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Allgemeiner Anzeiger : 18.09.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189709183
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18970918
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1897
-
Monat
1897-09
- Tag 1897-09-18
-
Monat
1897-09
-
Jahr
1897
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 18.09.1897
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Politische Rundschau. Deutschland. *Kaiser Wilhelm weilt seit Sonntag in Totis, um von da aus als Gast seines Ver bündeten, des Kaisers Franz Joseph, zunächst den Manövcrn der österreichisch-unga rischen Armee beizuwohnen und dann als Gast der ungarischen Nation zum ersten Male deren zu glänzender Entfaltung gelangte Hauptstadt zu besuchen. Die Wiener und die Budapester Blätter wetteifern in Begrüßungen und in der Würdigung der Tragweite dieser neuen Bestätigung der Freundschaft der Mon archen und des politischen Bündnisses der von ihnen vertretenen Reiche. * Zur Verhütung der Ein schleppung der Pest ist die Einfuhr von Leibwäsche, alten und getragenen Kleidungs stücken, gebrauchtem Bettzeug, Hadern und Lumpen jeder Art nach Deutschland zur See aus den Häfen des Roten Meeres ausschließlich der Häfen des Suez-Kanals, aus Persien, dem Fest ande Vorder - Indiens , aus Formosa Hongkong, Makao und China südlich des 30. Breitengrades bis auf weiteres verboten worden. *Der Reichstag soll in diesem Jahre frühestens EndeNovember, vielleicht sogar erst Anfang Dezember einberufen werden. Bei den verbündeten Regierungen hat sich die Ueber- zeugung Bahn gebrochen, daß Parlaments tagungen von einer Dauer, wie sie die letzten Tagungen des Reichstages wie des Preuß. Landtages aufwiesen, im Interesse des Parla ments wie der verbündeten Regierungen ver mieden werden müssen. * Admiral Tirpitz ist ganz gekräftigt nach Berlin zurückgekehrt und übernahm in vollem Umfange die Geschäfte des Reichsmarine- Amrs. * Die Postdampkersubventions- Novelle, in der eine Unterstützung der ost- asiatischen Linie des Lloyd in Aussicht ge nommen war, wird, wie es heißt, dem Reichs tag in der kommenden Tagung wiederum vor gelegt werden. *Zum 1. November soll bei der Reichs- Post die Ausgabe von Kartenbriefen beginnen. ,* Der Parteitag der Frei sinnigen Volkspartei wurde Sonntag vormittag 10 Uhr eröffnet. Den Vorsitz führte Abg Reinh. Schmidt (Elberfeld). Den Ge- schäf ^bericht erstattete der Abg. Richter. Die Verhandlungen betreffen hauptsächlich die Vor bereitungen für die Reichstagswahlen. * Der Kongreß der Gewerbegerichts- Vorsitzenden trat am Sonntag nachmittag in Karlsruhe zusammen. Aus den Verhand lungen ist die entschiedene Stellungnahme gegen dicJnnnngs- und sonstigen Schiedsgerichte bemerkenswert. Ein Vortrag über die Gewerbe gerichte als Einigungsämter gab zu einer Besprechung keine weitere Veranlassung. Orfterreicb-Unqarn. * Endlich einmal wieder eine verständige Regierungshandlung! Die ,Nar. lisch' berichten, die niederösterreichische Statthal terei habe die ihr unterbreiteten Satzungen von Vereinen, deren Geschäftssprachc die tschechische ist, mit dem Bedeuten zurückgestellt, daß die Geschäftssprache der in Nieder österreich bestehenden Vereine nur die deutsche sein könne. So sei es den Gründern der tschechisch - slawischen Handels - Beseda in Wien ergangen. Die Statthalterei habe die Satzungen mit dem Bemerken zurückgestellt, daß die Be stimmung über die Geschäftssprache