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Allgemeiner Anzeiger : 11.02.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189902112
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18990211
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-02
- Tag 1899-02-11
-
Monat
1899-02
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 11.02.1899
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Politische Rundschau. Deutschland. *Nun ist auch der zweite deutsche Reichs kanzler, Graf Caprivi, gestorben. Seit seinem Amtsrücktritt hat man wenig von ihm gehört; von dem Gute Skyren bei Krossen, wo er wohnte, kam er nur selten nach Berlin. Caprivi hat ein Alter von 68 Jahren erreicht. Am Donnerstag findet die Beerdigung in Skyren statt. *Der Kaiser richtete an den General v. Müller, den Neffen Caprivis, folgendes Tele gramm: „Soeben von der Nachricht vom Hin scheiden Ihres Onkels, des Generals der In fanterie, Grafen v. Caprivi, überrascht, spreche Ich Ihnen und der Familie des Heimgegangenen Meine teilnahmsvolle Mittrauer aus. Als Sol dat von seinem Kriegsherm immer hochgeschätzt, als Reichskanzler Mein arbeitsfreudiger, über zeugungstreuer Mtarbeiter, hat Graf Caprivi auch in der Zurückgezogenheit seiner Jnaktivität es verstanden, sich die Anerkennung und Dank barkeit seines Königs und Kaisers zu erwerben." *Der Erbprinz von Sachsen-Ko - burg - Gotha, der seit längerer Zeit kränk lich war, ist am Montag in Martinsbrunn bei Meran im Alter von 24 Jahren gestorben. Er war der einzige Sohn des herzoglichen Paares, das bekanntlich erst vor kurzem seine Silberhochzeit gefeiert hatte. Die Thronfolger schaft geht nunmehr auf den jüngeren Bruder des regierenden Herzogs, den drittältesten Sohn der Königin von England, Herzog Arthur von Connaught, über, der im 49. Lebensjahre steht. *Jn allernächster Zeit soll dem Bundesrat eine Verordnung betr. die Regelung der Arbeitszeit im Müllereigewerbe zugehen. Wie es heißt, wird man nicht den in der Bäckerei-Verordnung eingeschlagenen Weg gehen, sondern sich auf die Festsetzung von Minde st ruhezeiten beschränken. * Wie bekannt, beabsichtigt diepreußische Regierung einen Teil der im Jahre 1900 pfandfrei werdenden Domänen aufzuteilen. Hierbei wird an die Ausgabe kleinster Stellen gedacht, die nicht in freies Eigentum übergehen, sondern gewissermaßen nur Familieneigentum werden sollen. Auf den Domänen bereits be findliche Anlagen, wie Molkereien, Brenne reien u. s. w. gedenkt man durch genossen schaftliche Nutzung den neuen Ansiedlern zu erhalten. Auch soll der Versuch gemacht werden, das Restgut in genossenschaftliches Eigentum zu übertragen, ohne daß dabei natürlich an ge nossenschaftliche Bewirtschaftung gedacht wäre. * Die bayrische Regierung hat im Bundes rate den Antrag eingebracht, der Novelle zur Gewerbeordnung eine Bestimmung einzufügen, die den Befähigungsnachweis der Bauhandwerker fordert. Frankreick. * Der Kammerausschuß, welcher die Vorlage der Regierung wegen Ueber- tragung der Revision in der Dreyfussache an den gesamten Kassationshof vorzu beraten hatte, hat die Vorlage mit 9 gegen 2 Stimmen abgelehnt. Es bedeutet das eine schwere Niederlage der Revisionsgegner und des Ministeriums, das wahrscheinlich zurück treten wird. * Die Truppen der Pariser