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Allgemeiner Anzeiger : 01.12.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189712013
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18971201
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1897
-
Monat
1897-12
- Tag 1897-12-01
-
Monat
1897-12
-
Jahr
1897
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 01.12.1897
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V-Mschr Rundschau. Deutschland. -Der Kriser wird am 1. Dezember als Jagdgast des Amtsrats v. Dietze auf Barby an der von letzterem veranstalteten Hasenjagd teilnehmen und am Vormittag des genannten Tages dort eintreffen. * Die lippische Thronfolgefrage ist noch lange nicht erledigt. Gegen die be treffende Gesetzesvorlage ist, wie schon kurz er wähnt, von feiten der Linie Lippe-Weißenfeld, und zwar von deren Chef, dem 1844 geborenen Grafen Ferdinand, Protest eingelegt worden, über dessen Inhalt jedoch nichts bekannt wurde, da er in geheimer Sitzung besprochen worden ist. Man darf nur annehmen, daß er sich nicht auf die Ebenbürtigkeitsfrage stützt; denn die Gemahlin des Grafen Ferdinand, eine ge borene v. Winterfeld, ist nach den Schaum- burgschen Auffassungen ebenfalls nicht ebenbürtig. In Detmold wird übrigens dem Protest keine große Bedeutung beigelegt. * Der Staatssekretär des Reichsschatzamts v. Thielmann hatte am Dienstag Vertreter großer Bankhäuser zu einer Konferenz ge laden, die über den Giro- und Check verkehr verhandelte. Herr v. Thielmann sprach der ,Voss: Ztg/ zufolge den Wunsch aus, die großen Bankhäuser und Bankinstitute möchten ihre Kundschaft durch Rundschreiben ersuchen, durch Aufdruck auf den Briefbogen und Rech nungen ihr Bankkonto namhaft zu machen, da mit jedermann wisse, an welchen Stellen etwaige Zahlungen im Baukvcrkehr erfolgen könnten. Der Reichsschatzsekrctär verspricht sich von dieser Neuerung eine Erleichterung des Giro- und Checkverkehrs, dessen Einführung er namentlich für den Handwerkerstand und die kleinen Ge werbetreibenden für wünschenswert hält. Die Vertreter der Bankhäuser und Bankinstitute haben zugesagt, den ihnen geäußerten Wunsch in Erwägung zu ziehen. * Das Präsidium des deutschen Han delstages hat an dessen Mitglieder ein Rundschreiben erlassen, dar sich mit der von den vereinigten deutschen Handels- und Gewerbe-! kammersekretären angeregten und vom Ausschuß des Handelstages gutgeheißencn Uebernahme der Zeitschrift »Handel und Gewerbe' durch den Handelstag beschäftigt. Es stellt die Frage, ob die Mitglieder für den Fall einer solchen Ueber nahme die Zeitschrift in ausreichendem Maße zu unterstützen bereit seien. Unter Ausschließung wissenschaftlicher und politischer Aufsätze bezweckt die Zeitschrift hauptsächlich zweierlei: 1) Dar stellung und Verarbeitung der Ergebnisse der Thätigkeit der Handelskammern und verwandter Körperschaften, 2) Förderung der Thätigkeit selbst. Wenn erreicht wird, daß die Zeitschrift in systematischer Anordnung das gesamte Ergebnis der von den Kammern geleisteten Arbeit zur Darstellung bringt, so hofft man dadurch eine größere Wirksamkeit dieser Arbeit zu erzielen und ihr namentlich bei den Regierungen, den Parlamenten und der Presse eine eingehende Berücksichtigung zu verschaffen. Auf demselben Wege würde eine wechselseitige Anregung der Kammern untereinander geboten werden. * Im Reichstagswahlkreise Plön-Oldcn- burg ist nach neueren Mitteilungen der kon servative Kandidat v. Tungeln im ersten Wahl gange gewählt worden. * Wie in Sachsen, so ist auch in Bayern die Regierung bereit, das