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Allgemeiner Anzeiger : 28.01.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189901287
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- Saxonica
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-01
- Tag 1899-01-28
-
Monat
1899-01
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 28.01.1899
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München. Richard Wagners Sohn, Sieg- fried, brachte am Sonntag hier seine erste Oper, „der Bärenhäuter", zur ersten Aufführung, zu der er auch den Text gedichtet hatte. Er erzielte damit einen großen Beifall. DaS Werk steht sicher höher als sämtliche bei der im Auftrage des bayrischen Regenten veranstalteten Opern- konkurrenz eingereichten Arbeiten; falls aber nicht Siegfried Wagner noch Tüchtigeres leistet, dürfte der Erfolg doch ein bloß zeitlich einge schränkter sein. „Der Bärenhäuter" steht musika lisch jedenfalls höher als textlich und verdankte der sehrtalentvollen, einschmeichelnden, melodiösen, wenn auch bloß an einigen Stellen ergreifenden Musik seinen zweifellosen Erfolg. Anklänge an die Musik seines großen Vaters sind vorhanden, aber nicht übermäßig. Niemand, der nicht wüßte, daß Siegfried Richards Sohu ist, würde an des letzteren Musik erinnert werden. Krefeld. Der Ausstand der Samtweber dauert unverändert fort. Es ist noch keine Aus sicht zur Beilegung vorhanden, da beide Parteien auf ihren Bedingungen beharren. Die städtische soziale Kommission hat ein Eingreifen bisher noch nicht für angezeigt erachtet. Den Webern stießen zahlreiche Unterstützungen zu. Lennep. Große Wohnungsnot, namentlich hinsichtlich besserer Wohnungen, herrscht hier. Wie Bürgermeister Stosberg in einer der letzten Stadtverordnetensitzungen mitteilte, hat er schon wiederholt Bescheinigungen erteilen müssen, daß hierher versetzte Beamte keine Wohnung haben finden können und deshalb unserer Stadt fern geblieben sind. Dem ,Kreisblatt' zufolge hat sich dieser Fall in letzter Zeit mehrfach wieder holt. Der zum 1. April hierher berufene Töchterschuldirektor hat noch keine geeignete Wohnung finden können; zwei höhere Be amte, die sich verheiraten möchten, müssen von diesem Vorhaben Abstand nehmen, weil sie keine Wohnung zu erlangen wissen. Da zu kommt, daß sich selbst für junge Herren, die möbliert wohnen wollen, hier kein Unter kommen findet. Da es an Bauplätzen hier nicht fehlt, sollte man meinen, daß sich Unternehmungs lustige finden würden, die sobald als möglich eine Anzahl guter Wohnungen Herrichten. Dem Mangel an kleinen Wohnungen sucht der ge meinnützige Bauverein nach Kräften abzuhelfen. Elberfeld. Unter eigentümlichen Umständen ist hier eine 73 jährige Witwe zu Tode ge- Lmmen. Bei dem Sturm in der vergangenen Woche war das Dach ihres Hauses in der Königsstraße beschädigt worden. Als ein Dach decker es ausbefferte, fand er ein Stück Schiefer, von dem er annahm, daß es auf den Schorn stein gelegen hätte, um zu verhindern, daß der Wind in den Kamin schlagen könnte. Er brachte das Stück Schiefer auf dem Schornstein an und schränkte dadurch den Rauchabzug auf ein Mindestmaß ein. Als die Frau .am nachts vergaß, den Schieber der Ofenpfeife völlig zu öffnen, zog der Rauch nicht ab, sondern drang in die Wohnung. Die Witwe erstickte. Hamburg. In Bergedorf wurde am Montag ein Produktenhändler auf die Denun ziation seiner Haushälterin hin verhaftet. Er ist verdächtig, vor vier Jahren den Gastwirt Kerschen in Boberg ermordet und dessen Haus angezündet zu haben, wobei Kerschens Leiche sowie eine Magd nnd ein Logiergast ver brannten. Bingen. Der von vielen Behörden wegen Gaunereien gesuchte Bäcker Ackermann ist in der Nacht zum 