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Allgemeiner Anzeiger : 22.05.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189705223
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- Zeitungen
- Saxonica
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1897
-
Monat
1897-05
- Tag 1897-05-22
-
Monat
1897-05
-
Jahr
1897
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 22.05.1897
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politische Rundschau. Deutschland. *Der Kaiser nahm am Dienstag in Wiesbaden aus Anlaß des Geburtstages desZaren die Nagelung der neuen Standarte vor, die der russische Kaiser dem Husaren- Regiment „Kaiser Nikolaus ll." geschenkt hat. Sodann empfing der Kaiser die Offiziers- Deputation deS 13. Husaren-Regiments, die am 1. k. nach Rom reist, um ihrem Chef, dem König Humbert, zu seinem 25jährigen Re- gicrungsjubiläum zu gratulieren. *An die Gasteiner Kurleitung ist die Weisung ergangen, daßFürstBismarck in diesem Jahre zum Kurgebrauch dort ein treffen wird. * Auf zahlreiche Begnadigungs gesuche, die seitens der Angehörigen von Militär strafgefangenen aus Anlaß der Hundertjahrfeier an den Kaiser gerichtet wurden, wurde, nach der,Germ.', den Petenten von den militärischen Behörden mitgeteilt, daß die Gesuche beim Kaiser nicht befürwortet werden konnten. Bei fortgesetzter guter Führung habe der Verurteilte — nach Verbüßung von drei Vierteln seiner Strafzeit — jedoch Ausficht, „vorläufig" entlassen zu werden. * Das Reichsverficherungsamt hat in einer beachtenswerten Entscheidung ausdrücklich aus gesprochen, daß eine Verjährung des An spruchs auf Invaliden- oder Alters rente nie eintretcn kann, weil das geltende Gesetz keine Bestimmung über die Verjährung enthält. Bei der reichsgesetzlichen Unfall versicherung ist die Verjährungsfrist be kanntlich auf zwei Jahre festgelegt. * Nach der Aufstellung des Neichscisenbahn- amts find auf den deutschen Bahnen — die bayrischen ausgenommen — im Monat März 192 Entgleisungen, Zusammenstöße und sonstige Betriebsunfälle vorgekommen. Es wurden dabei getötet: 5 Reisende, 30 Bahn beamte und Bahnarbeiter und 12 fremde Personen; verletzt wurden 8 Reisende, 81 Beamte und 13 fremde Personen. * Der elfte ordentliche Berufsgenosscn- schaftstag ist vom Vorsitzenden des Ver bandes der deutschen Berufsgenosscnschaften, Reichstagsabg. Röficke, zum 15. Juni d. nach Berlin einberufen worden. Auf der Tagesordnung steht als Hauptpunkt die Vereinfachung der Arbeiterversicherung und die Ab änderung der Unfallverficherungsgesetze. * Fünf Eisenb ah n pr o j ekte für Afrika find nach dem,Hamb. Korr/ in der Ausarbeitung begriffen. Es handelt sich um eine ostafrikanische Zentralbahn, die Fortsetzung der verkrachten Usambaralinie, um zwei Eisen bahnen im Norden und Süden von Südwest- Afrika und endlich um eine Eisenbahn im Togo- Gebiet. Oesterreich-Ungarn. *Die Opposition der Deutschen gegen die Sprachenverordnung nimmt einen immer allgemeineren und bedenklicheren Charakter an. Wie einem hiesigen Blatte aus Graz gemeldet wird, hat der Grazer Gemeinde rat die Nichtbeteiligung der Stadt Graz an der Wohlfahrtsausstellung anläßlich des Kaiser jubiläums im Jahre 1898 in Wien beschlossen, da Graf Badeni, unter dessen Regime die Sprachenverordnungen erlassen wurden, als Protektor an der Spitze