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Allgemeiner Anzeiger : 23.06.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189706233
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18970623
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1897
-
Monat
1897-06
- Tag 1897-06-23
-
Monat
1897-06
-
Jahr
1897
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 23.06.1897
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Politische Rundscharr. Deutschland. * Das Programm der am Donnerstag be gonnenen Kaiserreise war das folgende: Das Kaiserpaar begab sich zuerst nach Biele feld, wo am Freitag die Bodelschwinghschen Anstalten besichtigt wurden. Von dort aus begab sich der Kaiser zur Denkmalsfeier für Kaiser Wilhelm l. nach Köln. Sonntag früh: Einschiffung in Brunsbüttel nach Helgo land zu den Regatten, von dort nach Kiel, von wo aus die Nord land reise angetreten wird, die wahrscheinlich bis Ausgang August dauert. * Der jugendliche Großherzog von Mecklenburg-Schwerin ist in Dresden eingetroffen, wo er seine Studien wieder auf nehmen wird. *Das Entlassungsgesuch des bis herigen Präsidenten des Reichsverficherungs- amtes, Dr. Bödiker, ist vom Kaffer ge nehmigt worden. Dem aus dem Amte Scheiden den wurde der neugestiftete Wilhelmsorden verliehen. *Zur inneren Lage wird jetzt von einer „gewöhnlich gut unterrichteten Seite" die Lesart verbreitet, daß die weiteren bereits be schlossenen Veränderungen in hohen Regierungs stellen erst zu einem späreren Datum erfolgen sollen. Es erklärt sich das daraus, daß in den nächsten Tagen die Parlamente noch zu einer kurzen Arbeitsperiode zusammentreten und ein so umfassender Personenwechsel vor dem Schluß der Parlamente aus mancherlei Gründen un- thunlich erscheint. * Kontre-Admiral Tirpitz, der neuernannte Staatssekretär des R e i ch s - M arin-e amt s, hat, wie der ,Hamb. Korr.' aus Berlin meldet, einen Urlaub von 2^ Monaten erhalten und wird denselben in den nächsten Tagen antreten. *Auf Veranlassung des Reichsjustizamtes beraten gegenwärtig der ,Schles. Ztg.' zufolge die Oberlandesgerichte in Plenarsitzungen über das Gesetz betreffend die freiwillige Ge richtsbarkeit, um hier ebenso, wie dies bei der Grundbuchordnung und der Vcrsteige- rungsordnung bereits geschehen ist, die Ärund- züge eines Gesetzes für das ganze Reich festzu- lcgen. Der weitere Ausbau, der zur Berück sichtigung der örtlichen Verhältnisse und Bedürf nisse Gelegenheit geben soll, wird der Landes gesetzgebung überlassen bleiben. *Die Nachricht der .Volkszeitung', daß Hendrik Witboi tot sei, bestätigt sich nicht. Im Kolonialamt weiß man wenigstens nichts davon. Oesterreich-Ungarn. * Das Rcichskriegsministerium hat den sozia listischen Führer Dr. Ludwig Czech in Brünn, Leutnant der Reserve, auf Grund eines Offiziers-Ehrenratsbeschlusses seiner Offizier charge für verlustig erklärt und ihn als Reserve- Infanteristen dem 8. Infanterie-Regiment über wiesen. In den Gründen heißt es, daß Dr. Czech als Sozialistenführer sich über die Regierung und Heereseinrichtung weg werfend geäußert und dadurch die Offiziers- Standesehre verletzt habe. Frankreich« * Wie es heißt, so beabsichtigt Präsident Faure, den Anlaß der Welt-Ausstellung zu benutzen, um in den Champs-Elysees einen neuen größeren Präsid cntschaftspalast zu errichten. Das Elysee ist allerdings zu klein. Für die großen Bälle des Winters mußte ein Teil angebaut werden, der ein Stück des Gartens weggenommen hat und für die großen Empfänge des