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Allgemeiner Anzeiger : 25.09.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189709251
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18970925
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1897
-
Monat
1897-09
- Tag 1897-09-25
-
Monat
1897-09
-
Jahr
1897
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 25.09.1897
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Politische R«ndscha«. Teutschland. * Bei der Galafesttafel inBudapest brachte der Kaiser Franz Joseph einen Trink spruch auf Kaiser Wilhelm aus; er be grüßte in diesem den „treuen Freund und Bundesgenossen, den beharrlichen Mitarbeiter an dem großen Friedenswerke, dem unsere besten Kräfte immerdar gewidmet sein mögen, und, von der Gleichartigkeit der Gesinnungen über zeugt, die uns bei dieser erhabenen Aufgabe leiten." Kaiser Wilhelm erwiderte u. a., „indem ich nach Sohnes Art zu Ew. Majestät als meinem väterlichen Freunde aufblicke. Dank Eurer Majestät Weisheit besteht unser Bund, zum Heil unserer Völker geschlossen, fest und unauflöslich und hat Europa den Frieden schon lange bewahrt und wird es auch fernerhin thun." * Die Kaiserin Auguste Viktoria ist am Montag in Breslau eingetroffen, um von dort aus am Dienstag die schlesischen Ueberschwemmungsge biete zu be suchen. *Prinz Heinrich wird nach Auflösung der Manöverflotte am 22. d. und nach Abgabe seines Kommandos als Chef der zweiten Division des 1. Geschwaders für das ganze nächste Jahr vom Oktober ab seinen dauernden Wohnsitz in Kiel nehmen, um die Geschäfte seiner neuen Stellung als Inspektor der ersten Marine-Inspektion zu leiten. * Ueber die Militärstrafprozeß reform dürste kaum vor Ende Oktober, das heißt nach der Rückkehr des Reichskanzlers nach Beriin, etwas Sicheres zu erfahren sein. Im allgemeinen neigen die unterrichteten Kreise der Ansicht zu, es sei in der Zeit, während deren der Kaiser und der Prinz-Regent von Bayern aus Anlaß der militärischen Schauspiele und Uebuugen viel zusammen waren, zu einer Be sprechung der Frage nicht gekommen. *Nach einer Berliner Meldung des,Hamb. Korr/ tritt der Reichstag jedenfalls in der zweiten Hälfte des November zu sammen. Zur Vorlage gelange sofort ein Ent wurf bctr. die Entschädigung unschuldig Ver urteilter. * Der Generalmajor Liebert, Gouverneur von Deutsch - Ostasrika, ist neu einge gangenen Berichten zufolge Ende August von seiner Inspektionsreise in das Wahehcgebiet wieder nach Dar - es - Salaam zurückgekehrt. Seine Reise ist offenbar friedlich verlaufen, da nicht die geringste Meldung über Unruhen, Kämpfe oder ähnliches hier eingetroffen ist. Oefterreich-Un . *Je näher der Tag der Reichsrats eröffnung heranrückt, desto klarer wird es, daß die vielgepriesene geschlossene Einigkeit der Mehrheitsparteien eitel Geflunker ist. ES steht jetzt so ziemlich fest und wird auch von slawischer Seite nicht mehr geleugnet, daß eine Einigkeit über das Vorgehen gegen die Oppo sition nicht erzielt wurde, daß noch viel weniger von bestimmten Entschlüssen über die der Ob struktion entgegenzusetzcnden Mittel gesprochen werden kann. Ja, nicht einmal über die Be setzung der Präsidentenstelle konnte man sich bisher verständigen. Der gewesene Präsi dent ist den Tschechen zu wenig rücksichtslos, anderseits ist aber Dr. Kathrcin nicht gewillt, ohne weiteres einem andern Platz zu machen. Der geheimnisvoll gehütete „Plan" der Re gierungsparteien gleicht vollständig dem geheimen Feldzugsplan Benedeks im Jahre 1866 er besteht ganz einfach nicht. Frankreich. *Eine