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Allgemeiner Anzeiger : 28.01.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189901287
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- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1899
-
Monat
1899-01
- Tag 1899-01-28
-
Monat
1899-01
-
Jahr
1899
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 28.01.1899
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Politische Rundschau. Deutschland. * Bei der Kais er - Parade in Han nover am Dienstag ließ der Kaiser eine Kabinettsordre verlesen, in der die gegenwärtigen, 1866 errichteten preußisch-hannover- schenRegimenter als die Fortsetzung der althannoverschen Regimenter bezeichnet und ihnen die Stiftungstage der letzteren gegeben werden. Den Königs-Ulanen sind silberne Kesselpauken und verschiedene an althannoversche Tradition anknüpfendc Uniform abzeichen, zahlreichen zur Parade befohlenen althannoverschen Offizieren Auszeichnungen ver liehen worden. Zum Schluß hielt der Kaiser eine Ansprache an die alten hannover schen Offiziere: Er habe den heutigen Geburtstag Friedrichs des Großen ausgewählt, um den Zusammenhang zwischen dem alten und dem neuen hannoverschen Armeekorps herzu- ftellen; er hoffe, daß sie in Zukunft wie in der Vergangenheit ihr Bestes leisten werden. * Von dem Plan eines Besuches Kaiser Wilhelms in Frankreich und einem Zusammentreffen mit dem Zaren an der französischen Mittelmeerküste wissen jetzt wieder französische Provinzialblätter zu berichten. In Berlin ist von Plänen dieser Art nichts bekannt. * Herzog Alfred von Sachsen- Koburg-Gotha und die Herzogin Marie, geb. Großfürstin von Rußland, feierten am Montag die s i l b e rne H o ch z e it. Der Herzog, der als zweiter Sohn der Königin Viktoria auch den Titel Herzog von Ediuburg führt, folgte seinem Oheim, dem Herzog Ernst II., am 27. August 1893 in der Regierung. Der Kaiser wohnte der Feier bei. * Ueber eine demnächst bevorstehende Kanzlerkrisis ist in Blättern und Kor respondenzen wieder einmal allerlei zu lesen. Ebenso prompt ist aber auch von den ver schiedensten Seiten die völlige Grund- lo igkeit des Gerüchtes betont worden. *Wenn englische Blätter wissen wollen, der Jnteressenstreit auf Samoa werde beigelegt werden, indem den V er. Staaten Pago-Pago, England Upolu, Deutsch land Savai mit Manua zugeteilt werden würde, so ist diese Meldung mehr als verfrüht. Sollte es zu einer Aufteilung der Inselgruppe kommeu, so könnte Deutschland keinesfalls auf den Besitz der Hauptinsel Upolu verzichten. * Die Veröffentlichung des deutsch-eng lischen Abkommens über die Dela- goa-Bai und andere portugiesische Kolonien in Afrika scheint vorläufig immer noch nicht zu erwarten zu sein. Wie nämlich aus Lissabon berichtet wird, sprechen mancherlei Beobachtungen dafür, daß die Be kanntmachung wie die Ausführung dieses Ab kommens von der Verkündigung des Berner Schiedsspruchs über die Delagoabai-Bahn ab hängt; dieser Schiedsspruch ist jedoch offenbar nicht vor Ende dieses Jahres oder gar noch später zu erwarten. Erst wenn Portugal völlig freie Hand hinsichtlich der Bahn hat, wird an die Neuordnung der Verhältnisse in Louren^o- Marquez gegangen werden. * Ueber die Beschränkung der Einwan derung mittelloser Personen nach Deutsch- ostafrika ist einem Wunsch des Gouverneurs entsprechend dem Kolonialrat von der Negierung eine Denkschrift vorgelegt worden, welche den Erlaß von Bestimmungen vorsieht, wie sie für die M ars ch a l l i n s e l n zur Verhinderung der Einwanderung mittelloser Europäer bereits im Juli 1889 erlassen worden find. Der Kolouial- rai har die Denkschrift einer Kommission über wiesen. Oesterreich-Ungarn. * Endlich scheint die langwierige ungarische Parlaments- und Ministerkrisis beendet zu