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Allgemeiner Anzeiger : 15.02.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189902156
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- Saxonica
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- Strukturtyp
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- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-02
- Tag 1899-02-15
-
Monat
1899-02
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 15.02.1899
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Politische Rundschau. Deutschland. * Der Kaiser wird sich nächster Tage zum Jagdaufenthalt nach Hubertus stock begeben. Ob auch die Kaiserin ihren Gemahl dorthin be gleiten wird, steht noch nicht fest; jedoch gilt es als wahrscheinlich. In dem Jagdschluß selbst werden gegenwärtig eifrige Vorbereitungen zum Empfang des hohen Jagdherrn getroffen. Der Aufenthalt dürfte sich auf sechs bis acht Tage erstrecken. * Der Kaiser hat angeordnet, daß die Offiziere des Infanterie - Regiments „Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig" für den verstorbenen Reichskanzler Grafen Caprivi, der Chef dieses Regiments war, auf drei Tage Trauer anlegen. * Die ,St. James Gaz/, die Beziehungen zu den englischen Hofkreisen unterhält, weiß nichts von einer etwaigen Absicht des Herzogs von Connaught, zu Gunsten seines Sohnes auf die spätere Nachfolge im Herzogtum Sachsen-Koburg und Gotha zu ver zichten; sie bemerkt hierüber: „Auf den Herzog von Connaught geht jetzt die Thronfolge des Herzogtums über. Wahrscheinlich wird der Herzog von Connaught von jetzt an viel in Koburg weilen, wie es sein Bruder that, als er Thronfolger war. Hier liegt ein weiteres Beispiel von dem fortwährend sich abspielenden Prozeß vor, daß die Kinder der englischen Souveräne England entzogen werden. Es liegt allerdings in den Grenzen der Möglichkeit, daß der zukünftige Herzog von Koburg König von England wird. Wie wünschenswert das sein würde, sah man ein, als der Prinz von Wales seine Erbansprüche an seinen Bruder, den Herzog von Edinburg, abtrat." *Dem Reichstag wird voraussichtlich noch in der gegenwärtigen Tagung ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, durch den das Ge werbe der Gesinde-Vermieter und Stell en-Vermittler konzessions pflichtig gemacht wird. Der preußische Landwirtschafts-Minister hatte fchon in der vorigen Landtags-Tagung während der Be ratung über den Arbeitermangel auf dem Lande angekündigt, daß die preußische Staats regierung beim Bundesrat beantragen werde, dem nächsten Reichstag einen solchen Gesetz entwurf vorzulegen. Der Entwurf ist denn auch schon seit längerer Zeit in Vorbereitung. *Eine im Reichstage eingebrachte Inter pellation Johannsen lautet: „Erachtet der Reichskanzler die von der preußischen Staatsregierung in Nordschleswig ge troffenen Maßregeln und die damit in Verbin dung stehenden Ausweisungen für gerechtfertigt und den Interessen des Deutschen Reiches ent sprechend ?" — Dieselbe ist nur von den So zialdemokraten unterstützt worden. * Die bis jetzt von den Zeichnungsstellen für die einheimischen Anleihen — 75 Millionen Mark Deutsche 3 prozenüge Reichsanleihe und 125 Millionen Mark Preußische 3 prozentige Konsols — ge meldeten Zeichnungsergebnisse weisen eine viel fache Ueberzeichnung des aufgelegten Betrages auf. Es läßt sich aus den Zeichnungen die Thatsache erkennen, daß sich besonders für dauernde Anlagezwecke sowohl aus sämtlichen Teilen Deutschlands als auch vom Auslande sehr starker Begehr nach den neuen Anleihen geltend macht. Aus New Jork, aus London und in großen Summen auch aus Paris liefen der ,Nat.