Ausstellungsjahres nicht genügen wird. *Der Präsident der französischen Re publik hat das Schiedsrichteramt bei den Grenzstreitigkeiten zwischen Costarica und Columbia angenommen. * Aufsehen erregt in Regierungskreisen die Ernennung der Tochter des verstorbenen GeneralstabschefsMiribelzur Ehrcn- dame der Herzogin von Orleans. Fräulein Miribel hatte sich mit ihrer Mutter zur Begrüßung der Herzogin eigens nach Brüssel begeben. Triumphierend kündigt der .Gauwis', welcher seiner Zert die Sammlung zur das Miribel-Denkmal begonnen hatte, dieses Ereignis an, indem er hinzufügt, daß der gegen wärtige Generalstabschef BoiSdeffre ein eifriger und intelligenter Fortsetzer des Miribelschen Werkes sei. *Wie mehrfach verlautet, war die auf dem Konkordienplatz inParis explodierte Bombe sehr gefährlich, eine sog. Sturzbombe. Der Sachverständige Girard habe erklärt, die aufge fundenen Ueberreste der Bombe rührten von einer kleinkalibrigen Granate her. Die Polizei ist in bettest des Thäters noch immer ohne Spur. Das Verhör von neun Personen, die sich während der Explosion in der Nähe der Statue der Stadt Straßburg befanden, ergab keinerlei Anhaltspunkte. Der belgische Unterthan Haeg wurde verhaftet, weil er sich über die Explosion vom Sonntag befriedigt geäußert hatte. Balkanstaaten. * In Athen hat eine Beratung der dortigen Vertreter der Großmächte stattgcsunden, und zwar infolge dringenden Ansuchens des Königs, den wirtschaftlichen RuinGriechen- lands durch einen schnellen Abschluß des Friedens zu verhindern. In dieser Be ratung wurde beschlossen, den Regierungen so fort Bericht zu erstatten und das Ansuchen des Königs, weil es den Thatsachen entspricht, zu befürworten. In diplomatischen Kreisen wird versichert, einige Griechenland wohlgesinnte Mächte würden nunmehr in Konstantinopel gegen die unnötige Verschleppung des Friedensschlusses auftreten. * Um Zusammenstöße zwischen der musel manischen und der christlichen Bevölkerung auf Kreta zu vermeiden und um die Verproviantie rung der eingefchlossenen muselmanischen Be völkerung zu fördern, haben die Admirale die Zürückziehung der türkischen Truppen aus Hierapetta vorgeschlagen; Tewfik Pascha hat sich in Gemäßheit der ihm aus Konstantinopel zugegangenen Befehle ge weigert, diesem Verlangen nachzukommcn. * Uebcr die deutsche Militärmission in Konstantinopel schreibt die ,Polit. Korr.': Der Infanterie-Instrukteur der deutschen Militärmission, Marschall Kamphoevener Pascha, der in der preußischen Armee den Rang eines Generalmajors bekleidet, würde Ende dieses Jahres aus dem türkischen Dienste scheiden, um in der heimatlichen Armee in aktiven Dienst zu treten. Dagegen verlautet, daß der frühere Kavallerie-Instrukteur und Ober stallmeister v. Hobe, der vor einigen Jahren infolge gewisser persönlicher Differenzen mit dem damaligen deutschen Botschafter bei der Pforte, Fürsten Radolin, in die preußische Armee zurück- trat und gegenwärtig eine Kavalleriebrigade kommandiert, demnächst in Pension tritt und geneigt sei, wieder seine frühere Stellung in Konstantinopel zu übernehmen. Es ist Aussicht vorhanden, daß dies geschehen wird. Der deutsche Seeoffizier, türkischer Vize-Admiral Kalau vom Hofe Pascha, der der türkischen, in den Dardanellen liegenden Eskadre zugcteilt war, ist nach Konstantinopel zurückgekchrt und wird nicht mehr zu her Eskadre gehen. Derselbe wurde durch den Großkordon des Osmanie- ordens^ und seine Gemahlin durch den Groß kordon des Schefakatordens ausgezeichnet. Amerika. * Der