der Ausstellung steht. Dänemark. * Die dänische Ministerkrisis zieht sich endlos hin. Niemand von den in Frage kommenden Staatsmännern will die Verant wortlichkeit übernehmen. Es scheint, daß der König zu weit gegangen ist und dahin kommen wird, den bisherigen Ministerpräsidenten mit der Neubildung des Kabinetts zu betrauen. Rustlanv. * Der russische FinanzministerWitte wird wahrscheinlich von seinem Amt zurück- trcten, weil er wegen der Aussichtslosigkeit fernerer russischer Anleihen in Frankreich und wegen seines Mißerfolges in der Währungs politik beim Zaren in Ungnade gefallen sei. *Jm Januar hat in Rußland eine all gemeine Volkszählung -stattgcsunden. Ueber ihre Ergebnisse berichtet der Petersburger ,Regierungsbote' dahin, daß das gesamte Ruß land nach den vorläufigen Feststellungen eine Bevölkerung von 129 211430 Köpfen hat gegen 108819 332 im Jahre 1885. Der Flächen raum des Reiches beträgt 18 990 735 Quadrat werst. Von den größten Städten haben Peters burg 1267 023, Moskau 988 610, Warschau 614 752, Odessa 404 651, Lodz 314 780, Riga 282 943 und Kiew 248 750 Einwohner. Balkanstaaten. *Der Sultan hat am Dienstag den Befehl zur Einstellung der Feindselig keiten gegen Griechenland gegeben. Diese Nachricht ist um so überraschender, als bisher nichts davon verlautet, daß Griechenland auch seinerseits schon auf die gestellten Bedingungen eingegangen ist. Die Großmächte scheinen also in Konstantinopel das Uebergewicht über die Kriegspartei erlangt zu haben. * Wie verlautet, wurde in Athen ein Kom plott zur Ermordung desKönigs und zur Entthronung der königl. Familie entdeckt. Zahlreiche Verhaftungen wurden vorgenommen: es befinden sich unter den Festgenommenen auch zwei italienische Anarchisten, angeblich die Rädels- sührer. Amerika. * Präsident Mac Kinley sandte, wie schon angekündigt, eine Botschaft an den Kon greß, in welcher er die Bewilligung von mindestens 50 000 Dollar verlangt, um die hilfsbedürftigen amerikanischenBürger auf Cuba zu unterstützen und den selben, wenn sie es wünschen, die Rückkehr nach den Ver. Staaten zu ermöglichen. Der Senat hat eine der Botschaft des Präsidenten ent sprechende Resolution angenommen; eine gleiche Resolution wurde hingegen im Repräsentanten- hause abgelehnt. Die Botschaft erwähnt Spanien in keiner Weise. Afrika. *Jn Abessinien suchen die Russen die Oberhand zu bekommen. So melden die .Times' aus Odessa, daß binnen kurzer Zeit 20bis 30 r u ssis ch e Arme e i nsp e k t o re n nach Abessinien abgehen werden, und von anderer Seite wird berichtet, daß in Petersburg eine große Zahl russischer Güter zusammen gebracht wird zur Beförderung nach Abessinien, von wo aus dann die dortigen Produkte nach Rußland zurückbefördert werden. Es spinnt sich also zwischen den beiden Ländern ein an scheinend wohlorganifierter Handelsverkehr an. Deutscher Reichstag. Am 18. d. steht zunächst in erster-'Lesung daS von dem Abg. Rickert (fr. Vgg.) mit Unterstützung der beiden freisinnigen Gruppen, der süddeutschen Volkspartei, des Zentrums, der Polen, Antisemiten und Sozialdemokraten eingebrachte Not-Ver einsgesetz, durch das bestimmt werden soll: „Inländische Vereine dürfen mit einander in Ver- bfndnng treten. Entgegenstehende ländesgefetzliche Bestimmungen sind ausgehoben." Abg. Rickert: Dieser Antrag ist keine leere