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Allgemeiner Anzeiger : 22.02.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189902227
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- Zeitungen
- Saxonica
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-02
- Tag 1899-02-22
-
Monat
1899-02
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 22.02.1899
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Po Mische Rundschau. Deutschland. * Kaiser Wilhelm hat der Witwe Faures telegraphisch sein Beileid ausgedrückt. In seinem Auftrag drückte auch bereits am Frei tag der deutsche Botschafter Graf Münster der französischen Regierung die kaiserliche Teilnahme aus und legte am Sarge Faures einen pracht vollen Kranz nieder. Der Kaiser wird sich bei der Bestattung Faures durch eine b e - sondere Gesandtschaft vertreten lassen. * Der Bundesrat genehmigte in seiner Donnerstagssitzung die Entwürfe des Fleisch- beschaugesetzes und der Ferns p r e ch - gebühren-Ordnung. * Eine neue Sensationsmeldung zur Samoafrage kommt aus London. Der Londoner Berichterstatter des Melbourner,Argus' schreibt aus Samoa, die einzige Lösung der Wirren dort liege in sofortiger AngIiede - rung der Inseln an England. Die Eingeborenen der ganzen Gruppe begünstigten einen solchen Schritt fast einstimmig, der auch von den britischen und amerikanischen Ein wohnern, selbst von vielen deutschen Kaufleuten lebhaft gewünscht werde. Wenn eine Annexion nicht stattfinde, sei die Entwaffnung der ge samten eingeborenen Bevölkerung eine gebiete rische Notwendigkeit. (Da wird doch Deutsch land, das die meisten Interessen auf Samoa hat, auch wohl noch ein Wörtlein mitreden.) *Die Reichstagskommission für das Bankgesetz hat einen vom Abg. Arendt eingebrachten Verstaatlichungsantrag abgelehnt. * Die Kommission für Arb e it erst atisti k hat die Vernehmung von Auskunstspersonen aus den verschiedenen Flußgebieten befürwortet, um im Betriebe der Personenbeförde rung Bestimmungen zu treffen zum Schutze des Personals in betreff der Sonntags ruhe. Dasselbe soll geschehen in bezug auf die Fähranstalten. Dagegen erachtet der Aus schuß in bezug auf die Flößerei und den Frachten verkehr solche Bestimmungen für kein Bedürfnis, auch nicht für durchführbar. Oesterreich-Ungarn. * Ministerpräsident Banffy wird an die un garische Opposition ein Ultimatum richten, doch wird diesem Schritte Banffys nur formelle Bedeutung beigemessen, da Banffy keine Er mächtigung zur eventuellen Auflösung des Par laments bekam, indem nach der ungarischen ver fassungsrechtlichen Auffassung dieAuflösung des Reichstages nicht zulässig ist, so lange nicht für das Budget vorgesorgt ist. Banffys offizielles Abschiedsgesuch ist sonach voraussichtlich bald zu gewärtigen. Hin gegen scheinen die Verhandlungen Szells mit der Opposition ein zufriedenstellendes Ergebnis zu versprechen. *Jn Prag beschloß eine Vollversammlung des Vereins tschechischer Advokaten, die Mitglieder zu verpflichten, bei den o b e r st e n Justizbehörden in Wien ausschließlich die tschechische Sprache zu gebrauchen. Frankreich. * Ganz plötzlich ist der Präsident der französischenRepublikFelixFaure am Gehirnschlage gestorben. Am Donnerstag abend um 7 Uhr saß er mit seinem Geheimschreiber im Arbeitskabinett, als er plötz lich vom Sessel sank. Der Sekretär trug den Kranken auf ein Bett, wobei Faure noch äußerte: „Ich bin verloren, es ist aus!" Die Familie und der Ministerpräsident Dupuy weilten bei dem Sterbenden, der auch noch die letzte Oelung empfing und um 10 Uhr verschied. Faure wurde 1841 geboren, hat somit ein Alter von 58 Jahren erreicht. Er war der Sohn eiues Tapezierers und hat selbst Gerber gelernt. Später errichtete er aus seinen Ersparnissen in Havre ein