-Ztg/ zufolge bei den Berliner Banken und Bankhäusern Aufträge zu Zeichnungen und meistens mit der Bezeichnung „zu fester Anlage" ein. Pariser Aufträge waren vielfach von Bar zahlungen begleitet. *Jn der deutschen Abteilung der im Jahre 1900stattfindenden Weltausstellung zu Paris wird auch eine Ausstellung von wissenschaftlichen Jnstmmenten, Apparaten rc., besonders auf dem Gebiete der Feinmechanik und Optik, veranstaltet werden. Die Ausstellung soll die vorzüglichsten Erzeugnisse des deutschen Jnstrumentenbaues vorführen. Vom preußi schen Staate wird beabsichtigt, eine Anzahl von astronomisch- und astrophysikalisch-fein mechanischen Instrumenten der staatlichen In stitute für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen, sowie einige größere Modelle neu zu be schaffen. *Jn der Disziplinaruntersuchung gegen Professor Delbrück ist die Anklage schrist jetzt dem Disziplinarhose und dem Ange klagten zugegangeil. Der Strafantrag lautet dem Vernehmen nach auf Strafversetzung in ein gleiches Amt ohne Ersatz von Umzugs kosten. * v. Bockum - D olffs, der frühere Reichstags- und Landtagsabgeordnete, ist im 97. Lebensjahr in Völlinghausen verstorben. Oesterreich-Ungarn. * Während die österreichische Re gie- rung mitten in den Vorbereitungen für die Landtagssession begriffen ist, beginnen allerhand Gerüchte verschiedenster Art und Her kunft über die Zukunft Oesterreichs hervor zutreten, denen wohl großer Anspruch auf Glaubwürdigkeit kaum zuzusprechen sein wird. Anfangs meldeten österreichische Provinzblätter, im Ministerium des Aeußeren fänden geheime Beratungen statt, um eine Umgestaltung der österreichischen Verfassung auf föderalistischer Grundlage vorzubereiten. Dann wieder trat die Auffassung hervor, es bereite sich unter dem Protektorat des Auswärtigen Amtes eine deutsch-polnisch-ungarische Koa lition gegen die Tschechen vor. Das letztere Gerücht knüpft an einen Artikel eines Wiener Blattes an, dessen Verfasser angeblich ein hervorragender polnischer Abgeordneter sein soll und der den Polen dringend rät, ihr ihr Schicksal von dem der Tschechen, der Vorhut des polenfeindlichen Rußland, zu trennen. Man hat es hier wohl im besten Falle mit der An regung irgend eines polnischen Abgeordneten zu thun — wenn die ganze Sache überhaupt einen praktischen Hintergrund besitzt. Möglich, daß die Polen allmählich zu einer deutschfreundlicheren Haltung in Oesterreich übergehen wollen, wenn sie erst ihre bisherige ausschlaggebende Stellung ernstlich bedroht sehen. Zur Zeit ist daran aber sicherlich nicht im geringsten zu denken! * Die Errichtung eines Bismarck-Denk mals in Eger ist von der Bezirkshaupt mannschaft dem dortigen Bismarck-Denkmal- Komitee versagt worden. Der Erlaß er kennt die Größe Bismarcks als Staatsmann an, erklärt aber die Errichtung eines solchen Denk mals vom Standpunkt des österreichischen Patrio tismus aus für unzulässig. Frankreich. * Die französische Deputiertenkammer hat die Regierungsvorlage über die Abänderung des Revisionsverfahrens, trotzdem die vorberatende Kommifsion sie mit großer Mehrheit abgelehnt hatte, mit 332 gegen 216 Stimmen angenommen. Dagegen gilt als sicher, daß der Senat sie verwerfen wird. Italien. *,Daily Mail' meldet aus Kairo, die italienischen Anarchisten, welche be schuldigt sind, in Alexandrien einen An- fchlag gegen Kaiser Wilhelm geplant zu haben, würden nach Italien gebracht und in Ancona vor Gericht gestellt werden. Svanien. *Eine Meldung aus Paris weist darauf hin, daß die k a rl i st is ch e A git a t io n im nördlichen Teile Spaniens, die eine Zeitlang, wenn auch nicht als ernste Gefahr, so doch als ein beunruhigendes Momen: angesehen werden mußte, allen Anzeichen nach beträchtlich ab genommen habe. Verläßchlichen in Paris eingetroffenen Nachdrichten zufolge habe die Zu- versichl, die man früher in karlistischen Kreisen zur Schau trug, Gefühlen der Enttäuschung und Entmutigung Platz gemacht, waS auf den Mangel einer strammen Organisation der karlistischen Partei, sowie an materiellen