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Allgemeiner Anzeiger : 12.06.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189706123
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18970612
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1897
-
Monat
1897-06
- Tag 1897-06-12
-
Monat
1897-06
-
Jahr
1897
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 12.06.1897
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Politische Rundschau. Deutschland. *Der Kaiser hat beschlossen, die LandesverteidigungS-Ko mmi s sion aufzuheben und behält sich vor, zur Be ratung einzelner der Landesverteidigung be treffenden Fragen jeweilig besondere Kom missionen zu berufen. * Das gesamte in Kiel liegende Geschwader folgt dem Kaiser auf der Neisenach Ruß land und wird während seiner dortigen An wesenheit auf der Reede von Kronstadt anlern. * Von vertrauenswürdiger Seite wird der .Breslauer Ztg/ mitgeteilt, der Kaiser habe schon während seines jüngsten Aufenthalts iu Schlesien, also unmittelbar vor dem Beginn des Tausch-Prozesses, seiner Umgebung gegenüber seinen Unwillen über das durch den selben enthüllte Intrigenspiel wiederholt aus gesprochen und angeordnet, daß ihm über den Sitzungsverlauf alltäglich ausführlichst Bericht erstattet werde. Der Kaiser wünscht dringend eine gründliche Revision des In stituts der politischen Polizei so wie eine Reform des Verkehrs zwischen Ministerien und Presse. Eine besondere Kommission soll zur Beratung von Vorschlägen alsbald eingesetzt werden. * Statt auf dem alten „König Wilhelm" soll nunmehr Prinz Heinrich auf dem ganz modernen Panzer 1. Klasse „Kurfürst Friedrich Wilhelm" zu den JubiläumSfestlichleiten nach England gehen. *Das Leiden deS Frhrn. v. Marschall besteht in einer hochgradigen Affektion der Leber und der Nieren. — Gegenüber Krisen- gerüchten wird übrigens einem süddeutschen Blatte, das mitunter offiziöse Mitteilungen er hält, geschrieben, der Kaiser selbst habe dem Frhrn. v. Marschall bei dem letzten Empfang desselben nicht die entfernteste Andeutung über etwaige künftige Entschließungen gemacht, und die Ungeduldigen, die einen Ministerwechsel herbeiwünschen, würden aller Voraussicht nach mindestens bis zum Herbst warten müssen. * Nach dem ,Hamb. Korresp/ ist Aussicht vorhanden, daß es in der Frage derMilitär- strafprozeßordnung zu einem Kom promiß kommen werde, indem man vielleicht den Mittelweg einschlägt, einen bayrischen Senat beim obersten Militärgerichtshof ein zurichten. * Die Schleifung der Festung Mainz scheint ernstlich ins Auge gefaßt zu sein. Wenigstens hat die Stadt Mainz mit dem Kriegsministerium Verhandlungen darüber gepflogen. Die Militärbehörde soll durchaus geneigt sein, die Umwallung schleifen zn lassen und das so freigewordene Terrain, besonders die südöstliche Umwallung, an die Stadt zu verkaufen. Die Befestigungswerke, die Forts, . sollen mehr nach Alzey und Bingen zu hinaus- geschobcn werden. Wenn die Verhandlungen zunächst noch nicht zu einem Resultat geführt haben, so liegt das an der Höhe der Kaufsumme für das Festungsterrain. Immerhin wird ge hofft, daß Reich und Stadt sich einigen. *Dem Preuß. Landtage werden nach Beendigung der Ferien, wie in parlamentarischen Kreisen verlautet, noch einige weitere Vor lagen zugehen. Oesterreich-Ungar«. * Dem ,N. W. Tagebl/ zufolge wünscht der Kaiser Franz Joseph eine Ver ständigung zwischen den Deutschen und den Tschechen in entschiedener Weise; die Krone wird jedoch absolut nicht in