaffung und Sammlung der Adressen, an welche die Fragebogen ver sandt werden sollen, übernommen. *Die ,Nationalztg/ hört aus sicherer Quelle, daß die bayrische Regierung Umfragen hält, welche darauf gerichtet sind, auch denjenigen bayrischen Hypothekenbanken, deren Pfandbriefen noch nicht die Mündelsicher heit zugesprochen ist, dieselbe zu verleihen. Sehnliche Porbereitungen sollen in anderen deutschen Staaten stattfinden. Oesterreich-Ungarn. *JnNiederöstekreich und Böhmen nimmt die „Los. von Rom"-Bewegung größeren Umfang an. Die Behörden verbieten meistens die Versammlungen, in denen dieses Thema besprochen werden soll, das durch die politischenWirren auf die Tagesordnung gebracht wurde. * Wie anscheinend halbamtlich gemeldet wird, hat das Kabinett Thun seine Absicht, die Sprachenfrage in Böhmen mittels des Notparagraphen 14 zu regeln, infolge der schlechten Aufnahme^ die dieser Plan sowohl bei den Deutschen, wie namentlich auch bei den Jungtschechen gefunden hat, vorläufig ver schoben. * In den Wein der Versöhnungsstimmung in Ungarn ist ein Tropfen Wermut geflossen. Der alte Oppofitionsmann Gabriel Ugron von der Unabhängigkeitspartei, der seit einigen Jahren sich zurückgezogen hielt, ist in Szilagoy- Somlyo einstimmig zum Reichslagsabgeordneten gewählt worden. Ugron steht in scharfem Gegen satz zum Dualismus (dem jetzigen staatsrecht lichen Verhältnisse Ungarns zu Oesterreich). Frankreich. *Die vereinigten Kammern des Kassa tionshofes prüften am Montag in gehei mer Sitzung das G eheimaktenstück des Kriegsministeriums in der Dreyfus-An gelegenheit, welches vom General Chamoin und Kapitän Cuignet überbracht wor den war. * Die Regierung bereitet ein Gesetz vor, das allen zur Weltausstellung gesandten Zeichnungen, Modellen, Beschreibungen u. s. w. während der ganzen Ausstellungsdauer und drei Monate darüber den Schutz des französi schen Patentgesetzes zubilligt. In Brüssel ruft die Nachricht allgemeines Befremden hervor, daß der Congostaat seine Zusage der Teilnahme an der Pariser Weltausstellung 1900 auf persönliche Initiative des Königs Leopold zurückgezogen hat. In dem Büreau des Congoftaates will man keine näheren Gründe für diese überraschende Maßregel wissen; doch wünscht man zu betonen, daß ihr keinerlei politische Verstimmung zu Grunde liegt. *Graf Ernste Chaudordy, 1870/71 Stellvertreter Jules Favres in der Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten, ist am Sonntag gestorben. Er wurde unter dem Ministerium Broglie Gesandter in Bern, 1874 Botschafter in Madrid, aber 1878 zur Disposition gestellt. Gambetta wollte ihn 1881 nach Petersburg senden, aber der Sturz des „großen Ministe riums" machte diese Berufung rückgängig. Chau dordy hat sich mehr durch seinen Deutschenhaß, als durch besondere staatsmännische Geschicklich keit bekannt gemacht. England. *21000 Engländer in Transvaal haben eine Bittschrift an die Königin Viktoria gerichtet, worin gesagt ist, die Lage der Eng länder in der Republik sei seit 1895, seitdem Präsident Krüger Reformen versprochen habe, noch schlechter geworden; daher bitten sie die Königin, ihren Schutz auf sie auszu dehnen, eine Untersuchung über ihre Beschwerden zu veranlassen und eine Reform der Miß bräuche herbeizuführeu. Italien. *Das Kriegsschiff „Stromboli", mit dem Admiral Grenet am Bord, ist Montag von Neapel nach China abgegangen. Spanien. *Die durchaus grundlosen Ausstreuungen, nach denen die Königin-Regentin von Spanien beabsichtigen sollte, die Regent schaft niederzulegen und sich wieder zu vermählen, erweisen sich immer mehr als ein wenig patriotisches Manöver Romero Robledos, der