23. d. ans dem Amtsgerichtsgefängnis entsprungen. Sonneberg. In Rothenkirchen (Ober franken) wurde dieser Tage der Barbier Reul verhaftet und in das Amtsgerichtsgefängnis nach Ludwigstadt eingeliefert. Derselbe soll den aus Kulmbach zugereisten 25 Jahre alten Barbier gehilfen Hans Baer, welcher beabsichtigte, in Rothenkirchen sein Gewerbe auszuüben, als beide vom Wirtshaus kommend den Steg über die Haßloch passierten, in die zur Zeit hoch gehende Haßloch gestoßen haben. In der Nähe wohnende Leute hatten die Hilferufe vernommen. Die Leiche Baers ist in dem Wasser bisher nicht aufgefunden worden. Der Verhaftete stellt die Sache so dar, als ob Baer zufällig in den Fluß gefallen sei. Saarbrücken. Ein trauriges Familien drama spielte sich in Sulzbach ab. Die Frau eines Trunksüchtigen beschloß, sich und ihre drei Kinder durch den Tod von dem Manne zu be freien. Sie band zwei der kleinen Kinder an einander und warf sie in einen Weiher; darauf sprang sie mit dem kleinsten Kinde selbst ins Wasser. Alle vier ertranken. Schneidcmühl. Die Mutter uud zwei Schwestern des Klempners L. aus Nakel, der Selbstmord beging, find wegen gewerbsmäßiger Hehlerei verhaftet worden. L. hatte jahrelang Diebstähle verübt, auch Eisenbahnstationen be raubt. Viele Unschuldige wurden deshalb ver dächtigt und mehrere Bahnbeamte sogar entlassen. Marienwerder. Ueberfälle auf Frauen und Mädchen, wie in Köln und Münster, sind jetzt auch mehrfach in der Umgegend von Marienwerder von einem unbekannten Manu verübt worden. Paris. Ein linkshändiges Pistolenduell soll dem Gerücht nach diese Tage hier stattfinden, und zwar zwischen Tailhade und Ernest Lajeu- nesse. Die beiden haben sich schon früher ein mal geschossen. Für das Ergebnis wird es wenig ausmachen, ob man blindgeladene Pisto len mit der rechten oder linken Hand abdrückt, aber für das Sensationsbedürfnis der Pariser ist es immerhin eine kleine Abwechselung. London. England ist in der Nacht zum Sonntag schon wieder von verheerenden Stür men heimgesucht worden. Mehrere Flüsse sind ausgetreten. Der Postdampfer von Calais nach Dover machte wiederholt vergebliche Versuche, die Landungsstelle in Dover oder Folkestone zu erreichen und landete schließlich an letzterem Ort. Die Nacht-Dampferdienste im Kanal waren ein gestellt. Das Freitag abend von Ostende ab gegangene Paketboot kreuzte 24 Stunden lang vor Dover, ohne anlegen zu können. Erst Sonn tag früh landete es Passagiere und Post in Queensborough. Neapel. Die Ausbrüche des Vesuvs haben seit Anfang voriger Woche an Stärke und Um fang bedeutend zugenommen, und die Gegend zwischen dem großen Kegel und dem Observa torium gleicht einem Feuerherde, so aufgehäuft liegen dort die ausgeworfenen glühenden Mate rien. Von den zwei Lavaströmen, die sich seit einigen Tagen aus dem Krater ergießen, hat der eine die Punta del Nasone erreicht, während der andere über die Vetrana hinaus gelangt ist. Auch die zwischen diesen zwei Lavaströmen liegende ausgetrocknete Lavaschicht wurde in einen Glühzustand versetzt, sodaß dieselbe un zählige Sprünge zeigt, aus denen mächtig lodernde Flammen emporsteigen. — In Campobasso ist der angeblich letzte Soldat der Großen Armee, Angelo Mabera, im Alter von 109 Jahren gestorben. Er besaß ein Belobungsdekret Napoleons I. und hat als alter Mann noch an den Feldzügen Garibaldis teilgenommen. Madrid. Die Bettelei hat hier eine gerade zu bedenkliche Ausdehnung genommen. Die auf Straßen und Plätzen um Almosen an haltenden Menschen zählen nicht nach Hunderten, sondern nach Tausenden. Viele Bettler geben sich als hilflose, aus Cuba heimbeförderte Soldaten aus. Die Stadtverwaltung hat Nacht asyle für Obdachlose eingerichtet, zu denen täg