unstatt haft sei. * Der am Sonntag in Tetschen abgehal tene, von 1300 Vertrauensmännern aus ganz Schlesien besuchte deutsche VolkLtag-Le- schloß eine entschiedene Kundgebung gegen die Sprachen-Verordnungen, dtdxSlawi- fierungs-Bestrebungen in Schlesien und den Schulanttag Ebenyochs. Frankreich. * Präsident Faure hat anläßlich seiner Reise nach Rußland ein Dekret unterzeichnet, durch das 463 einzelne Begnadigungen ausgesprochen werden. * Mehrere Pariser Blätter legen die That- fache, daß Präsident Faure den König von Siam nicht zu dem Rennen von Longchamps begleitete, sondern mit Hanotaux nach Marly zur Jagd ging, dahin aus, daß man den König für seine Beziehungen zu England gewissermaßen bestrafen wolle. Präsident Faure habe gesagt, er werde dem König nur die Truppenschau von Saint Quentin zeigen, sonst nichts. * Die Ernüchterung in Frankreich über den Vertrag mit Rußland greift weiter um sich. Die Opposition versucht, Kapital daraus zu schlagen. So verlangen Cassagnac und Rochefort dringend die Veröffentlichung des Ver trages. Rochefort schließt aus der Haltung des deutschen Kaisers, daß die Mitteilung des Textes durchaus geboten sei. Cassagnac gibt zu, daß die Veröffentlichung in gewissen Fällen unter bleiben könne und sollte, und wenn Bismarck, Cavour oder Gladstone die auswärtige Politik Frankreichs leitete, so wäre er auch jetzt ganz damit einverstanden. Aber ein Felix Faure und ein Hanotaux! . . . Was werden diese beiden ausgerichtet haben gegenüber der russischen „Ver schlagenheit" ? So viel sei leicht zu erraten, daß der Vertrag für Rußland vorteilhafter ist als für Frankreich. England. * In den Londoner Kreisew wird jetzt, wie dem ,B. T.' gemeldet wird, auf der ggnzen Linie abgeblasen und eine deut sch freund liche (?) Haltung beobachtet. Dian hofft mit Berlin um so eher wieder in einen Akkord zu kommen, als inTransvaaldie Stimmung auch der deutschen Elemente sich jetzt gegen die Boernregierung richtet. Die Differenzen zwischen den englischen uud deutschen Vorschlägen in der griechischen Frage werden sehr ruhig diskutiert, und man bettachtet sie nur als unwesentlich^ Balkanfkaaten. * Die Frage der Räumung Thessa liens seitens der türkischen Truppen, die in innigem Zusammenhang mit den griechischen Finanzfragen steht und wieder einmal die Einmütigkeit der Mächte auf die Probe stellt, scheint in letzter Stunde durch direkte Verständi gung der Mächte untereinander um einen Schritt gefördert worden zu sein, so daß die Unter zeichnung des Friedensttaktats wieder näher ge rückt ist. Nach der .Köln. Ztg.' stehen die Ver handlungen wieder einmal so, daß die wesent lichsten Schwierigkeiten gehoben find, die bisher der Einigung der Botschafter entgegenstanden. Da nur die Erledigung ganz nebensächlicher und formeller Fragen aussteht, so kann man der Unterzeichnung des Friedensprotokolls, falls nicht von irgend einer Seite neue und ganz unerwartete Schwierigkeiten entstehen, in allernächster Zeit entgegcnsehen. * Die Mächte haben beschlossen, die Blockade vonKreta bis zur Durchführung der Auto nomie aufrechtzuerhalten. * Die griechische Regierung richtete an die Mächte eine Note, in welcher sie vorschlägt, daß bald nach Unterzeichnung der Friedens präliminarien die griechischen Unterthanen, welche in der Türkei Handel treiben, dorthin zurückkehren können, ferner solle die Sckiifs - fahrt für beide Länder in den gegenseitigen Häfen wieder ausgenommen, die Rück kehr der thessalischen Flüchtlinge