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Allgemeiner Anzeiger : 25.01.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189901257
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18990125
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18990125
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-01
- Tag 1899-01-25
-
Monat
1899-01
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 25.01.1899
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UoLiMche Rundschau. Deutschland. * Der Kaiser beabsichtigt, am 23. Januar in Gotha zur Feier der silbernenHoch- zeit des Herzogspaares und am 24. Januar in Hannoverzur Truppenbestch- tigung einzutreffen. * Ueber den Aufenthalt des Prinzen und der Prinzessin Heinri-ch meldet der ,Ostasiat. Lloyd' , daß Prinz und Prinzessin Weihnachten sowie Neujahr in Hongkong verbrachten. Mitte Januar gedachten sie eine Reise nach Siam anzutreten, um dem König und der Königin von Siam einen Be such abzustatten. Vom Lande des weißen Elefanten begibt sich das prinzliche Paar nach Kiautschou über Schanghai. Die Prinzessin beabsichtigt, mit dem Reichspostdampfer „Prinz Heinrich" im April wieder die Heimreise anzu treten. *Das gegenwärtige Verhältnis zwischen Deutschland und derTürkei kommt zum Ausdruck durch die Liste zahlreicher Ordens verleihungen, die jetzt im ,Reichsanz.' aus Anlaß der Anwesenheit des Kaisers in Konstantinopel veröffentlicht werden. In der Mittwochnummer umfaßt diese Liste der Aus zeichnungen türkischer Staatsangehöriger andert halb Spalten, in der Donnerstagnummer reicht sie noch auf die zweite Seite des Blattes hinüber. *Jm Reichstage hat der Abg. Beckh-Coburg (frs. Vp.) zur zweiten Beratung des Etats eine Resolution beantragt, es solle füru n s chuldig erlittene Haftstrafe Entschädigung ge währt werden. *Beim Reichstage sind bis jetzt nicht weniger als 3619 Petitionen eingegangen. * Die Ergebnisse der Erhebungen über Fleischnot, die von den Vertretern der Reichsregierung bei den jüngsten Debatten im Reichstage nur summarisch mitgeteilt werden konnten, werden zur Zeit im Reichsamt des Innern übersichtlich zusammengestellt. Das ge samte Material dürfte binnen kurzem zur Ver öffentlichung gelangen. * Ueber die Bombenverschwörung vonAlexandrien geht der ,Weserztg.' aus Rom folgende Mitteilung zu, die das Blatt unter Vorbehalt wiedergibt: Die Nachrichten aus Alexandrien wurden in Italien nicht recht ge glaubt. Man behauptete, daß die ganze Ver schwörung ein Hirngespinst oder eine Machen schaft der ägyptischen Polizisten sei. Aber der Konsulargerichtshof in Alexandrien will im Laufe der Untersuchung Beweise für das Bestehen der Verschwörung gefunden haben. Was zunächst die beiden Bomben anlangt, so wurde durch Experimente festgestellt, daß die Wirkung furcht bar gewesen wäre. Eine internationale Kom mission von Sachverständigen ließ zwei den auf gefundenen Bomben ähnliche anfertigen und diese Probebomben sodann werfen. In einem Um kreise von 30 Meter wurden Sträucher und Buschwerk zerstört und zwei Versuchstiere (Esel) getötet. Die verhafteten Anarchisten sind zu meist (18) Italiener, ferner einige Malteser und Spanier, alles höchst gefährliche Menschen, die vor keinem Verbrechen zurückschrecken würden. Nach Beendigung der Voruntersuchung werden die Akten, soweit sie italienische Unterthanen be treffen, der Generalstaatsanwaltschaft von Ancona übergeben werden, die ihrerseits wieder einen italienischen Schwurgerichtshof zu bestimmen hat, vor dem der Prozeß gegen die italienischen Ver schwörer zur Verhandlung gelangt. Oesterreich-Ungarn. *Die Gerüchte von der Auflösung des österreichischen Reichsrats find, wie aus Wien neuerdings gemeldet wird, ebenso aus der Lust gegriffen, wie die von einer Ver tagungsabsicht. Weitaus eher find neue