Verbot der Ver bindung inländischer politischer Vereine auszuheben; der Minister des Innern er klärte sich in einer Beratung, die in einem Aus schuß der Abgeordnetenkammer stattfand, sowohl hierzu als zur Milderung einiger anderer be schränkenden Bestimmungen des bayrischen Vereinsgesetzes bereit. Die Parteien werden über das Anerbieten zunächst in Beratung treten. *Jn dem Disziplinarverfahren gegen den Kriminalkommissar v. Tausch ist das Vorverfahren zum Abschluß gelangt und die Anklage erhoben worden. Der Termin zur Haupt- und Schlußverhandlung steht bereits im Dezember an. Oesterreich-Ungarn. * Alle Tumultszenen, die das öster reichische Abgeordneten ha us bisher erlebt hat, werden weit in den Schatten ge stellt von denen, die sich dort am Freitag er eigneten. Als der Präsident Abrahamowitsch erschien, wurde er mit den Rufen: „Hinaus! Hinaus mit dem Verräter! Fort mit ihm!" empfangen. Um den Präsidentcutisch war eigens eine hohe Barriere errichtet worden. Uebcr diese sprang der sozialistische Abg. Resel, entriß dem Präsidenten die Glocke und streute die Blätter des Protokolls vom Donnerstag umher. Tschechen stürzten herzu und bald war das Ringen all gemein. Der Präsident floh und bald er schienen 100 Wachleute in dem Saal, die zu nächst die zehn sozialistischen Abgeordneten ge waltsam entfernten. Selbst die Galerie wurde gewaltsam geleert. Auch der bekannte Abg. Wolf wurde auf Abrahamowitschs Anordnung von den Wachleuten aus dem Saale geführt und die Ausschließung über den Abg. Dascynski ver hängt. Die Sitzung wurde dann unter unge heurem Tumult geschlossen. * Aus Siebenbürgen kommen energische Einsprüche der dortigen Sachsen gegen die von der Negierung geplante Magyarifierung der Ortsnamen. Arimkretcku * Die Kaiserin vonOesterrcich traf am Donnerstag früh auf dem Pariser Ostbahn hofe eine und begab sich ohne Aufenthalt nach dem Orleans-Bahnhofe, von wo sie alsbald nach Biarritz weiterreiste. — Zur Begrüßung der Kaiserin hatte sich Präsident Faure aus dem Orleans-Bahnhof eingefunden. * In der Dreyfus-Angelegenheit ist am Donnerstag ein behördlicher Schritt ge- ehen, der beträchtliches Aufsehen erregt. Die Polizei nahm in Begleitung eines Delegierten des Ministers des Innern eine Haussuchung in der Parifer Wohnung des Obersten Picquart vor. Es wurden einige Schriftstücke beschlag nahmt. Picquart selbst ist am Freitag in Paris eingetroffen. * Das deutsch-französische Togo- abkommcn ist von der betr. Kommission der französischen Deputiertenkammer einstimmig an genommen worden. Spanien. *Die spanische Regierung wird, wie von offiziöser Seite verlautet, gegen General Weyler energisch vorgehen, wenn dieser mit seinen Reden, die Unruhen im Lande verur sachten, nicht aufhören sollte. Rustland. *Zum d e u t s ch-ch i n e s i s ch e n S t r e i t- fall behauptet das ,Bül. Dalziel', Rußland werde keinen Einwand gegen eine dauernde Be setzung von Kiao-Tschau erheben, auch werde es sich keiner Macht in dem Verlangen, eine Erklärung von Deutschland zu verlangen, an schließen. Balkanstaatei,. * Die feierliche Begrüßung der österreichisch-ungarischen Flagge durch die türkischen Vertreter hat Mittwoch in Merfina nach dem vereinbarten Zeremoniell stattgefunden. Die Spitzen der Zivil- und Militärpersonen versammelten sich in großer Uniform in feierlicher Weise vor dem österreichi schen Konsulate, vor welchem 80 Mann unter dem Befehle eines Majors aufgestellt waren. Kurz vor Mittag begaben sich alle Personen, die sich in dem Konsulate versammelt hatten, vor das Gebäude und wohnten dem langsamen feierlichen