sein. Die Opposition verlangte den sofortigen Rücktritt Banffys. Erst dem Nach folger desselben wolle sie die Friedensbedingungen, bezüglich deren jedoch noch keine Einigung erzielt ist, erfüllen. Nach Beseitigung der persönlichen Frage wäre auch ein tNnveruehmen in den sach lichen Meinungsverschiedenheiten leicht. That- sächlich hat nun Baron Banffy seine Entlassung eingereicht. Weiterem Vernehmen zufoHe ist das Entlassungsgesuch des gesamten ungarischen Kabinetts Banffy vom Kaiser angenommen, und, wie erwartet, Kolo- manSzell mit der Neubildung des Ministeriums beauftragt worden. Frankreich. *Esterhazy, dessen Vernehmung am Montag begonnen hat, ist seitens des Kriegs ministeriums vom Amtsgeheimnis ent bunden worden, jedoch mit der Einschränkung, nichts auszusagen, was die nationale Verteidigung gefährden könnte. Nach dem Verhör Esterhazys wird der Kassationshof sich lediglich mit der Prüfung des Bor dereaus zu beschäftigen haben. Belgien. *Der Ministerpräsident de Smet und der Arbeitsminister Nyssens sollen um ihren Abschied gebeten haben, da sie mit der vom Könige gewollten Wahlreform nicht einverstanden sind. *Jn den düstersten Farben werden jetzt die kriegerischen Nöte des Congo staates gemalt. In einem Aufsatz über den Congo spricht das Brüsseler Blatt ,Patriot^ von neuen Kämpfen mit den Aufstän- d i s ch e n, in welchen europäische Offiziere und zahlreiche Soldaten getötet wurden. Die Auf ständischen von Mongola hätten durch die be nachbarten Stämme Verstärkung erhalten; sie wären im Besitz zahlreicher Gewehre und Patronen. Ein Teil der Wahrheit werde ver schwiegen, die Verluste seien beträchtlicher, als man mitteile. Die Truppen schienen weitere Aufstände zu fürchten, da das Ansehen der Europäer sehr erschüttert sei. Schweden-Norwegen. * Mit Rücksicht auf den Gesundheits zustand d es Königs ist der Kronprinz bis auf weiteres als Regent mit der Wahr nehmung der RegierungSgefchäfte der vereinigten Königreiche betraut worden. Spanien. *Der Minister des Innern erklärt, die wie der aufgetauchten Gerüchte betr. karlistische Rüstungen entbehrten der Begründung; die karlistischen Umtriebe seien vielmehr derart in den Hintergrund getreten, daß die hierauf gerichteten Marschübungen der Truppen in Bas kenland, Navarra, Arragon und Katalonien ein gestellt wurden. Jedoch würden die seiner Zeit von den Militärbehörden bezeichneten strategi schen Punkte in den genannten Provinzen an dauernd von starken Abteilungen besetzt ge halten. Rußland. *Graf Murawiew soll dem türkischen Bot schafter in Petersburg mitgeteilt haben, daß Rußland und Oesterreich-Ungarn Vorkehrungen getroffen hätten, um ein Aufrollen der macedonischen Frage durch die Balkanstaaten nicht zuzulassen. * Ueber Ort und Zeit des Zusammen tritts der Abrüstungskonferenz liegen bestimmte Anhaltspunkte noch nicht vor. Man hat bisher von Brüssel, Kopenhagen und dem Haag als Sitz der Beratungen ge sprochen: sicher ist nur, daß in dem Rundschrei ben des Grafen Murawiew der Wunsch betont worden ist, daß die Konferenz nicht in der Hauptstadt einer Großmacht abgehalten werde, und daß Rußland auf einen möglichst baldigen Zusammentritt Wert legt. Die Erörterung poli tischer Fragen wird, wie nochmals hervorgehoben sei, von den Verhandlungen grundsätzlich aus geschlossen bleiben. Amerika. *Der Beschluß des Washingtoner Senats, den Nikaragua-Kanal zum größten Teil auf Staatskosten zu bauen, wird im Re präsentantenhause auf heftigen Widerstand stoßen. Asien. *Aguinaldo verlangt für die Frei lassung der gefangenen Spanier, daß Spanien die Republik der Philip pinen anerkenne und mit ihr die Einver leibung in die Ver. Staaten von Amerika zu verhindern. Aguinaldo hat auch vom Vatikan die Anerkennung verlangt und einen Delegierten gefordert, um