Derständigungsversuche mit den deut schen Parteien zu erwarten, worauf auch die Besprechungen, die nach der Audienz beim Kaiser am Donnerstag Graf Thun mit einigen Führern der Rechten pflog, hindeuten. Die Verständigung dürfte allerdings nicht leicht werden, da sich alle deutschen Fraktionen und Gruppen vereinigt haben. * Wegen der AblehnunHdes Ordens der Eisernen Krone hat der Gemeinderat in Neutischein in Mähren dem Abgeordneten Dr. Menger Dank und Anerkennung ausge sprochen. Die Bezirkshauptmannschaft hat aber diesen Beschluß aufgehoben. Der Ge meinderat hat nun beim Ministerium Beschwerde eingelegt. , Frankreich. * Der offiziöse ,Courrier du Soir' nimmt die Erörterung der Frage einer deutsch- französischen Allianz wieder auf und bezeichnet das Zusammengehen beider Staaten in den meisten Angelegenheiten der Auslands politik als notwendig. *Esterhazy ist Donnerstag abend wirk lich in Paris eingetroffen. — Dem ,Echo de Paris' zufolge beharrten die als Sachverständige von dem Kriegsgericht vom Jahre 1894 ver nommenen Personen bei ihrem Verhör vor der Kriminalkammer des Kassationshofes dabei, daß das Bordereau von Dreyfus her- rühre, während die im Prozeß Esterhazy ver nommenen Sachverständigen auf das bestimmteste die Ansicht aufrecht erhielten, daß das Bor dereau nicht von Esterhazy herrühre. (Es ist erklärlich, wenn sie vor dem Kassationshof die verlorene Position noch zu verteidigen suchten.) ngland. *Chamberlain hielt am Mittwoch in Wolverhampton eine längere Rede, worin er bestritt, daß England einen Konflikt mit Frankreich wünsche, und erklärte, England verfolge nur einen Zweck, nämlich die strittigen Punkte mit Frankreich zu erledigen, und sei be sorgt, neue Absatzguellen für den englischen Handel zu suchen. Immerhin warf er der fran zösischen Polftik die Titel „Vertragsbruch" und „Treulosigkeit" wohlwollend lächelnd interimistisch an den Kopf. Zum Schluffe sagte der Führer der englischen Nationalpolitik: er glaube, daß die Annahme der „Politik der offenen Thür" in den deutschen Kolonien zu deren Gedeihen beitragen werde. England werde die Ausdehnung der Kolonien ohne Eifersucht betrachten und die Mitwirkung Deutschlands und der Ver. Staaten begrüßen; er glaube, England könne sich auf deren Zustimmung und Mitwirkung bei seinem Bemühen verlassen, die allgemeine Annahme des Grundsatzes herbei zuführen, dem es so hohe Wichtigkeit beilege. Italien. * An verschiedenen Universitäten Süditaliens haben, zuerst in Palermo, dann auch in Neapel, Ruhestörungen stattgefunden, was dort ja allerdings keine Seltenheit bildet. Belgien. * Das Datum der Weltausstellung für Lüttich ist endgiltig auf das Jahr 1903 festgesetzt worden. Spanien. *Die Entwickelung der inneren Ver hältnisse Spaniens ist durch die Be schlüsse des letzten abgehaltenen Ministerrats, der mehrere Stunden dauerte, einstweilen sicher gestellt worden, falls nicht unvorhergesehene Schwierigkeiten im Parlamente sich er heben. Die Regiemng hat beschlossen, sich voll zählig den Cortes vorzustellen. Diese werden, wie Sagasta erklärte, 10 oder 12 Tage nach der Gutheißung des Fnedensvcrtragcs durch den amerikanischen Senat zusammentretcn. Bevor die Königin den Vertrag unterzeichne, werde die Regierung die Zustimmung zur Abtretung der Philippinen verlangen. Nach Besprechung des Rotbuches in den Cortes werde sie wichtige Gesetzentwürfe über Neuorganisierung der Verwaltung, des Heeres, der Flotte und der Finanzen verlegen. Rußland. *Die russische Regierung arbeitet planmäßig an der Vernichtung der Sonderrechte Finnlands. Wie ein Berliner Blatt aus Petersburg erfährt, ist beim Reichrat eine Kom mission niedergesetzt worden, die über das Projekt einer Einführung der russischen Münz einheit in Finnland beraten soll. Amerika. * Die chilenisch-argentinischen Grenzstreitigkeiten