Besatzung werden über ihr Verhalten gegenüber aufrührerischenV olksmengen unter richtet. Der ,Gaulois' erklärt übrigens ange sichts anderer Deutungen, dieser Unterricht be ziehe sich auf mögliche Zusammenstöße mit aus ständigen Arbeitern. *Die Reise Rocheforts und seiner Genossen hat in Marseille und Algier zu schweren Ruhestörungen geführt. Dort haben allerdings die Sozialisten in unzweideutigster Weise zu erkennen gegeben, daß sie mit dem „roten Marquis" nichts zu thun haben wollen. Als Rochefort nach Algier abreisen wollte, hatten sich vor seinem Hotel etwa 8000 Personen ein gefunden. Der Verkehr mußte eingestellt wer den. Bei der Abfahrt wurde Rochefort mit schwachen Hochrufen und tobendem Pfeifen em pfangen. Während der Fahrt nach deyi Schiffe wurden ihm die Scheiben seines Wagens ein geworfen und nur der Anwesenheit von 150 Polizeibeamten hatte er und der ihn begleitende Max Regis es zu danken, daß sie noch abreisen konnten. Auch in Algier ist es zu schweren Ruhestörungen gekommen. Svanien. *Die Verhandlungen, die Don Karlos mit Pariser Bankiers wegen Aufnahme einer Anleihe von 75 Mill. Frank geführt hat, sollen ein günstiges Resultat ergeben haben. Rußland. * Nach einer Meldung aus Petersburg finden gegenwärtig zwischen dem Minister des Aeußern, Grafen Murawiew, und den Vertretern der Mächte beim russischen Hofe auf Grundlage der vom Petersburger Kabinett bezüglich der Ab rüstungskonferenz aufgestellten Anhalts punkte Verhandlungen über die Festsetzung des endgültigen Programms für diese Konferenz statt. Angesichts des befriedigenden Verlaufes dieses Meinungsaustausches werde in unter richteten Kreisen die Hoffnung gehegt, daß die Verständigung der Mächte über diese Frage ge lingen dürfte. * Der päpstliche Stuhl wird bei der Friedenskonferenz, ob sie nun in Brüssel oder im Haag stattfindet, nicht ver treten sein. Der Kaiser von Rußland hat dem Papst ein außerordentlich liebenswürdiges Schreiben übermitteln lassen, durch welches er dem Heiligen Stuhl für die Unterstützung dankt, die derselbe den friedfertigen Bestrebungen des Zaren Nikolaus II. angedeihen ließ, und worin es zum Schluß heißt, daß der Zar von einem allseitig so zustimmend aufgenommenen Versuch zur Stabilisierung des Friedens sich das Beste verspreche. Damit erscheint die päpstliche Mit wirkung am Friedenswerk für erschöpft erklärt. Balkanstaaten. * Zur bulgarischenMinisterkrisis wird der Moss. Ztg.' berichtet: Finanz minister Todorow hatte in der Angst, daß der Sultan seine Einwilligung zum Orient bahnvertrage verweigere (was schließlich der Fall gewesen ist), direkt an den Sultan um die Genehmigung gedrahtet. Todorow zitterte, daß ihm, wenn aus dem Vertrage und demnach auch aus der Konversionsanleihe nichts würde, die Provision entgehe. Der Sultan war über das Telegramm sehr erstaunt und fragte beim Fürsten Ferdinand an, was das bedeute und ob die Drahtung auf Veranlassung des Fürsten abge sandt sei. Der Fürst ließ sich den Finanz minister kommen und sagte ihm folgendes: „Ich habe geglaubt, daß die fünfstündige Rede, die Sie in der Sobranje zu Gunsten des Orient vertrags gehalten haben, vom Patriotismus diktiert war. Ich habe jetzt Beweise, daß dem nicht so war. Sie sind der größteGauner, der je ein bulgarisches Ministerportefeuille inne