Hilfsmitteln für eine größere Aktion zurück zuführen sei. Rustland. * Das russische Ministerium des Auswärtigen spricht in bezug auf die Frage der Teilnahme an der Abrüstungskonferenz amtlich und öffentlich aus, daß die ni ed e rl ä n d i s ch e Negierung, nachdem sie sich mit der Abhaltung der Konferenz im Haag einverstanden erklärt hat, nunmehr als Wirtin zu bestimmen habe, an wen die Einladung zur Beschickung der Konferenz zu erlassen find. Balkanstaaten. * In Bulgarien beginnt man jetzt auch zu merken, daß der Wind für eine macedo- nische Erhebung nicht günstig ist, und sichert sich der Pforte gegenüber. Der Minister des Aeußeren, Grekow, hat in Konstantinopel beruhigende Versicherungen über die Haltung der bulgarischen Regierung gegen über etwaigen Versuchen zur Herbeiführung einer macedonischen Bewegung abgehen lassen. Die fürstliche Regierung werde — so wurde in diesen Erklärungen betont — absolut nicht dul den, daß Versuche dieser Art vom Boden des Fürstentums unternommen werden, und sie habe alle diesem Grundsätze entsprechenden Vorkeh rungen getroffeu. *Die agrarisch - sozialistische Bauern- bewegung in Rumänien ist durch die energischen militärischen Maßregeln der Regie rung niedergedrückt worden. Amerika. * Die Marinekommission des Repräsentanten hauses in Washington hatte sich dahin schlüssig gemacht, die Zahl der Schlachtschiffe um drei zu erhöhen, so daß die amerikanische Flotte über 16 Schlachtschiffe versügen könne. (Das wären gerade so viel, wie Deutschland im Jahre 1903 haben wird!) Deutscher Reichstag. Am 10. d. wird die erste Beratung derNoveIle zum Reichsbankgcfetz fortgesetzt. Abg. v. Kardorff (freikons.): Abg. Büsing bat neulich gesagt, Gegner der Verstaatlichung der Reichs bank seien lediglich die Agrarier und Bimetallisten. Diese beiden Klassen scheint er gleich tief zu schätzen. Er irrt sich aber: Es sind nicht alle Agrarier Bimetallisten. Mein Freund Gamp z. B. ist Agrarier und Goldwährungsmann. Aber auch wir Bimetallisten betrachten die Vorlage gar nicht vom bimetallistischen Standpunkt aus, obwohl es gerade bei einer Bank vorlage nahe liegt, den Wert einer festen Relation zwischen Gold und Silber zu beleuchten. Man kann ja nicht gerade sagen, daß Deutschland nicht stark genug sei, die Goldwährung zu tragen. Unser Nationalreichtnm hat nicht abgenommen, er ist nur vom platten Lande in die Stadt gewandert, und wir Landwirte sind jedenfalls nicht zu beneiden. Mit der Goldwährung in engem Zusammenhänge steht die Vorlage um deswillen, weil ja die Reichs bank die Goldwährung sichern mutz, und weil wir vor der Frage stehen, wie wir unseren Goldbestand am besten verteidigen können. Wir beanspruchen keineswegs, daß die Reichsbank eine Pumpstation für Agrarier, also eine Wohlthätigkeitsanstalt für uns sein soll, aber wir wollen doch auch nicht, daß sie zu einer Wohlthätigkeitsanstalt für einzelne Bank firmen werde. Eine der Hauptaufgaben der Reichs bank ist es doch, den Diskontsatz so niedrig wie möglich zu halten. In dieser Beziehung hat die Bank den Anforderungen nicht entsprochen, die man an eine große Staatsanstalt zu stellen berechtigt ist. Auch der Goldbestand der Reichsbank hat sich nicht vermehrt, sondern ist beständig gesunken. Er reicht bei weitem nicht aus, den Notenumlauf zu decken. Redner legt des längeren seine Auffassung über die Verstaatlichung der Reichsbank dar. Abg. Fischbeck (frs. Vp.): Die Rede des Herrn v. Kardorff kann mich nicht veranlassen, näher auf die fchon von anderen Herren beleuchteten Einzel heiten der Vorlage einzugehen. Wir sind es ja ge wöhnt, von Herrn v. Kardorff Schilderungen zu hören, nach denen das deutsche Volk dicht vor dem Ruin stehen müßte. Demgegenüber braucht man nur darauf hinzuweisen, daß sich das Kapitalvermögen des deutschen Volkes um jährlich rund 61^ Millionen Mark vermehrt