Hissen der österreichisch-ungarischen Flagge bei. Eine Kompanie leistetete die Ehren bezeugung; unter feierlicher Stille salutierten alle Anwefenden. Die Kommandanten und je zwei Offiziere der Kriegsschiffe „Leopard" und „Satellit" wohnten der Zeremonie bei. Nach derselben erschienen Abgesandte der österreichisch ungarischen Kolonie in dem Konsulate und baten, den Dank der österreichisch-ungarischen Staatsangehörigen für den ihnen gewordenen wirksamen Schutz an die Krone gelangen zu lassen. Die Mohammedaner verhielten sich ruhig. * Als Gouverneur von Kreta soll, wie in Wiener diplomatischen Kreisen verlautet, auf Anregung Rußlands Prinz Franz Jov-eph von Battenberg in Aussicht genommen sein. Die Kandidatur desselben war schon einmal lanciert worden, ohne ernst ge nommen zu werden. Ob sie jetzt ausfichtsvoller erscheint, nachdem die Kandidatur Schäfer als definitiv beseitigt angesehen werden darf, muß abgewartct werden. * Ihre vorläufige Lösung hat die in Sachen des Untersuchungsausschusses für die Kriegsereignisse entstandene par lamentarische Krisis dadurch gefunden, daß die griechische Kammer infolge freier Ver einbarung der Parteien jene Sache für un politisch angesehen und einen zwölfgliedrigen Ausschuß ernannt hat, in dem sich auch ein dem Offizicrstande angehöriger Abgeordneter befindet. Dann hat sich die Kammer bis nach Abschluß des endgültigen Friedens vertagt. Diese wenigstens einstweilige glatte Beilegung des Zwistes gibt der Hoffnung Raum, daß auch in anderen wichtigen Fragen die Kammer sich mehr von höheren Gesichtspunkten werde leiten lassen, als es bisher schien. * Drei Bezirke in Albanien sind in vollem Aufruhr gegen die Pforte. Von Salonichi aus sind Truppen entsandt worden und es haben schon blutige Kämpfe stattgefunden. Dow Wiener Kriegsschauplätze. Die Mittwochsfitzung des österreichischen Ab geordnetenhauses überbot an Tummultszenen alle ihre berühmten Vorgängerinnen. Ein ver hältnismäßig geringfügiger Streit der Deutsch- nationalen mit dem Präsidenten, wie er schon oft vorgekommen, gab den Anlaß, daß der Abg. Wolf von Tschechen und Polen überfallen und derartig gemißhandelt wurde, daß er fast in Lebensgefahr geriet, daß ein Gleiches dem Prager deutschen Univcrsitätsprofessor Pfersche - widerfuhr und daß endlich eine wilde Prügelei zwischen Polen, Tschechen und Deutschen ent stand. Die Sitzung, so wird dem ,B. L.-A.' be richtet, hatte schon mehrere Stunden gedauert, und unter Verlesung von Petitionen und Inter pellationen und namentlichen Abstimmungen einen langweiligen Verlauf genommen, als der Tscheche Dr. Dyk den Antrag stellte, über Petitionen nicht mehr namentlich abzustimmen. Die Linke opponierte stürmisch diesem Schachzug zur Ver hinderung der Obstruktion. Schönerer verlangte das Wort, daß ihm der Präsident Abrahamo witsch verweigerte. Da eilte Schönerer auf die Estrade, schlug mit der Faust auf das Präfi- dentcnpult und ergriff die Glocke. Der Präfi- s dent erklärte, die Sitzung nicht fortsctzen zu . können. Ein Abgeordneter der Rechten entriß ! Schönerer die Glocke, worauf die Anhänger s Schönerers und die Mitglieder der deutschen ! Volkspartei auf die Estrade stürmten, und sie besetzten, wogegen die Tschechen und Polen heftig protestierten. Nach einer Viertelstunde erschien der Präsident Abrahamowitsch, von Pfuirufen empfangen, wieder im Saal, und da die Deutsch- nationalen die ganze Estrade besetzt hielten, for derte er die Ordner auf, ihres Amtes zu walten. Wolf verlangte abermals für Schönerer das Wort. Abrahamowitsch zuckte mit ironischem Lächeln die