die Rück nahme der Sprachenverordnung willigen, dagegen wird wahrscheinlich eine Revision der Verord nung zur Grundlage der ^Verhandlungen ge nommen werden. Der Justizminister dürste zurück treten. Frankreich. * Den Blättern zufolge wird sich der Minister rat zunächst mit der Frage beschäftigen, ob die Reise des Präsidenten Faure nach Ruß land nicht eine außerordentliche, vom Par lament zu bewilligende Kreditforderung nötig mache. Der ,Figaro" behauptet, der Zar selbst habe angedeutet, er wünsche, daß FaureS Eigenschaft als Staatschef und ausschließlicher Repräsentant der französischen Republik während der Reise durch nichts geschmälert erscheine. * Der zwischen Frankreich und Bra silien bereits seit dem Jahre 1713 bestehende Streit über das zwischen dem französischen Guyana und dem Amazonenstrom liegende Gebiet, der in den letzten Jahren in folge der Entdeckung der dortigen Goldminen wieder einen heftigeren Charakter angenommen hatte, ist nun seiner Lösung sicher. Der fran zösische Gesandte Pichon und der Minister des Auswärtigen von Brasilien haben in Rio de Janeiro einen Vertrag unterzeichnet, wo durch der schweizerische Bundes präsident zum Schiedsrichter ernannt wird. Beide Regierungen haben sich verpflichtet, s sich dem Urteil unbedingt zu unterwerfen. *Jn der Sitzung der Deputierten- Kammer vom 5. d. wurde der sozialistische Abgeordnete Gerault mit militärischer Hilfe aus dem Hause entfernt, weil er die Majorität „Polizeispitzel" genannt, sich geweigert hatte, die Beleidigung zurückzunehmen und auch nach der über ihn verhängten Zensur den Saal nicht freiwillig verlassen wollte. tDie Sitzung endete unter großem Skandal. Italien. *Der Kriegsminister hat eine Unter suchungs-Kommission eingesetzt, welche die Haltung verschiedener höherer Offi ziere während des Feldzuges in Afrika zu prüfen haben wird. General Albertone hat alle in seinem Besitz befindlichen Daten, welche hierüber Aufschluß zu bieten ge eignet sein können, der Kommission zur Ver fügung gestellt. Daß die Arbeiten dieser Kom mission vollständig umsonst find und nur zu einer Verschärfung der ministerfeindlichen Stimmung führen werden, steht wohl fest. * Das Auslieferungsbegehren gegen Crispi wird am 15. d. in der Kammer verhandelt werden. Die Anklage lautet auf Aneignung von Geldern der Banca di Napoli durch Vermittelung FavillaS zu öffentlichen und Privatzwecken. Die Versteigerung des Mobiliars Crispis in Rom ergab nur 40 000 Lira; nur die Geschenke König Humberts, Kaiser Wilhelms und anderer Monarchen erzielten nennenswerte Preise. Crispi ist sehr niedergeschlagen und erregt das Gefühl tiefen Mitleids, zudem seine einzige Tochter, sein Lieblingskind, an lebens gefährlicher Krankheit daniederliegt. Svante«. * Die Königin-Regentin hat den Minister präsidenten Canovas del Castillo in der Amtsgewalt belassen, um mit demselben Kabinett die bisherige Politik weiterzuführen. Das Amtsblatt veröffentlicht das Dekret, durch welches die Reformen auf Cuba einge führt werden. Balkanstaaten. * Die Friedens - Verhandlungen sollen bereits zu einer vollen Einigung geführt haben, danach zahlt Griechenland vier Millionen Pfund Kriegsentschädigung und ver liert an der thessalischen Grenze einige strategische Punkte. Pharsalos, Viro, Mezzovo und Nezaros bleiben von den Türken besetzt und werden staffelweise, nach der in Raten erfolgten Zah lung, geräumt. *Die allgemeine Stimmung in der grie chischen Hauptstadt hat sich in den letzten Tagen wesentlich gebessert