hat. Meine Freunde stimmen gegen die Verstaatlichung, wenn sie in zweiter Lesung bean tragt werden sollte, sie sind einverstanden mit der Erhöhung des Grundkapitals, mit der Erhöhung des steuerfreien Notenkontingents, mit der Schmälerung der Rente der Anteilseigner und mit der Erhaltung der Privatnotenbankcn in einer Form, daß der Reichsbank die Aufgabe nicht erschwert wird, die Goldwährung aufrecht zu erhalten. Wir sind ferner damit einverstanden, daß in Zukunft das Privilegium der Reichsbank nicht mehr alle zehn, sondern alle zwanzig Jahre erneuert werde. Abg. Hahn (wildkons.): Im Gegensatz zu der Mehrzahl der Redner muß ich mich für die Verstaat lichung der Reichsbank aussprechen. Die Bank würde dann sicher nicht nur im Interesse der Haute finance geleitet, sondern auch die Landwirtschaft würde mehr berücksichtigt werden, zumal wenn man dem Reichs- bankpräsidcnten einen Ausschuß an die Seite setzte, der aus Vertretern aller Berufskreise zusammenge setzt wäre. An der Organisation der Bank würde dann nichts geändert zu werden brauchen, wenn die 120 Millionen Aktienkapital voll ausbezahlt würden. Reichsbankpräsident Koch weist die Bedenken des Abg. Hahn gegen die zu geringe Deckung des Notenumlaufs durch den Goldbestand durch Ver lesung einer Reihe von Stellen aus Berichten der Reichsbank sowie ausländischer Banken über die gleiche Materie zurück. Abg. Liebermann von Sonnenberg (Antis): Von unserem Standpunkte ist die Vorlage eine durchaus verfehlte, weil sie nur den Interessen der Plutokratie zu gute kommt, weil sie die Er wartungen aller derer täuscht, die gehofft hatten, daß nun endlich aus der Bank als einer Bank der Reichen eine Bank für das Reich werden müßte. Das richtigste wäre, der Reichstag verlängerte das Reichsbankprivilegium nur auf ein Jahr und forderte die Regierung auf, bis dahiu ein Gesetz betr. die Verstaatlichung der Reichsbank einzubringen. Abg. Frhr. v. Wangenheim will die Reichs bank völlig unabhängig gemacht Misten von den privaten. Dem Reich würden dann die ganzen Ueberschüsse der Bank zufließen. Die Gegner der Verstaatlichung haben allerdings ein Interesse daran, diese Ueberschüsse möglichst gering zu veranschlagen. Diesmal werde ja die Verstaatlichung noch nicht durchgesetzt werden, denn allem Anscheine nach werde das Gesetz aus der Kommission ziemlich unverändert herauskommen, aber hoffentlich zum letzten Male. Abg. Schönlank (soz.) bestreitet, daß er für die Begünstigung der Aktionäre eingetretcn sei. Seine Partei begünstige keine Millionäre: man möge nur warten, was seine Parteigenossen in der Kommission thun werden. Vor zehn Jahren hätten seine Freunde allerdings für die Verstaatlichung gestimmt, heute, in der Zeit der Reaktion, fiele ihnen das nicht ein, denn das hieße die Bank den Vertretern des Ent-- rechtungskurses, des Zuchthauskurses ausliefern. Der Zentralausschuß könne dann vielleicht ans ver krachten Landwirten und pensionierten Offizieren zusammengesetzt werden. Damit schließt die Diskussion. Die Vorlage wird an eine Kommission von 28 Mitgliedern verwiesen. DIrrutzisch-r Landtag. Das Abgeordnetenhaus beschäftigte sich in seiner Donnerstag-Sitzung mit der ersten Beratung des Antrages der Abgg. Langcrhans u. Gen. (frs. Vp.) betr. die Aufhebung der Konsistorialordnung von 1573, wonach die Heranziehung der Stadtgemeinden zu den Kirchenbaulasten bis jetzt erfolgt. Darauf folgte die Interpellation der Abgg. Szmula u. Gen. (Ztr.) betr. den Arbcitermangel auf dem Lande. Landwirtschaftsminister Frhr. v. Hammerstein er klärte, die Regierung erkenne dm Notstand bezüglich der ländlichen Arbeiterfrage an, werde aber Aus kunft über die Maßnahmen, welche sie dagegen zu treffen gedenke, erst bei Beratung des Antrages Gamp geben. Am Freitag wurde im Abgeordnetenhause die Besprechung der Interpellation Szmula betr. den