Achseln und machte eine verneinende Bewegung. Da schlug Wolf mit der Faust auf den Tisch des Präsidenten und rief ihm zu: „Das ist ein Rechtsbruch!" Dies gab das Signal zum Ausbruch des Sturmes. Polen und Tschechen stürzten mit Wutgeschrei auf die Estrade, um die Deutschnationalcn zu verdrän gen. Der Präsident unterbrach abermals die Sitzung und verließ den Saal. Der tschechische Abgeordnete Brsznowski, ein herkulischer Mann, drängte sich Schulter an Schulter an Wolf heran, und beide blickten sich herausfordernd ins Auge. Endlich lachte Wolf, ergriff die Präsi- dentenglockc und schwang sie, um zu läuten. Brsznowski entriß ihm die Glocke mit blitz schnellem Griff, hob sie empor und schlug damit Wolf ins Gesicht. Wolf wurde toten bleich, der Zwicker fiel in Scherben herab. Wolf stand einen Moment fassungslos. Alle deutschen Abgeordneten schrieen empört über die brutale Mißhandlung Wolfs auf; auch von der Galerie hörte man Rufe des Schreckens. Wolf wollte sich auf seinen Gegner stürzen; Iaksches Geld. 8j Kriminal-Novelle von E. v. Lippe. lFortsttzung.) „Ja schauen's, Herr Vikomte, das ist mir halt nitgenügend," sagiederalteHerrlächelnd. „Ich möchte wissen, welches Einkommen Sie haben und woher es stammt, zu welchem Zweck Sie reisen — nun werden Sie mich schon verstanden haben, was ich meine und was ich halt wissen muß." „Ich war Kapitän in Algier und habe außer meiner Pension noch eine Rente von 25 000 Frank jährlich zu verzehren." „So, so," sagte sehr zufriedengestellt mein Kollege, „da läßt sich solch ein luxuriöses Leben, wie Sie es führen, schon erklären." „Mein Herr," sagte der Vikomte ziemlich scharf, „ist Ihnen hier in Wien, wo ich erst seit zwei Tagen mich aufhalte, die Verausgabung meines Geldes so auffällig, daß Sie mich des halb hier im Theater ausgesucht haben, um dar über von mir Auskunft zu verlangen?" Mein Kollege sah zu van Habermeister hin; es war, als hätte er jene Frage gar nicht gehört, als wäre dieselbe gar nicht gethan worden. „Und wie nennen Sie sich?" fragte er. „Mein Name ist van Habermeister. Ich bin Holländer, in Batavia ansässig, Plantagenbefitzer dort und reise zu meinem Vergnügen. — Ge nügen Ihnen diese Angaben, mein Herr?" setzte Herr van Habermeister hinzu. Mein Kollege nickte bestätigend; er sah freundlich, wie erfreut über die erhaltene Aus kunft, einige Minuten still vor sich hin. Herrn van Habermeister schien dies Schweigen nicht zu gefallen, höflich, aber doch sehr energisch fragte er: „Und darf ich nun wissen, weshalb Sie meinen Freund, den Herrn Vikomte, und mich hierher geführt haben und welchen Zweck es hat, uns mit solchen Fragen zu behelligen?" Wie in Verlegenheit kraute mein Kollege sich das Ohr; nach einer Pause sagte er gleichsam entschuldigend: „Ja schaun's, meine Herren, das ist eine verteufelt dumme Geschichte. — Aus Peters burg hat man uns versichert, daß Sie gefälschte russische Banknoten ausgeben, und da habe ich als Kriminalbeamter doch die Verpflichtung, mit Ihnen darüber zu sprechen, und da ich Ihnen das doch so nicht auf den Kopf hin sagen wollte, fing ich an zu fragen — nun wie man cs eben macht, wenn man nicht gleich so mit einer bösen Geschichte jemand entgegenkommen möcht'." „Ich, — wir sollen falsche Banknoten aus gegeben haben?" fragte van Habermeister mit dem Ausdruck des ehrlichsten Erstaunens, während der Vikomte verächtlich lächelnd seinen Kopf wiegte. „Ja, meine Herren, es ist leider so — es thut mir leid, daß Sie auch gerade in Wien die Unannehmlichkeit treffen muß," erwiderte mein Kollege bedauernd, „aber es läßt sich an der