und man blickt nun der nächsten Zukunft etwas ruhiger entgegen. Man gibt sich allerdings darüber keinerlei Illu sion hin, daß Griechenland allerdings infolge seines kretischen Unternehmens eine ziemlich lange Periode schwerer wirtschaftlicher Sorgen durchzumachen haben wird und daß die durch den Krieg mit der Türkei erlittenen Wunden nicht so leicht vernarben werden. Nichtsdesto weniger aber atmet man hier erleichtert auf, da die Befürchtung, daß der Feldzug doch noch eine die letzten Kräfte des Landes erschöpfende Fortsetzung finden werde, sowie die Besorgnis, daß antidynastische Umsturzversuche unternommen werden könnten, nunmehr geschwunden ist. *Die Wiederherstellung des rumäni ¬ schen Thronfolgers macht gute Fort schritte; jede Gefahr erscheint ausgeschlossen. Afrika. * Der Volksraad des Oranje-Frei staats hat einen Anttag angenommen, wonach die Aufenthaltsdauer im Freistaat, von welcher das Wahlrecht abhängig ist, auf 3 Jahre herabgesetzt wird. Die das Wahlrecht Nach suchenden brauchen nicht mehr ihre Nationalität aufzugeben, müssen aber auf ihre früheren Bürger rechte verzichten. Die Bürger von Transvaal werden auf demselben Fuße behandelt wie die übrigen Einwanderer. *Ein Zusammenstoß ägyptischer Truppen mit Derwischen wird bereits gemeldet. Bei Salamat, 60 englische Meilen nördlich von Dongola, stieß eine Patrouille be rittener ägyptischer Truppen mit einer Patrouille der Derwische zusammen und schlug dieselbe. Dabei sind 8 ägyptische Soldaten gefallen und 4 verwundet worden; auch ein englischer Offi zier wurde schwer verwundet. Die Derwische ließen 15 Tote zurück. Das österreichische KarteUgeseh. Obgleich mit dem Schluß der Session des österreichischen Reichsrates auch der eben erst vorgelegte Entwurf eines Kartellgesetzes fürs erste wieder zu den Akten gelegt ist, verlohnt es sich doch, von diesem ersten Versuch, die industriellen Ringbildungen, behufs Erhöhung der Preise, einzuschränken, Notiz zu nehmen, da bekanntlich schon seit längerer Zeit auch bei uns im Reichsamt des Innern Erwägungen in dieser Richtung im Gange sind. Die öster reichische Negierung hat sich freilich diese gesetz geberische Arbeit ziemlich leicht gemacht. Die Ausführung des Gesetzes ruht in den Händen des Finanzministeriums, das die Ausführung der bezüglich des Kartells gefaßten Beschlüsse untersagen — kann, „wenn dieselben geeignet sind, in einer durch die objektiv wirtschaftliche Sachlage des betr. Industriezweiges (namentlich durch die jeweilig für die Preisbildung und Konkurrenz-Verhältnisse oder sonst für die Kon junktur maßgebenden Umstände) nicht begründeten und das Erträgnis der Abgabe oder der Steuer oder Konsumtionskraft der Bevölkerung offen bar schädigenden Weise die Preise einer Ware zum Nachteile der Abnehmer oder Besteller zu steigern oder zum Nachteile der Erzeuger oder Leistenden herabzudrücken." Indirekt läuft also die ganze gesetzgeberische Aktion darauf hinaus, dem Kartellwcsen oder -Unwesen, wie man will, auf denjenigen Gebieten ein Ende zu machen, wo dasselbe die Erträge der Verbrauchssteuern zu schmälern geeignet ist. In erster Linie hat die Vorlage das neuerdings verlängerte Zucker kartell im Auge und zwar mit besonderer Rück sicht auf die Ausfuhrprämien: , „Die Zuckcrindustrie," heißt es in der Be gründung, „gehört zu den durch offene Export prämien vom Staate unterstützten Industrien. Diese Prämie wirkt nicht nur fördernd auf die Ausfuhr, sondern auch preisbildend im Jnlande, indem der Preis des