Vertrag zwischen denVer. Staaten und, Hawai, sowie die Botschaft des Präsidenten Mac Kinley wurden am Mittwoch abend dem Senat vorgelegt. Die Inseln find in Wirklich keit bedingungslos an die Ver. Staaten übergegangen, und es bleibt den letzteren über lassen, die Verwaltung nach ihrer eigenen Weise einzurichten. Eine Kommission, bestehend aus drei Vertretern der Ver. Staaten und zwei Ver- tretern Hawais, vom Präsidenten ernannt und vom Senat bestätigt, wird den Modus der Regierung bestimmen. Die Botschaft Mac Kinleys weist zunächst darauf hin, wie die Ver. Staaten und Hawai von Jahr zu Jahr enger miteinander verwuchsen und führt sodann auS, daß es sich nicht um eine wirkliche Annexion handle, sondern um eine Weiterführung der be stehenden Verbindung unter festerem Zusammen schluß zwischen zwei Völkern, eng verknüpft durch Bande des Blutes und der Freundschaft. Zur Zeit des Uebereinkommens wegen Samoa hatten England und Deutschland beabsichtigt, auch Hawai der Gruppe anzuschließen, die unter das Protektorat gestellt wurde. Die Ver. Staaten jedoch widersetzten sich der Absicht, da ihrer An sicht nach bereits Verbindungen zwischen ihnen und Hawai bestanden, die das letztere unter den besonderen Schutz der Ver. Staaten stellten, die nicht zugeben werden, daß ein anderes Land sich in die Annexion einmische; denn indem sie die Inseln zu einem Telle Ver. Saaten machten, handelten sie in Uebereinstimmung mit ihrer längst feststehenden Politik. Afrika. *Der von Westafrika in Liverpool ange langte Dampfer „Roma" überbringt folgende Meldung: Kannibalen griffen eine Karawane mit Waren für eine schwedische Firma im Rio del Rey-Gebiete an. Mehrere Mannschaften wurden weggeschleppt, getötet, die Leichen verzehrt. Eine gegen die Kannibalen ausgesandte deutsche Strafexpedition tötete eine Anzahl der Schwarzen und brannte mehrere ihrer Ortschaften nieder. — Das Rio del Rey- Delta gehört zu Kamerun, es bildet die nordwestliche Grenze zum britischen Kalabar- Gebiet. Da nur in Kamerun schwedische Han delsfirmen ansässig find, war es selbstverständ lich, daß deutsche Schutzttuppen die Züchtigung der Kannibalen übernahmen. Sozialpolitische Gesetzentwürfe in Italien. In der letzten Zeit hat die italienische Re gierung dem Parlamente drei Gesetzentwürfe zur Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes vor gelegt. Der erste, der dem Senate übergeben wurde, betrifft die Unfallversicherung. Er ist eine etwas veränderte Neuauflage des früheren. Die in dem vorigen Entwürfe festgesetzte Ent schädigung für den Tod des Arbeiters an seine Hinterlassenen, und für dauernde Erwerbs unfähigkeit wurde von 1500 Lira auf 3000 Lira erhöht. Es wird den Unternehmern verboten, die Arbeiter bei Privatanstalten zu versichern; es stehen also nur die „Nationale Unfallver- ficherungskasse", die „Verbände zu gegenseitiger Versicherung" und die Eisenbahn-Hilfskassen zur Verfügung. Der zweite Entwurf, der Kammer vorgelegt, bezweckt die Einrichtung einer nationalen Kasse für Alters- und Jnvaliditätsverfichcrung. Sie darf nur von Arbeitern benutzt werden; es soll kein Zwang zur Versicherung stattfinden. Vom Staate soll die Kasse ein Betriebskapital von 10 Millionen Lira erhalten, ferner jährlich einen Zuschuß von 800 000 Lira, welchen der Rein ertrag der Postsparkasse und die Zinsen ruhen der Erbschaften und gerichtlicher Depositen liefern werden. Der dritte Gesetzentwurf, gleichfalls der Kammer vorgelegt, betrifft den Arbeiterschutz beim