Sach' nix ändern. — Wissen's, Sie glauben nicht, was die Russen für tolle Geschichten machen und wie viel Aerger und Verdrießlich keiten sie uns bereiten." „Aber was soll denn nun werden?" fragte der Vikomte. „Sie können uns doch nicht auf solchen unhaltbaren Verdacht hin —" der Herr zögerte einen Augenblick, als würde es ihm schwer, seinen Gedanken Ausdruck zu geben — „verhaften wollen?" „Pah! — Thorheit! sekundierte der Herr van Habermeister. „Ja, das sagen Sie so leicht hin, und die ganze Sache ist doch für Sie gar nicht leicht; es ist eine verteufelt böse Angelegenheit," be merkte der Kommissar, vor sich hinblickend. „Aber wir können uns doch legitimieren; Sie müssen einen Paß, der mich als Bürger der Ver. Staaten bezeichnet, respektieren," sagte van Habermeister sehr bestimmt. „Unsere Gesandten würden sich für uns ver wenden, sie müssen uns gegen solche Unge rechtigkeit schützen, sie würden ihren ganzen Ein fluß anwenden, um die Ausführung eines solchen Angriffes auf die persönliche Freiheit eines amerikanischen Bürgers und eines Franzosen abzuwehren," setzte der Vikomte mit Stolz hinzu. „Die Legitimation, daß Sie amerikanischer Bürger und Franzose find," sagte mein Kollege nach einer Pause, „schau'nS, das wäre schon ganz hübsch, wenn's nicht ein solches Kapital verbrechen wäre, dessen Sie verdächtig sind, aber hier kam Ihnen keine Legitimation, kein Gesandter was nützen, ich werd' Sie verhaften müssen." „Und wie lange denken Sie sich, daß unsere Hast währen wird?" fragte der Vikomte fast höhnend. „Das läßt sich schwer bestimmen," war die ausweichende Antwort, die aber durch das be gleitende Achselzucken sehr beredt war. aber der polnische Abgeordnete Potocek ging mit erhobenen Händen auf ihn los, faßte Wolf am Halse und begann ihn zu würgen; zugleich schlugen die ihn umringenden Tschechen und Polen mit Fäusten auf Wolf, faßten ihn an den Kleidern, den Schultern und Armen und rissen ihn über die Stufen der Estrade herunter. Von allen Seiten eilten die deutschen Abge ordneten Wolf zu Hflfe, der aber in den Knäuel seiner Bedränger so fest eingekeilt war, daß man ihm nicht einmal nahe kommen konnte, also von Beistand nicht die Rede war. Seine Kleider waren bereits zerfetzt, und er wurde sogar an den langen Haaren gerissen. Viele Zeugen bestätigen, daß der Pole Potocck den ersten Faustschlag noch dazu von rückwärts auf Wolf geführt habe. Wolf war leichenblaß und schlug mit den Händen um sich, während ihn seine tschechischen und polnischen Gegner hin- und herzerrten und ihm unausgesetzt Faust schläge und Rippenstöße versetzten. Endlich warf sich der Prager deutsche Univerfitätsprofessor Pfersche ins Gedränge, um Wolf zu helfen, wurde aber alsbald selbst von Tschechen und Polen umringt und bedrängt. Wrabetz rief dem Polen Potocek, der rücklings auf Pfersche los schlug, zu: „Sie feiger Schuft! Sie schlagen und verstecken sich dann!" Pfersche war bald in schwerster Bedrängnis; er rief seinen Gegnern zu: „Wenn Sie mich nicht loslassen, ziehe ich mein Messer!" Und er zog das Messer aus der Tasche, wodurch die Wut seiner Angreifer noch gesteigert wurde. Abg. Dr. Lemisch, Wolfs Sekundant in dem Duell mit Badeni, nahm Pfersche das Messer weg und warf es über die Köpfe der herandrängendcn Abgeord neten in eine Ecke des Saales; im Fluge ver letzte es Geßmann an der Hand. Pfersche ver sichert, daß er das Messer nicht öffnete. Wolf wurde inzwischen von einer so großen Ueber- macht bedrängt, daß man fürchtete, er werde zu Boden gerissen und zertreten werden. Die Gruppen der aufeinander schlagenden und