Konsumzuckers um den Bettag der gesetzlich gewährten Prämie gegen über dem Weltmarktpreise erhöht wird. Aus dieser Wirkung der Expottprämien folgt, daß die Konsumenten in Oesterreich-Ungarn den Zucker trotz der Ueberproduktion teurer bezahlen müssen als die Konsumenten anderer Länder." Dem Zuckerkartell insbesondere wird nun vorgeworfen, daß dasselbe die der Zuckerindustrie durch den Schutzzoll gewährte begünstigte Lage dazu benutze, um den Preis des Konsumzuckers im Jnlande auf einer Höhe zu erhalten, die die Gestehungskosten samt einem angemessenen bürger lichen Gewinn oft sehr erheblich übersteigt. Nach dieser Darstellung ist das Zuckerkattell nur ein Schritt weiter auf dem Wege, den schon' die Gesetzgebung durch die hohe Verbrauchs steuer und die Ausfuhrprämien eingeschlagcn hat. Die offizielle Begründung bestätigt mit anerkennenswerter Offenheit, daß die Ausfuhr prämie den inländischen Konsumenten zur Last fällt, daß also der Staat, angeblich im Inter esse der Industrie, die inländischen Konsumenten zwingt, den Zucker um den Betrag der Aus fuhrprämien höher zu bezahlen, damit derselbe dem ausländischen Konsumenten um denselben Betrag billiger geliefert werden kann. Schon dieses Prämiensystem hat die Wirkung, daß der Preis des Konsumzuckers im Jnlande auf einer Höhe erhalten wird, welche die Gestehungskosten samt einem angemessenen bürgerlichen Gewinn oft sehr erheblich übersteigt, wodurch selbstver ständlich der inländische Gebrauch vermindert und das Steuereinkommen des Staates ge schmälert wird. Das Schädliche der Kattelle besteht also darin, daß die Industrie zu ihrem Vorteile dasselbe thut, was der Staat seiner seits bereits gethan hat. Die Aufhebung der Ausfuhrprämien und die Herabsetzung der Ver brauchsabgabe würde den Zuckerverbrauch im Jnlande heben, dadurch die Ueberproduktion ver mindern und dem beschämenden Zustande ein Ende machen, daß dem inländischen Verbrauche das nationale Produkt verteuert wird und daß der Deutsche sich in dem auch gesundheitlich wichtigen Verbrauch des Zuckers einschränken muß, während man in England mit dem billigen ausländischen Zucker die Schweine mästet. Don Nats und Fern. Helgoland. Für seinen Aufenthalt auf Helgoland hat sich der Kaiser eine Baracke bauen lassen, die er als Wohnung benutzen will, um nicht dem Gouverneur, bei dem er bisher abstieg, die Räume wegnehmen zu müssen. Die Baracke ist etwa 30 Meter lang und 15 Meter breit, und hat die Form eines Achtecks. An der einen Schmalseite befindet sich ein kleiner Vorbau nach Art einer geschlossenen Veranda. Das Innere ist durch einen Gang in zwei Teile geteilt. Der nach dem Anbau zu gelegene Teil umfaßt zwei Räume, die für den Kaiser als Arbeits- nnd Empfangszimmer und als Schlafzimmer bestimmt sind. Der andere besteht gleichfalls aus zwei Räumen, einem Zimmer für die Dienerschaft und einem Badezimmer. Die Baracke hat außen einen grünlichgrauen Anstrich und ist innen weiß mit Verzierungen in Grau und Gold, unter denen der preußische Adler eine Hauptrolle spielt. Posen. Der Oberstaatsanwalt bei dem hiesigen Oberlandesgericht, Müller, ist am Pfingstsonntag abend in Hartenstein, wohin er zum Besuch des Landgerichtspräfidenten Dr. Mantell gefahren war, plötzlich am Herzschlag gestorben. Hanau. Der Jubiläumstag der Neustadt Hanau ist zugleich zum Stiftungstag zweier Werke der Nächstenliebe und Humanität gemacht worden. Nach der Enthüllung des Philipp Ludwig-Denkmals wurde in gemeinsamer Sitzung des Stadtrates und