lich 3—4000 Menschen ihre Zuflucht nehmen. Diese Asyle sind jedoch schlecht organisiert und entbehren oft des Notwendigsten. Da hat sich denn ein Mann gefunden, der die Verpflegung der wahrhaft Hilfsbedürftigen, unter Entfernung der berufsmäßigen Bettler von Straßen und Plätzen, auf breitester Gmndlage und einheitlich zu organisieren unternommen hat. Dieser Mann ist ein Frankfurter, Karl Koppel, Inhaber eines der größten Madrider Uhrmachergeschäfte. Er, hat, nach reiflichem Studium, die Einrichtung der Berliner Nachtasyle zum Muster genommen und arbeitet rastlos an der Verwirklichung seines menschenfreundlichen Gedankens. Petersburg. Auf der Bühne ist der be- uebtc und talentvolle Baryton der kaiserlichen Oper, Tschernow, plötzlich wahnsinnig geworden. Während er die Rolle des Toreador in „Carmen" stuelte, brach der Irrsinn bei ihm aus. Die mitwirkenden Künstler, sowie das Publikum konnten sich anfangs das Benehmen des Künst lers nicht erklären, das sich in sonderbaren Gesten und unerhörtem Falschfingen äußerte. Msbald wurde er in die Irrenanstalt übergesührt. — General Annenkow, der Erbauer der transkaspischen Bahn, dessen Millionen-Unter- schleife vor einigen Jahren Aufsehen erregten, ist hier im Alter von 64 Jahren gestorben. Athen. Die ganze Peloponnes-Halbinsel wurde von einem Erdbeben heimgesucht, wobei namentlich der Ort Philiatra nnd dessen Um gebung schwer betroffen wurden. Philiatra wurde von den Bewohnern verlassen; die Häuser find beschädigt. Ob Verluste an Menschen zu beklagen, ist noch nicht festgestellt. Der König besuchte den Ort. Gerichtshaüe. Itzehoe. Wegen Beleidigung des Prinzen Heinrich, begangen im Krankenhause zu Meldorf, wurde ein Arbeiter zu drei Monat Gefängnis ver urteilt. Köslin. Das Landgericht verhandelte gegen den Vorwerksbesitzer Priebe-Zanow wegen Kaufs kon servativer Stimmen bei der Reichstagsstichwahl im Wahlkreise Schlawe-Bütow sowie gegen 23 wegen Stimmenverkaufs angeklagtc Personen. Sämtliche Angeklagten wurden indessen freigesprochen. Münster. Eine harte Strafe diktierte die hiesige Strafkammer einem 15jährigen Kaufmannslehrling, der eine auf 1000 Mk. lautende Wertsendung mittels gefälschter Quittung erhoben und unterschlagen hatte, zu. Obwohl der Vater, ein braver Beamter, den ganzen Betrag erstattet hatte, erhielt der Angeklagte für seinen Streich 5 Monat Gefängnis. Zwickau. Rechtsanwalt Schraps in Zwickau wurde wegen Erpressung zu 6 Monat Gefängnis verurteilt und als Rechtsanwalt aus der amtlichen Liste gestrichen. Nom. Der Prozeß gegen die Räuber, welche im vergangenen Jahre den Anschlag auf den Herzog .von Meiningen ausführten, begann am Montag. Die verhörten Angeschuldigten, Nazzareno, Galloni und Berna leugnen jeden Anteil an der That und wollen den Alibibeweis antreten. Zum 300jährigen Jubiläum des Fürstentums Liechtenstein werden die nachfolgenden Mitteilungen aus der Geschichte des Staates und über das Verhältnis zwischen den Liechtensteinern und ihren Fürsten manchen Leser interessieren: Die Großen der Hauptstadt Vaduz wählten schon 1816 eine Deputation an den Fürsten Johann I. und sagten ihm mit acker- und freibürgerlicher Offenheft, daß sie zwar nichts dagegen hätten, sich von ihm regieren zu lassen, aber nicht auch dafür bezahlen wollten, zumal da er, der Fürst, sehr reich sei. Auch möchten sie die fünfzig Mann und den Trommler — der Fürst war verpflichtet, diese zur Bundesarmee zu stellen — lieber zu Hause behalten, weil sie hier besser gebraucht werden könnten bei der Arbeit, als in dem Soldatentum, das Geld koste und nichts thue. Seine Durchlaucht war ein außerordentlich reicher, aber auch ein sehr braver Mann und sagte: „Liebe Kinder, ich brauch' euer