Bergbaue und in den Steinbrüchen. Er setzt das Alter, in welchem Kinder unter Tag be schäftigt werden dürfen, auf 14 Jahre, jenes für die Arbeit über Tage auf 12 Jahre fest — eine sehr tiefe Altersgrenze, aber immer noch höher als die bisherige. Die Frauenarbeit in Berg werken wird vollständig verboten. Um die so gebräuchliche und schädliche Ausbeutung des Arbeiters durch Zahlung des Lohnes in Waren zu verhindem, wird die ausnahmslose Entrich tung des Arbeitslohnes in Geld angeordnet. Der Lohn muß alle Wochen ausbezahlt werden, dies darf nicht in Gasthäusern oder Schenker, irgendwelcher Art geschehen. Nur ein Fünftel des Lohnes kann für die Schulden oder ander weitige Verpflichtungen sequestriert oder zediert werden. Den Unternehmern, sowie ihren Ver wandten bis zum dritten Grade ist der Betrieb von Wirtschaften in der Nähe eines Bergwerkes untersagt. Uon Nah «nd Fern. Wörishofen. Prälat Kneipp ist nun doch gestorben. Am Donnerstag früh schloß er sein arbeits- und erfolgreiches Leben. Er hat ein Alter von 76 Jahren erreicht. Frankfurt a. M. Ein an den Minister des Innern und den Kulmsminister gerichtetes Gesuch um Genehmigung einer Niederlassung der Kapuziner dahier ist abschlägig beschieden worden. Friedrichsdorf i. Taunus. Dem Erfinder des Telephons, Phil. Reiß, der hier lange Jahre am Institut Garnier thätig war, ist am letzten Sonntag seitens seiner Verehrer und Freunde eine Gedenktafel gestiftet worden, die an der Giebelseite seines Wohnhauses Platz ge funden hat. Zu der Feier waren u. a. auch zahlreiche Mitglieder des elektrotechnischen Ver eins Frankfurt a. M. erschienen. Hannover. Ein furchtbarer Waldbrand zerstörte im Forst Wense bei Fallingbostel hundertundfünfzig Morgen Kiefernbestand und sechzig Ladungen verarbeiteter Hölzer; der Schaden ist enorm. Halle. Die Stadtverordneten von Halle haben in ihrer letzten Sitzung die Einführung einer Fahrradsteuer im Prinzip mit 18 gegen 14 Stimmen angenommen. Die Steuer wird für ein Herrenrad 5 Mk., für ein Damenrad 10 Mk. betragen. Barme«. Der Pastor Idel aus Elberfeld, der Pastor Fries aus Gelsenkirchen und sechs andere ältere Personen wurden am Mittwoch in einem hiesigen Teiche durch den hiesigen Metho distenprediger Walfisch getauft. Diese drei Geist lichen beabsichtigen, in ihren gegenwärtigen Wohnorten Kirchengemeinden zu gründen, welche einfach als „Christen" bezeichnet werden sollen. Düffeldorf. Am Dienstag abend trank eine Dame mitten auf der Luisenstraße, dem Zirkus Schumann gegenüber, ein Fläschchen aus und warf es dann zur Erde. Nach wenigen Sekunden sank sie unter gellendem Aufschrei zusammen. Der sofort hinzugerufene Arzt stellte Vergiftung bezw. Verbrennung durch Salmiak geist fest und ordnete, die Ueberführung ins Krankenhaus an. Die Dame soll eine Italienerin sein, die bis zum 1. d. im Zirkus Schumann thätig war. Metz. Erstochen wurde hier ein Sergeant, der sich in einer übelberüchtigten Straße vorschriftswidrig benahm und der Aufforde rung einer Patrouille, zur Wache zu folgen, nicht gutwillig nachkam. Als er seiner Ab führung auch noch thätlichen Widerstand ent gegensetzte, zog der Gefreite der Patrouille sein Seitengewehr und versetzte dem Sergeanten einen Stich in die Seite. Der Verletzte wurde nach dem Garnisonlazarett gebracht, wo er nach wenigen Stunden seinen Geist aufgab. Tilsit. Bei dem Einsturz eines Neubaues wurden zehn im Keller arbeitende Maurer ver schüttet. Der schnell herbeieilenden Feuerwehr gelang es alsbald, die Verunglückten zu