Gemeinde-Ausschusses das Statut der Stiftung „Lungenheilstätte" verlesen und genehmigt. Der Grundstock für diese Stiftung beträgt gegenwärtig 57 000 Mk. Hierauf traten die Mitglieder der beiden Konsistorien der wallo nischen und niederländischen Gemeinde in den Saal und Pfarrer Neßler überbrachte als Jubiläumsgabe der beiden Gemeinden die Stistungsurkunde über 35 000 Mk. zum Zwecke der Gründung einer Kinderkrippe. — Im Ostende unserer Stadt wurden in der Pracht zum Freitag an fünf Stellen bedeutende Einbruchsdiebstähle verübt. So wurden einem Lehrer für eiwa 400 Mk. Schmuck sachen, Silbergeschirr, Kleidungsstücke re. ge stohlen ; auch der Wert der an den anderen Stellen entwendeten Gegenstände ist nicht uner heblich. Die Spur der Einbrecher führt nach Frankfurt. Die Frankfurter Polizei wurde so fort von den Einbrüchen in Kenntnis gesetzt. Schneidemühl. Auf dem Transpott von Berlin nach Graudenz, wo gegen ihn wegen Pferdeschmuggels verhandelt werden sollte, warf sich der Fleischergeselle Blum zwischen dm Stationen Schneidemühl und Plottke auf seinen Transpotteur Wolff, mit dem er allein in einem Koupee dritter Klaffe saß, würgte ihn und wollte ihm seine Papiere aus der Tasche rauben; dann sprang er aus dem Koupee und ergriff die Flucht. Seine Ergreifung ist bisher nicht gelungen. Nürnberg. Am Pfingstmontag traten hier die von den Landgerichtsbezirken gewählten Delegierten der Gerichtsvollzieher des ganzen Königreiches zur Beratung ihrer Standesinter- essen zusammen Ahr Oeheimnis. Roman aus dem Englischen der Lady Georgina Robertson.*) 1. Am Ufer deS hier mäßig breiten Flusses lag ein altes, aus grauen Steinen erbautes Gebäude, welches in früheren Zetten wohl vor nehmen Familien zum Aufenthaltsott gedient haben mochte. Jetzt sah es anders darin aus. Die stattlichen Räume schauten keine Feste mehr, ein düsterer Ernst lag über ihnen, und über der Thür des Hauses stand mit großen Buchstaben: „Pensionat für junge Mädchen." Vergeblich suchte der Sonnenschein mit seinen Strahlen einzudringen. Die Fenster waren geschloffen, die Vorhänge niedergelassen, *»>enn Miß Templeton, die Vorsteherin, fand, oaß die Sonne nur Schaden anrichte, da sic sowohl "die Farbe aus Gardinen und Teppichen zog als auch die jungen Herzen der Schülerinnen oft mit Sehnsucht nnd Lebenslust erfüllte, die ihren Studien nur nachteilig sein konnten. Aber draußen lag alles in desto hellerem Glanze. Hinter dem Hause erstreckte sich ein freier Platz, auf welchem Spiele gemacht wurden, und daran schloß sich ein etwas altmodischer Gatten mit hohen Hecken und Laubcngängen. * Ein schmaler Bach trennte Miß Templetons Reich von dem anstoßenden Wäldchen. Am Rande des Baches saß an einem strahlenden Sommermorgen ein junges Mädchen von achtzehn Jahren unter einer Gruppe hoher Eichen. *) Unberechtigter Stach druck wird verfolgt. Sie lauschte dem Plätschern des Wassers und dem Gesang der Vögel, aber ihr Gesicht zeigte einen ernsten Zug. Der Sonnenschein des Glücks lag nicht in ihren Augen. Ein Vogel hüpfte von einem Zweig zum andern, sie sah ihm nach und sagte vor sich hin: „Wie gern tauschte ich mit dem kleinen Tiere! Das Leben erscheint mir so langweilig, so eintönig. — Schrecklich! Ich bin noch jung, wie soll ich das Dasein ertragen ohne auch nur eines der Dinge, die das Leben erträglich machen?" Ein bunter Schmetterling schwebte über dem Bach, sie streckte ihre Hand aus, um ihn zu Haschen, und als sie ihr Bild im Wasser sah, lächelte sie und schaute wieder