unter dem Schutze der Mächte gestattet werden, und eine Amnestie für ottomaniichc Unter thanen griechischer Abstammung, die in der griechischen Armee gedient haben, eintreten. Amerika. * Die Republik Guatemala (Mittel- Amerika) befindet sich im Belagerungszustand. Gegen den Präsidenten ist im Westen derselben Revolution ausgebrochcn. Afrika. *Dik Aiffpiraten an der marokkani schen Küste haben, abermals ein — wie ver mutet wird, spanisches — Schiff gekapert. Es ist wirklich hohe Zeit, daß dem Treiben der räuberischen Stämme energisch ein Ende gemacht vird. Es soll ein gemeinsames Vorgehen Jtali^, Frankreichs und Spaniens bevorstehen, doch Meinen die Verhandlungen darüber noch nicht weit gediehen zu sein. Asien. * Die britischen Truppen im nordwestlichen Aufstandsgebiet Indiens find immer noch nicht im stände vorzugehen und haben sichtlich Mühe, sich gegen die Bergstämme auch nur in der Verteidigungsstellung zu halten. Nach einem an das indische Amt in London gelangten amtlichen Telegramm wurde in der Nacht zum Sonntag auf die Nachhut der britischen Truppen in den Samana-Bergen von den Aufständischen ein Angriff gemacht; die Engländer hatten einen Verlust von zwanzig Mann; der Verlust des Feindes wird als be trächtlich bezeichnet. — Es ist ebenso bedenklich, wenn man anzunehmen hat, daß die Engländer, deren „Nachhut" überfallen worden ist, sich auf dem Rückzüge befunden haben, wie wenn vorausgesetzt werden müßte, die insurgierten Stämme seien ihren Gegnern in den Rücken gefallen. Die lippische Gbrndürttgkrttsfrage will nicht zur Ruhe kommen. Daß Damen des sog. niederen Adels in unserer Zeit als eben bürtig angesehen wurden, beweist der genea logische Stand über die Mitglieder des — hohen Adels, L. h. -er vormals standesherrlichen, mediatisierten Fürstenhäuser und Grafenfamilien, die als ebenbürtig laut deutschem Bundestags- bcschluß angesehen werden, welche Familien aber nur selten in regierende „hineinheiraten". Wäre die Anschauung Labands und Lippe-Schaum burgs richtig, so müßte zunächst fast der halbe Teil II a des Gothaer Hofkalenders verschwin den, denn die meisten als ebenbürtig geltenden Standesherrlichen stammen in irgend einer neueren Generation aus Ehen mit Mitgliedern des niederen Adels (Grafen, Freiherren, Ritter und „von" Adelige). Es heiratete übrigens nicht nur der Herzog Christian von Schleswig- Holstein - Sondcrburg - Augustenburg 1820 eine Gräfin von Daneskjold-Samsoe (und wurden diese 1880 die Großeltern der deutschen Kaiserin), sondern auch 1829 ein Prinz Friedrich der gleichen Linie eine Gräfin Henriette von Dane- skjold. Die „Ebenbürtigkeit" im deutschen fürsten rechtlichen Sinne umfaßte übrigens niemals eine abgeschlossene Fürstenliste, stets gab es dazu Zugang, was teilweise schon durch tolerantere Hausgesetze bedingt war. So bezweifelt heute niemand die volle Ebenbürtigkeit des Groß- Herzogs von Baden, des Nachkommen einer Gräfin von Hochberg, und wer da besonders nach solchen Ebenbürtigkeitskuriositäten fahndet, findet z. B., daß die Häuser beider Reuß, die mit ihren Nebenlinien zweifelsfrei ebenbürtig sind, im Lause des Jahrhunderts Prinzessinnen aufweisen, die waren: geb. Freiin von Gender, Gräfin von Hochberg, Gräfin Reichenbach, Freiin von Zedlitz, Prinzeß Rohan, Freiin vonZedlitz- Leipa u. a. Die Praxis über die Anerkennung einer Ebenbürtigkeit ist jedenfalls bei den deut schen Fürstenhäusern eine verschiedene gewesen, einig blieb man nur darüber, daß