im Marineministerium eingegangene Depesche meldet, daß die Soldaten desHäupt - lings Samory ganz unerwartet am 20. August in der Gegend von Lobi im Hinter land der Elfenbeinküste eine Abteilung von 98 eingeborenen Tirailleurs angegriffen haben, welche abgesandt war, um einen Land strich zu besetzen, den Samory aufzugeben sich erboten hatte. Nähere Nachrichten fehlen, doch soll es sicher sein, daß die Abteilung zersprengt wurde und daß 2 Offiziere, 6 Soldaten und 38 Mann der Hilfstruppe getötet worden oder verschwunden find. * General Bourbaki, der Feldherr, der im Kriege von 1870/71 einer der gefürchtetsten Gegner der deutschen Truppen war, liegt in Paris im Sterben. England. * Jüngst wollte die .Westminster Gazette' wiffen, daß der deutsche Kaiser anfangs Oftober im strengsten Inkognito für 48 Stunden zum Besuche der Königin Viktoria in Balmoral eintreffen werde. Auf der Londoner deutschen Botschaft ist jedoch von einem solchen Besuche nichts bekannt. *Auf eine neue, wenn auch verschleierte Niederlage der Briten deutet folgende Drahtmeldung hin: „General Jeffreys griff den Feind am Samstag von neuem an und warf denselben zurück. Ais die Truppen, nach dem sie Befestigungswerke zerstört hatten, sich zurückzogen, zeigte der Feind sich wieder in be deutender Stärke. Die Verluste auf feiten der Engländer betrugen zwei Tote und sechs Ver wundete." Svante«. *Der amerikanische Botschafter in Spanien hat dem Minister des Aeußern erklärt, daß die Ver. Staaten ihre Maßnahmen treffen müßten zur Sicherung des dauernden vollständigen Friedens auf Cuba. Bis Ende Oktober wolle Nordamerika noch warten. Durch die Kriegsmethode des General Weyler würde Cuba ganz zweckloserweise gänz lich verwüstet, ohne daß der Aufstand durch sie niedergeworfen werden könnte. In Madrid herrscht infolge dieser Erklärung große Auf regung. * Aus Cuba wird noch gemeldet, daß die Aufständischen Gefangene der Garnison Vik toria de las Tunas — 299 an der Zahl — in Freiheit gesetzt haben. Die Freiwilligen dagegen wurden erschossen. »alkanftaaten. »Nachdem endlich der Präliminar frieden abgeschlossen ist, hat der griechische Ministerpräsident Rallis dem König seine Entlassung bereits eingcreicht. Derselbe äußerte sich dahin, daß die Großmächte Griechen land mit äußerster Strenge behandelt hätten. * Aus Anlaß der Unterzeichnung der Präliminarien des griechisch-türkischen Friedensvertrags beglückwünschten einer offiziösen Konstantinopeler Meldung zufolge die meisten Souveräne den Sultan. Die russische Presse begrüßt nach Abschluß deS Präliminarfriedens einstimmig Rußlands leitende Stelle im europäischen Konzert und betrachtet die Lösung der orientalischen Frage durch die Mächte jetzt als gesichert. Amerika. * Die Exkönigin von Hawai prote stiert weiter. Sie hat in San Francisco öffent lich erklärt, daß sie ihren Rechten auf die Krone nicht entsagt habe. Sie will gegen die Annektierung seitens der Ver. Staaten, solange sie lebt, Protest erheben. *Jn Uruguay ist der Friede ein- gekehrt. Am 18. d. ist der Fricdenspakt zwischen der Regierung und den Aufständischen unterzeichnet worden. Der Kongreß genehmigte ohne Widerspruch den FriedcnSvcrtrag. Es herrscht allgemeine Freude, die wahrscheinlich noch um so größer werden wird, als ein Pump versuch der Republik gelungen ist. Nach einer Meldung der .Times' aus Montevideo ist näm- ftch die „Pacifikationsanleihc" in Höhe von 500 000 Dollar, deren Uebcrnahme englische Banken abgelehnt haben, durch einheimische Banken doppelt gezeichnet worden. Afrika. * Ueber das gemeinsame