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Allgemeiner Anzeiger : 11.01.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190201115
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19020111
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19020111
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1902
-
Monat
1902-01
- Tag 1902-01-11
-
Monat
1902-01
-
Jahr
1902
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 11.01.1902
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Politische Rundschau. Deutschland. * Der bevorstehende B e s u ch des Pri n z e n von Wales wird in einem englischen Biatt auf eine drinaende Einladung des Kaisers zurückgeführt. In Wirklichkeit hat aber, so schreibt die ,Nordd. Allg. Ztg/, der KönigvonEngland durch seinen Berliner Bots-baiter dem Kaiser die Absicht, zur Beglück wünschung desselben am 27. Januar den Prinzen von Wales zu entsenden, mitteilen lassen. Der Kaiser hat den Prinzen als Gast an seinem Geburtstage gern willkommen geheißen. *Der protestantische Zentralkirchenvorstand der St ad t Worms hat dem Kaiser ein Huldigungstelegramm zugehen lassen und darin seine Zustimmung zu der vom Kaiser in Gotha angeregten Gründung einer deutsch-pro testantischen Nationalkirche ausge sprochen. *Der Streit mit Venezuela wird sich nach Anschauung der leitenden politischen Kreise noch längere Zeit bis zu einer Ent scheidung hinziehen. Ein Beweis für diese An nahme liegt auch in der Thatsache, daß der neue Kreuzer „Gazelle*, der nach der venezo- kanischen Küste beordert ist, erst fertiggefiellt werden muß, ehe er die Fahrt nach Südamerika antreten kann. Erst im nächsten Monat wird er dort erscheinen können. Zunächst hat die venezolanische Regierung vem Vernehmen nach die deutschen Forderungen noch gar nicht anerkannt. Auch läßt sich nicht ab sehen, ob überhaupt Geneigtheit zu dieser An erkennung besteht. Die Verhandlungen werden aiso noch fortdauern, und wenn Venezuela bei seiner ablehnenden Haltung bleibt, so wird die Sache wahrscheinlich gerade so enden, wie der Streit des Deutschen Reiches mit der Republik Haiti Ende 1897 beim Falle Lüders. Die deutschen Kriegsschiffe werden den Haupthaien oder die beiden bedeutendsten Häfen Venezuelas besetzen und sie so lange als Pfand in der Hand behalten, bis die Schuld an die Deutschen bezahlt ist. * Die Bundesratsverordnung be treffend den Schutz der Angestellten in Gast- und Schankwirtschaften wird :n nächster Zeit in Kraft treten. Der Entwurf soll mehrere wesentliche Abänderungen erfahren haben. Der Bundesrat hat sich auf einen vermittelnden Standpunkt gestellt und sowohl den Petitionen der Gastwirte, als denen der Angestellten in einzelnen Punkten Rechnung getragen. *Jm Neichsamt des Innern finden Er wägungen statt, die österreichische Grenze für die Einfuhr lebender Schweine zu öffnen. Für welche Bezirke, in welchem Maße und für welche Zeit eventuell die Einfuhr gestattet sein soll, ist noch eine offene Frage. *Das dritte große Gutachten des Aus schusses der Wasserverhältnisse in den der Ueberschwemmungsgefahr besonders aus gesetzten Flußgebieten für das Memel-, Pregel- und Weichselstromgebiet ist neuerdings dem Preuß. Äbgeordnetenhause und dem Herrenbause zugesandt worden, nachdem im Jahre 1898 das Ergebnis der Ausschuß- Prüfungen bezw. Beratungen über das Oder- und im Jahre 1900 über das Elbestrom gebiet erstattet worden war. England. *Jn Londoner leitenden militärischen Kreisen wird bestätigt, daß Lord Roberts seine Entlassung als Oberbefehlshaber der britischen Armee im April d. einreichen werde und der Herzog von Connaught noch vor der Krönung des Königs Eduard zu seinem Nachfolger ernannt werden würde. * Für Südafrika haben die Engländer große Rosinen im Sacke. Im nächsten Jahre soll in Kapstadt eine große Aus stellung staitfinden, mit welcher hauptsächlich Förderung des Handels bezweckt wird. Die Organisation der Ausstellung erfolgt vom Mutterland aus, Mittel der Kolonie sollen nicht