die Ehe eines fürstlichen mit einer bürgerlich Geborenen und den bürgerlichen Namen führenden nur als eine morganatische gelten könne. Ist die Großmutter der deutschen Kaiserin eine Gräfin von Dane- skjold, so wird die künftige Königin von Eng land und Enkelin der Königin Viktoria (Teck) eine Gräfin Rheday von Kis Rhode zur Groß mutter väterlicherseits haben. Die Kaiserin von Oesterreich entstammt der bayrischen herzoglichen Linie, deren unbedingte Ebenbürtigkeit erneuert anzuerkennen dem Inhalt der Akten des Reichs deputationshauptschlusses Vorbehalten blieb. Die künftige Königin von Italien stand bis zu ihrer Verheiratung überhaupt noch nie mit den euro päischen Fürstenfamilien in verwandtschaftlicher Beziehung, und Heiraten deutscher Prinzessinnen mit dem Hause Bernadotte in Schweden müssen nach Laband überhaupt als Mesalliancen gelten. Der streng legitimistisch denkende Kaiser Wil helm I., der sich in den 50er und 60er Jahren mit dem Gutachten über die Ebenbürtigkeit des Herzogs von Holstein - Augustenburg zu be schäftigen hatte, hielt jedenfalls Ehen mit Damen niederen Adels (Daneskjold) für ein wandfrei. Kon Mast und Fern. Greiz. Am Freitag ist hier der 200jährige Gedenktag der Schlacht bei Zenta, in welcher Graf Heinrich VI. Reuß älterer Linie mit größter persönlicher Tapferkeit eine sehr feste Stellung der Türken stürmte und schwere Verwundungen erlitt, an denen er am 21. Oktober 1697 ver starb, festlich begangen worden. Am Morgen des Jubiläumstages ließ der Fürst in der fürst lichen Gruft in der Stadtkirche, in der Graf Heinrich VI. begraben liegt, einen Lorbcerkranz niederlegen, auch Vereine und Schulen widmeten Kränze. Abends fand die Aufführung des Charakterbildes: „Feldmarschall Graf Hein rich VI. Reuß ä. L." statt. Archivar Schmidt in Schleiz hat im Auftrage des Vereines für Greizer Geschichte eine Festschrift: „Graf Hein rich VI. Reuß S. L., der Held von Zenta" ver faßt. Ein historischer Festzug beschloß am nächsten Tage die Feier. Metz. In der hiesigen Garnison ist vor einiger Zeit der Typhus ausgebrochen, beson ders werden das 1. hannoversche Dragoner- Regiment Nr. 9 und das Infanterieregiment (Königsregiment) Nr. 145 von der Krankheit heimgesucht. Als Ursache gibt man das regnerische Wetter und das dadurch entstandene Grundwasser an. Am stärksten tritt der Typhus bei dem in der neuen Kaserne in Montigny liegenden Infanterieregiment Nr. 145 auf. Dies Regiment hat deshalb, um eine Weiterverbrcitung der Epidemie zu verhüten, die Kaserne räumen und ein Zeltlager auf dem Fort Steinmetz be ziehen müssen. Die Zahl der Typhuserkran kungen ist den Blättcrmeldungen zufolge 'auf etwa 50 gestiegen. Bis jetzt find vier Soldaten der heimtückischen Krankheit erlegen, unter ihnen auch ein Assistenzarzt vom sächsischen Fuß artillerieregiment Nr. 12, der zu Dienstleistungen in das Lazarett kommandiert worden war und nun ein Opfer seines Berufs geworden ist. Bonn. Zwischen hier und Godesberg am Reuterweg versuchte am Sonntag ein junger Mann vor einem Güterzug über das Geleise zu springen. Die Maschine erfaßte ihn am Kopf und warf ihn zu Boden. Er wurde schwer ver letzt in die hiesige Klinik gebracht; man zweifelt an seinem Aufkommen. Koblenz. Das Tagesgespräch bildete ein in der Nacht zum Sonntag vorgekommener Straßenraub. In der Nacht vernahm der Nacht wächter in der Eisenbahnstraßc gellende Hilfe rufe; er eilte nach der Stelle und sah, wie ein Unteroffizier eines hiesigen