gehabt hat. Scheren Sie sich zum Teufel uud lassen Sie sich nie wieder bei mir sehen!" Todorow wagte kein Wort der Erwiderung und ging — um seine Entlassung einzureichen. Amerika. * Der Senat in Washington hat mit der kleinen Mehrheit von drei Stimmen den spanisch-amerikanischen Friedens vertrag genehmigt. *Der Auf st and in Uruguay ist von den Regierungs - Truppen unterdrückt worden. Asien. *Die Eröffnung der chinesischen Stadt Nanning-fu als Freihafen ist ein Erfolg der französischen Diplomatie. Nanning-fu liegt an dem Si-kiang, der von Kanton aus bis Nanning-fu für große Dampfer schiffbar ist. Die Stadt wird der Knotenpunkt werden für die französische Eisenbahn nach Amman, die von Kanton ausgeht. *Auf den Philippinen wird holder Friede, süße Eintracht den Ver. Staaten sobald noch nicht beschicken sein. Dort ist seit einigen Tagen der Krieg wieder lustig entbrannt. Meuters Büreau' meldet aus Manila: Am 4. d., abends 10 Uhr, griffen die Filipinos Manila an. Die Amerikaner antworteten mit einem heftigen Feuer und gingen schließlich ihrerseits zum Angriff vor. Die Filipinos wur den aus ihren Stellungen vertrieben; mehrere wurden gefangen genommen; ein Geschütz wurde erbeutet; die Zahl ihrer Toten und Verwundeten ist unbekannt. Der Verlust der Amerikaner wird auf 20 Tote und 125 Verwundete geschätzt. Schon den ganzen Tag über war an verschie denen Stellen mit Unterbrechungen Gewehrfeuer unterhalten worden. Aus dem Reichstage. Der Reichstag setzte am Montag die zweite Etats beratung fort und erledigte das Ordinarium des Postetatas. Abg. Müller-Sagan (frs. Vp.) verlangte Auskunft über Ungleichheiten in der Dienstzeit der Beamten, Dienstzucht, Sonntagsruhe re. Staats sekretär v. Podbielski erwiderte, er sei für Dienstzeit und Dienstzucht nur dem Reichskanzler verantwort lich und könne sich vom Reichstag keine Vorschriften machen lassen. Hervorzuheben wäre noch, daß nach einer Mitteilung des Herrn v. Podbielski die Ein führung einer Sommerbekleidung für die Landbrief träger vom Kaiser genehmigt sei. Am 7. d. ergreift das Wort vor Beginn der Sitzung Präsident Graf Bal le st rem: Meine Herren) Ehe wir in die Tagesordnung eintrctcn, habe ich dem Hause eine Trauerbotschaft mitzuteilen. Der ehemalige Reichskanzler Graf Caprivi ist gestern morgen auf seinem Gute Skyren sanft entschlafen. Meine Herren, der Reichskanzler Graf Caprivi hat gewiß als Staatsmann nicht an die Größe seines berühmten Vorgängers herangereicht, aber auch er war ein Mann, der Deutschlands Wohl gefördert hat und dem es auch nicht an Größe gebrach. Er war groß in seiner unwandelbaren Pflichttreue, er war groß in der unbedingten Hingebung zu seinem kaiserlichen Herrn und zum deutschen Vaterlande, er war groß endlich in ehrenhafter, wahrhaft ritter licher Gesinnung. So wird das Bild des zweiten Kanzlers in der Zukunft vor dem deutschen Volke stehen als das Bild eines Ritters ohne Furcht und Tadel. Die Mitglieder des Reichstages haben sich erhoben, um das Andenken des Grafen Caprivi zu ehren. Ich stelle das fest. Ich habe verfügt, daß im Namen des Reichstages auf dem Sarge des verewigten Kanzlers ein Kranz niedergelegt werde. Ich glaube damit den Intentionen des Hauses ent sprochen zu haben. Darauf wird die zweite Etatsberatung beim Extraordiuarium des