stoßenden Abgeordneten, die auch Fußtritte unter einander austeilten, wälzten sich im Saale hin und her, und einzelne Abgeordnete kamen mit einander in Streit und Handgemenge. Der deutsche Abg. Ghom erhielt von einem unbe kannt gebliebenen Polen einen Schlag, worauf er denselben furchtbar durchprügcltc. Schönerer ergriff einen Ministersessel und drang damit auf die Tschechen ein, die ihm den Fauteuil ent rissen und Faustschlägc versetzten. Die nicht- beteiligten Abgeordneten und das Publikum sahen mit Entsetzen dem Kampfe zu. Von der Galerie hörte man schreien: „Sie schlagen ihn toi! Er kommt nicht lebendig heraus! Um Gottes willen, helft ihm!" wobei einmal Wolf, einmal Pfersche gemeint war. Bei der ganzen Szene gab es ein unausgesetztes Toben, Schimpfen und Brüllen. Plötzlich ging Graf Vetter auf die Estrade, packte ein Glas voll Wasser und goß es über die Kämpfenden. Erst nach einer halben Stunde machten Ermüdung und Erschöpfung dem Kampfe ein Ende, und die aufgeregten Abgeordneten wurden von ihren Kollegen aus dem Saale gedrängt. Erst dann erschien der Präsident Abrahamowitsch wieder und erklärte die Sitzung für geschlossen. Uon Nah und Fern. Elberfeld. Zum Fall Ziethen erhielten die »Elberf. N. N/ einen Brief aus London, in dem es heißt: „Ich habe die Frau Getötet ich hätte es nicht Gemacht Wenn Sie mir das Geld ge geben hätt. Ziethen ist unschuldig." — Diese Worte waren nicht geschrieben, sondern aus gedruckten Buchstaben verschiedener Größe und Schriftsorten zusammengestellt. Die Adresse war offenbar von ungeübter Hand geschrieben, die Orthographie mangelhaft. Das genannte Blatt hat den Brief der hiesigen Staatsanwalt schaft übergeben. — Man darf wohl annehmen, daß dieses Schriftstück nichts als eine Mysti fikation ist. Denn von dem wirklichen Mörder der Frau Ziethen, dem ehemaligen Gehilfen des an seiner Statt unschuldig im Zuchthaus fitzen den Barbiers Albert Ziethen, August Wilhelm, kann der Brief schwerlich herrühren, da dieser sich, wie festgestellt ist, in französischen Fremden legiondiensten auf Madagaskar befindet. „Sie können uns aber doch nicht Wochen in Haft behalten wollen?" gab der Vikomte! entrüstet zurück. „Wochen!" wiederholte mein Kollege, seins Auge fest auf den Vikomte richtend; und wie über eine naive Aeußerung eines Kindes lächelnd, setzte er hinzu: „Sie reden von Wochen?" „Nun ja, ich sagte Wochen!" erwiderte der! Vikomte. „Ich seh', Sie find nicht mit dem Gange der Sache vertraut," erwiderte mein Kollege, j „ich werde es Ihnen aber sagen," setzte er wohlwollend hinzu, „passen's aber die Herren recht genau auf. Sehen's, morgen bericht' ich nach Petersburg, daß ich zwei Herren hier in Haft genommen habe, auf die das erhaltene Signalement der Fälscher genau paßt. Dann wird nun wohl, so nehme ich an, ein Beamter von dort hergeschickt werden, der Sie als die Gesuchten zu rekognoszieren hat." Das GefiO des Herrn van Habermeister war um einen Schein bleicher geworden, während die Auge" des Vikomte auch eine Sekunde unruhig am' leuchteten. „Wenn dann der Beamte erklär'' Sie wären nicht die Gesuchten, es läge E Irrtum vor, wie ich fast annehmen muß, da» es kommen wird, nun, dann wcrden's g!c^ auf freien Fuß gesetzt. Sie können sich all' leicht sagen, wie lange Sie in Haft bleibe' können, bcdcnken's aber wohl dabei, daßdieRusff', in solchen Geschichten verteufelt langsam sin^ ! „Aber, mein Herr, wenn Sic selbst sagA daß Sie einen Irrtum voraussctzen, wie köw' Sie uns dann verhaften wollen?" bemcrv van Habermeister.
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