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Augen naß, und nun fing sie an zu poltern, daß die Suppe sicher schon eiskalt und das Fleisch schwarz gebrannt sei. Es wäre die höchste Zeit, hinunter zu gehen und zu essen. Nach Tisch legte sich der Förster schmunzelnd ein wenig auss Ohr. Die beide» Frauen aber setzten sich hinaus vor die Thür und liegen sich von der lieben Alaisonne bescheinen. Natürlich fragte die Alte alsbald nach Namen und Heimat ihres Gastes. Es hätte ihr das Herz abgedrückt, nicht vor der zweiten Tasse Kaffee erfahren zu haben, was für ein selten schöner Bogel das sei, der sich da in ihre Einsamkeit verirrt hatte. Der Vogel hatte aber gar keine Heimat. „Ich heiße Justine Heller!" gab sie trüb zur Auskunft. „Ein „Zuhause" hab ich nicht mehr. Bis vorigen Sonnabend war ich als Stütze der Hausfrau in StelNina bei einem Gerichtsrat in Berlin. Aber ich konnte da nicht bleiben wegen allerlei Widerwärtig keiten, denen ich ausge setzt war und die mich noch elender gemacht haben, als ich vorher schon war. Nächsten Monat trete ich eine neue Stellung als Neise- begleüerin bei einer älteren Dame an, und bis dahin denke ich in Ihrem schönen Wald min kcl hier wieder frisch und kräftig geworden zu sein." „Ach ja, bei fremden Leuten!" seufzte die Fvesterssran, in Erinnc- rnngen an ihre eigene Jugendzeit versunken. „Aber aus Berlin stnm- men Sie doch nicht liebes Fränlein?" „Nein, ich bin eine Thüringerin!" „Der Tausend, da sind wir ja halbe Lands leute. Ich stamme näm lich aus der Kyffhäuser gegend. Haben Sie sich denn nennen können von den schönen Thüringer Wäldern?" „Was Hilsts, wenn man muß. Mein armer Vater hatte Unglück und verlor sein Vermögen. Zuletzt wurde auch das Gut verkauft mit allem, was uns einst gehört hatte." „O, Sie Aermste!" „Der Vater starb dann." „Vor Kummer! Das kann man sich vor- stellen!" „Und ich suchte mir in Berlin ein Unter kommen. Am liebsten wäre ich auch gestorben." „Das ist Sünde, das dürfen Sie nicht sagen! So ein frisches, junges Blut. Wie viel Gluck' kann Ihnen unser Herrgott noch aufgehoben haben." „Bis jetzt habe ich nichts gespürt davon." „Darum dürfen Sie doch nicht verzagen. Die Sonne wird Ihnen schon wieder scheinen. Vertrauen Sie nur, liebes Fräulein Justine. Ich darf Sie doch so nennen?" „Sie thun mir damit wohl!" „Also Kops hoch und frisch in die Zukunft schauen. Und die paar Wochen, die Sie hier bei uns zubringen, dürfen Sie mir nicht bezahlen »vollen, wenn die Sache so steht. Das wäre noch besser!" „Aber, Frau Förster." „Nichts da! Mich drückt das schon so wie so, das; wir gegen den Wunsch der Herrschaft handeln. Und meinen Alten auch, wenn er sichs auch noch nicht eingeslehen mag. So aber find Sie uns ein lieber Besuch, der zur Familie zählt und gegen den kein Graf und kein Güterdirektor was einwenden darf. Und nun suchen Sie nicht weiter nach einer Widerrede, die Sache ist abgemacht." Justine Heller fing Plötzlich an zu schluchzen. So schlichte, warme Herzensgüte, wie sich ihr da eben offenbart hatte, wirkte wirklich schon wie ein erster goldner Strahl der Glückssonne auf ihr umdüstertes Gemüt. Die alte Förstersfrau stand auf und legte das dunkle Haupt der leise Weinenden an ihre Brust. „Nicht weiuen, Herzchen," sagte sie unsicher und lies; plötzlich selber zwei große, schwere Tropfen auf das schöne braune Haar Juftinens fällen. Und so standen sie eine Weile, bis der Förster unbemerkt in der Thür erschien. — „Zum Kuckuck, Alte, was heulst Du denn bloß?" sagte er und lachte dazu, als ob er gar kein Herz im Leibe Hütte. Die beiden Frauen fuhren beschämt ausein ander. „Was hats denn ge geben?" fragte er ge mütlich. „Nichts," erklärte die Försterin kurz. „Aber damit Dus gleich weißt, mit der Abvermietung will ich nichts zu thun haben. Der Gras siehts nicht gern, also Punkt um!" „Ach, und da habt Ihr Abschied von einander genommen? Hm . . ." „Unsinn! Das Fräu lein bleibt! Aber als Besuch." - „Bravo, Alte, das ist mir wahrhaftig auch lieber! Ich halt es ja so wie so nicht ums Geld gethan. Wollte nur dem Wirt einmal zeigen, was ne Harke ist; dem alten Gauner im Gebirgshotel unten. Nun weiß ich aber erst recht nicht, was es über eine jo vernünftige Lösung dieser Geschichte zu heulen giebt?^ „Ist auch nicht nölig! Trink lieber Deinen Kaffee und führe unsern Gast dann einmal hin- nnf nach den Enger- klippen! Das ist nicht sehr weit und lohnt sich prächtig." „Ganz wie Du be fiehlst, alter Feldwebel!" lachte der Alte und ging hinein, sich zum Ausflug zu rüsten. Der Mai dieses Jahres War so köstlich, wie die Dichter ihn immer be singe». Das junge Laub der Birken ward von Tag zu Tag voller, und Buchen und Eichen, die sich sonst so lange nötigen lassen, sich zur Frühlingsseier mit srischem Blattwerk zu schmücken, öffneten ihre braunen Knospen, als hätten sie gewettet mit einander, wer seine Krone am frühesten dicht habe. Auf den Waldwiesen prangten Himmelsschlüsselchen und Schaumkraut; der Milchstern entfaltete seine lichte Strahlenscheibe und am Gebüsch knospen die ersten dnftigen Maiglöckchen. Da blieb denn die Jugend aus den umliegenden Dörfern auch nicht lange aus. Ein Trupp nach dem andern kam, uni sich Erlaubnisscheine zu holen, Schlüsselblumen und- Maiglöckchen zu pflücken. Auch der Wald meister war wohl schon zu finden. In der Stadt gab es für diese erste Waldernte Liebhaber in Menge, die gern ein paar Nickel für die ersten lockenden Lenzgrüße zahlen. ' (Sonsehung folgt., Utnttcheaer AGdl. Aach dem tAemaldc von Toby T. Kosenthal. (Mit Genehmigung der Photographischen Gesellschaft in Serlin.)