Infanterieregiments von einem Manne losließ und eiligst die Flucht ergriff. Der Zivilist teilte dem Wächter sogleich mit, der Unteroffizier, mit dem er in einer Wirtschaft zusammen Bier getrunken, habe ihn p ötzlich auf der Straße überfallen und ihm die Uhr und das Portemonnaie entrissen. In der Schloßstraße gelang es, den fliehenden Unter offizier feftznnehmen; die Uhr fand sich in einem der Vorgärten in der Schloßstraße. Bei seiner Untersuchung auf dem Polizciamt wurde auch das Portemonnaie gefunden, außerdem noch eine goldene Damenuhr. Der Unteroffizier wurde nun zur Wache gebracht; der Mann soll schon im achten Jahre dienen. (So wird dem,B. T.' berichtet, dem die Verantwortlichkeit überlassen bleibt.) Zwickau. Beim Ringeturnen in der Schul turnhalle rissen die Ringe ab. Der Prokurist Blende stürzte herab und brach das Genick. Konitz. Die Sonntag nachts 1l Uhr von Bütow fällige Post wurde beim Wirtshaus Babylon beraubt und der Postillon erschlagen. Die Nachricht erregt große Aufregung. Graz. Bei Spital am Semmering hat man den Kommis Alfred Höning aus Wiener- Neustadt und seine Geliebte tot aufgefundcn. Es liegt ohne Zweifel ein Doppelsclbstmord vor; denn beide hatten die Schläfe durchschossen, der Revolver lag neben den Leichen. Bei Höning fand man eine Visitenkarte, auf der die Bitte geschrieben stand, die Auffindung der Leichen seiner Mutter in Baden zu melden. Der Schmied von Merborn. bj Roman von E- v. Borg siede. Worttkvung.I Gundula näherte sich geräuschlos und blieb wie festgebannt stehen. Da lag in dem Schalten der breitästigen Buche ein fremder, schlanker Mann im Grase. Auf seine hohe, weiße Stirn fielen schwere, braune Locken, ein Bart von gleicher Farbe umschloß ein geistvolles, energisches, aber totenblasses Antlitz. Gundula Strandow starrte den Unbekannten an wie eine Vision oder wie jemand, dem sich plötzlich das Märchenland aufthut. Er war so fein gekleidet, ein Vagabond war es jedenfalls nicht, und das Mädchen trat noch einen Schritt näher. O, wie blaß, wie furchtbar blaß er war, sollte er tot sein? Nun stand sie dicht neben ihm, er regte sich nicht, nun kniete sie neben ihm nieder und betrachtete ihn aufmerksam, Hans und Berti standen angst voll, mit vorgcstreckten Köpfchen hinter ihr, und nun legte sie ihre warme, weiche Hand auf die seine. Da schlug der Mann im Moose seine Augen auf, zwei lichtvolle, tiefe Augen, und blickte das Mädchen an, das da, holde Scham und Verwirrung in dem süßen Gesicht, mit ver wirrten Locken, den Hut mit Blumen gefüllt, neben ihm kniete; dann begann er zu lächeln unh richtete sich ein wenig aus seiner liegenden Stellung empor. «Ich habe," sagte der Fremde mit seiner weichen', zum Herzen sprechenden Stimme, „me an Wunder und Märchen geglaubt; aber hier ist eines. Habe ich Sie erschreckt?^ fuhr er fort, als Gundula ihn noch immer angst voll und errötend anschaute. „Das sollte mir leid thun." „Verzeihung," hauchte Fräulein Strandow, „ich— ich, ach, ich war ein thörichtes'Mädchen und hielt Sie für tot und nun, und nun, was müssen Sie von mir denken," und plötzlich füllten sich ihre Augen mit Thränen. „Ach," entgegnete der Fremde mit leichtem Lächeln, „Sie weinen, daß ich noch lebe? Wie grausam Sie sind." Gundula schüttelte mit feuchten Augen lächelnd das Köpfchen. „Sie mißverstehen mich völlig; ich bin nur beschämt, mich Ihnen so dreist genähert zu haben." „Das galt ja dem Toten, uud der Lebende wird das nie vergessen." Der Mann hatte eine