Geld nicht und will gern umsonst regieren. Auch will ich euch die fünfzig Mann und den Trommler lassen und sie mir aus meiner Tasche anderweit für die Bundesarmee beschaffen." Der Fürst ließ von nun an gegen Entschädigung die fünfzig Mann und den Trommler von Oester reich besorgen und regierte ohne Honorar. So ging's friedlich, freundschaftlich und steuerfrei fort bis 1836, als Fürst Aloysius I. den Thron seiner Väter in der Haupt- und Residenzstadt Vaduz bestieg. Die Eingeborenen von Vaduz ließen sich's bei dieser Gelegenheit etwas kosten, bauten eine Ehrenpforte, illuminierten und brannten für mehrere Gulden Feuerwerk ab. Hinterher steckten aber die Weisesten von Vaduz ihre Köpfe zusammen, und Huben an mitein ander so zu reden: „Unser erhabener Monarch regiert ganz unentgeltlich; das ist wahr, aber ihr habt gesehen, Kinder, daß er uns doch noch immer manchen schönen Groschen Geld kostet. Wir haben die Ehrenpforten gemacht, haben ein Feuerwerk abgebrannt, haben überhaupt bei den jeweiligen Besuchen Seiner Durchlaucht, bei Jagden und anderen hochfürstlichen Vergnü gungen doch nicht unbedeutende Ausgaben die uns genieren, versäumen dabei Zeit uud werden dadurch an Geschäft und Gewerbe geschädigt! Also haben wir's immer noch nicht umsonst. Jedenfalls macht's ihm aber Vergnügen, uns zu regieren. Dies hat einen großen Wert für ihn und er hat Geld. Stellen wir ihm einmal die Sache ordentlich vor." Und so wählten die Eingeborenen von Vaduz die weisesten und angesehensten Bürger zu einer Deputation aus und entsandten diese vor die Stufen des Thrones. Hier brachten sie ihre drückende Be schwerde, daß ihnen der unentgeltlich regierende Fürst doch noch Kosten verursache und daß er sie für sein Vergnügen, sie zu regieren, ent schädigen möchte, mit solchem Nachdruck zur Sprache, daß der gute Monarch ordentlich ge rührt ward und Entschädigung versprach. Sie wurden mit ihm über eine jährliche Entschädi gungssumme handelseins und er bezahlte sie mit musterhafter Pünktlichkeit. Damit hatten's die Liechtensteiner zu einer politischen Stellung gebracht, die weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart der Welt ihresgleichen findet. Statt ihre Regierung zu bezahlen, haften sie dieselbe nicht nur umsonst, sondern wurden auch noch dafür entschädigt, daß sie sich regieren ließen. Weiter konnten sie es doch unmöglich bringen. O doch! Wer blonde Haare hat, will sie auch noch gekräuselt haben, sagt ein Sprichwort. Fürst Johann II. von Liechten stein sagte eines schönen Morgens zu sich selbst: „Da ich nicht nur keine Zivilliste beziehe, son dern für meine Arbeit meine Unterthanen sogar auch noch entschädige, darf ich mir doch wohl auch die Freiheit nehmen, wenigstens nach meinem Geschmack und wo ich will, zu leben. Diese meine Haupt- und Residenzstadt Vaduz ist sehr langweilig. Ich habe Geld genug und will damit in der Kaiserstadt Wien leben." Fürst Johann II. zieht also nach Wien, baut sich einen prachtvollen Palast und lebt herrlich und in Freuden darin. Das Regieren und die Ent schädigung dafür besorgt er schriftlich und durch einen Minister. Aber da steckten die Liechten steiner in Vaduz wieder die Köpfe zusammen, nachdem sie diese vorher nachdenklich geschüttelt hatten, und sprachen zu einander: „Wir müssen eine Deputation erwählen, nach Wien schicken und unserem Allergnädigsten unsere Beschwerden vortra gen." So war eines Morgens der Fürst kaum aus dem Bette, als sich ein Dutzend derhöchsten Vaduzer anmelden ließ. Sie wurden alle zwölf vor gelassen und sprachen nach Abmachung gehöriger Kratzfüße des Inhalts zu ihrem allergnädigsten Landesvater: „Wir bezahlen nichts an Eure Durchlaucht fürs Regieren, im Gegenteil