sm sie in Anspruch genommen werden. (Wenn sich nur die Buren dabei nicht als ungebetene Gäste einstellen!) Valkanstaaten. *Zu der Beschleunigung der Abreise Mahmud Damat Paschas aus Korfu soll die griechische Regierung dadurch beige tragen haben, daß sie die von ihm während seines Aufenthalts auf der Insel gemachten Schulden, die ungefähr zweitausend Frank betrugen, bezahlt hat. (Flüchtiger Schwager des Sultans zu sein, bringt doch immer noch etwas ein!) * Dem Oberkommissar vonKreta, Prinzen Georg, gehen fortgesetzt Beschlüsse kretischer Gemeinden im Sinne der Vereinigung mit G ri e ch e nl an d zu. Der Prinz beab sichtigt, diese Kundgebungen, deren Zahl bisher vierzig beträgt, zur Kenntnis der Regierungen der Schlitzmächte zu bringen, um diese neuer dings über die auf Kreta herrschende Stimmung zu unterrichten. v Hollebett, deutscher Botschafter in Washington. Amerika. * Bryan, der frühere demokratische Prä sidentschaftskandidat, riet am Sonntag in einer Versanimlung von Burenfreunden Zu Cleveland (Ohio) den Buren dringend, den Kampf fortzusetzenund nannte es eine Schande, daß seitens der Regierung der Ver. Staaten noch keine Sympathie-Kundgebung sür die Buren erfolgt sei. *Wegen derLynchungvonItalienern schwebt ein alter Streithandel zwischen Italien und der Union. Staatssekretär Hay überreichte dem italienischen Botschafter eine offizielle Note betr. die Lynchung von Italienern zu Erbin und teilte dabei mit, eine Abschrift des Pro testes der italienischen Regierung werde den Ausschüssen des Senats und des Repräsentanten hauses zugestcllt werden behufs Unterstützung des Vorschlages des Präsidenten Roosevelt, die Gesetzgebung dahin ab zuändern, daß den Bundes gerichten die Rechtsprechung über Vertrags verletzungen zum Schaden fremdländischer Staats angehöriger übertragen werde. * Während schon vor acht Tagen gemeldet wurde, daß der Konflikt zwischen Chile und Argentinien beigelegt, dann daß sein Ausgleich „bevorstehend" sei, wird jetzt von einer Verschärfung berichtet. Es scheint, daß Argentinien der kriegs lustigere Teil ist und die Bevölkerung dieses Landes noch mehr als die Regierung. Afrika. *Vom Kriegsschauplatz in Süd afrika ist schon wieder eine englische Schlappe zu berichten. Eine Abteilung Scots Greys, die sich auf dem Marsch befand, wurde von Buren überfallen und verlor 6 Tote und 13 Verwundete; nach zweistündigem Kampfe zog sich der Feind, der ebenfalls einige Verluste hatte, zurück. Afie«. *Nach einer Abwesenheit von 17 Monaten ist am Dienstag der Sohn des Himmels in seine Residenz Peking zurückgekehrt, und eS wird sich nun zu zeigen haben, ob das Eingreifen der Mächte des Westens, vor dem im August 1900 der Kaiser und die Kaiserin- Regentin von China nach dem fernen Singaniu flüchteten, dauernde Früchte gezeitigt hat. An- eichen davon sind in dem neuerdings be stätigten Reformeifer des Hofes, in der Benutzung der Teufelserfindung der Eisenbahn zur Rück kehr, in den Einzelheiten des feierlichen Ein zuges immerhin zu erblicken. * „Vor den Augen freundlich!" scheint fort gesetzt die Devise der Kaiserin-Witwe zu sein. Sie schärft in einem Edikt ihren Unterthanen ein, den Fremden versöhn- l i ch entgegen zu treten und kündigt an, daß sofort nach der Rückkehr des Hofes die freundschaftlichen Beziehungen mit den fremden Gesandten wieder ausgenommen werden sollen. Für den ersten Empfang der fremden Gesandten durch den Kaiser sei ein früher Termin in Aussicht ge nommen. Die Kaiserin-Witwe teilt ferner mit, sie werde bald einen Empfang der Damen der fremden Gesandten veranstalten. *Die afghanische Frage scheint nun doch noch aufgerollt zu werden. Der Thron prätendent Isak Chan und dessen Sohn Ismail sollen gleich nach dem Ableben des Emirs Abdurrahman Vorbereitungen getroffen haben, um sich des afghanischen Turkestan und der Provinz Balkh zu bemächtigen: sie hätten sich mit dem Ersuchen um Unterstützung an die Russen gewandt, doch hätten diese jeden Beistand verweigert. Dadurch