wunderbare, be ruhigende Art, Gundulas Angst schwand immer mehr, ja, sie blickte ihn schon ganz mutig und forschend an und erhob sich von den Knieen. Dabei entsank der Hut ihrer Hand und schüttete seinen duftigen Inhalt über den Fremden aus. „Ach, unsere schönen Blumen!" riefen die Knaben wie aus einem Munde. „Nun kannst du uns keinen Kranz machen, Tante Gundula!" „Das ist wahr; denn nun find all' diese Blüten mein," sagte der Unbekannte mit feinem, gütigen Lächeln, „und ich nehme sie mit nach Hause." „Wo bist denn du zu Hause?" fragte Berti keck. „Wir wohnen bei Tante Ulrike, Mama auch." „Weißt du, wo Berghaus liegt, mein Junge? j Nun, dort bin ich her, es ist also garnicht weit i von dir," entgegnete der Herr und Gundula wurde so rot wie eine Rose. Der neue Besitzer, mit dem sie sich so oft in ihren Träumen beschäftigt hatte, stand also auf einmal vor ihr, o, und wie schön, freundlich und hochgewachsen er war. Er überragte sie bei weitem, als er nun neben ihr stand. Er hielt den Hut in der Hand und bat: „Ich habe mich im Walde verirrt, mein Fräulein; ich weiß, es ist sehr unbescheiden von mir, und dennoch möchte ich Sie bitten, mir den Weg zu zeigen, mein Name ist von Laurin." Er hatte die Anemonen in der Hand und schien sie mit nach Hause nehmen zu wollen, dann schritten Gundula und Herr von Laurin vorwärts. „Ich war lange sehr krank," begann er plötz lich, „nun haben sie mich hierher geschickt in die Berge und in die Einsamkeit zur Erholung und ich habe zu allem ja sagen müssen." Gundula schaute ihn mitleidig mit den schönen, braunen Augen an, dann sagte sie zu versichtlich : „In unseren Bergen werden Sie gewiß ganz gesund werden, es ist so herrlich hier." „Da haben Sie recht; es gibt so viele schöne Plätze aus dieser Erde, daß einem die Wahl schwer wird." „Ich kenne nur Ellerborn," kam es lachend von Gundulas Lippen; „Tante Ulrike erlaubt mir nie eine größere Reffe. Gewiß, wenn ich hinaus käme in die Welt, ginge es mir wie jenem Almanach, den die Wachen am Stadtthor abwiesen." Es lag doch etwas wie leiser Schmerz in dem Ton, und über ihr strahlendes Antlitz flog ein Schatten. „So sind Ihre Eltern tot?" fragte Herr v. Laurin sanft. „Schon lange, und seitdem leben Susanna und ich bei Tante Ulrike." „Wissen Sie auch, daß ich diese Tante Ulrike bereits kenne?" „So wissen Sie also auch meinen Namen, nicht wahr ?" und Gundula wurde rot, sie wußte selbst nicht, weshalb. „Ach, die Leute sprechen nicht gut von der Tante; ich kann Ihnen aber viel besser sagen, wie sie eigentlich ist, man muß nur nicht glauben, daß Tante Ulrike alles st meint, wie sie spricht." „Das klingt ja ganz philosophisch, gnädiges Fräulein; aber jedenfalls finde ich es hartherzig' Sie in diese Einfiedelei einzuschließcn." „O, das dürfen Sie nicht sagen, auch da» thut die Tante aus Liebe, ich soll nicht so uw glücklich werden wie die arme Susanna," em* gegnete Gundula ernst. „Ich glaube auN Tante Ulrike hat ganz vergessen, wie es Jugend zu Sinn ist; wenn ich die Welt sE nenne, lacht sie jedesmal ein wenig spöttM Aber dort liegt das ForsthauS, das ist sch^ Ihr Grund und Boden, Herr v. Laurin." Hier kreuzte der Waldbach ihren WA sprudelnd und zischend hüpfte er daher E große, spiegelglatte Steine, seinen silberne Schaum weit hinaufwerfend auf den WaA» boden. Hohes Farnkraut, üppige Schaans Halme begrenzten seine Ufer, und dazims«^ blühten blaue, großblumige Vergißmeinnicht-
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