sind trotz lang wieriger Unterhandlungen, die mehr als einmal zum Kriege zu führen drohten, noch immer nicht zum Abschluß gelangt. Jetzt wird eine Zu sammenkunft der Präsidenten beider Staaten ge plant, um eme Einigung in dieser Frage herbei- zufühen. Der Präsident von Argentinien Roca wird am nächsten Dienstag eine auf etwa 30 Tage berechnete Reise nach der patagonischen Küste unternehmen; der Präsident von Chile Errazuris wird sich an demselben Tage in Val paraiso ebendahin einschiffen. Beide Präsidenten werden in der Gegend der Magelhaens- Skraße eine Zusammenkunft haben und werden den Versuch machen, die Grenzfrage ohne Inanspruchnahme eines Schiedsge richts zu regeln. Australien. * Von den Samoa-Inseln liegen wieder sehr sensationelle Nachrichten vor. Es ist darin von blutigen Kämpfen um die Königswahl und Streitigkeiten zwischen den Konsuln der drei Ver- lragsmächte Deutschland, England und Nordamerika die Rede, aber so verworren, daß man nich! einmal daraus ersehen kann, was der Berichterstatter eigentlich melden will — ganz abgesehen von der Frage, wie viel davon wahr ist. Die Wiedergabe der unverständlichen Einzelheiten wäre für die Leser nutzlos; es müssen authentische Nachrichten abgewartet werden. Aus dem Reichstage. Der Reichstag setzte am Donnerstag die zweite Etatsberatung beim Etat des Reichsamts des Innern fort und zwar beim Titel „Gehalt des Staats sekretärs". Die Debatte drehte sich um die Fragen der Sozialreform, Koalitionsfreiheit und Fabrik inspektion. Staatssekretär Graf Posadowsky lehnte es ab, schon heute über das noch in Aussicht stehende Gesetz zum Schutz Arbeitswilliger sich zu äußern. Eine Erlahmung in der Sozialreform sei nicht ein getreten, man müsse besonnen vorgehen und dürfe sich nicht durch nervösen Dilettantismus treiben lassen. Am 20. d. wird die zweite Etatsberatung beim Reichsamt desJnnern, Titel „Staats sekretär", fortgesetzt. Abg. Frhr. v. Stumm (freik.): Ich will die Be hauptung des Abg. Röficke, daß die Beschlüsse zur Novelle zum Unfallversicherungsgesetz auf einem Kompromiß beruhten, doch richtig stellen. Es handelt sich keineswegs um einen Kompromiß. Ich muß der Legende entgegentreten, als ob alle diese Dinge eine Konsequenz der Februar-Erlasse des Kaisers sein müßten. Diese Erlasse sind eine hochherzige That des Monarchen, und die Regierung ist ernstlich be müht, die Erlasse zur Ausführung zu bringen. Ich stehe auf dem Boden dieser Erlasse und will sie loyal ausgeführt wissen. Aber wir haben doch auch die Pflicht, zum Schutz der Arbeitswilligen gegen den Terrorismus einzutreten. Aus den Kreisen der Arbeiter selbst, speziell der Maurer und anderer Bauhandwerker, liegen uns ja Petitionen vor, die einen wirksamen Schutz der Arbeitswilligen fordern. Unsere Gesetze reichen gegen den Terrorismus nicht aus, die Schweiz hat viel strengere Vorschriften. Ein Streik, der nur durch Bedrohungen, durch Ge waltmaßregeln oder gar Verbrechen durchgeführt werden kann, ist kein Recht mehr. Ich hoffe, das in Aussicht gestellte Gesetz wird uns bald vor gelegt. Durch seine Verabschiedung wird sich der Reichstag den Dank aller wohlgesinnten Elemente im Volke sichern. Abg. Zubeil (soz.): Die ärgsten Mißstände sind wohl in den Berichten der Fabrikinspektoren hinsichtlich der Arbeit in den Ziegeleien festgestellt worden. Die Kinderarbeit in den Ziegeleien hat so überhand genommen, daß die Fabrikinspektoren die Schulkinder gewaltsam aus den Betrieben haben ent fernen lassen müssen. Immer wieder werden wir daher die Ausdehnung der Gewerbeaufsicht auf alle Betriebe fordern, vor allem auch auf die Haus industrie und die handwerksmäßigen Betriebe. Wir werden ferner die Anstellung weiblicher Aufsichts beamten fordern, bis die Forderung erfüllt ist, trotz der abgeschmackten Bemerkungen des