Postetats fortgesetzt. Dieses gelangt ohne Debatte zur Annahme. — Ebenso der Etat der Netchsdruckerei. Es folgt die erste Beratung der Novelle zum R e i ch s b an k g c s e tz. Staatssekretär Graf Posadowskh: Die Novelle hält an den Grundlagen des geltenden Bank- gcsetzes fest, weil diese sich nach Ansicht der Regie rung durchaus bewährt haben. Wir haben insbe sondere den Gedanken abgewiesen, die Reichsbank zu einem reinen Staatsinstitut umzugestalten. In ge wissem Sinne ist ja auch heute die Rcichsbank eine Staatsbank, denn sie ist dem Reichskanzler unterstellt. Die Hauptaufgaben einer jeden Staatsbank werden es immer sein, die bestehende Währung aufrechtzu erhalten und den Bedürfnissen von Handel und Verkehr gerecht zu werden. Dabei kommt es wenig darauf an, ob Reichsbank - Anteil scheine sich etwa im Besitze von Ausländern be finden, wie es thatsächlich der Fall ist; denn der Staat hat sich eben seinen Einfluß auf die Leitung gesichert. Die Vorlage sieht eine Erhöhung des Grundkapitals um 30 Millionen vor. Davon ver sprechen wir uns eine dauernde Verstärkung des Metallschatzes der Reichsbank und sodann die Mög lichkeit einer dauernden Ermäßigung des Diskonts im Interesse des deutschen Erwerbslebens. Ich glaube, der Vorlage wird der Vorwurf erspart bleiben, daß sie dem Kapitalismus oder dem Partikularismus dienstbar sei. Abg. Gamp (freikons.): Der Staatssekretär hat die Erhöhung des Grundkapitals u. a. damit be gründet, daß es damit leichter möglich sein würde, den Diskont stabil zu erhalten. Wir müssen mit einem gewissen Neid auf den niedrigen Diskont des Auslandes blicken. Es wird zur Begründung des hohen Diskontsatzes gesagt, das Verbot des Termin handels habe dazu beigetragen. Das muß ich be streiten. In sollen kritischen Zeiten sollte man von der Bestimmung des Börsengesetzes Gebrauch machen, welche die Ausschließung ausländischer Effekten zu- lätzt. Wenn der Zinsfuß der Reichsbank viereinhalb Prozent übersteigt, sollte man ausländische Werte nicht mehr zulassen. Die falsche Diskontpolitik der deutschen Reichsbank hat schädigend mit zurückgewirkt auf die Reichsanleihen und alle Staatspapiere der Einzclstaaten. Dieselben sind in wenigen Jahren sämtlich um vier bis fünf Prozent zurückgegangen. Ich bitte Sie, in diesem Gesetze nicht halbe, sondern ganze Arbeit zu machen, zum Wohle des deutschen Handels, der deutschen Industrie und der deutschen Landwirtschaft. Abg. Büsing (nat.-lib.): Im Mttelpunkt der gegen die Reichsbank erhobenen Vorwürfe steht der hohe Diskontsatz. So unbequem und unangenehm ein solcher ist, so kann er doch nur als ein erfreu liches Zeichen für den wirtschaftlichen Aufschwung angesehen werden, in dem sich Industrie und Handel befinden. Von den Vorschlägen, die die Vorlage macht, fällt zuerst die Erhöhung des Grundkapitals in die Augen. Ich stehe dieser Erhöhung, offen gestan den, kühl gegenüber; sie könnte nur den Anlaß zu einer Erweiterung des Geschäftsbetriebes bieten, und der Staatssekretär hat ja schon darauf hingewiesen, daß das Lombardgeschäft erweitert werden möchte. Was die Neuregelung der Kontingentierung der Noten ausgabe betrifft, so würde nach meinem Dafürhalten das Ideal eine gemeinsame Zentral-Notenbank sein. Eine solche haben wir nun aber einmal nicht. Wir haben die