früher seine konservative Gesinnung zur Schau trug und nunmehr der Monarchie um jeden Preis Schwierigkeiten bereiten will, weil er sich in seinem Ehrgeiz gekränkt fühlt. Rustland. * Der Zar hat den Grafen Murawiew an gewiesen, durch die russischen Vertreter im Aus lande für alle Kundgebungen der Zustim mung zu seiner Initiative für die Ab rüstungs-Konferenz herzlichst zu danken Balkanstaaten. * Die Pforte hat auf die von Rußland unternommenen Schritte betr. die Rückkehr der armenischen Flüchtlinge entgegen kommend geantwortet und Angabe der Zahl der Emigranten, sowie weitere Daten verlangt. *Nach einer Konstantinopeler Meldung der ,Frkf. Ztg.' ist Dr. Emin Pascha, der erste Chirurg des Palastes, aus Anzeige seiner Frau, wonach er einen Anschlag gegen das Leben des Sultans beabsichtigte, verhaftet und im Palast einem Verhör unterzogen worden. Man glaubt, daß es sich nur um Machinationen seiner Frau handelt, welche die Scheidung erstrebt. Emin Pascha ist zu lebenslänglicher Verbannung verurteilt worden. *-Dem König von Rumänien wurden am Sonntag, dem Jahrestage der Proklamie rung Rumäniens zumKönigreiche, aus dem ganzen Lande Glückwünsche übersendet. Ein Versuch'der Opposition, in Bukarest eine Straßenkundgebung zu veranstalten, scheiterte. Amerika. *Aus Washington erfährt die,N. F. Pr.', daß das Nikaragua-Projekt voll ständig aufgegeben und eine Verständi gung der Ver. Staaten mit der Panama- Ges e l l s ch a f t gesichert sei. *Die gesetzgebenden Körperschaften des Staates Arkansas haben in der Annahme, daß das Rauchen vonZigarretten ge sundheitsschädlich ist, den Verkauf oder das Verschenken VonZigarretten bei Geldstrafen von 100—1000 Dollar verboten. Asien. * BeiManila geht es heiß her, im Norden der Stadt haben sich fett einigen Tagen heftige Kämpfe entspannen, deren Ende und schließlicher Erfolg noch nicht abzusehen sind. Es handelt sich offenbar um die erwartete große Vorwärts - Bewegung des amerikanischen Generals Otis, welche das Heer Aguinaldos zu einem entscheidenden Zusammenstöße zwingen und es womöglich vernichten soll. * Die Stadt Malabon ist von den Aufständischenniedergebrannt wor den. Die Amerikaner, welche den Ort wegen des dort befindlichen wertvollen Besitzes der Ausländer zu retten wünschten, konnten die Zer störung nicht verhindern. Zuw Kranntwrinkawpf in Norwegen. Am Montag hat in Norwegen wieder eine jener famosen Volksabstimmungen stattgefunden, die durch das seit dem 1. Januar 1896 in Kraft getretene neue Branntweingesetz vorge schrieben sind und die über Sein oder Nichtsein der Branntweingesellschaften zu bestimmen haben, in deren Händen der Verkauf und Ausschank von Branntwein liegt. Diesmal handelte es sich um Christiania, aber die dortige Branntweingesell schaft, die größte Norwegens, hat den Ansturm der Nüchternhcitsfreunde glänzend überstanden. Von 102 620 Stimmberechtigten stimmten nur 18 608 für die Beseitigung der Gesellschaft, und somit kann man auch fernerhin in der Haupt stadt Norwegens ein Gläschen Aquavit, Kognak, Toddy, Punsch oder dergl. bekommen — außer in der Zett von Samstag mittag 1 Uhr bis Montag morgen 8 Uhr, wo kein Tropfen ver schenkt werden darf. In keinem Lande Europas, so schreibt man der ,Köln. Ztg/, wird der Kampf gegen den Branntwein mit so scharfen Mitteln wie in Norwegen geführt. Um den Branntweingenuß einzuschränken, hat man be kanntlich, dem Beispiel Schwedens folgend, den Verkauf und Ausschank des Branntweins in die Hände von Gesellschaften gelegt, deren es in jeder Gemeinde eine gibt oder vielmehr gegeben hat. Das 1896 in Kraft getretene Branntwein gesetz brachte außer