Abg. Möller über die Objektivität der Frauen. Herr v. Stumm hat heute seiner Sehnsucht nach dem Zuchthausgesetz Ausdruck gegeben und es uns als eine Art Schreck gespenst vorgeführt. Vizepräsident v. Frege macht den Redner dar auf aufmerksam, daß das Wort Schreckgespenst nicht parlamentarisch sei. Abg. Zubeil (fortfahrend): Für Herrn von Stumm existiert nur der Terrorismus der Arbeiter. Schwarze Listen, Aussperrungen und sonstige Ge- waltmatznahmen der Arbeitgeber sind für ihn kein Terrorismus. Staatssekretär Graf Posadowsky: Der Vor redner ist den Beweis dafür schuldig geblieben, daß seitens der Ziegeleibesitzer ein ungesetzliches Truck system gegen die Arbeiter aUgewendet worden. Kinderarbeit ist in Ziegeleien nur in Ausnahme fällen gestattet. Wir geben uns alle Mühe, die Mißstände zu beseitigen. Ebenso in der Konfektions branche. Mit dem Verbot allein schafft man solche Mißstände nicht aus der Welt. Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter. Deshalb darf man aber nicht den guten Willen der Regierung in Zweifel ziehen, solche Mißstände aus der Welt zu schaffen. Abg. Frhr. Heylzu Herrnsheim (nat.-lib.): Ich habe mich vor allem Zum Wort gemeldet, um zu erklären, daß die sozialpolitischen Grundsätze, die mein Freund Bassermann neulich hier zum Aus druck gebracht hat, im Einverständnis mit der großen Mehrheit unserer Fraktion festgestellt worden sind, und daß abweichende Ansichten, wie sie gestern von einem Redner geäußert wurden, unsere Stellung in keiner Beziehung ändern kann. Die Sozialdemo kraten sind Gegner der sozialen Gesetzgebung ge wesen. Sic haben die Versicherungsgesetze, das Börsensteuergesetz, das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb, sie haben sogar das Bürgerliche Gesetz buch abgelehnt. Die Mißstände in der Industrie, die die Soialdemokraten anführen, bedauern wir; speziell die Kinderarbeit wollen wir abgeschafft wissen. Aus der Rede des Abg. Möller hat mich gestern vor allem interessiert, daß er sich für das von uns beantragte Arbeitsamt interessiert. Mit den Vonden Sozialdemokraten geforderten Arbeiterkammern hat das von uns beantragte Arbeitsamt natürlich nichts gemein. Wir dürfen hoffen, daß es bei uns nicht zu so schwierigen Verhältnissen kommt wie anderwärts, und daß, wenn es doch einmal nötig werden sollte, auch bei uns wie vor einiger Zeit in Genf, ein ehr licher Sozialdemokrat auftrcten wir, der gegebenen falls selbst das Militär requiriert, um seine Partei genossen zur Ordnung zu bringen. Abg. Hitze (Zentr.): Herr von Stumm irrt sich, wenn er annimmt, es habe sich bei den Kommissions- Beschlüssen zu der Novelle vom Unfallversicherungs gesetz nicht um ein Kompromiß gehandelt. Ich kann dem Abg. v. Stumm auch darin nicht recht geben, daß die Februar-Erlasse ausgeführt seien. Was die Terrorisierungen von Arbeitswilligen betrifft, so gebe ich ja zu, daß recht bedauerliche Fälle eines solchen Terrorismus vorgekommen sind. Seit dem Jahre 1890 ist kein nennenswertes Gesetz auf dem Gebiet der Sozialpolitik durchgeführt worden. Eine Reihe von Anträgen meiner Freunde auf Erweiterung des Arbeiterschutzes sind von der Regierung abgelehnt worden. Auf die mit der Fabrikinspektion zusam menhängenden Fragen will ich heute nicht eingehen. Das eine will ich doch auch meinerseits befürworten, daß immer mehr Betriebe der Kontrolle dieser Be amten unterstellt werden. Im Interesse der Arbei terinnen halte auch ich es für geboten, daß den Fabrikinspektoren weibliche Hilfskräfte zur Unter stützung beigegeben werden. Abg. Singer (Soz.): Wenn wir die sozial politischen Gesetze abgclehnt haben, so geschah es, weil sie nicht das Maß von Fortschritten sür die Arbeiter brachten, das wir im Interesse unserer Wähler unbedingt fordern müssen. Als Kronzeugen seiner Ansicht über die Febrnar-Erlasse