sei Isak Chan entmutigt worden und hätte seine Teil nahme an weiteren Aktionen abgelehnt. Ismail dagegen sei an die afghanischen Mißvergnügten und an den in Buchara als Flüchtling lebenden afghanischen General Hyder herangetreten, und es verlaut? jetzt, daß er Streitkräfte sammle, um im März, wenn die Pässe schneefrei find, zum Vorstoß zu schreiten. Duell und erhöhter Rechtsschutz der Ehre. In der .Deutschen Juristen-Ztg.' unterwirft der Senatspräsident des Reichsgerichts Dr. Frhr. v. Bülow das schweizerische und deutsche Strafrecht einer eingehenden kritischen Be trachtung. Besonders interessant find darin die Erörterungen über die Sühne und die Be strafung von Beleidigungen und im Zusammen hang damit die Ausführungen über das Duell. Es heißt da: Ein Hauptmoment, das der Be seitigung des Duells entgegensteht, ist der noch immer in weiten Kreisen als feststehend be trachtete Satz, daß durch eine Beleidigung, namentlich eine thätliche, der Betroffene „ent ehrt" Wird und „seine Ehre wieder Herstellen muß". Dabei befindet sich aber der bemerkens werte Unterschied, daß in den höheren Zivilisten- Ireisen meistens die Ansicht herrscht, man könne nur von Seinesgleichen beleidigt werden. Ein gebildeter, anständiger Mensch kann gar nicht von einem Strolch oder einem verkommenen, betrunkenen Lumpen, der ihn auf der Straße anrempelt oder ihm Schimpfworte nachruft, so „beleidigt" werden, daß er seine Ehre „wieder herstellen" müßte. In Offizierskreisen ist man dagegen vielfach der Meinung, daß auch ein solcher Lump durch Insulte, die nicht sofort durch Tötung gesühnt werden, einen Offizier entehren könne (insbesondere wenn der Angriff vor Zeugen geschehen ist). Ob solche An schauungen mit der Zeit nicht eins Aenderung erfahren können, und ob nicht hierauf hingewirkt werden könnte, verdient wohl eine weitere Ueberlegung. Wie dem auch sein mag, in den gebildeten Volkskreisen ist wohl ganz allgemein die Meinung vorherrschend, daß mindestens eine Einschränkung der Duelle im Juteresse des Rechtslebens aus verschiedenen Gründen dringend zu wünschen ist. Will man aber zu einer Einschränkung des Duellwesens gelangen, so ist der erste Schritt der, daß für einen wirk samen, auch das empfindlichere Ehrgefühl be friedigenden Rechtsschutz der Ehre gesorgt wird. Freilich genügen bloße höhere Strafandrohungen für sich allein auch nicht, wenn die Gerichte gerade bei Ehrverletzungen immer zu besonderer Milde Hinneigen und die hö-eren Strafen, die > das Gesetz zuläßt, fast niemals zur Anwendung bringen. Insbesondere müßte in gewissen Fällen auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden können. Es ist nicht einzu sehen, warum nicht der, der boshafter- oder srevelhasterweise die Ehre anderer antastet, nicht auch seinerseits an der Ehre gestraft werden soll. Sehr nützlich und wirksam würde es ferner sein, wenn auch künftig wieder der Be leidiger angehalten werden könnte, zu Wider ruf, Ehrenerklärung und öffentlicher Abbitte. Man hätte dies lieber nie abschaffen sollen. Don Matz und Fer». Der deutsche Kronprinz war in den letzten Tagen Jagdgast des Amtsrats v. Dietze in Barby. Der Ämenthalt des Kronprinzen wurde indessen durch die plötzlich schwere Er krankung der Frau v. Dietze sehr abgekürzt. Der Kronprinz mit seinem kleinen Gefolge ver ließ Barby schon am Sonntag abend; in der Nacht darauf starb Frau v. Dietze, die vor drei Jahren ihre goldene Hochzeit gefeiert hatte. Die geisteskranke Prinzessin Luise von Koburg, deren bisherige abnorme Liebhaberei kostbare Toiletten waren, hat sich jetzt ganz der Leidenschaft für Blumen ergeben. Man darf ohne Uebertreibung sagen, daß die Wohnräume der Prinzessin in Coswig (Sachsen) einem herrlichen Blumengarten Gleichen, in welchem die Kinder Floras in vollster Blüte stehen. Und mitten unter ihnen wandelt die unglückliche Prinzessin, häufig auch läßt sie sich auf den Fußboden mitten unter ihren Lieblingen nieder, führt mit ihnen ganze Gespräche, als ob es Lebewesen