Ein- schreitenSpaniens und Frankreichs in Marokko wird noch aus Madrid gemeldet: In unterrichteten Kreisen wird versichert, daß zwischen den Regierungen Spaniens und Frank reichs eine Vereinbarung getroffen wurde, wonach an der ganzen Riffküste zwischen Centa und Melilla ein ständigerBewachuugs- dienst von Schiffen beider Staaten eingerichtet werden soll. Spanischerseits find zwei Barkassen zrDbd.rfügung gestellt, und von Frankreich ürwden außer den bereits eingetroffenen Kreuzern och zwei Schiffe entsandt werden. Voraus sichtlich wird man auch mehrere Punkte an der Riffküste militärisch besetzen. Gegen dir „Geheimmittel". In dem Kampfe gegen den Geheimmittel- schwindcl hat sich die Berliner Polizei-Verord nung von 1887 bestens bewährt. Dr. Spring feld illustriert in seinem Werke über den Ge- fundheitszustand Berlins die Erfolge dieser Polizei-Verordnung durch eine Liste der Ge heimmittel, deren Anpreisung verboten ist. Man hat es erreicht, aus den besseren Zeitungen die Geheimmittel-Anpreisungen vollständig zu ent fernen und sie in den übrigen stark zu vermin dern. Unter den Gebrauchsgegenständen, gegen die das vorgenannte Gesetz sich wendet, ist ein mal eine gelbe Tapete arsenhaltig befunden worden, im übrigen boten die wiederholten Untersuchungen von Möbelstoffen, Vorhängen, Masken, Kerzen, künstlichen Blättern, Blumen und Früchten keinen Grund zur Beanstandung. Buch- und Steindruckfarben sowie Anstrichfarben acla mten nicht zur Untersuchung. Besondere Sorgfalt wurde auf die Untersuchungen von Zuckerwaren und Kinderspielzeugcn, zumal zur Weihnachtszeit verwandt. Hier erfolgten Bean standungen einesteils auf Grund der Verwen dung schädlicher Farben direkt an der Zucker masse, andernteils infolge der Bemalung der Zucker- und Marzipanobjekte mit schädlichen Farben auf Papieren, Umhüllungen und dergl., endlich auf Grund der mit Zucker gefüllten Attrappen mit giftig gefärbtem Papier. Was die Färbung der Zuckerobjekte anlangt, so find Metallfarben hier so gut wie gänzlich verdrängt. Von Mineralfarben kommen nur Ocker, Ultra marin und als weiße Deckfarbe allenfalls Kreide vor. Sonst findet man auf Zuckersarben nur organische Farbstoffe: Karmin und Saffran, die Azofarbstoffe, Eofin, Fuchsin, Anilinviolett, Anftinblau, Indulin, Nigrosin, Safranin, Malachitgrün und grüne organische Mischfarben. Bei der Reichhaltigkeit unserer künstlichen Farben, die ohne Berührung mit metallischen Giften her gestellt werden, erscheint es nicht wunderbar, wenn selbst bei der Untersuchung einer sehr be deutenden Anzahl von Proben wenig Beanstan dungen erfolgten, und man darf diese Thatsache wohl als einen erfreulichen Erfolg des Gesetzes ansehen. Die Verwendung von Pikrinsäure zum Grünfärben der Federbäumchen, Blattrosetten und zur Verzierung von Konditorwaren hat auf gehört. Dagegen waren wiederholt bei der Fabrikatton von Wcihnachtsbäumchen der Kon ditoreien die Stielchen der grüngcfärbten Federn mit gelbem Seidenpapier umwickelt, welches Chromgelb enthielt. In der Attrappcn-Fabrikation befleißigt man sich zwar sichtlich, bei neueren Fabrikaten unschädliche organische Farbstoffe ein zuführen, doch find hier die Fortschritte nicht so bedeutend wie in der Fabrikation der Zucker waren und es scheint außerdem noch ein be deutender Rest älterer Bestandteile im Verkehr zu sein. So wurden Attrappen angetroffen, die mit einem durch Chromgelb, Chromgrün und andere bleihaltigen Mischfarben gefärbten, leicht mit dem Finger abwischbarcn Uebcrzug versehen waren. Bei anderen fanden sich auf Papier- machöfiguren