ländlichen Arbeitermangel fortgesetzt und in Ver bindung damit über dm Antrag Gamp (freikons.) verhandelt, welcher dasselbe Thema betrifft. Finanz minister v. Miquel erklärte, die Regierung erkenne den Notstand an und sei bereit, alles zu thun, was in ihren Kräften stehe, um der Not abzuhelfen. Die Lcutenot werde hervorgerufen durch die Notwendig keit intensiverer Bewirtschaftung, die größere Saison arbeit, besonders in der Zuckerindustrie, die kolossale Zunahme an Staats-, Provinz- und Kommunalbauten, besonders von Eisenbahnbauten, durch die deutsche Wanderlust, die Sucht nach Ungebnndenheit, die zu frühe Selhständigwerdung der Arbeiterjugend u. s. w. Gegen die Eisenbahnbauten lasse sich schwer etwas machen, denn die Interessenten wollen ihre Eisenbahn so schnell "wie möglich haben, höchstens könne man daran denken, dm Bau während der Ernte auszu setzen. Sehe man von einer Einschränkung der Frei zügigkeit ab, so werden diese Maßnahmen auf dem Gebiete der Schule und einer Stärkung der väter lichen und vormundschaftlichen Gewalt anzustreben sein. Mt der Zeit dürften wir hoffen, damit gute Resultate zu erzielen. Auf eine unbeschränkte Zu lassung ausländischer Arbeiter würde die Regierung nicht eingehen können. Sie habe aber die Zulassnng bereits bis auf acht Monate ausgedehnt. Ministerial direktor Kügler erklärte, die Schulverwaltung sei bereit, den Wünschen der Landwirtschaft entgegenzu- kommm, so weit es ohne Schädigung der Volksbil dung geschehen könne, z. B. durch Verlegung der Schulstunden. Landwirtschaftsminister Frhr. von Hammerstein betonte seine völlige Ucbereinstimmung mit Herrn v. Miquel und seine Bereitwilligkeit, eine gründliche Enquete über die Entwickelung der länd- ! lichm Arbeiterverhältnisse zu veranstalten. Am Dsraüend der Hochzeit. 82j Roman von Helene Stökl. „Heute nachmittag werden die Sachen der Käthe Rallas verkauft," sagte Justizrat Mellien einige Wochen nach der Freisprechung Heinrichs zu seiner Frau. „Wenn du Lust hast, den Schreibtisch zu kaufen, von dem ich dir schon früher sagte, so begleite mich zu der Auktion. Das Mädchen sagte mir, ich solle ihr dafür zahlen, was ich für recht halte; es ist mir aber angenehmer, wenn die Sachen öffentlich verkauft werden." Diesem Gespräch zufolge begab sich der Justizrat am Nachmittag desselben Tages mit seiner Frau in das Auktionslokal, kaufte den erwähnten Gegenstand und ließ ihn nach seiner Wohnung transportieren. Es war ein schwerer, altmodischer Schreibtisch, aber bequem und praktisch, nicht in der unsoliden Weise gearbeitet, daß man aus der einen Schublade gleich in die andere kommen kann, sondern jede Schublade mit einem eigenen Fach versehen. Die durch den häufigen Gebrauch glatt gewordenen Laden ließen sich mit der größten Leichtigkeit heraus ziehen uiü> hineinschieben, bis auf eine einzige, die trotz aller Bemühungen stecken blieb. Es war augenscheinlich, daß sich irgend ein Gegen stand dagegen sperrte, der dahinter gefallen sein mochte, als man den Schreibtisch verkehrt auf den Wagen gestellt hatte. Nach vielen Versuchen gelang es dem Justizrat endlich, den Gegenstand hervorzubekommen — es war ein sehr schmutziger Herrenhemdkragen. „Er wird dem alten Müller Hartung gehört haben," sagte Mellien, ihn beiseite schiebend; aber seine Frau zeigte größeres Interesse für einen Herrenhemdkragen, der sich in der Lade eines jungen Mädchens vorfand. „Der alte Hartung hat niemals solche Kragen getragen," sagte sie, den Fund näher besichtigend. „Und sieh nur, wie schmutzig er ist. Ich glaube gar, die schwarzen großen Flecke find Blut!" Es war wirklich Blut, wie sich bei genauerer Bettachtung ergab. Wessen Blut konnte es sein s Auf der inneren, verhältnismäßig reinen Seite fanden sich die mit Tinte gezeichneten Buchstaben L. und die Zahlen 12. 