Geschäft, das sehr gut ging. Erst 1881 betrat er die politische Laufbahn; er wurde in Havre zum Abgeordneten gewählt, wo er durch Tüchtigkeit und Arbeitsamkeit bald zur Geltung kam. Er gehörte mehrmals den häufig wechselnden Kabinetten an. Vor vier Jahren, am 17. Januar 1895, wurde er von der Nationalversammlung zum Präsidenten der Republik gewählt. * Mit Felix Faure, der so plötzlich ge storben ist, hat die dritte Republik ihr siebentes Oberhaupt, ihren sechsten Präsidenten verloren. Thiers, Mac Mahon, Grevy, Carnot, Casimir- Perier und Faure waren die Präsidenten, von denen die ersten drei ihre Aemter niederlegten (sie sind inzwischen sämtlich gestorben); Carnot wurde bekanntlich ermordet, Casimir-Perier trat vorzeitig (wie behauptet wird: wegen der Drey fusaffäre) zurück. Faure ist der erste Präsident, der im Elysee starb. *Die Regierung ist jetzt in der Dreyfus-Angelegenheit äußerst thätig. In einem am Donnerstag abgehaltenen längeren Ministerrate teilt der Kriegsminister Freycinet mit, daß er soeben seine früheren Instruktionen erneuert habe, in welchen darauf hingewiesen worden war, daß die Offiziere sich jeder TeilnahmeanVereinenpolitischen Charakters zu enthalten hätten. — Nach Beendigung des Ministerrats wurden mehrere Minister über die Mitteilung einiger Zeitungen befragt, nach welcher der Justizminister Lebret beabsichtigen sollte, den O b e rst a ats an w alt Manau abzusetzen. Die Minister ant worteten, die Regierung habe sich mit dieser Angelegenheit nicht zu beschäftigen gehabt. * Die Nationaldruckerei in Paris begann am Donnerstag mit dem Druck der Unter suchungsakten; das vom Kassationshof niedergesetzte dreiköpfige Komitee überwacht die Arbeit, wobei die Regierung der Kriminalkammer volle Freiheit läßt. Schweiz. *Jn seiner Antwort auf die Einladung zur Teflnahme an der Abrüstungskonferenz lenkt der Schweizer Bundesrat die Aufmerksamkeit der russischen Regiemng auf die Notwendigkeit einer Revision der Bestim mungen der Genfer Konvention und nicht allein einer Ausdehnung derselben aus den Seekrieg. Der Bundesrat weist darauf hin, daß gewisse Bestimmungen der Konvention nicht mehr der gegenwärtigen Anschauungsweise ent sprächen, und daß man in die Konvention auch Bestimmungen hinsichtlich der Kriegs- gebräuche aufnehmen müsse. Als die Absicht Rußlands, eine Konferenz einzuberufen, bekannt geworden sei, habe der Bundesrat in der That nicht nur einen Entwurf für die Anwendung der Konvention auf den Seekrieg, sondern auch ein Programm und eine Vorlage betr. die Revision der Konvention, ausgearbeitet. England. *Jn betreff der Anti-Anarchisten konferenz erklärte am Donnerstag im Unter haus ein Regierungsvertreter, bei den Schluß abstimmungen hätten die englischen Delegierten sich der Abstimmung enthalten, England sei daher durch die vereinbarten Beschlüsse nicht gebunden. Italien. *Zu der Attentats-Affäre von Alexandrien wird der ,Neuen Fr. Pr.' aus Rom gemeldet: Der mit der Untersuchung be traute italienische Konsul erklärt einen An schlag auf die Person des Kaisers Wil helm für ausgeschlossen und spricht die Vermutung aus, daß die beim Wirte Pinelli entdeckten Bomben das Werk eines Polizei- Agenten find, der in derartigen Ränken sich öfters versucht hat. Der Polizei-Agent, gegen den der Konsul die Anklage auf geflissentliche Täuschung der Strafbehörde zu erheben be antragt, hat seine That bald eingestanden. — Die in Alexandrien erscheinende Meforme' ent hält folgende Mitteilung: „Auf Anordnung der Prüfungskammer des italienischen Konsular gerichts werden die dreizehn in der Anarchisten angelegenheit verhafteten Personen wegen un erlaubter Verbindung oder wegen Herstellung und Verbreitung anarchistischer Schriften an geklagt. Die Prüfungskammer schließt