Bleiweiß oder eine Mischung von Bleiweiß und Ultramarin mit roten Farben als Fleischfarbe, ferner Mennige und Chromgelb enthaltendes Chromgrün, endlich reines Chrom gelb vor. Auch in der Spielivaren-Jndufttie ist die Wirkung des Gesetzes letdcr keine durch greifende gewesen. Bleifarben werden immer noch in erheblichem Umfange angewendet, und zwar nicht allein in Form des früher üblichen Chromgelb und Chromrot, sondern besonders auch als Farbenlacke. Unter dem Namen Zinnober-Imitation, auch Mennige-Jmitation, find Farbenlacke im Handel, die organische Farb stoffe, besonders Eofin enthalten, welche teils mit Bleioxydhydrat niedergeschlagen find, teils sogar noch einen direkten geringen Zusatz von Mennige erfahren. Außerdem wurden vorge funden Bleiwciß, Chromgelb, Chromorange, Chromrot, Mennige, Bleiglätte, Mischfarben von Schlcmmkrcide mit Mennige und Ocker im Fleischfarbentone, bleihaltige Chromgrünmisch farben von Bleiweiß mit Ultramarin, Bleiweiß mit Ruß als Grau, mit Spuren Chromgelb als gelbe Farben. Dagegen konnte nur in drei Fällen die Anwendung von Arsenstoffen nachge wiesen werden. Die Industrie der Spielwaren aus Metall, der lackierten Blechwaren, der Blei- und Zinkfiguren scheint irgend welche Schwierig keiten bei der Auswahl geeigneter unschädlicher Farben nicht mehr zu finden. Hier find die Arsen-, Blei- und Kupferfarben fast vollständig verdrängt. Von Tuschkästen werden im Handel teils solche geführt, die ausdrücklich als mit giftfreien Farben hergestellte bezeichnet find und dem thatsächlich entsprechen, teils solche, die als aus einer „Künstlerfabrik" herrührend bezeichnet werden, sich aber durch niedrigen Preis und die ganze Art der Ausstattung als Spielwaren kennzeichnen. Ein solcher Tuschkasten trug auf dem Deckel die Aufschrift Honigfarbe und doch enthielt eine einzige Farbe daraus ein Quantum arsenige Säure, das genügt, um acht Menschen zu töten. Gegen den Gebrauch einer zum „Ver nickeln" von Gebrauchsgegenständen angepriesenen Flüssigkeit, das „Nickelwasser", richtete der Ber liner Polizei-Präsident v. Richthofen im Jahre 1893 eine Warnung, da dieses Nickelwasser, durch das man kupferne oder messingene Gegen stände mit einem nickelähnlichen Ueberzuge ver sah, Quecksilber enthielt, also in hohem Maße giftig war. Der Verkauf der Flüssigkeit wurde nur gegen Giftscheinc gestattet. Wie man sieht, bedrohen uns Gefahren, wo wir sie am wenig sten vermuten. Doch find auch hier Fortschritte zum Guten zu konstatieren, und damit müssen wir einstweilen zufrieden sein. Kon Uah und Fer«. Rominten. In der Rominter Heide werden nächstens die harmonischen Töne der Kuh glocken erschallen, die bei den weidenden Herden im Harz so idyllisch anmuten. Während seines Jagdaufenthaltes im Harz ist auch unser Kaiser auf die eigenartigen Kuhglocken aufmerkfam ge worden und hat den Wunsch geäußert, auch für die Herden auf der Rominter Heide einen Satz dieser abgestimmten Kuhglocken zu besitzen. Daraufhin wurde bei einer Firma in Blanken burg eine Bestellung gemacht. Die Glocken find (für Rechnung der kaiserlichen Privatschatulle) fein ausgesührt und haben einen schönen Klang. Aachen. Die hiesige Kriminalpolizei wurde von der Wiener Polizei telegraphisch ersucht, nach dem Hochstapler Arends, der sich unter der Maske des Erzherzogs Franz Ferdinand bei der Familie Husmann eingeführt haben soll, zu fahnden. Düsseldorf. Das hiesige Husaren-Regiment erklärt auf Anfrage, daß ihm von einem angeb. lichcn Verkehr des angeblichen Erzherzogs Franz Ferdinand von Este mü Offizieren des Regi- mentS nichts