wären, und hat für jede Blume einen eigenen Namen. Diese Form der Geisteskrankheit er innert lebhaft an das traurige Gesch'ck der Kaiserin Cha lotte von Mexiko, die nach der Katastrophe 1867 in geistige Umnachtung verfiel und kurz nachher gleichfalls ausschließlich an Kleidern und an Blumen Freude fand. Durch die Achtsamkeit eines Bahn wärters ist, wie aus Köln gemeldet wird, ein großes Eisenbahnunglück verhütet worden. Der Wärter entdeckte auf seinem Rundgang morgens in der Dämmerung zu Rbeindori an der Wupverbrücke. daß das Geleise, welches der alsbald eintreffende Köln-Düsseldorfer Personen zug passieren mußte, durch acht abgebrochene Telegraphenstangen versperrt war. Außerdem bedeckten Bohlen und zertrümmerte Glaskiften — letztere augenscheinlich von dem vorauf- gefahrenen Güterzuge herrührend — den Bahn körper. Der Wärter requirierte Hilie und ließ den Personenzug ein anderes Geleise passieren. Eine Zugentgleisung hätte gerade an jener Stelle bei augenblicklich hochgehender Wupper namenloses Unheil herbefführen müssen. Die Untersuchung ist eingeieitet. Verschwundenes Testament. Auf die Ermittelung eines verschwundenen Testaments hat der Magistrat zu München eine Belohnung von tausend Mark ausgesetzt. In der bayrischen Hauptstadt verstarb nämlich Ende März v. der Privatier, frühere Schlossermeister Ludwig Schneider, der die Stadtgemeinde zur Universal erbin seines Vermögens in Höhe von etwa 400 000 Mark eingefetzt hat. Von dem Testa ment ist zwar eine aus Wiesbaden, den 15. Oktober 1898 datierte Abschrift vorhanden, doch ist es trotz sorgfältiger Nachforschungen bisher nicht gelungen, den Hinterlegungsort des Originals ausfindig zu machen. Der Magistrat beschloß daher in seiner letzten Sitzung, dir obengenannte Summe für denjenigen als Be lohnung auszusetzen, der noch im Laufe des Monats Januar anzugeben vermag, bei welchem Notar oder bei welcher Gerichtsbehörde die Originalschrift der kostbaren Urkunde seiner Zeit niedergelegt worden ist. Wegen des Differenz-Einwandes in den Ruhestand versetzt. Der Gymnafial- Oberlehrer in Neiße, der gegen den Bankier Louis Schott in Glatz, bei dem er Börsenge schäfte machte, ebenso wie mehrere andere Spekulationskunden nach Ausbruch der Börsen krisis den Differenz'Einwand erhob, was den Konkurs des Bankhauses herbeiführte, wurde in den Ruhestand versetzt. Die Tochter des Kerkermeisters. 12z Roman von Karl v. Leistner. <F->rUktzmig.) „Zurück l" rief Olaf. „Zurück! Ich weiß von nichts — garnichts! Wollt ihr mich vor Ge richt schlevpen, damit ich gestehe, wer der Thäter ist? Das Blut, das an meinen Händen kledt, ist nicht das meines Verwandten! Wer kann es beweisen, daß ich es selbst war, der ihn mordete?!" — Mit einem nochmaligen Aufschrei sank der Erschöpfte zurück und Totenstille folgte dieser aufregenden Szene. — Charwtte wankte, von Gertrud und der Zofe unterstütz!, zum Sosa und brach dort schluchzend zusammen. „O, wie schrecklich, wie grauenhaft!" flüsterte fie, am ganzen Leibe bebend. „Nicht wahr, das find doch einzig und allein nur Aus geburten einer krankhaften Phantasie — weiter nichts? Nein, es kann ja schlechterdings nichis anderes sein! Aber warum antworten Sie mir nicht, Gertrud, und bestätigen meine Behaup tung ?" fügte fie ängstlich hinzu. Die so stürmisch Aufgeforderte, welche gleichfalls nach diesen Vorgängen ganz verstört aussah, bedurfte Zeit, um sich darüber klar zu werden, was fie entgegnen sollte, denn sie selbst konnte die Anficht der anderen keineswegs völlig teilen. Charlotte aber, durch die Zöge rung aufs höchste befremdet, fuhr alsbald fort: „Um Gotteswillen, Fräulein Reich, Sie werden doch seinen Worten keine tiefere Be deutung beimessen?! Könnten Sie denn im Ernst glauben, daß Olaf mehr von dem Tode meines armen Vaters wüßte, als Sie und ich und wir alle? Gestehen Sie es mir! Halten Sie Ferdinand Kron iür schuldig oder nicht?" „Nein," versetzte die Gouvernante. „Sie selbst können sich ja der Zweifel an der Schuld