jeden Anschlag gegen den deutschen Kaiser aus und erklärt, gegen Mario Bazzani wegen Vor spiegelung eines Verbrechens ein- zuschreilen. Sie unterbreitet die Prozeßakten dem zuständigen Staatsanwalt bei demBerufungs- gericht in Ancona." Spanien. *Jn einem Schreiben, welches mit den Worten schließt: „Wir bereiten uns vor, das auszuführen, was Gewissen und Patriotismus von uns fordern!" verbietet Don Karlos den karlistischen Mtgliedern der Cortes, an den Verhandlungen über den Friedens vertrag mit Amerika teilzunehmen. Amerika. * Ueber ganz Nikaragua ist vom Prä sidenten Zelaye der Belagerungszustand verhängt worden. Aus dem Reichstage. Der Reichstag beendete am Donnerstag die erste Lesung der^Novelle zum Alters- und Jnvalidenver- sicherungsgesetz und überwies die Vorlage einer Kommission. In vorgerückter Stunde wurde noch die Besprechung der Interpellation Johannsen betr. die Ausweisungen aus Nordschleswig begonnen, aber zugleich vertagt, nachdem Abg. Johannsen die Inter pellation begründet hatte. Der Reichskanzler Fürst Hohenlohe gab die Erklärung ab, daß die Reichs regierung die Interpellation weder beantworten noch sich an der Debatte beteiligen werde, da es sich bei den Ausweisungen um die Ausübung eines Landes hoheitsrechts handle. Am 17. d. nimmt vor Eintritt in die Tagesord nung das Wort Reichskanzler Fürst Hohenlohe: Ich habe dem hohen Hause die Mitteilung zu machen, daß der Präsident der französischen Republik, Herr Felix Faure, gestern abend an einem Schlaganfall Plötzlich verstorben ist. Ich bin gewiß, daß die Vertretung des deutschen Volkes sich eins weiß mit Sr. Majestät dem Kaiser und den verbündeten Regierungen in dem Ausdruck herzlicher Sympathien für die französische Nation, die den Heimgang dieses Mannes beklagt, der als ihr Staatsoberhaupt unentwegt die Inter essen des Friedens, der Eintracht und Wohlfahrt der Völker gefördert hat. (Beifall.) Eingedenk des ge meinsamen Bandes, welches alle gebildeten Völker umfängt, geben auch wir unserer Trauer Ausdruck über den Verlust des französischen Volkes, das zu keiner Zeit aufgehört hat, einer der großen Träger der Zivilisation zu sein. (Lebhafte Zustimmung.) Präs. Graf Ballestrem: Der Reichstag hat sich erhoben, um seiner Sympathie Ausdruck zu geben. Ich konstatiere das. Das Haus tritt sodann in die Tagesordnung ein, deren erster Punkt die Fortsetzung der Besprechung der gestern begründeten Interpellation Jo hannsen über die Ausweisung dänischer Staats angehöriger aus Nordschleswig ist. Der Reichskanzler verläßt mit dem Staatssekretär v. Bülow und den anwesenden Kommissarien des Bundesrats den Saal. Abg. Hänel (fr. Vgg.): Die Erklärung des Reichskanzlers, daß die Frage nicht vor das Forum des Reichstags gehöre, ist nicht zutreffend. Der Reichstag hat mit der Annahme des Antrages Michaelis dem Reiche das Recht der Fremdenpolizei ausdrücklich wahren wollen. Fürst Bismarck hat im Jahre 1887 den Vertrag über die Einverleibung Schleswig-Holsteins nicht dem prenßischen Landtag, sondern vem Reichstag vorgelegt. Er hat damit die Zuständigkeit des Reichstages anerkannt. Seit den Negierungsmaßnahmen am Ende der achtziger Jahre haben die dänischen Stimmen bei den Wahlen beständig zugenommen. Und besonders erbittert haben die Sprachverordnungen. Diese sind der Kardinalpunkt der dänischen Bewegung. Durch das Schulregulativ von 1888 ist die Unterrichtssprache ausschließlich die deutsche geworden: die dänische Sprache ist ganz aus der Schule verdrängt. Aller dings, die Kirchensprache ist noch dänisch, und infolgedessen wird auch der Religions-Unterricht in dänischer Sprache erteilt. In Elsaß-Lothringen ist es noch keinem Menschen eingefallen, das Franzö sische vom Unterrichtsplan auszuschließen. Man hätte doch den einen