85. Mellien blickte wieder und wieder auf den Kragen und griff dann mit beiden Händen nach seinem Kopfe. „Sei still, sei still, sprich kein Wort," rief er seiner Frau zu, die ihn voll Ver wunderung nach der Ursache seines sonderbaren Benehmens fragen wollte. „Sei still und laß mich überlegen! U. ? Das könnte Alfred Baumann heißen! Der Schreibtisch kam erst in Käthes Besitz, nachdem die Hartungs fort waren. 12. 85. ? Die erste Zahl muß die der Kragen sein, die zweite die Zahl des Jahres, in dem dieselben gekauft wurden. Baumann war im vorigen Jahre nicht vor dem Monat Juni in Roßlau. Es muß sein Kragen sein und es ist Blut darauf! Frau, Frau, warum konnten wir diesen Kragen nicht drei Wochen früher finden?" „Aber weshalb ? Ich verstehe kein Wort von dem allen!" Mellien winkte ihr ungeduldig Schweigen zu. „Störe mich nicht, laß mich nachdenken! — Sein Kragen findet sich in ihrer Lade, über und über mit Blutflecken bedeckt. Wie kann das Zusammenhängen? Sie wollte die Mühle durch aus nicht verlassen und auch niemand hinein lassen. Was konnte sie fürchten? Sie brach das Gespräch mit mir plötzlich ab und rannte in die Mühle hinein. Bei meiner Seele, es kann nicht anders sein: er war damals mit ihr in der Mühle! Sie fischte ihn aus dem Wasser und pflegte ihn heimlich. Er erzählte das Geschehene, so weit er es für gut hielt. Viel leicht nahm er sie mit sich auf die Brücke und ging dort ihre Aussage mit ihr durch. An die Mauer dachte er nicht. Wahrhaftig es muß so sein, es gibt keine andere Erklärung! Was stehst du mich so verwundert an?" wandte er sich an seine Frau; „ich sage dir: wenn dieser Kragen dem Baumann gehört, dann lebt der Hallunke noch!" „Aber Mann, das kann ja nicht sein!" „Es kann nicht bloß sein, sondern es ist so. Ich will 100 000 Mark gegen den elenden Schreibtisch hier wetten, daß er diesen Kragen in der Nacht vom 27. Juni im vorigen Jahre trug. Von einem Toten hätte sie den Kragen sicher nicht herabgenommen. Sie hat ihn aus dem Wasser gezogen und wieder ins Leben zurückgebracht. Er war bei ihr in der Mühle, so lange die Ueberschwemmung dauerte, und dann gingen beide zusammen fort. O, jetzt ist mir alles klar! Um sich an Leftow zu rächen, bewog er sie, ihn des Mordes anzuklagen. Ich bitte dich, liebe Frau, rufe unseren Paul herbei. Er ist ein Pfiffiger Bursche, und ick möchte hören, wie er über die Sache denkt. Und wenn du ihn gerufen hast, so gehe gleich noch einmal in das Auktionslokal und bitte, die anderen Sachen besichtigen zu dürfen. Vielleicht findest du noch irgend etwas. Lasse dir auch die un bedeutendste Kleinigkeit nicht entgehen, und wenn du eine Entdeckung gemacht zu haben glaubst, so lasse alles genau so liegen, wie es liegt und rufe Paul und mich." Der Justizrat befand sich in der heftigsten Auflegung, und obwohl seine Frau kaum die Hälfte seiner hastigen Rede verstanden hatte, begriff fie doch, daß es sich um etwas Wichtiges handeln müsse, und begab sich eilends fort, um ihren Sohn zu holen. Paul kam und war ganz der Ansicht seines Vaters, nachdem dieser ihn mit dem Sachverhalt bekannt gemacht hatte. Beide schickten sofort einen Boten an den Major v. Bayer, der sich zum Besuch im Herrenhause aufhielt und ließen ihn bitten, ganz in der Stille und ohne Herrn und Frau v.,Leftow etwas davon mitzuteilen, zu kommen, um in einer wichtigen Angelegen heit Rücksprache mit ihnen zu nehmen. Auch Onkel Gustav stimmte, nachdem er sich von seinem ersten Erstaunen erhalt hatte, der Meinung des Justizrats bei. „Alles kommt jetzt darauf an, zu beweisen, daß der Kragen Baumann gehört," sagte Mellien aufgeregt; „aber vorläufig weiß ich noch nicht, wie uns das möglich sein wird. „Um das zu beweisen, bedarf cs weiter nichts als eines Ganges zum Gcrichtsgebäude," bemerkte Paul, auf dessen Klugheit sein Vater mit Recht stolz war
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