Demonstration. Er wendet sich allerdings gegen das preußische Gesetz, das 'setzt zur Beratung steht. In diesem Gesetze aber »rüsten wir eine Art Kriegs erklärung gegen Re Reichsgesetzgebung erblicken. Wir müssen der preußischen Regierung sede Be rechtigung zu ihrem Vorgehen absprechen. Fast alle deutschen Vercinsgescye stammen aus der Zeit vor der Gründung des Deutschen Reiches. Der Reichs kanzler hat gestern auf ähnliche Vorschriften in Baden und B-mern verwiesen. Diese Vorschriften stammen indes aus den 50 er Jahren. In diesen Staaten ist mich nie so etwas vorgckommen, wie wir es jetzt in Pommern erleben müssen. In Sachsen hat man' allerdings noch schärfere Be stimmungen und macht von ihnen ausgiebigen Ge brauch. Aber dort nimmt auch die Sozialdemokratie beständig zu, sig zählt schon 46 Prozent aller Wähler. Sie haben es so -darmstellt, als sei die Aufhebung des Koalitionsverbots eine' wunder wie große Sache, die nur gegen Kompensation zuzugestchen ist. Ich hoffe aber, die preußische Vorlage wird nicht durch gehen, und daS deutsche Volk ivird hier in dieser Frage hinter dem Reichstage stehen. Staatssekretär v. Bötticher: Die preußische Regierung hat die Vorlage gemacht in der Absicht, ihr Vcreinsgesetz zu verbessern. Die preußische Negierung war zu ihrem Vorgehen auch durchaus berechtigt, - o lange ein Rcichs-Lcreinsgesetz noch nicht gesausten ist- Sie wünscht nichts, als Hand haben zu gewinnen gegen Mißbräuche, die hervor getreten sind. Sie hält sich dabei auf derselben Linie, wie andere Staaten. Der Antrag hat also nur einen demonstrativen Eharakter. Das geht schon daraus hervor, daß der gleiche Antrag schon im vorigen Jahr angenommen ist und dem Bundesrat noch vorliegt. Wenn ich die Stimmung des preußi schen Herrenhauses richtig taxiere, so dürfte das, was die preußische Regierung fordert, diesem Hause noch nicht ausreichend erscheinen. Abg. Lieber (Zentr.): Der Antrag ist keines wegs eine Demonstration. Er ist ein einfacher Akt der Notwehr. Das preußische Gesetz ist alles andere, nur keine Einlösung des uns gegebenen Versprechens. Die preußische Vereinsvorlage ist nichts als ein neues Umsturzgesetz, nur mit dem Unterschiede, daß über die Bestimmungen des früheren Gesetzes der ordentliche Richter zu urteilen hatte, während es sich hier um ein reines Polizeigesetz handelte. Wie solche gehandhabt werden können, dafür haben wir noch jetzt ein warnendes Beispiel gehabt in „Putt- kamerun." Mit dem vorliegenden Notgesetz soll es nicht etwa sein Bewenden haben. Der Reichstag muß hier nur ein klares Wort sprechen: In diesem Punkte gibt es keinen Aufschub mehr. Abg. v. Kardorff (freikons.): Ich kann den Zweck deS Antrages nicht einsehen. Man wird doch nicht etwa meinen, daß seine Annahme irgend welchen Eindruck auf das Abgeordnetenhaus und das Herren haus machen wird. Ein Versprechen im Sinne des Abg. Lieber konnte der Reichskanzler gar nicht geben, denn er ist nicht Autokrat. Er bedarf der Zustim mung des Preuß. Ministeriums und beider Häuser des Landtages. Diese würden einer bloßen Auf hebung des Koalitionsvcrbotes aber niemals zustim men. Wir haben immer Ausnahmebestimmungen gegen die Sozialdemokratie für nötig gehalten. Es ist nicht richtig, daß die letztere unter dem Aus nahmegesetz gewachsen sei. Nach Aushebung des Sozialistengesetzes sind