bediente sich Herr v. Stumm heute des Frhr. v. Berlepsch, des selben früheren Ministers, der über Herrn Stumm gestolpert ist. Herr v. Stumm sagt, er stehe auf dem Boden der Februar-Erlasse, aber er will sie nicht ausgeführt wissen. Das ist das wesentliche in seinen Ausführungen, denn wir wissen jetzt: In der Sozialpolitik ist Herr v. Stumm Trumpf! Abg. Zwick (srs. Vp.): Wir wünschen vor allen Dingen, daß die Kinderarbeit in allen gewerblichen und fabrikmäßigen Betrieben auf das möglichste Mindestmaß eingeschränkt werde. Namentlich in den großen Städten hat die Kinderarbeit in erschreckender Weise zugenommen, und von den Lehrern ist bereits vielfach eine äußerst nachteilige Wirkung dieser gewerb lichen Beschäftigung schulpflichtiger Kinder sowohl in sittlicher wie in geistiger Beziehung festgestellt worden. Die letzte Versammlung der Preuß. Lehrer in Breslau hat sich deshalb in einer Resolution, deren Wortlaut Ihnen bekannt sein dürfte, für möglichste Beschränkung der Kinderarbeit ausgesprochen. Die Industrie wird ohne die Kinderarbeit ohne besonderen Schaden be stehen können. Es mutz eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, und die Organe der Selbstver waltung sind dann Wohl am meisten berufen, wirk same Maßnahmen zum Kinderschutz zu treffen. Staatssekretär Graf Posadowsky: Ueber die Ergebnisse der Enquete über die Kinderarbeit ist bereits eine vorläufige Zusammenstellung ausgearbeitct worden. Die Prüfung wird nun ergeben, welche Maßnahmen zu treffen sind. An ein gänzliches Ver bot der Kinderarbeit wird allerdings nicht gedacht werden dürfen, denn damit würde auch das erzieh liche Moment verloren gehen, das unter Umständen in der Kinderarbeit liegen kann. Darauf vertagt sich das Haus. Am Dorabend der Hochzeit. Wsj Roman von Helene Stökl. <Fons-yung.) Weshalb sie, Käthe Rallas, nicht gleich An zeige davon gemacht habe? — Sie hatte ge fürchtet, daß man ihr nicht glauben würde. Weshalb sie das gefürchtet habe? — Weil es bekannt war, daß sie Herrn von Lestow nicht leiden konnte. Ob dies alles sei? — Sie hatte darauf ge wartet, daß man Baumanns Leichnam finden oder mindestens sein Verschwinden bemerken würde; dann hätte sie ihre Geschichte erzählen wollen. Aus diesem Grunde blieb sie in der Mühle, aus diesem Grunde ging sie später zu des Ermordeten Mutter. Diese hätte nichts da von gewußt, und als sie das von seiner Mutter erfahren hatte, zögerte sie nicht länger, ihr alles zu erzählen, was sie darüber wußte . . . So standen die Sachen vorläufig. Der Justizrat begleitete Heinrich von Lestow in das Bezirksgefängnis und hatte dort eine sehr lange Unterredung mit ihm. „Ich fürchte, ich bin etwas aus der Uebung gekommen," sagte er offen zu Heinrich; „ich würde mich scheuen, die Verantwortung in einem so ernsten Falle allein auf mich zu nehmen und sehr froh sein, wenn es meinem Freunde und Kollegen Hallberg möglich wäre, uns seinen Beistand zu gewähren. Er ist berühmt wegen der Schärfe und Spitzfindigkeit seiner Kreuzver höre, und fift uns komnit alles darauf an, dieses Mädchen unschädlich zu machen." Heinrich von Lestow hob sein blasses, ab gespanntes Gesicht fragend zu dem Justiz rat auf: „Wie meinen Sie das: das Mädchen un schädlich machen?" „Wir müssen durch ihre eigene Aussage den Beweis Herstellen, daß sie entweder eine Ver rückte oder eine Lügnerin ist. Eines von beiden muß sie selbstverständlich sein. Es fragt sich nur, ob es klüger ist, den Versuch jetzt oder erst später vor den Geschworenen zu machen. Wenn es uns gelänge, so wäre die ganze Sache zu Ende; ich fürchte aber, daß der Staatsanwalt sich nur ungem die Aussicht entgehen lassen wird, einen angesehenen Mann wie Sie vor das Schwurgericht zu bringen." „Und in diesem Falle . . . ?" „Wäre es besser, das Mädchen vorläufig sagen zu lassen