Wunsch der dänischen Bevölke rung, der damals bis an den König gerichtet wurde, erfüllen sollen, daß wöchentlich wenigstens zwei dänische Sprachstunden in den Lehrplan cingefügt würden. Bei allen Behörden aber, zu denen die Petenten kamen, wurden sie auf das schnödeste em pfangen und abgefertigt, man sagte ihnen, sie wollten nur die dänische Agitation befördern. Man hätte die Beschwerden doch zunächst in vorurteilsloser Weise prüfen sollen. Gott hat die Menschen nach seinem Ebenbilde geschaffen, nicht nach den An schauungen einer wechselnden Büreaukratie. Abg. v. Dicdemann (freikons.): Meine Freunde sind nach wie vor der Ansicht, daß die ganze Angelegenheit nicht vor den Reichstag gehört. Artikel 4 der Verfassung kann die Zuständigkeit des Reichstages nicht begründen. Außerdem ist die Frage der Ausweisungen erst vor kurzer Zeit im Abgeordnetenhause besprochen worden, und Neues hat sich seitdem nicht ereignet. Abg. Hänel hat ja selbst die dänische Agitation als gefährlich und illoyal gekennzeichnet, da ist es doch Pflicht des Staates, einzuschreiten. Die dänisch sprechende Be völkerung Nordschleswigs fühlt sich nicht deutsch, sondern durchaus dänisch, sie hofft auf die Los trennung Schleswigs von Preußen. Die darauf hinausgehenden Bestrebungen darf die Regierung nicht dulden. Wenn die Regierung entschieden dagegen auftritt, so müssen wir ihr dafür dankbar sein, denn meine Freunde halten, um mich an den Wortlaut der Interpellation zu halten, die Maßnahmen des Herrn v. Koeller für gerechtfertigt und den Interessen des Reiches entsprechend. Abg. Liebknecht(soz.): Der Vorredner konnte uns keinen größeren Gefallen thun, als daß er die Maßnahmen billigte und feierte, die in der ganzen zivilisierten Welt als ein Skandal gelten. Meine Freunde sind keinen Augenblick im Zweifel darüber, daß die Sche vor den Reichstag gehört und nicht vor denLandtag, dieses traurige Produkt des elendesten aller Wahlsysteme. Das preußische Regiment ist in Nord schleswig heute noch ebenso verhaßt, wie vor 35 Jah ren, ganz besonders erbitternd aber hat der Sprach terrorismus gewirkt. Wohin die Vernichtung der Nationalitäten führt, das sehen wir ja am besten in Oesterreich. Ein Grund für das scharfe Vorgehen des Herm v. Koeller liegt absolut nicht vor. Das Deutsche Reich sollte sich schämen, vor der Welt eine solche Furcht vor den 2^ Millionen Dänen zu zeigen. Abg. v. Levetzow (kons.): Meine Freunde sind der Ansicht, daß die Angelegenheit nicht hierher gehört; gehörte sie aber in den Reichstag, so wäre die Interpellation nach der eingehenden Verhandlung im Abgeordnetenhause doch überflüssig. Die preußi sche Regierung thut in der Sache jedenfalls nur ihre Schuldigkeit, denn sie muß den Landestcil vor Schaden bewahren. Abg. Toennies (nat.-lib.): Die Schilderungen des Abg. Johannsen über die Zustände inNordschleswig sind doch in manchen Punkten der Berechtigung be dürftig. Er sprach von einer Leutenot. Von einer solchen ist mir nichts bekannt, wohl aber ist mir be richtet worden, daß es deutschen Arbeitern vielfach ganz unmöglich wird, bei Dänen Arbeit zu erhalten. Von einer dänenfeindlichen Agitation der deutschen Vereine ist mir ebenfalls nichts bekannt geworden, wohl aber von den deutschfeindlichen Agitationen dänischer Vereine. Auch von einer Sprachennot könne keine Rede sein. Die Dänen können alle deutsch, sie wollen es nur nicht sprechen. Die Lostrennung von Preußen ist das Endziel der ganzen Agitation. Abg. Lieber (Zentr.): Daß der Reichstag zu ständig ist, hat Abg. Hänel meines Erachtens über zeugend nachgewiesen. Bei der Beratung der Ver fassung ist die Bestimmung des Art. 4 ausdrücklich auch m dem Sinne eingefügt worden, damit die Möglichkeit von Ausweisungen seitens der Einzel staaten