andern Beschränkungen auch die Abstimmungen, die in jeder Gemeinde statt finden sollen, wenn die Konzession, die fünf Jahre währt, abgelaufen ist. Man wird sich erinnern, daß an diesen Abstimmungen alle Männer und Frauen über 25 Jahre teilnehmen können, daher auch die große Zahl der Stmm- berechtigten in Christiania, dessen gesamte Ein wohnerschaft nur etwa 180 000 Köpfe zählt. Hätte die Abstimmung über die Branntwein gesellschaft in Christiania bei Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes stattgefunden, so würde es heute dort vermutlich nicht einen einzigen Branntweinausschank geben, denn die ersten Ab stimmungen räumten gehörig mit den Brannt weingesellschaften auf. So wurden 1895 von 13 Gesellschaften (deren Konzession Anfang 1896 ablief) elf niedergestimmt, 1896 fielen von neun Gesellschaften fünf, 1897 aber von elf nur drei und 1898 von zwölf nur vier. Dieser allmähliche Umschwung ist der Thatsache zuzuschreiben, daß die Trunkenheit in den der Branntweingesell schaften beraubten Städten nicht im mindesten nachgelassen hat, wie die Nachweise über die Zahl der verhafteten Betrunkenen ergeben.) Man griff nämlich zu einem Weingemisch, das in Norwegen unter dem Namen „Laddevin" be rüchtigt ist, und Wein fällt nicht unter das Branntweingesetz. Dieser „Laddevin" ist der größte Unfug, der je auf dem Gebiete der Weinproduktion vorgekommen ist. Mit ihm hat Menschcnwitz einen „Pottwein" geschaffen, der, schon für den erstaunlich billigen Preis von 60 Pf. die Flasche käuflich, in hohem Grade das Wohlgefallen der Männer und — Frauen welt in dm untern Volksschichten gewonnen hat. Unter diesen Umständen ist denn auch der An hang der Nüchternheits-Vereine immer geringer geworden, was besonders in überraschender Weise bei der Abstimmung in Christiania her vortritt, wo übrigens die tonangebenden Blätter aller Richtungen zu Gunsten des Branntweins eintreten. Hinzu kommt noch, daß mit dem Verschwinden der Branntweiugesellschaften viele wohlthütige Einrichtungen einer erheblichen Unterstützung verlustig gehen. Diesen Gesell schaften, sämtlich Aktiengesellschaften, fällt von dem Gewinn nur eine Ausbeute von höchstens fünf Prozent des eingezahlten Kapitals zu, das übrige muß für die verschiedensten Zwecke ver teilt werden. Die Kirche, Arbeiter-Vereine, Kinderheime, Bibliotheken, Theater, Museen, Badeanstalten, die Schule und — die Nüchtern heits-Vereine, sie alle bekommen ihren Anteil vom Branntweinertrag. Hübsche Sümmchen sind es, die schon zur Verteilung gekommen sind. Ins gesamt haben die norwegischen Branntwein- gesellschaften von 1872 bis 1897 für allgemein nützliche Zwecke rund 20 700 000 Kronen ver teilt. Auch sonst halten die Gesellschaften streng auf Ordnung. Das Gesetz fordert, daß keine Bettunkenen. keine Kinder und Personen, die den Ausschankstellen als Almosenempfänger be kannt sind, Branntwein erhalten, und daß die Gesellschaften sich danach richten, scheint aus dem Umstand hervorzugehen, daß von den Ausschanklokalen der Branntwemgesellschaft in Christiania in 1897 nicht weniger als rund 60 000 Personen zurückgewiesen worden sind. Uon Uah und Fern. Kiel. Das Stammgut der Kaiserin, der Hof Augustenburg in Schleswig-Holstein, ist vom preußischen Staat erworben worden, der es jetzt als Staatsdomäne an den bisherigen Pächter Jacobsen für 10 000 Mark Pacht jährlich auf die Dauer von sechs Jahren wieder verpachtet hat. Das Gut, welches mit dem daneben lie genden Schloß Augustenburg, das bekanntlich Eigentum des Bruders der Kaiserin, des Herzogs Ernst Günther, war, der Stammsitz der Herzöge zu Schleswig - Hollstein-Sonderburg-Augusten- burg, ist 200 Hektar groß und hat mit dem gesamten toten und lebenden Inventar einen Wert von 360 000 Mk. München. Die Söhne des Herzogs Karl in Bayern werden künftig von einem preußischen Leutnant, dem Grasen Plettenburg, der in Waldeck-Pyrmont in Garnison stand, erzogen. Der Graf wurde deshalb in die bayrische Armee eingereiht; die jungen Herzöge sind mit den älteren Söhnen des Kaisers, von dem Auf enthalte in Tegernsee her, sehr befreundet. — Das von der bekannten Schrift stellerin Marlitt mit ihren Romanen erworbene Vermögen von etwa 80 000 Mk. ist, nachdem es durch Erbschaft an einen Neffen der Schrift stellerin übergegangen war, binnen wenigen Jahren zerstoben. Der Neffe nämlich, der in München ein Agenturengeschäft bettieben hatte, wurde vor einigen Tagen wegen betrügerischen Bankrotts zu mehrmonatiger Gefängnisstrafe verurteilt. Kassel. Vom Ortsausschuß für den Wett streit deutscher Männergesangvereine war ein Wettbewerb für Erlangung eines künstlerischen Plakats ausgeschrieben worden. Von den 20 eingegangenen Arbeiten war der Preis dem Entwürfe des Lehrers an hiesiger königl. Kunst akademie Adolf Wagner einstimmig zuerkannt worden. Zur Vervielfältigung gelangt der preis gekrönte Entwurf indes nicht, weil der Kaiser den Entwurf des Malers Doepler jun.-Berlin zur Ausführung bestimmte. Durch Leiden zum Glück. 1j Erzählung aus dem Leben v. OSkar Werre-.*) 1. Was ist Geld und Gut, was find alle Müh seligkeiten und alle Erfolge eines menschlichen Lebens gewesen, wenn die Stunde gekommen, wo sich der müde Körper nach Ruhe und die Seele nach einem ungestörten Frieden sehnt. Der Kommissionsrat Friedrich Bendheim hatte ein thatenreiches und von vielem Glück gekröntes Leben hinter sich. Seit seiner Jugend waren ihm alle Unternehmungen erfolgreich ge lungen, und hatten ihn im Lauf der Jahre aus einfachen Verhältnissen zu einem angesehenen, vermögenden Manne emporgehoben. Er lebte bis vor einigen Jahren in unge trübt friedlicher Ehe mit einer sanften, liebens würdigen Gattin. Nur ein einziger Wunsch war ihm versagt geblieben: ein Sohn und Nach folger seines Namens und seiner Schöpfungen. Dafür blühte ihm ein Töchterchen empor, lieb und anmmig, gepflegt und behütet wie chas Schoß kind eines in treuer Liebe sich ergebenen Men schenpaares. Ein sehr finsterer Schatten fiel auf das Glück Bendheims, als ihm seine über alles ge liebte Frau plötzlich durch den nichts ver schonenden Tod entrissen wurde. Sein Töchterchen Frieda war soeben fünfzehn Jahr alt geworden, und konnte den Schmerz um die teure Verlorene voll mitempfinden. *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. Bendheim selbst hatte seitdem alle Lebens lust und Thatkraft verloren; der von einem bisher glücklichen Leben verwöhnte Mann war durch diesen schweren Schicksalsschlag ein völlig in fich verschlossener Mensch geworden, welcher nur in der Erinnerung an die Verstorbene und Unvergeßliche kalt und teilnahmslos für alles andere, sein einziges Kind eingeschlossen, still dahin leben wollte. Er verkaufte sein Geschäft im Zentrum der Weltstadt, und verlegte seinen Aufenthalt nach dem allem Geräusch des großen geschäftlichen Lebens entrückten Bellevue-Viertel im Bereich des unvergänglich schönen und reine Lebenslust spendenden Tiergartens. Zur Leitung seines vereinsamten Hausstandes nahm er seine unverheiratet gebliebene Schwester Friederike zu sich, und als kurze Zett darauf sein an Glück und Reichtum stets vernachlässigt gebliebener Schwager starb, ein mager besoldet gewesener Subalternbeamter, auch dessen hinter lassenes Kind, ein Mädchen in Friedas Alter. Von