Eure Durchlaucht entschädigen uns dafür, daß wir uns regieren lassen. Das ist ausgezeichnet. Aber Eure Durchlaucht haben heidenmäßig viel Geld und lassen halt viel draufgehen hier in Wien, sodaß uns aller Verdienst dabei entzogen wird. Wir bitten daher Eure Durchlaucht, wenigstens alle Jahre sechs Monate in unserem lieben Vaduz zu leben, wobei wir zwar immer noch viel Geld einbüßen, aber das wollen wir nicht so genau nehmen. Schenken Sie uns also gefälligst wenigstens Ihre halbe Gegenwart und eine kleine Zugabe, nämlich eine Konstitution." Fürst Johann II. bewilligte auch dies und gab eine Konstitution zu, nach welcher die Liechten steiner fünfzehn Abgeordnete zu wählen hatten, die vom Fürsten ebenfalls bezahlt wurden. Kuntes Allerlei. Eiu nachahmenswertes Verfahre» in Streitsachen haben die Eskimos. Dort gibt es nämlich überhaupt keine Advokaten, ebensowenig wie Polizei oder Magistrat vertreten sind. Wenn ein Eskimo sich von einem andern beleidigt glaubt, so verfaßt er ein saftrisches Gedicht auf seinen Gegner, welches er vor „versammeltem Kriegsvolke" vorträgt. Der Beleidiger antwortet in der gleichen Weise, Richter ist das Publikum. Und wer die Lacher auf seiner Seite hat, der hat den — Prozeß gewonnen. Glückliches Laad! Ein Trost. „Ach, Herr Doktor, — ich glaub', mir wird's erst wieder wohl, wenn ich tot bin." — „Nur Mut, mein Lieber! — ich werde mein möglichstes thun!" ich die Wohnung mietete. Im Augenblick konnte ich mich nicht auf den Namen besinnen, den wir hatten annehmen wollen. Zögern konnte ich nicht, ohne Verdacht zu erregen, und in der Verlegenheit gab ich den Namen „Baumann", der Tag und Nacht meine Gedanken beschäftigte, für den meinigen an - . . Es ist nicht so leicht, als man gewöhnlich glaubt, einen falschen Namen anzunehmen, ohne aus der Rolle zu fallen." Heinrich schwieg und der Justizrat ging mit großen Schritten, die Hände auf den Rücken gelegt und den Kopf vorgcbeugt, in dem Gemache auf und ab. Plötzlich blieb er vor Heinrich stehen, und ihm die Hand auf die Schulter legend, begann er aufgeregt: „Sie haben sich in eine schöne Lage gebracht, Herr von Lestow! Es wird wenig verzweifel tere Fälle als wie den Ihrigen geben. Und was hat ihn so hoffnungslos gemacht? Nichts als das Bemühen, die Sache recht gescheidt anzustellen! Ihre That war gerechtfertigte Not wehr, weiter nichts, und wenn Sie sie nicht als solche beweisen konnten, so war sie in, aller schlimmsten Falle Totschlag im Affekt. Dadurch aber, daß es Ihren und Doktor Wellners Be- mühungen gelungen ist, jede Möglichkeit eines Bcweisverfahrens zn verhindern, haben Sie Ihre That zum vorbedachten Meuchelmorde gemacht. Jeder Unbefangene muß aus Ihrem ganzen Benehmen nach der That auf Ihre Schuld schließen. „Ich hätte mich gleich den Behörden stellen sollen," seufzte Heinrich. „Selbstverständlich hätten Sie das thun sollen! Jedermann würde eingesehen haben, daß ein zum Tode verwundeter Mann Ihnen wusi eme solche Wunde beibringen konnte. Dieser Umstand hätte bewiesen, daß Sie nicht der Angreifer waren." „Aber die Narbe ist ja noch zu sehen!" „Was- nutzt uns das!" fuhr Mellien fort. Wenn «ie fünfzig Doktoren zusammenrufen, so wird sich kein einziger unter ihnen befinden, der den Zeitpunkt genau beschwören könnte, wann Sie dieselbe erhalten haben. An und für sich beweist me Narbe gar nichts, sie würde nur dann von Wichtigkeit sein, wenn Sie be weisen könnten, wann und von wem Sie die selbe erhalten haben. Sie aber gaben sich die erdenklichste Mühe, dies unmöglich zu machen. Wenn Sie um H'lfe gerufen hätten und dann erschöpft vom Blutverlust am Flußufer aufge funden wären, oder wenn Sie wenigstens die Heftung Ihrer Wunde einem Arzte in Berlin