was es will. Desto wirksamer ist es nachher, wenn wir sie auf die absolute Unzuverlässigkeit ihrer Aussage festnageln." „Lieber Herr Justizrat," sagte Heinrich mit einem Lächeln, „weder Sie, noch Hallberg, noch irgend jemand in der ganzen Welt kann das Zeugnis dieses Mädchens erschüttern. Was sie sagt, ist die Wahrheit." „Die Wahrheit?" rief Mellien, entsetzt die Hände über seinem Kopfe zusammenschlagend. „Ja, die Wahrheit," antwortete Heinrich ruhig, „aber nicht die ganze Wahrheit. — Ich habe immer sagen hören, seinem Arzte und seinem Anwalt solle man ganz oder gar nicht ver trauen. Ich will Ihnen ganz vertrauen, Herr Jnstizrat. Ich weiß, daß Sie nicht nur mein Anwalt, sondern mein Freund sind oder täusche ich mich?" „Nein, bei Gott nicht!" Viellien streckte ihm bewegt beide Hände hin. „Aber sprechen Sie leise! Was Sie mir zu sagen haben, braucht außer uns zweien niemand zu hören." „Als Ihr Sohn Paul mich auf der Brücke verlassen hatte," begann Heinrich, nachdem er ein Weilchen nachdenklich vor sich hingeblickt hatte, „war ich der glücklichste Mensch der Welt. Die ganze Gesellschaft war so freund lich und herzlich mit mir gewesen. Es war mir zum ersten Male recht klar zum Be wußtsein gekommen, was für ein köstliches Ding es ist, eine Heimat zu haben und dort auf der eigenen Scholle, im Kreise von Freunden, die uns lieben und achten, leben zu können. Ich dachte an meine geliebte Braut und gab mich süßen Träumereien hin." Er brach ab und fuhr mit der Hand über die Augen, dann setzte er bitter hinzu: „Richtiger wäre es ge wesen, in den Wolken das Bild eines drohenden Galgens zu sehen." „Nicht doch, nicht doch! Lassen Sie diese Einbildungen und bleiben Sie bei den That- sachen." „Gut, — da kam Baumann plötzlich daher. Ich hatte schon am Vormittage versucht, ihn freundlich für mich zu stimmen, ohne daß es mir jedoch gelungen wäre. Ich war thöricht genug, es noch einmal zu versuchen. Ich muß Ihnen bei dieser Gelegenheit erzählen, daß ich sein Zimmer damals nicht lebend verlassen hätte, wenn er im Besitze der Mittel gewesen wäre, mich zu töten. Ich hielt diese Worte für eine leere Drohung und würde, wenn die Umstände sie nicht so furchtbar bestätigt hätten, vielleicht niemehr an dieselben gedacht haben. Ich hätte mich gern mit ihm versöhnt: ich hatte ihn damals nicht allzu fein behandelt, und ich wußte, es würde meiner Braut Freude machen, zu hören, daß wir wieder Freunde wären. Nun ärgerte es mich, daß er sich so unversöhnlich, zeigte. Er wollte nicht auf mich hören, aber ich ließ mich dadurch nicht irre machen. Ich nahm ihn beim Arme, ganz so, wie dieses Mädchen aus sagt, und es ist leicht möglich, daß ich sagte: „Du sollst aber!" Ich kann mich auf die Worte nicht mehr besinnen. Ich drängte ihn den Fuß pfad entlang, weil wir dort vor jeder Störung sicher waren, sagte ihm noch einmal, daß es mir leid thue, damals so heftig gegen ihn ge wesen zu sein, und machte ihm ein Anerbieten, das ihm, falls er es angenommen hätte, gestattet haben würde, ruhig in der Heimat bei seiner Mutter zu bleiben und die Reise nach Buenos Ayres aufzugeben. Es ist nicht wahr, daß ich, wie Käthe Rallas aussagte, absichtlich voraus ging; er blieb zurück, — damals glaubte ich, um über meinen Vorschlag nachzudenken. Plötz lich fühlte ich einen furchtbaren Schlag von hinten über den Kopf. Sehen Sie diese Narbe hier! Er beugte den Kopf nieder, und Mellien sah, halb unter den Haaren verborgen, einen langen weißen Streifen, der sich vom Wirbel fast bis zum Ohre hinzog. „Hätte er einen Zoll weiter nach vorn ge troffen," bemerkte Mellien mit einem grimmigen Lachen, „so säßen Sie jetzt nicht hier und zeigten mir die Narbe. Doch was geschah weiter?" „Ich hielt einen Stein in der Hand; er hatte
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