bekannt sei. Die Familie Hus mann wird eine Erklärung veröffentlichen, daß sie von der Vermählung der Marie Husmann mit dem Erzherzog positive Beweise habe, deren Veröffentlichung sie jedoch nicht beabsichtige; auch verzichte sie auf die Widerlegung des österreichischen Dementis. Sie werde in Zukunft jede Auskunft strikte verweigern. Essen. In der DienStags-Nummer der .Rheinisch-Westfälischen Zeitung' erläßt die Familie Husmann folgendes Inserat: „Di- Familie Husmann ist nach wie vor der Ueber- zeugung, daß die Vermählung des Erzherzogs Franz Ferdinand von Oesterreich mit Maria Husmann stattgefunden hat. Die Familie Hus mann lehnt es aber begreiflicherweise ab, die Gründe für ihre Uebcrzcugung der Oeffcntlichkeit zu unterbreiten, sowie die in einer großen Anzahl von Zeitungsartikeln angeführten angeblichen Gegengründe zu widerlegen. Im Namen der Familie: Joseph Husmann, Rektor. Borbeck, den 19. Sept. 1897." — Bei der Beharrlich keit und Leichtgläubigkeit, mit welcher die Familie Husmann noch immer an dem „Märchen prinzen" festhält, dürfte der Betrüger in dem Husmannfchen Hanse kein allzu schweres Spiel gehabt haben, und es gewinnt immer mehr den Anschein, daß sich der Schluß der Affäre, die nun einen fast komischen Anstrich erhält, im Jrrenhausc oder vor Gericht abspielen wird. Der Schmied von Ksserborn. 7) Roman von E. v. Borgsted e. <Fortit»ung.> Es war Sonntag! Heller Glockenton durch zitterte die Lust. Drüben über den Bergen hatte es begonnen, dann fielen die Kirchen glocken von Berghaus und Ellerborn ein, und nun vernahm man nur noch das Helle Glöckchen aus dem Gotteshaus im Thal. Frau Müller in ihrem feinen, schwarzen Kleide mit dem bunten Shawltuch drüber war eine der ersten an der Kirche, welche inmitten des Friedhofes friedlich dalag; hineinzugehen war es noch zu stütz, so blieb sie denn am Eingang stehen und musterte die Ankommenden. Der Wagen, der iu das Dorf einbog, gehörte der Ellerborner Herrschaft; wahrhaftig, neben Ulrike saß zum ersten Mal seit langer Zett Frau Bornow und ihr gegenüber das Fräulein, schöner, fröhlicher als je zuvor. Fräulein Ulrike zog Susannes Arm, nachdem sie ausgestiegen waren, sofort in den ihren und führte sie in die Kirche hinein, mit Haltung und Miene einer Königin, Frau Müllers ehrfurchtsvollen Gruß mit einem leichten Kopfncigen erwidernd. Sie hatte sehr strenge Maßregeln ergriffen, um Frau Bornow ihrer Teilnahmlofigkeit zu entreißen, es hatte heftige Szenen gegeben; aber sie blieb Siegerin. „Wenn ich tot bin, mache, was du willst," hatte sie zo/nig gerufen, ihre stolze Gestalt noch höher aufrichtcnd; „so lange ich aber lebe, be fehle sch in Ellerborn und also auch dir. Ich habe dich lange genug trauern und träumen lassen, Susanna, von heute an ist das vorbei! Du wirst wieder teilnehmen an der Welt, du wirst von dieser Stunde an wieder ein Mensch unter Menschen sein." Die junge Frau bekam heftige Zufälle in folge der Erregung; aber Tante Ulrike beachtete dieselben nicht. Andern Tages führte sie ihre Nichte in die Küche und übertrug ihr häusliche Geschäfte, und Susanna fügte sich wie ein Automat, dem der freie Entschluß, die Selbst bestimmung unmöglich ist. Was die herzlichen Bitten der Schwester nicht vermocht hatten, er reichte die Härte der Tante. In raschem Trabe bog jetzt eine elegante Equipage nach Ellerborn ein und hielt vor der Kirche. „Der Berghauser Herr!" ging es von Mund zu Mund. Und in der That entstiegen Otto und Heinz dem Gefährt und begaben sich in das Gotteshaus. Gundula errötete tief beim Anblick des ge liebten