über die Religionssreiheit zu verhandeln. Aus dem Reichstage. Der Reichstag nahm am Montag in dritter Le sung debattelos das Zusatz-Uebereinkommen zu der internationalen Konvention über den Eisenbahnfracht- verkehr an. Darauf wurde der Antrag Rintelen (Zentr.) betr. Aendernngen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungs-Gesetzes, der Strafprozeßordnung und des Strafgesetzbuches, welcher im wesentlichen die Wiedereinführung der Berufung gegen Straf kammerurteile bezweckt, einer besonderen Kommission überwiesen. Es folgte die vom Abg. Schmitt-Mainz (Zcntr.) eingebrachte Interpellation betr. Abänderung des Weingesetzes. In seiner Antwort erklärte Staats sekretär Graf Posadowsky, die verbündeten Regierun gen seien bereit, den Winzern so weit als möglich cntgegenzukommen, um der Weinfälschung Einhalt zu thun; indes die Verschnittweine werde man immer zulassen müssen. Am 24. d. wird die zweite Beratung desEtats fortgesetzt bei dem Reichsamt des Innern Titel „Staatssekretär", zu welchem der Anttag des Abg. Prinzen Schoenaich-Carolath (Hosp, d. Natlib.) vorliegt: „den Reichskanzler zu ersuchen, als Beihilfe zu den Kosten der Errichtung eines Goethe-Denkmals in Straßburg (Elsaß) den Bettag von 50 000 Mk. durch Nachfordcrung in einen Er- gänznngsetat für das Rechnungsjahr 1899 einzu- stcllen." Abg. Stöcker (christl.-soz.): Wir Christlich- Sozialen haben in den Februar-Erlassen immer eine wirksame Waffe zur Bekämpfung der Sozialdemo kratie in politischer, religiöser, sittlicher und sozialer Beziehung erblickt. Ich will nicht sagen, die Sozial reform sei zum Stillstand gekommen oder gar im Rückgänge befindlich, aber das Tempo des Fort schritts ist doch in den letzten Jahren ein überaus schleppendes gewesm. Von dem großen Zuge, dem christlichen, dem Gewissensgeiste der damaligen Zeit ist in der heutigen Sozialpolitik nichts mehr zu merken. Die agrarische Bewegung, die Mittelstands- bewegung haben das Interesse von der Sozial politik abgelenkt, und ich halte deshalb beide Bewe gungen im gewißen Sinne für ein Unglück. Bei uns ist die ganze Entwickelung der soziaien Frage doch im ganzen in außerordentlich friedlicher Weise vor sich gegangen. Die Sozialdemokraten haben wohl manch mal mit der Revolution gedroht, aber sie haben doch noch keine gemacht, wie der Liberalismus im Jahre 1848. Ich habe mich deshalb gefreut, daß Herr von Vollmar in Stuttgart den Genossen zurief: „Laßt doch endlich dieses Prahlen mit der Kommune! Die Leute müssen denken, wir haben gar nichts gelernt." Wie viel ist dagegen in den letzten Jahren geschehen, um die Arbeiter direkt in die Arme der Sozial demokratie zu treiben. Umsturzgesetz, Vereinsgesetz, das Gesetz, das uns bevorstcht, das sind Gesetze, die dem nervösen Dilettantismus entsprungen sind. Der Terrorismus, der bei Streiks geübt wird, ist gewiß tief zu beklagen; er mich mit aller Strenge bestraft werden. Aber Terrorismus existiert doch nicht nur bei den Sozialdemokraten, auch der Kapitalismus ist sehr brutal, so brutal, daß selbst christliche Arbeiter im Zmeifel sind, was gefährlicher ist: die Sozial demokratie oder die Plutokratie. Die Jndeu (Große Heiterkeit) die Judrnd, wollte ich sagen, soll doch zu christlichen Männern heranwnchsen, die die Stütze der bürgerlichen Gesellschaft bilden sollen. Abg. Müller- Meiningen (frs. Vp.): Ich habe einen Wunsch, der auf dem Gebiete des gewerblichen Urheberrechts liegt. Deutschland ist einer von den Staaten, die noch immer nicht der Union zum Schutze des gewerblichen Eigentums bcigetteten sind. Nicht nur hier im Hause, sondern auch seitens der Jnter- cssentcn-Vertretungen sind wiederholt Anregungen dahin gegeben worden, daß Deutschland der Union beitrete. Ich möchte diese Anregung meinerseits heute unterstützen. Abg. Boeckel (wilder Antis.) tritt für die Er richtung einer deutschen National-Bibliothek ein. Die einzelnen Landes- und Provinzial-Bibliothcken könnten den Zweck nicht erfüllen, die Werke der deutschen Litteratur gesammelt aufzustapeln. Viele Schätze der Litteratur gingen sogar ganz verloren, weil sie in keiner Bibliothek Aufnahme fänden. Abg. Hasse (nat.