Tage zu fördern. Zwei derselben find schwer verletzt und mußten in die städtische Heilanstalt übcr- geführt werden; die Verletzungen der übrigen find nicht lebensgefährlich. Budapest. In Debreczin verletzten sich vor der Front der exerzierenden Truppen des 39. Infanterie-Regiments zwei Leutnants infolge eines persönlichen Streites mit ihren Säbeln. Die beiden fochten später ein Duell aus, wobei sie schwer verwundet wurden. Paris. Die durch die Katastrophe von Voiron verursachten Verluste werden nunmehr auf 6—7 Millionen Frank berechnet. Außer den Fabriken find zahlreiche Häuser zerstört worden; in der Hauptstraße von Voiron sieht man Gebäude, die frei in der Lust zu schweben scheinen, da die Erdgeschosse weggeschwemmt worden sind. Wenn das Unglück übrigens nicht gerade am Samstag abend stattgefunden hätte, so würde es eine grausige Hekatombe von Menschenleben gekostet haben. Die Arbeiter leben nämlich in der Woche vollständig in den Fabriken, wo Eßsäle und Schlaftäume für sie eingerichtet find. In diesen wären die zwei tausend Arbeiter von den reißenden Wasser massen überrascht worden, wenn sie nicht, wie an jedem Samstag nach der Auszahlung des Wochenlohns, sich in die umliegenden Dörfer zerstreut hätten. Die Weber waren genau zwei Stunden vor dem Einbruch der Wassermassen der Morge aus Voiron fortgegangen. Mr Geheimnis. 4j Roman a. d. Englischen d. Lady G. Robertson. <Jorli«rung.) Nach dieser kleinen, unvorbereiteten Rede war wohl nicht einer unter den Anwesenden, der nicht freudig sein Leben für die junge Herrin gelassen hätte. Als Leonie sich in ihr Zimmer zurückzog, um etwas zu ruhen, sank sie erschöpft und über wältigt auf einen Sessel zurück und brach in Thräncn aus. Die lange zurückgehaltene Er regung übermannte sie jetzt, als sie allein war, sie betete jetzt aus vollem Herzen, daß Gott ihr helfen möge, ihren Reichtum gut anzuwenden, und ihr Herz mit Nächstenliebe und Mitleid er füllen möge. Einige Stunden später saß Lady Leonie Charnleigh in einem der geräumigen Wohn zimmer. Sie hatte ihr Bewegung überwunden, aber ihre Gedanken waren nicht auf das Buch gerichtet, das in ihrem Schoß ruhte, sie blickte, über dasselbe hinweg in den Park hin und freute sich in dem Gedanken, daß alles, was sie sah, ihr Eigentum sei. Ein ausgesuchtes Mittagessen war serviert worden. Das goldene und silberne Tafelgerät hatte den Tisch geziert und allgemeine Be wunderung hervorgerufen. Leonie hatte ihren Platz am oberen Ende des Tisches mit so viel vornehmer Würde und Anmut ausgefüllt, als ob sie ihr ganzes Leben lang präsidiert hätte. Mr. Clemens tonnte sich nicht genug wundern, wie schnell doch Frauen sich neuen Verhältnissen anzupasseu verstehen. Aber Leonie war vor dem Essen zu Lady Fanshawe gekommen und hatte sie gebeten, ihr zu sagen, wie sie sich benehmen müßte, da sie doch nichts von den Gebräuchen der vornehmen Welt wüßte. Die Dame hatte sie erst zweifelnd angesehen, ob es der jungen Besitzerin aller -dieser Reichtümer auch wohl ernst sei mit dem Wunsche, wie ein Kind gelehrt zu werden. Dann aber bewunderte sie das junge Mädchen, welches sich solche Bescheidenheit bewahrt hatte. Sie gab ihr genaue Anweisung, und das Resultat war ein glänzendes. „Hoffentlich haben Sie alles in Ihren Zim mern nach Wunsch gefunden, Lady Charnleigh," sagte Lady Fanshawe, als die Damen nach dem Essen zusammen auf die Veranda traten. „Die Jungfer, die ich für Sie engagiert habe, war früher bei der Herzogin von Westminster, ich hoffe, sie