hinein. „Wenn dies Gesicht einer andern gehötte, würde man es schön nennen," setzte sie ihr Selbstgespräch fort, „aber wer wird mich hübsch finden! Ebensogut könnte ich grundhäßlich sein, es beachtet mich ja doch niemand." Sich selbst aber hätte das junge Mädchen täglich mit Wohlgefallen betrachten dürfen, denn es sah wie eine Prinzessin aus, so schön, zart und anmutig — ach die Zukunft, welche sich ihrem inncrn Blicke zeigte, entsprach dieser Er scheinung leider so wenig. Ein leidenschaftliches Auflchnen gegen das Schicksal lag in ihren dunklen Augen, als fie in die Ferne hinaus blickte. „Es gibt Menschen, die sich Talent und Ruhm wünschen," flüsterte fie vor sich hin; „ich sehne mich nur nach Reichtum. Wenn jetzt eine günstige Fee vor mir stände und mir die Er- Muug meines Wunsches verspräche, so würde meine einzige Bitte sein: gib mir eine Stellung in der Welt und das nötige Geld dazu." Sie horchte auf. Rief da nicht jemand ihren Namen? „Miß Rayner, wo find Sie nur?" ertönte es wieder. Einen Augenblick erschrak sie, als fie an ihre Träumereien dachte, dann zog ein Lächeln über ihr Gesicht. „Ach, es ist ja nur Johann! Ich meine, er könnte mich den letzten Ferientag ungestört genießen lassen. Was kann er nur wollen?" Leonie Rayner verließ langsam ihren Lieb lingsplatz und ging auf den alten Mann zu. „Miß Rayner," sagte dieser, „es ist Besuch für Sie da." „Ich kenne aber auf der ganzen Welt nie mand, Johann, und bin daher neugierig, wer mich besuchen will." „Zwei Herren, die beide wie Advokaten aussehen! Sie fragten nach Miß Rayner, und sagten, daß wichtige Angelegenheiten fie herführtcn." „Ich komme," erwiderte das junge Mädchen, „die Sache wird wohl für Miß Templeton sein." Sie ging langsam dem Hause zu und sah zu den fest verschlossenen Fenstern hinauf. „Wenn die Sonne doch auch Pension zahlen wollte," sagte fie, „dann würde ihr der Eintritt nicht verwehrt werden." Im Hausflur traf sie ein älteres, unfreundlich aussehendes Stubenmädchen. „Miß Rayner," sagte diese, „es paßt gar nicht gut, daß Sie jetzt Herren im Salon em pfangen. Ich wollte gerade dort aufräumcn, Miß Templeton wird gegen Abend zurück kehren." Es war nur die Unverschämtheit eines Dienstboten, aber doch so verletzend, daß ihr eine heiße Röte ins Gesicht stieg. Sie wür digte das Mädchen keiner Antwort und öffnete schnell die Thür zum Salon. Zwei Herren saßen in Miß Templetons Sesseln und sahen bei ihrem Eintritt erstaunt empor. Der Aeltere kam auf fie zu. „Ich wünsche, Miß Rayner zu sprechen," sagte er, „Miß Leonie Rayner." „Ich bin die einzige des Namens hier," erwiederte das junge Mädchen mit ruhiger Würde. „Verzeihen Sie, ich war nicht darauf vor bereitet, eine so junge Dame vor mir zu sehen. Gern hätte er „und schöne" hinzugefügt, doch er unterdrückte das und schob ihr einen Sessel hin. „Wenn Miß Templeton das sähe!" dachte Leonie, innerlich lächelnd. „Ihre Gouvernante empfängt Herren im Salon!" „Mein Geschäft hier ist sehr wichtig für Sie, Miß Rayner," fuhr der Fremde fort, „erlauben Sie, daß ich mich vorstcllc! Mein Name ist Clemens, von der Firma Clemens und Forster in London. Wir sind Rechtsanwälte," fügte er mit einem Lächeln über ihre offenbare Unkennt« nis so berühmter Namen hinzu. Leonie verbeugte sich. „Und hier stelle ich Ihnen Mr. Dunscombe vor, er verwaltet seit längeren Jahren die Güter der Familie Charnlcigh." Sic wurde immer verwirrter. Was wollten diese Herren von ihr?
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