Privat-Notenbanken, die sich durch die Erhöhung der Notenausgabe der Reichsbank beun ruhigt fühlen. Zum mindesten sollte mgn davon absehen, das Privilegium der Reichsbank alle zehn Jahre zu erneuern. Damit erneuert sich auch alle zehn Jahre die Beunruhigung der Geschäftswelt. Ich behalte mir daher die Stellung des Antrages vor, das Privilegium der Reichsbank fortan nur alle zwanzig Jahre zu erneuern. Die Vorlage be antrage ich, einer Kommission von 14 Mitgliedern zu überweisen. Abg. Graf Kanitz (kons.): Meine Freunde hal ten auch heute an dem Gedanken der Verstaatlichung der Reichsbank fest. An der Börse scheint man an eine solche freilich nicht zu glauben, denn die Anteil scheine behaupten trotz der Vorlage ihren Kurs. Be züglich der neuen Anteilscheine möchte ich ein Bezugs recht der alten Anteilschein-Eigner ausgeschlossen wissen. Ich beantrage, die Vorlage einer Kommission von 28 oder doch wenigstens von 21 Mitgliedern zu überweisen. Reichsbank-Präsident Koch: In einer 28 jährigen Praxis in der Leitung der Notenbanken habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß das Reichsbankgesetz eines unserer besten Gesetze ist. Die Reichsbank hat unter seinem Bestehen allen Bedürfnissen des Ver kehrs ohne zu erhebliche Steigerung des Zinsfußes gerecht werden können. Wir haben es dabei ver standen, mit unserem Noten-Kontingent einigermaßen auszukommen. Es liegt daher kein Anlaß vor, an den Grundlagen des Bankgesetzes zu rütteln. Graf Kanitz war auch heute der einzige Redner, der ein solches Vorgehen guthieß, indem er die Verstaat lichung empfahl. Ausschlaggebend war dabei für ihn der höhere Gewinn, aber gerade dieser könnte bei einer Verstaatlichung leicht verschwinden, denn eine reine Staatsbank ist viel schwieriger und kost spieliger zu verwalten als eine Privatbank oder eine Bank nach gemischtem System, wie es unsere Reichs bank ist. In Frankreich hat man seiner Zeit den Anträgen auf Verstaatlichung der Bank von Frank reich die Antwort entgegengestellt: Wenn die Bank nach gemischtem System nicht bestände, so müßte sie geschaffen werden. Ein Antrag auf Verstaatlichung hat ja auch hier im Hause so wenig Aussicht auf Annahme, daß ich auf die Frage gar nicht weiter einzugehen brauche. Der Redner spricht dann über die Wichtigkeit der Privat-Notenbanken und den Diskontsatz, wendet sich dabei aber beständig nach der Rechten hin; infolgedessen bleiben seine Aus führungen über diesen Punkt auf der Tribüne im Zusammenhänge unverständlich. Darauf wird die Weiterberatung vertagt. Preußischer Landing. Am Montag überwies das Abgeordetenhaus nach kurzer Beratung die Novelle zu den Ansiedelungs gesetzen, welche die Ansiedelungen auf Bergwcrks- terrains einzufchränken beabsichtigt, an eine Kommission und erledigte dann nach unerheblicher Erörterung die Etats der direkten Steuern (die Einkommensteuer ist mit 145 Mill. Mk. veranschlagt, 12 Mill, mehr als im Vorjahre) sowie einige kleinere Etats. Minister v. Miquel erklärte die Klagen über zu häufige Beanstandung von Steuererklärungen für unberechtigt, zumal es sich meist um steuerkräftige Personen handle. Im Abgeordnetenhause wurde die ganze Diens tagssitzung mit der Beratung der von den Abgg. Mies (Ztr.) und Weyerbusch (freikons.) eingebrachten Anträge ausgefüllt, welche