wird Ihnen genügen." „Sie scheint ihre Sache zu verstehen," war die Antwort, indem ein Lächeln um die schönen Lippen spielte. Vor kaum noch drei Wochen hatte sie andern bei der Toilette geholfen, und jetzt schien die Kammerjungfer einer Herzogin kaum gut genug für sie zu sein. „Geld, Geld!" dachte sie. „Alles danke ich nur dem Reichtum! Welchen Einfluß, welche Macht hat doch das Geld!" „Der Abend ist noch lang," bemerkte Miß Templeton. „Wenn Lady Charnleigh nicht zu ermüdet ist, können wir das Innere des Schlosses besehen." „Dazu habe ich große Lust," erwiderte Leonie, und Frau Fearon wurde gerufen, um die Führerin zu machen und alles aufzuschließen. Lighton Hall war noch größer und ge räumiger als man erwartet hatte. Der ganze südliche Flügel enthielt die Prunkzimmer. Hier waren denn auch verschiedene Empfangszimmer, prächtig eingerichtet und dekoriert, eine Speisc halle und der große Tanzsaal, in dem die Schönheiten vergangener Zeiten ihre Reize ent faltet hatten. Eine Gemäldegalerie führte vom südlichen zum nördlichen Flügel. Sie war sehr lang und wurdi? oft zum Promenieren benutzt. Die großen Fenster reichten bis auf den Fußboden, und dieser war mit einem dunkelroten Teppich bedeckt. Sie gingen weiter durch die für Besucher hergerichteten Zimmer und besahen die größte Seltenheit von Lighton Hall, die Garderobe kammer, in der kostbare Schätze aus Samt, Seide, Atlas und Spitzen aufbewahrt wurden, .welche früheren Gräfinnen Charnleigh gehört hatten. Hier wurde auch in sicheren Schränken der Familienschmuck aufbewahrt und Miß Templeton erklärte schließlich, sie sei wahrhaft geblendet von all den Juwelen und Diamanten. ' Frau Fearon öffnete eine weitere Thür und sagte, daß dies Zimmer der Lieblingsaufenthalt des hochseligen Grafen gewesen sei. Leonie begriff nicht weshalb, denn es war weder gemütlich noch elegant eingerichtet. Das einzig Bemerkenswerte war das lebensgroße Bild eines jungen Mannes, das eben jetzt voll von der Abendsonne beschienen wurde und einen tiefen Eindruck auf sie machte. Es waren edle, melancholische Züge: dunkle, träumerische Augen, der Mund fest geschlossen mit einem ernsten Ausdruck. Das ganze Bild machte den Eindruck verhaltener Kraft und noch nicht er wachter Leidenschaft. Leonie stand regungslos vor dem Bilde, wie gebannt von seinem eigenartigen Reize. Dann wandte sie sich zu Frau Fearon und fragte diese, wen es vorstelle. Die Antwort wurde etwas zögernd gegeben. „Ich glaube, es ist ein entfernter Verwandter meines verstorbenen Herrn." „Aber wer ist es? Lebt er noch? Wie heißt er?" „Es ist Hauptmann Barlow," erwiderte die Haushälterin noch zurückhaltender. Lady Charnleigh drehte sich schnell um. „Hauptmann Barlow?" rief sie erstaunt aus. Sie bettachtete das edle Gesicht mit doppeltem Interesse. Das also war der Mann, der ohne sie jetzt Graf Ckarnleigh gewesen wäre, den sie, ohne es zu wissen und zu wollen, um eine fürstliche Erbschaft gebracht hatte. Oft beschäftigten ihre Gedanken sich an dem Abend mit dem Original des Bildes, aber am folgenden Tage fand sie keine Zeit mehr zum Träumen und Denken. Die Karten häuften sich auf ihrem Tische, der Salon wurde nicht leer von Besuchen; Leonie Charnleigh fand sich plötzlich mitten im Leben und Treiben der großen Welt. 4. Heller, heißer Sonnenschein lag über dem tiefblauen Mittelmeer und brannten auf den weißen Felsen der Insel Malta. Es war ein Tag, an dem Mchtsthuu eine Wohlthat ist und
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