-lib.) gibt seinem Bedauern darüber Ausdruck, daß die von privater Seite be gonnene und geförderte deutsche Südpolarforschung keine Unterstützung von feiten des Reiches gefunden hat. Er bitte, doch schon in diesem Jahre als erste Rate in einem Nachttagsetat 200 000 Mk. zur Ver fügung zu stellen zur Ausrüstung einer Expedition. Staatssekretär Graf Posadowsky erwidert dem Abg. Müller, auch die Regierung habe den leb haften Wunsch, daß uns der Beitritt zu der Union zum Schutz des gewerblichen Eigentums ermöglicht werde. Ueber die Unterstützung der Südpolar forschung könne er keine Auskunft geben, die Sache sei in der Regierung noch nicht zur Sprache gekommen. Die Marine würde aber bereit sein, ein Schiff dazu auszurüstcn. Abg. Horn- Sachsen (soz.) schildert die schäd liche Einwirkung des Betriebes in den Glashütten auf die Gesundheit der Arbeiter und fordert wirk sameren Schutz für dieselben. Abg. Hoch (soz.) stellt als Ergebnis der sozial politischen Erörterungen fest, daß außer den Konser vativen und dem Staatssekretär eigentlich kein Mensch zufrieden ist. Wenn es der Regierung ernst ge wesen wäre mit der Durchführung des Arbciter- schutzes, so hätte sie einen Druck auf die Städte ausüben müssen, damit diese die Durchführung unter strenge Kontrolle stellten. Der Schutz der Bauhand werker falle doch ganz unzweifelhaft unter die Ver heißungen der kaiserlichen Botschaft. Staatssekretär Graf Posadowsky: Ich habe bereits in der vorigen Session anerkannt, daß im Baugewerbe nicht unerhebliche Mißstände bestehen, die dringend Abhilfe erheischen. Wir haben deshalb eine Umfrage an die verbündeten Regierungen ge richtet, ob es nötig sei, die Ansicht über das Bau gewerbe den Gewerbeinspektoren zu übertragen. Rach meiner Erinnerung haben sich aber alle Staaten dagegen ausgesprochen, da die Bauten ihrem Wesen nach nur durch lokale Organe beaufsichtigt werden können. Darauf sind denn erweiterte Schutzbestim mungen für die Bauhandwerker und Arbeiter aus gearbeitet und vom Reichsversicherungsamt genehmigt worden. Mehr kann das Reich nicht thun, denn die Ausführung der Bestimmung, sowie die Regelung ist Sache der Einzelstaaten. Abg. Augst (südd. Vp.) fragt den Staats sekretär, was er zur Abhilfe gegen den sich beständig steigernden Mangel an ländlichen Arbeitern zu thun gedenke. Das wirksamste Mittel würde sein, daß den Arbeitern ein menschenwürdigeres Dasein auf dem Lande ermöglicht würde, dann würden sie auch gern dort bleiben. Staatssekretär Graf Posadowsky bedauert ebenfalls die Leutenot, kann aber kein Mittel er sehen, wie ihr von Reichswegen zu steuern sein könnte. Die Erleichterungen, die da beschaffen wer den könnten, seien Sachen der Einzelstaaten, und Preußen sei bestrebt, solche Erleichterungen nament lich für den Zuzug von ländlichen Arbeitern aus dem Auslande nach Möglichkeit zn schaffen. Abg. Albrecht (soz.) fordert wirksamere Maß nahmen zum Schutze der Arbeiter in der Kon fektions-Industrie, die jetzt ein großes Kontingent von mit Krankheiten der Atmungsorganc Behafteten lieferten. Abg. Schwartz-Lübeck (soz.) kommt auf die neuliche Rede des Abg. Müller-Dortmund zurück und nimmt die Lübecker Arbeiter gegen den Bor wurf in Schutz, daß sie Terrorismus übten. Damit schließt die Diskussion über den Titel „Staatssekretär". Der Titel wird angenommen. Die Weiterberatung wird sodann vertagt. Prrnßischrr Landtag. Das Abgeordnetenhaus