der dadurch erfolgten Wiederbelebung seines Hausstandes schien er jedoch nichts zu bemerken; er ließ vielmehr die drei Personen schalten und walten, wie sie wollten, und vegetierte in seinem Traumleben weiter. So waren drei Jahre nach dem Tode der Gattin Bendheims vergangen. Frieda war achtzehn Jahre alt geworden, und eine blühende, angenehme Erscheinung. Das frische rote Gesichtchen war von dunkel blonden Locken umrahmt, und aus den von Lebenslust strahlenden Augen schaute ein leichter, glückverlangender Sinn. Tante Friederike, die jetzige Hauptperson des Bendheimschen Hauses, gab ein vollkommenes Gegenstück ihres bescheiden dahin lebenden, in fich verschlossenen Bruders ab. Als selbständige Jungfrau alt geworden, liebte sie es, ihren mit besonderer Lebhaftigkeit stets ausgesprochenen Willen genau ausgeführt zu sehen und fich überall für unentbehrlich zu halten. Das peinlich glattgesttichene und un- tadelhaft gescheitelte semmelblonde Haar'harmo nierte vollständig mit den scharfen grauen Augen, der spitzen Nase und den vom vielen Sprechen immer schmäler werdenden und stets kampfbe reiten Lippen. Andreas, der mit seinem Herrn altgewordene Diener des Hauses, und Karoline, die auch schon ältere Köchin, nannten die in das bisher so ruhige Hauswesen geratene Tante. kurzweg nur einen Drachen. Trude Berner endlich, das angenommene Pflegekind, war ein zartes stilles Kindchen. Ihre tiefblauen Augen, welche scheinbar den Ausdruck ungetrübter Fröhlichkeit nie recht kennen gelernt hatten, blickten aus dem mit schwarzen, lockigen und widerwillig in eine glatte Frisur gebrachten Haarwellen umgebenen bleichen Ge sichtchen mehr schwermutsvoll als jugendfrisch vor sich hin, und ihr ganzes jugendliches Wesen glich dem alternden, trauernden Onkel. Die lebensfrohe Koufine mit den frischen roten Wangen war einen Kopf größer als die zierliche, weniger entwickelte Trude, trotzdem beide in demselben Alter standen. Hatte nun Trude unter den fortwährenden Raufereien der Tante viel und besonders zu leiden, so nahm fich Frieda diese unangenehme Eigentümlichkeit der allen Dame nicht weiter zu Gemüt, oder ignorierte dieselbe vollständig. Tante Friederike nahm übrigens jede sich darbietende Gelegenheit wahr, der armen Waise deutlich zu machen, daß sie nur von der Gnade des Hauses Bendheim abhänge, ohne dabei zu bedenken, daß sie selbst nur durch das Wohl wollen ihres reichen Bruders ein von Nahrungs sorgen freies Leben führen konnte. Füllten fich die Augen Trudes bei jeder neuen Kränkung der bissigen Tante mit heißen Thränen, so lachte Frieda hell auf und schalt ihre fuchtsame Kousine eine große Thörin, daß sie sich von solch einem alten Drachen in das Bockshorn jagen lasse. Die Spöttereien Friedas konnten aber der armen Trude gegenüber diesem ewigen Nörgeln der Tante ebensowenig Helsen, wie es vielleicht ihr gntmütiger Onkel hätte thun können. Denn dieser sah davon nichts, und war auch gegen jede Störung seines Stilllebens sehr empfindlich; also verbrachte die arme Waise in seinem mit allen Gaben des Reichtums versehenen Hause ein unglücklicheres Leben, als sie es wohl in einem ihr vollständig fremden Heim je gehabt hätte. Außerdem kränkelte der Onkel seit einiger Zeit, und beanspruchte dabei eine doppelte Rück sicht für seine ungestörte Ruhe. „Heute steht wieder mal ein Hagelwetter im Altenjungfer-Kalender, und die kleine Mamsell muß den Sturm aushalten, wie gewöhnlich!" brummte der alte Andreas, welcher in der Küche sein Mittagsmahl verzehrte. „Das keift und schreit den lieben langen Tag, und wenn ihn
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