eine Abänderung des Kommunalsteuergesetzes zu Gunsten der Haus- und Grundbesitzer bezwecken derart, daß die städtischen Lasten mehr als es nach dem Gesetz zulässig, durch Zuschläge zur Einkommenstener gedeckt werden sollen. Finanzminister v. Miquel erkannte zwar an, daß hier und da Grund zu Beschwerden vorliege, im ganzen aber hielt er eine Revision des Kommunal abgabengesetzes zur Zeit noch nicht für notwendig. Schließlich wurden beide Anträge an eine Kommission verwiesen. Nächste Sitzung Donnerstag. Aw Norabend der Hochzeit. S1j Roman von Helene Stäkst l?oris«yung.) Der Staatsanwalt fährt fort: „Der Herr Ver- leidiger hat wieder und wieder gefragt: „Wo ist der Körper des Ermordeten?" Darauf habe ich zu ant worten, daß die nach der Ueberschwemmung vorge nommene Untersuchung, auf welche die Ver teidigung so viel Gewicht legt, nach toten Tieren, aber nicht nach menschlichen Körpern angestellt wurde. Wäre das letztere der Fall gewesen, so würde man genauer nachgeforscht haben. Die Tiere waren auf der Weide von dem Wasser überrascht worden und ihre Körper wurden dem zufolge meist gegen Hecken und Zäune getrieben, von denen sie aufgehalten wurden. Der leb lose Körper Baumanns ward jedoch, wie Käthe Rallas aussagt, in den Fluß selbst hineinge worfen, und zwar an einer Stelle, wo dieser besonders rief und reißend war; er mußte also von der Strömung erfaßt und in die offene See hinausgetragen werden. Zu der Zeit, als dje Nachsuchung angestellt wurde, wußte man noch nichts von dem Verbrechen, und nachträglich wäre es zu spät gewesen, nachsuchen zu wollen. „Wo ist der Körper des Ermordeten?" so fragt auch der Staatsanwalt, aber nicht spottend, wie Rechtsanwalt Hallberg, sondern mit furcht barem Ernst, mit zitternder Stimme und feier lich erhobenem Zeigefinger. „Das weiß mir Gott allein! Wenn Sie, meine Herren, mich aber fragen, wo der Schatten des Ermordeten ist, so sage ich: wir sehen ihn in der Flucht des hier Angeklagten, in der Entführung des ihm öffentlich verlobten Mädchens, in seinem Sichverbergen unter falschem Namen, ja selbst in der Verteidigung, die heute in seinem Namen geführt wurde." Der Vorsitzende gibt ein sehr sorgfältiges, unparteiisches Resümee, aus dem aber hervor geht, daß auch er das Zeugnis der Käthe Rallas nicht für erschüttert hält. Um halb 4 Uhr schließt er seinen Vortrag, und die Geschworenen ziehen sich in das Be ratungszimmer zurück. „Das ist einer von den Fällen," bemerkte ein in Gerichtssachen Erfahrener ans dem Publi kum, „die immer ungünstiger werden, je länger man über sie spricht. Wenn die Geschworenen in 20 Minuten zurückkommen, so darf der Ange klagte hoffen; bleiben sie eine Stunde aus, so ist es um ihn geschehen." Sie bleiben ein, zwei, drei Stunden aus. Der Abend bricht herein und die Reihen des Publikums beginnen sich zu lichten. Heinrich v. Leskows Haus liegt beinahe eine Stunde weit vor der Stadt, Justizrat Melliens Haus dagegen steht dicht dabei. Während des Tages der Gerichtsverhandlung liegen auf dem stachen Dache des letzteren Gebäudes drei Fahnen bereit, um augenblicklich aufgehißt und als Signal benutzt zu werden. Die Fahnen sind grün, weiß und schwarz. Die grüne Fahne soll in dem Augenblicke vom Dache wehen, in dem die Geschworenen sich geeinigt, die weiße, wenn ihr