überlassen Hütten, wurde nichts Sie gehindert haben, Ihre Hochzeit ungestört zu feiern." „Es nützt nichts, geschehene Dinge ändern zu wollen," sagte Heinrich niedergeschlagen. „Das ist wohl wahr, aber jedenfalls müssen wir Hallberg kommen lassen. Ich kann die Verantwortung nicht allem auf mich nehmen, und zwei Köpfe sind Miner besser als einer. Ich kenne nur eine einzige Art der Verteidigung, die Sie wohl retten kann, aber es ist eine äußerst gewagte" , Meine beste Verteidigung ist die Wahrheit, Herr Justizrat. Ich hatte nicht die Absicht, ihn zu töten. Ich schlug zurück in dem Instinkt der Selbsterhaltung, und ich beabsichtige, dies am Donnerstag vor dem Gericht auszusagen. „Das werden Sie bleiben lassen!" rief Mellien heftig, „Sie werden Ihre Verteidigung voll ständig meinem Kollegen Hallberg und mir überlassen! Sie haben die Angelegenheit schon in eine solche Verwirrung gebracht, daß Sie nun wohl Ihren Mund halten könnten. Vergessen Sie nicht," setzte er leiser und weicher hinzu, „daß Sie nicht bloß an sich selbst, sondern auch an andere zu denken haben!" Der verhängnisvolle Donnerstag mit dem entscheidenden Termin vor dem Untersuchungs richter kam, und Käthe Rallas wurde von dem berühmten Hallberg ins Gebet genommen, ohne daß es demselben gelungen wäre, sie zu dem kleinsten Widerspruch zu verleiten. Dagegen war die Aussage der von der Gegenpartei herbei gebrachten Zeugen äußerst belastend für Hein rich. Sein früherer Streit mit Baumann, der von dessen Kutscher durch das Fenster beobachtet worden war, seine mitternächtliche Flucht nach Berlin, sein heimlicher Besuch in Neudorf, seine Entführung des Mädchens, das ihm am nächsten Tage öffentlich angetraut werden sollte, seine Annahme eines falschen Namens, sein Verbergen in einer versteckten Wohnung in Berlin, das alles wurde Punkt für Punkt erwiesen und durch Zeugenaussagen erhärtet. Hallberg machte einen kühnen Versuch, wenigstens die Entführung abzustreiten ; er wandte seinen ganzen Vorrat an Satire, Pathos und Ueberredungsgabe an, — vergebens, der Richter war der Ansicht, daß das Betragen Heinrich v. Lestows nach der That das Zeugnis von Küche Rallas bestätige, und so wurde sein Fall dem nächsten Schwur gericht überwiesen, unter der Anklage des voll endeten und überlegten Meuchelmordes an Doktor Alfred Baumann. 17. Der schurkische Braun, wie Heinrich v. Lestow ihn nannte, der, wie sich beim Zeugenverhör ergab, dem Geheimpolizisten Herrn Richartz die ersten Anhaltspunkte zu seinem Vorgehen gegen Lestow gegeben hatte, wäre sicherlich nie zur Gegenpartei übergegangen, hätte Dr. Wellners Verhaltungsweise ihn nicht förmlich dazu ge trieben. Er war seiner ganzen Natur nach ein musterhafter Diener. Nie erdreistete er sich, einen eigenen Willen zu haben, nie fiel es ihm ein, zu widersprechen. Einwendungen gegen die Befehle seines Herrn kannte er nicht, und wenn dieser ihm befohlen hätte, die Koffer zu packen für eine Reise in den Mond, so würde er dies gethan haben, ohne ein Wort der Frage darüber zu verlieren. Er war allerdings überzeugt, in der Nacht von Marthas Verschwinden eine Person an dem Fenster des Gemaches, in dem er sich befand, Vorbeigehen gesehen W haben, das viele Fragen hatte ihn aber so unsicher in seinem Urteil ge macht, daß er schließlich die Meinung seines Herm: er habe nur eine durch den Nebel ver größert erschienene Eule gesehen, nicht mehr ganz für unmöglich hielt. Hätte ihn der Doktor in feinem Dienste behalten, bis er nach Berlin übersiedelte, und dann mit einem Hundertmark schein entlassen, so würde Herr Richartz seinen besten Bundesgenossen verloren haben. BH »r (Fortsetzung folgt.)
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