Mannes, und ihre schimmernden Augen hingen einen Augenblick in heißer Zärtlichkeit an seinen Zügen, dann senkte sie das Haupt, und ernste Audacht malte sich auf ihrem Ange sicht. Tante Ulrike musterte die Anwesenden, wie sie da? stets gethan; nun fielen ihre Blicke auf den schlanken, braunlockigen Mann da vor ihr, der, das Gesangbuch in der Hand, ihr gerade gegenüber saß, ihre dunklen Augen öffneten sich unnatürlich wett, ihr Gesicht nahm die Farbe des Todes an, ihre Hände krampften sich zusammen. O, furchtbare Täuschung der Sinne l Lange, lange Jahre waren ausgelöscht und versunken, die rosige Vergangenheit tauchte noch einmal in all' ihrer Herrlichkeit, ihrem Glanze empor! Sie war das junge, liebende Mädchen wieder, das so fest vertraut und dann so jäh aus dem Rausche des Glückes geweckt wurde; denn da, da saß er — nein, der Geist dessen, dem ihr Herz einst jauchzend entgegengcflogen war. Die alte Frau mit dem weißen Haar fühlte ihr Herz in rasenden Schlägen pochen, es war also nicht tot, nicht erstorben, es war nur ein gesargt gewesen und ward nun frei. Sie wollte sich aufraffen, wollte stark sein, — vergebens, sie stieß einen langen, zitternden Seufzer Ms und schloß die Augen. „Tante, liebe, gute Tante!" Gundula hielt sie in ihren jungen Armen und neigte sich über sie. Man geriet in Auflegung und drängte herzu; aber Heinz wehrte die Hilfreichen ab und richtete die Leidende empor. „Der Einfluß der dumpfen Luft, gnädiges Fräulein!" dabei lächelte er. „Süße, süße Gundula" hätte er sagen mögen. „Nur gut, daß ich für meine eigenen rebellischen Nerven Riechsalz bei mir habe." Fräulein Ulrike blickte den Mann starr, fast entsetzt an, als sie die Augen öffnete, dann richtete sie sich hoch empor. „Ich danke, ich bedarf keiner Hilfe, bemühen Sie sich nicht!" Mit einer Verneigung trat Heinz zurück. „Wie Sic befehlen! meine Gnädige," damit nahm er seinen Platz wieder ein und begann dem Choral. Gundula war den Thränen nahe. Wie häßlich die Tante zu Heinz gewesen war! Plötzlich zog Bangigkeit in ihre Seele um ihr lächelndes Glück, und sie sang so recht aus Herzensgrund mit: „Gott fitzt im Rcgimente und führet alles wohl." Neben ihr erklang Susannes Helle Stimme, Tante Ulrike aber schwieg. Eine tiefe Falte lag zwischen ihren feinen Brauen, die Lippen hatte sie fest aufeinander gepreßt. Sic sah plötzlich alt und leidend aus, der Mann ihr gegenüber, das Abbild eines Vergessenen, marterte fie. Von den schlichten Worten der Predigt hörte fie zum ersten Mal nichts, ihr Geist weilte in weiten Fernen, bei dem Ver lorenen, den fie erst geliebt und dann glühend gehaßt hatte. Das hatte sie gewußt, daß der Berghauser Herr „v. Laurin" heiße; aber das Geschlecht war alt und weitverzweigt, er konnte von einer entfernten Linie stammen, und da er sich fernhielt und keinen Besuch in der Ruine machte, vergaß fie sein Dasein fast. Frau Müller verließ nach beendigtem Gottes- j dienst hastig mit Susanna und Gundula die Kirche und fuhr schon davon, als Otto und ; Heinz den Friedhof betraten. „ „Ich glaube, die Alte spielt den Cerberus, lachte Otto bitter; „ich hätte gern mit der Kleinen ein Wort gesprochen. Ließ dich ja auch ordentlich abblitzen vorhin. Heinz zuckte die Schultern, sein Blick hing gespannt an Friedel Hellmanns langer Figur, der recht sonntäglich und stattlich aussah, dann trat er ihm schnell einen Schritt näher. , „Sind Sie es wirklich, Hellmann, oder täuM ich mich?" fragte er, ihm die HaNd bietend. „Zu Befehl, Herr Rittmeister!" Die Hände >
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