Spruch „Nichtschuldig," die schwarze, wenn er „Schuldig" lautet. An einem Fenster des Herrenhauses, von dem aus es möglich ist, die Fahnen zu erblicken, sobald sie aufgezogen sind, sitzt Martha und hält betend und weinend, hoffend und zagend Wache. Stunde um Stunde vergeht in banger Erwartrmg, keine Fahne zeigt sich. Der Tag neigt sich seinem Ende zu, die Dämmerung bricht herein, und noch immer sitzt Martha am Fenster und starrt mit trockenen, brennenden Augen in die Dunkelheit hinaus. Sie würde die Fahnen jetzt nicht mehr unterscheiden können, aber der Justizrat hat Sorge getragen, daß sie auch bei der Nacht keinen Augenblick unnütz auf die Nachricht zu warten braucht. Auf einer Vorrichtung auf dem großen Rasenplatze vor seinem Hause liegen drei Raketen zum Aufsteigen bereit. Sobald die Geschworenen sich geeinigt haben, soll eine grüne Rakete aufsteigen; ist ihr Spruch „Nichtschuldig," so wird eine im Zer platzen weiße Sterne herabsendende Rakete in die Höhe gehen, und ist ihr Spruch „Schuldig" — Martha fühlt, wie ihr Herz bei dem bloßen Gedanken an die Möglichkeit zu schlagen auf hört, — so wird eine Rakete aufsteigen und, ohne zu zerplatzen, in der Dunkelheit verschwinden. Die Uhr schlägt neun, dann zehn. Marthas Spannung steigert sich bis zur Unerträglichkeit, ihre Pulse klopfen fieberhaft, ihr Kopf brennt und vor ihren Augen beginnt es sich zu drehen. Unverwandt aber stank sie hinaus nach der Richtung hin, in der das Zeichen sichtbar werden muß. Noch eine halbe Stunde, da springt sie plötzlich auf, die Hände auf die Brust gepreßt, als müsse sie dieselbe vor dem Zerspringen be wahren. Ein feuriger Strahl schießt in die Höhe und ergießt sich jetzt in einem Regen von grünen Sternen über die dunkle Epde hin. Die Geschworenen sind einig! In der Gerichtshalle, die matt erleuchtet ist und nur noch einen kleinen Teil des Publikums, das sich darin befand, versammelt sieht, werden die Namen der Geschworenen aufgerufen, lang sam, einer nach dem andern. — Marthas Herz durchlebt Ewigkeiten in jeder dieser Sekunden. Das erste Wort, das über die Lippen des Ob manns kommen wird, ist Leben und Tod nicht allein für ihren Gatten — nein, sie fühlt es in ihrem Herzen, auch für sie. Sie hat sich aus ihre Kniee geworfen, die Arme in Todesangst zum Himmel erhoben. Ihre ganze Seele schreit zu Gott: „Erbarme dich, Herr, erbarme dich! Laß den Unschuldigen nicht verderben! Gib Gnade, gib Leben! Wende dich nicht von uns, Allbarmherziger, höre mein Flehen, allmächtiger Gott!" Die Worte ersterben plötzlich auf ihren Lippen — die zweite Rakete steigt auf. Hoch und höher steigt sie — Gott der Gnade, wird sie niemals brechen? Da zerspringt sie, ein silberner Funkenregen sprüht hernieder. Martha liegt auf der Erde, das Haupt schluchzend auf den Boden gedrückt. Gott war gnädig: ihr Gatte ist frei. 20. Unter den wenigen Personen, welche aus harrten, bis der Urteilsspruch erfolgte, befanden sich auch Frau Baumann und Käthe Rallas. Schweigend machten sie sich auf den Heimweg, nachdem sie das freisprechende Verdikt ver nommen hatten. Zweimal blieb die ältere der beiden stehen, als wollte sie reden, aber die Worte versagten ihr vor Aufregung. Als sie bei der Thür ankamen und Käche in das Halls
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