die sozialdemokratischen Stim men noch viel erheblicher gewachsen. Wir sind zwar nicht mit allen Bestimmungen des Gesetzes einver standen, aber in diesem Sinne unterstützen wir die preuß. Regierung. Abg. Singer (soz.): Zum Anwachsen der Sozialdemokratie hat vor allem andern die aus raubende Thätigkeit der preußischen Junker bcige- tragen, die ja auch heute noch bedauern, daß wir kein Sozialistengesetz mehr haben. Aus den Reihen der Rechten ist auch die erste Anregung zu dem neuen preußischen Vcreinsgesetz gegeben worden, das nur als Einleitung zu einem Staatsstreich ausgesaßt werden kann. Wir protestieren gegen die Vorlage, weil sie die Ehre und Würde der Nation verletzt. Das gesamte Volk, mit Ausnahme der paar Duvend Leute, deren materielle Interessen von der Regie rung gewahrt werden, veru-steilt die Vorlage. Der heutige Antrag wird zweifellos angenommen werden. Aus die Zustimmung des Bundesrats zu demselben dürfen wir nicht hoffen. Wir müssen dann bestrebt sein, unseren Willen durchzujcsen. Eventücll brauchen wir nur die Erledigung unserer parla mentarischen Pflichten so lange zu sistieren, "bis die Annabme des Beschlusses durch den Bundes rat im ,Reichsanzeiger' publiziert ist. In einem solchen Kostflikt würde das Volk hinter dem Reichstag stehen. Staatssekretär v. Bötticher: Abg. Singer 'sieht in der preußischen Novelle den Anfang eines Staatsstreichs. Ich kann dem Vorredner aber sagen, keines der Mitglieder der Negierung würde die Hand zu einem Staatsstreich bieten. Ich bitte daher, die Beleidigung, die in diefer Behauptung für alle liegt, die den Eid auf die Verfassung geleistet haben, nicht zu wiederholen. Abg. v. Levetzow (kons.) bedauert.den heute hier gegen das preußische Abgeordnetenhaus ange schlagenen Ton. Als seiner, Zeit der Reichskanzler sein Versprechen wegen der Aushebung deS Verbots der Koalition abgegeben, sei zugleich ohne Wioer- spruch eine Reform des VercinsgcsetzeS' angeregt worden. Er verstehe also den^ Sturm gegen die preußische Novelle nicht und hoffe, daß dieselbe an genommen werde. Abg. Richter (fr. Vp.): Daß Herr v. Bötticher, der bekannte Dauerminister, die preußische Vorlage überdauern wird, glaube auch ich. Weshalb ist aber der Reichskanzler nicht selbst hier? An ihn wollen wir uns wenden, denn wir haben im Vertrauen auf ihn im vorigen Jahre unseren Standpunkt auf gegeben, und unser Vertrauen ist getauscht worden. Wir mußten die Aufhebung des Koalitionsverbots in das Bürgerliche Gesetzbuch aufnehmm. Heute muß man annehmen, daß cs damals nur darauf abgesehen war, mit dem Koalitionsverbot andere reaktionäre Bestimmungen in das Vereinsrechi zu bringen. Here v. Bötticher sagt, kein Minister denke an einen Staatsstreich. Aber die Minister sind doch auch nur ephemere Existenzen. Sie wissen nicht, ob sic den Abend noch erleben. ! Abg. Bassermann (nat.