setzte am Montag die erste Lesung des Staatshaushaltsetats fort. Eisen- bahnministcr Thielen bezeichnete eine Scheidung der Eisenbahnsiuanzen von den allgemeinen Staats finanzen als undurchführbar und sagte die Ein bringung der Mittellandkanalvorlage noch vor Ostern zu. Finanzminister v. Miquel erwiderte dem Abg. v. Strombeck, welcher die Ausweisungen bedauerte, man dürfe die Ausweisungen nicht vom Standpunkt des Kriminalrichters beurteilen, und erklärte, den Verkauf von Schatzanweisungcn nach England nicht hindern zu können. Minister des Innern Frhr. v. d. Recke bemerkte, die Verzögerung der Bestätigung des Oberbürgermeisters von Berlin unterliege nicht der Kritik des Abgeordnetenhauses. Justizminister Schönstedt beleuchtete die Ausweisungen vom recht lichen Standpunkt und Kultusminister Dr. Bosse kennzeichnete seine Stellungnahme zum Fall Dell- brück; er wünschte für ihn die volle Oeffentlichkeit. Am Dienstag wurde im Abgeordnetcnhause die erste Beratung des Etats beendet und der größte Teil des Etats der Budgetkommission überwiesen. Abg. v. Zedlitz (freikons.) bezeichnete die Kanalfrage als eine Zweckmäßigkeitsfrage, befürwortete Förderung der inneren Kolonisation und Verlegung der In dustrie auf das Land, wobei er den ostelbischen Großgrundbesitz als eine soziale Notwendigkeit be zeichnete. Den Schluß der Debatte bildete eine nochmalige Rede des Abg. Richter, der sich mit den Ministern, die in der Debatte gesprochen, auseinander- sctzte. Do« Nah «ad Fern. Rostock. In Hohen-Schwarfs feierte am 19. d. die Witwe Schmidt, geb. Hinckfuß, ihren hundertsten Geburtstag. Der Herzog-Regent hat der hochbetagten Greisin, die sich noch einer verhältnismäßig proßen Rüstigkeit erfreut, ein Glückwunschschreiben mit einem Geldgeschenk von 100 Mk. übersenden lassen. Am Uorakend der Hochzeit. 27) Roman von Helene Stökl. gfürtl-tzun«.) „Nicht eine Menschenseele! Als das Dienst mädchen am anderen Morgen in mein Zimmer kam, sagte ich, daß ich heftiges Kopfweh habe, was wahrhaftig keine Lüge war, und daß ich nicht gestört zu sein wünschte. Dann versuchte ich es, an meine Braut zu schreiben." „Sie erwähnten schon einmal Ihrer Braut," unterbrach ihn Mellien; „ich vermure, Sie svrachen von der jungen Dame, die Ihre Frau werden sollte, aber ihren Tod auf so schreckliche Weite saud." Heinrich starrte ihn einen Augenblick ver- > wmldert an, dann ries er lebhaft: „Es ist ja , wahr, Sie wissen noch nichts davon! Nein, Herr Justizral. Martha Wellner verunglückte nicht, sie lebt und ist meine Frau." Melken sank im Ucbermaß des Staunens kraftlos in seinen Sessel zurück. „Fahren Sie fort," sagte er daun mit matter Stimme, „ich glaube nicht, daß nach dieser unerwarteten Nach richt noch irgend etwas >m stände sein wird, mich in Staunen zu versetzen." „Ich erwähnte soeben," nahm Heinrich seinen Bericht wieder auf, „daß ich versuchte, an Martha Wellner zu tchreiben und ihr auscinandcrzusctzen, was geschehen war, es gelang mir nur schlecht. Ich gab zwar meinen Brief zur Poft, in dem ich ihr, jede Erklärung beiseite lassend, mittcilte, daß unsere Hochzeit aufgeschoben werden müsse; als ich aber ruhiger geworden war, bangte mir Vor der Wirkung, welche dieser une-Partete Bries aus sie ansüben mußte, und ich beschloß, aus alle Gefahr hin selbst nach Neudorf zu fahren, ihr alles zu sagen und dann ins Aus land zu fliehen. Sie dürfen nicht vergessen, daß ich von der Altsicht ausging, die Ermor dung Alfred Baumanns würde sofort bekannt werden, und der Verdacht auf mich fallen. Jeden Augenblick glaubte ich verhaftet zu werden; ich habe seit jenen Tagen unausgesetzt in dieser schrecklichen Angst und Ungewißheit gelebt. Gott ist niein Zeuge, daß ich die erste ruhige Stunde hatte, nachdem der Polizist die Hand ruhig auf mich