ausgeschlossen werde. Zur Sache selbst kommend, stelle ich zunächst fest, daß es sich keines wegs nur um Ausweisungen handelt. In erster Linie stehen dabei unzweifelhaft die Maßnahmen gegen die Muttersprache. Es ist leider eine That- sache, daß das deutsche Nationalbewußtsein an den Grenzen nicht stark genug ist, um einer Assimilation mit den Ausländem zu widerstehen. Das ist eine Schwäche, die wir noch abstreifen müssen. Die Maß nahmen der preußischen Regiemng können das aber nicht befördern. Man erreicht damit das Gegenteil von dem, was man beabsichtigt. Sodann wird die Weiterberatung vertagt. Prcutzisrh-r Kandta«. Am Donnerstag wurde im Abgeordnetenhause nach längerer Generaldebatte das Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch und der Gesetzentwurf über die die freiwillige Gerichtsbarkeit einer Kommission überwiesen. Gleichzeitig wurde über einen Anirag der Konservativen beraten, die Einführung des Bürger lichen Gesetzbuchs bis 1901 hinauszuschieben, weil bis 1900 die Zeit für Behörden und Publikum zu kurz sei, um sich iu die Materie einzuarbeiten. Justiz minister Schönstedt empfahl die Zurücknahme des Antrages. Das geschah aber zunächst nicht. Das Abgeordnetenhaus setzte am Freitag die zweite Etatsberatung beim Ministerium des Jnnem fort. Beim Titel „Landräte" tadelte Abg. Kopsch (frs. Vp.) das Verhalten mehrerer Landräte und Amtsborsteher bei den Wahlen. Minister des Jnnem Frhr. v. d. Recke nahm die Landräte gegen die ihnen gemachten Unterstellungen der Parteilichkeit bei den Wahlen in Schutz. Beim Kapitel „Polizeiverwaltung in den Provinzen" verbreitete sich Abg. Schall (kons.) über die Zigeunerplage, wozu vom Regierungstische erwidert wurde, daß die Polizeiverwaltungen be müht seien, die Zigeuner von den Grenzen fernzu halten und sie eventl. über die Grenze zurückzu weisen. Es sei aber nur auf reichsgesetzlichem Wege etwas zu machen. Am Vorabend der Hochzeit. UH Roman von Helene Stökl. «Echl^Y „Wird sie am Leben bleiben?" fragte Onkel Gustav den Arzt, als dieser nach beendeter Untersuchung aus dem Zimmer trat, in welches man die Verunglückte getragen hatte. „Das kann ich augenblicklich noch nicht be stimmen. Sie ist zu schwer verletzt, um je wieder ganz gesund zu werden, aber es ist möglich, daß ihre Jugendkraft fie am Leben erhält." „Ist sie bei Bewußtsein, kann ichmit ihrreden?" „Sie ist bei Bewußtsein, indessen . . ." „Ihre Aussage ist von größter Wichtigkeit," unterbrach ihn Onkel Gustav. „Der Mann, dein fie nachsprang, ist ein Verbrecher, dessen Persön lichkeit durch sie allein festgestellt werden kann." „Wenn Sie die Unterredung nicht zu lange ausdehnen wollen, glaube ich nicht, daß ihr die selbe Schaden zusügen kann; augenblicklich ist fie von der Untersuchung noch zu sehr erschöpft. In ein paar Stunden aber komme ich wieder und werde Sie davon verständigen, ob Sie die Kranke ohne Gefahr für dieselbe sprechen können." Die nächsten Stunden vergingen Onkel Gustav in peinlichster Aufregung. Endlich kam der Abend und mit ihm der Doktor. „Ich habe nichts dagegen, daß Sie die Kranke sehen," sagte dieser zu dem Wartenden, „ich habe der alten Dame vonJhrerAbsicht gesagt." Er verabschiedete sich, während Onkel Gustav fich dem Krankenzimmer näherte, ungewiß, wie er fich daselbst einführen sollte, trat Frau Bau mann aus der Thür desselben. „Darf ich fragen," begann fie, seinen Gruß unerwidert lassend, mit schneidender Kälte, „was Sie veranlaßt, das arme Mädchen zu belästigen, das dort zwischen Leben und Tod schwebt?" „Ich werde so kurz als möglich sein, aber ich muß ihre Aussage haben." „Gegen wen soll fie aussagen?" fragte Frau Baumann ruhig. ,, Muß ich Ihnen das sagen ?" Onkel Gustavs Gleichmut begann ihrer herausfordernden Art und Weise