-lib.): Wenn meine Freunde den Antrag Rickert auch nichl unterstützt haben, so werden sie doch für denselben stimmen. Wir haben keinen Anlaß, von unserem früheren Standpunkt abzugehen. Das Versprechen des Reichs kanzlers ist von uns dahin aufgefaßt worden, daß dem Wunsche des Reichstages auf Aufhebung des Verbindungs» Rechnung getragen und daß keine reaktionären Bestimmungen getroffen wer den sollten. Hätte eine solche Absicht damals be standen, so hätte cs offen vom Reichskanzler aus gesprochen werden müssen. Das ist nicht geschehen. Gleichwohl kommt jetzt eine Vorlage, die für die ganze liberale Seite, auch für meine Freunde unan nehmbar ist. Die Bekämpfung sozialdemokratischer Bestrebungen ist auch unsere Ausgabe. Wir halten aber den Kampf mit solchen Mitteln für verfehlt. Nach kurzen Ausführungen deS Abg. Hauß mann wird die Diskussion geschlossen. Das Haus tritt sofort in die zweite Lesung des Antrages ein. Abg. Zimmermann (Antis.) erklärt, daß er das Vertrauen zu Zusagen der Minister längst verloren habe. Den Vorteil von der preußischen Novelle werde nur die Sozialdcmokeatie und das freisinnige Bürgertum haben. Letzteres werde durch diese Vorlage zu neuem Leben erweckt und sollte den Urhebern der Vorlage die Hände küssen. Die Art, wie in Sachsen das Vereins- und Lcrsamm- lungsrecht gehandhabt werde, komme nur der Sozial demokratie zu Gute. Die Debatte wird geschlossen. Die Abstimmung über den einzigen Artikel ist eine namentliche. Es beteiligen sich an der Abstimmung im ganzen 261 Mitglieder, 1 Mitglied cnrhält sich der Ab stimmung. Für den Artikel stimmen 207» gegen denselben 53 Mitglieder. Der Antrag ist sonach mit 154 Stimmen Mehr heit angenommen. Vt-utz» cher Im Abgeordnetenhause stand am Montag die Novelle zum Vcreinsgesetz zur ersten Beratung. Ministerpräsident Fürst Hohenlohe erklärte, er sehe sich genötigt, einem vielfach erhobenen Vorwurf ent gegenzutreten, daß die f. Z im Reichstage gegebene Zusage nicht erfüllt sei. Er habe damals erklärt, eS liege in der Absicht der verbündeten Negierungen, das VcrbindungSverbot aufzuheben, um dem durch das Verbot geschaffenen Rechtszustande abzuhelfen. Aus die Bemerkung eines Abgeordneten, es könnten in den Einzelstaatcn vielleicht Bedingungen an die Aufhebung des Verbots geknüpft werden, erfolgte -vom Bundesratstischc keine Antwort, weil die preuß. Regierung sich damals noch nicht schlüssig gemacht hatte. Wenn nun den damals gehegten Erwartungen ent gegen jetzt weitere Modifikationen des Vereins- und Versammlungsrcchts vorgeschlageu werden, so glaubte die Regierung, daß dies der geeignetste Weg sei, ihr gegebenes Versprechen auch einzuhalten. Das ausschlaggebende Moment bei der jetzigen Vorlage sei, daß die Verordnung von 1850 nicht genüge, um die gesetzliche Ordnung und Sicherheit zu verbürgen. Die Vorlage gehe nicht hinaus über das, was auch schon in anderen deutschen Staaten Recht sei. Abg. Krause (nat.-lib.) meinte, wenn die Polizei (nach Art. 5) das Recht habe, eine Versammlung aufzulöscn, wenn nach ihrer Ansicht Minderjährige sich in ihr befinden, dann sei das ganze Vcrsammlungsrccht aufgehoben. Gegnerische Parteien könnten dann ja absichtlich junge Leute in Versammlungen ihrer Gegner schicken, um deren Auslösung herbeizuführen. Seine Freunde seien einig darin, daß diese Vorlage nicht geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu sichern. Abg. v. d. Heydc- brand (kous.) erklärte, seine Freunde erkennen an, daß die Vorlage durchaus das Richtige treffe und würden für dieselbe eintreten. Minister v. d. Recke bedauerte den Standpunkt des Abg. Krause. Die Regierung habe durchaus keine rückschrittlichen Ab sichten, sie wolle das Vereinsgesetz im Gegenteil er leichtern. Die Abgg. Fritzen (Zentr.) und Rickert (srs. Vgg.) bekämpften den