des Verurteilten nicht entschlagen, wie aus dem hervorging, was Sie neulich gegen Ihre Frau Mutter äußerten." „Also auch Sie," hauchte Charlotte tonlos, indem ste ihr Antlitz abwendete. Als ihre Nachbarin in peinlichster Verlegen heit schwieg, setzte Charlotte noch hinzu: „O, sagen Sie mir, ob Sie an meiner Seite anders gehandelt hätten! Würden Sie nicht gleichfalls von der Last der vernichtenden Beweise und von der Ueberzeugung aller anderen bewogen worden sein, ihn zu ver dammen ?" „Niemals!" Gertrud sprach dieses Wort so laut und entschieden aus, als es die Um stände erlaubten. „Dem Manne, welchen ich meiner Liebe für wert hielte, würde ich ein felsenfestes Vertrauen auch dann bewahren, wenn die ganze Welt gegen ihn aufstünde." — Fräulein von Ahlburg verhüllte ihr Gesicht mit den Händen und erwiderte erst nach ge raumer Weile: „Gott gebe, daß Sie im Irrtum find! Es wäre geradezu unsinnig, aus jenen Wahnvor stellungen eines Fieberkranken nur mit einem einzigen Gedanken auf eine eigene Schuld des selben zu schließen. Davon kann selbstverständ lich keine Rede sein. Es ließe sich einzig er wägen. ob Olaf nur unter den Folgen der Erschütterung, welche er bei Auffindung der L.iche meines Vaters ausstand, auch jetzt noch dermaßen leidet, oder ob er etwa gar ein Geheimnis in seiner Brust verschließt, das einiges Licht in die dunkle Sache bringen könnte und dessen er sich nicht zu entäußern getraut." „Ueberlassen Sie das weitere denen, die be rufen find, die Umstände der Frevelthat von neuem zu prüfen!" bat Gertrud, um dieses ihr höchst unerquickliche Gespräch zu Ende zu bringen. Die Gouvernante wurde im nämlichen Mo ment aus ihrer fatalen Lage durch Metas Wiedererscheinen erlöst. Da der Patient nun ruhig schlummerte und sein Zustand sich fichilich gebessert hatte, begaben sich die beiden jungen Damen für einige Stunden zur Ruhe. * . * Als sich der Arzt bei dem Kranken zum zweiten Mal einfand, war er mit dessen Be finden sehr zufrieden. Das Fieber hatte ab genommen, und schon am dritten Tage nach dem Unglücksfall unterlag das klare Bewußt sein keinen Störungen mehr, und nach zwei Wochen konnte Olaf als vollständig genesen gellen. Rat Jägers Besuche wiederholten sich, so oft es ihm der Dienst nur irgend gestaltete, einen Ausflug nach dem AHIburgschen Besitzlum zu unternehmen. Außer der Anziehungskraft, welche seine Braut auf ihn ausübte, veranlaßte ihn hierzu noch ein anderer Grund, denn es lag ihm viel daran, womöglich weitere Anhalts punkte für die Wiederaufnahme der Unter suchung zu gewinnen, die sich nach den Kund gebungen des Barons Urspring nicht mehr lange hinausschieben ließ. — Als er eines Tages wieder bei Emmy vor» svrach, überraschte er Gertrud im eifrige« Gespräch mit derselben. Sie hatte vor der Freundin gerade ihrem Herzen Luft gemacht, denn diese war ja die einzige Person, gegen welche fie sich über den geschilderten Widerstreit ihrer Gefühle uussprechen durste. Beim Ein tritt des Bräutigams schwieg fie betroffen still und wollte sich nach den ersten Begrüßungen zurück äehen, aber der Angekommene bat fie dringend, zu bleiben. „Sie stören uns keineswegs, Fräulein Reich l" sagte er. „Es ist mir im Gegenteil sehr an genehm, daß sich mir die Gelegenheit zu einer Unterredung mit Ihnen an diesem Ort darbietet. Verzeihen Sie, wenn ich in unschuldvoller Ab ficht ein paar Worte erlauschte, was Sie mit meinem lieben Bräutchen soeben verhandelten. Da ich im Zimmer sprechen hörte, blieb ich einen Augenblick stehen, um mich zu über zeugen, wer zugegen sei, und dabei vernahm ich. daß Sie Olaf Lindströms Namen nannten. Lassen Sie mich ohne Umschweife auf mein Z e! lossteuern, bestes Fräu.ein! — Vermißten Sie nicht seit etwa drei Wochen einen Gegen stand, dessen Abhandenkommen Ihnen wahr scheinlich sehr fatal war und nach dem fie gewiß recht eifrig suchten?" Die junge Erzieherin wurde zuerst purpur rot und erblaßte dann rasch wieder. Eine
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