gegenüber zu schwinden. „Es war freilich zu erwarten, daß Sie der Unterredung mit dem Mädchen hinderlich in den Weg treten würden. Sie müssen ja Ihren Sohn zu schützen suchen." „Meinen Sohn?" fragte fie kalt. „Was hat mein Sohn mit dieser Angelegenheit zu thun?" „Wollen Sie vielleicht in Abrede stellen, daß Ihr Sohn es war, dem das betörte Mädchen nachsprang? Wenn Sie mich abhalten, Käthe Rallas zu befragen, so werde ich die Polizei auffordern, mir dazu behilflich zu sein!" „Ich wäre begierig, zu erfahren, welchen Vorwand Sie dazu nehmen würden." Onkel Gustav schwieg. Er wußte recht wohl, daß die Auffindung des blutigen Kragens an und für sich von keiner Bedeutung war und nur im Zusammenhänge mit allen anderen Umständen Wichtigkeit gewann. Alfred Baumann war aber von niemand erkannt worden, als von dem Mädchen und vielleicht von seiner Mutter. Sie blickte ihn. finster an. „Sie können nicht das geringste gegen mich ausrichten," sagte sie scharf. „Ich will aber nicht, daß Sie glauben sollen, ich fürchte Sie. Treten Sie ein, ich werde Ihre Unterhaltung nicht stören." Mit der Scheu, die das Unglück, auch wenn es selbstverschuldet ist, hervorruft, näherte Onkel Gustav sich dem Lager des Mädchens. „Ich hoffe, Sie leiden keine zu großen Schmerzen," sagte er leise und sanft. Sie rich tete die dunklen, in dem eingesunkenen Gesicht unnatürlich groß erscheinenden Augen langsam auf ihn. „Muß ich sterben?" flüsterte sie. „Sie stehen in Gottes Hand. Was er aber auch über Sie bestimmen möge, Sie haben eine ernste Pflicht zu erfüllen." „Welche?" „Den Mann, dem Sie nacheilen wollten, der Gerechtigkeit zu überliefern." „Das kann und will ich nicht," antwortete sie fest. „Dann wissen Sie nicht, wie schuldig er ist, und er hat auch Sie getäuscht!" Sie sah ihn fragend an und er fuhr fort: „Nicht Heinrich v. Lestow war es, der den ersten Schlag that. Baumann suchte Lestow zu ermorden, und nur in dem Triebe der Selbst erhaltung verwundete dieser ihn. Als er sich bemühte, den Körper aufzurichten, gab das Ufer nach und der Körper glitt in das Wasser." „Wenn das so war, warum sagte er cs nicht? „Wer hätte ihm das wohl geglaubt, wenn Sie es nicht ebenfalls bekundeten?" „Deshalb sah er mich so an!" murmelte fie leise; „sein Blick verfolgt mich fort und fort." „Dann werden Sie den Schuldigen nicht länger schützen wollen?" fragte Onkel Gustav. „Je schuldiger er ist, desto mehr bedarf er der Liebe. Ich werde ihn nicht verraten." „Sie retteten ihn in jener Nacht?" „Ja!" Ihre im Schmerz halb erloschene' Augen leuchteten freudig auf. „Als ich de Damm durchstach, trieb sein Körper ans d- Wellen daher, und ich rettete ihn." „Sie retteten ihn und er streckte nicht e" mal den Finger aus, Sie dem Verderben u entreißen?" „Sagen Sie das nicht!" bat sie, die Auen flehend auf ihn richtend. „Er war überraht, erschrocken. Er erkannte mich erst, als e'zu spät war." „Möge es so sein, wie Sie glauben! Ich bitte Sie nur, das, was Sie mir gesagt bben, in Gegenwart eines Beamten zu wiederhlen." „Das werde ich nicht thun? „Aber dann entkommt er." „Er soll entkommen!" „Und der Unschuldige soll für ihn siden?" „Er ist ja freigesprochen." „Aber der Verdacht ruht noch auf hm und zehrt an seinem Leben. Sie lieben del Schul digen, und Sie haben kein Mitleid mit der Gattin Heinrich von Lestows, die es ick anschen muß, wie der Verlust seiner Ehre ihem Mann das Herz bricht?" Käthe lag ein paar Augenblicke regungslos und mit geschlossenen Augen da dam sagte sie: „Gut, ich werde meine Aussigen machen, und Sie können dieselben gericbsich bestätigen lassen, aber nicht eher, als bis ich ihn in Sicher heit weiß. Vor morgen abend wird kein Wort gegen ihn über meine Lippen kommen."
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