gelegt hatte. Meine arme Martha hatte das Vorgefühl gehabl, daß sie mir in irgend einer Weise Unglück bringen würde; sie hatte sich deshalb feierlich von mir versprechen lassen, daß ich ihr nie etwas verbergen, sondern sie ihr volles Teil an allem, was mir zustoße, tragen lassen wolle. Als ich ihr jetzt erzählte, weshalb ich flüchten müsse, beschwor sie mich, ihr zu ge statten, daß sie mit mir gehen dürfe. Sie glaubte, ein Freund ihres Vaters würde uns auf der Stelle trauen können, und ich glaubte das ebenfalls, bis uns schließlich ihr Vater eines anderen belehrte." „Sie sagten ihm doch nicht alles?" fuhr Mellien auf. „Nein. Als ich ihm mitteilte, daß Bau mann tot sei, schien er das übrige in meinem Gesicht zu lesen. Er hielt sich die Ohren zu und verbot mir, irgend etwas anderes zu sagen, als wonach er mich fragen werde. — „Weiß sie es?" fragte er dann, auf Martha deutend. — Ich nickte stumm. — „Alles?" — „Ja, alle?." — „Daun bleibt nichts übrig, als daß du mit ihr davon gehst und dich so schnell als irgend möglich mit ihr trauen läßt, damit sie nicht gezwungen werden kann, gegen dich aus zusagen ..." Wir verließen Neudorf noch in derselben Nacht und trafen am nächsten Tage mit Dr. Wellner zusammen; er setzte es auch in der That durch, daß der Standesbeamte, da ja alle Formalitäten sonst in Ordnung waren, uns in dem Bezirk traute, in dem wir uns meldeten." „Dann verdanken wir die Geschichte von dem Sturze Fräulein Martha Wellners über die Klippen vermutlich der Erfindungsgabe ihres Vaters?" „Die Umstände legten sie ihm in den Mund. Ich hatte Martha gebeten, auf ihrem Lieblings plätzchen bei den Klippen mit mir zusammen treffen zu wollen, und sie kam auch dorthin. Während wir miteinander sprachen, wehte der Wind ihren weißen Shawl fort. Man fand ihn später zwischen den zerklüfteten Felsen hängen und dieser Umstand führte hauptsächlich zu der Annahme, daß sie verunglückt sei. Ms Dr. Wellner an jenem Tage nach Hause zurück kehrte, ward er mit der Schreckensnachricht empfangen, daß seine Tochter über die Klippen gestürzt sei. Er hatte sich vergeblich den Kopf zerbrochen, welche Erklärung er für Marthas Verschwinden geben sollte, jetzt hatte er nichts weiter zu thun, als der allgemeinen Annahme nicht zu widersprechen. Auf seinen Rat gaben wir unseren Plan, Deutschland sofort zu ver lassen, auf; er hatte jedenfalls recht mit seiner Meinung, daß alle ins Ausland gehenden Dampfschiffe, sobald der Mord bekannt war, streng überwacht und durchsucht werden würden. Er hielt Berlin als Groß- oder vielmehr Welt stadt für den Ort, der verhältnismäßig die größte Sicherheit bot." „Darin hatte er recht," bemerkte Mellien; „Sie schrieben mir aber doch von Spanien aus?" „Auf diese List war Doktor Wellner ver fallen, um uns ohne Aufsehen Geld zu ver schaffen. Wir hatten mit Schrecken bemerkt, daß wir beobachtet wurden, und hielten uns nicht mehr für sicher in Berlin. Ich konnte nicht direkt an Sie schreiben, ohne meinen Aufenthalts ort zu verraten. Da wir mit Spanien keinen Auslieferungsvertrag haben, so machte ich glau ben, daß ich dort sei, um meine Verfolger von mir abzulenken." „Wen verstehen Sie unter Ihren «er* folgern?" . „Ich kenne ihre Namen mcht. Ich ver mute, daß es von Alfred Benton beauftragte Leute waren; jedenfalls befand sich dieser schur kische Braun mit darunter. „Wer ist Braun?" „Doktor Wellners Diener." „Sie sollen mir gleich sagen, weshalb Sie diesen Mann für Ihren Gegner halten, aber erst beantworten Sie mir eine andere Frage. Wurden Sie und Fräulein Wellner unter Ihrem wirklichen Namen getraut?" „Natürlich!" „Aber Sie nannten sich Baumann? Wie um des Himmelswillen kamen Sie auf die Idee?" „Man fragte mich nach meinem Namen, als
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