Entwurf, der eine Ver- fasfuugsäudcrung enthalte, gegen welche zahlreiche Bedenken sprechen und der geeignet sei, dm öffent lichen Frieden zu stören. Im Abgeordnetenhaus« endete am Dienstag di« erste Beratung dcr Vereinsgesetz-Novelle mit Ver weisung an eine Kommission. In der fortgesetzten Beratung sprach sich Abg. Stöcker (christlich-sozial) scharf gegen den Entwurf aus, der die Bekämpfung der Sozialdemokratie geradezu erschwere und dm Sozialdemokraten nur neues Agitationsmatcrial liefere. Abg. Klasing (kons.) bemerkte, daß Herr Stöcker mit seinen Anschauungen allein dastche und nannte die Vorlage nur ein „kleines Mittel" zur Bekämpfung der Sozialdemokratie. Abg. Motty iPole) meinte, wenn die Vorlage Gesetz würde, würden die Polen noch mehr von der Polizei zu leiden haben. Abgg. Kirsch (Zentr.) und Oswalt (nat.-lib.) legten nochmals die Gründe für die ab lehnende Haltung ihrer Parteien dar. Abg. Träger (srcis. Vp.) erklärte, der polizeilichen Willkür würde durch die Vorlage Thür und Thor geöffnet. Leidenschaft und Liebe. ISj Roman von C. Btlmar. «Fortsetzung.) Mit jubelnder Freude begrüßte Melitta die von ihr stets so sehr geliebte Frühlingszeit; sie fühlte sich glücklich und zufrieden wie nie in ihrem Leben. Alle bangen Ahnungen waren verschwunden, heiter und sonnig lag ihr Lebenspfad vor ihr, fie liebte ihren Gatten und wußte sich von ihm geliebt, fie hatte eine ihr zärtlich ergebene Freundin, in Konrad einen treuen Bruder, was wollte fie mehr? -Alle Phantastereien ihrer Mädchenjahre lagen weit hinter ihr, fie vergaß ihre thörichten Wünsche und Träume von ehedem; ihr Haus war ihre Welt und ihr Wgott der Mann, den fie ihren Gatten nannte. An einem schönen warmen Sonntagsnach mittag fuhr das Volkmannsche Ehepaar mit Konrad nach dem Herrenhause. Tante Amanda empfing fie geschäftig im Hofe. „Wie gut, daß Sie kommen," rief fie ell- fe-'ig, „wir haben gar seltene Gäste bekommen." „Darum find Sie heute so schön, Tantchen," .chte Melitta übermütig; „lichtgraue Seiden robe mit dunkelroten Schleifen, Tantchen, Tantchen, ich wette, cs find junge Herren da." Sie drohte ihr schelmisch mit dem Finger, Fräulein Amanda wurde so rot wie ihre Band schleife." „Herren und Damen, kommen Sie nur, Rosina wird Ihre Gegenwart als eine Erlösung begrüßen; Sie wissen ja, fie fühlt sich immer beengt, wenn viele Fremde da find, — bitte, hier herein, alles ist im Gartensalon versammelt." Melitta trat am Arme ihres Gatten fröhlich ein, aber wie vom Blitze getroffen blieb fie an der Schwelle stehen. Ueber den Lehnstuhl des Hausherrn gebeugt stand Cornaro, einige Schritte weiter, mit mehreren Herren lachend und plaudernd, die Baronin Königsegg. Melittas erste Regung war, sofort den Salon zu verlassen. O hätte fie geahnt, was ihrer hier wartete, um keinen Preis der Welt würde sie heute die Schwelle dieses ihr sonst so lieben Hauses betteten haben! Jetzt war es zu spät zur Umkehr; fie mußte hier bleiben, lächeln und freundliche Worte sprechen, während ihr Herz sich krampfhaft zu sammenzog in der Vorahnung eines bitteren Kummers. Sie hatte gewähnt, stets sorgenfrei und glücklich leben zu können, sie hatte sich in der süßen Hoffnung gewiegt, dem ihr so sehr ver haßten Manne nie wieder zu begegnen, allein das unerbittliche Geschick wollte fie nicht ver schonen, es hatte ihr nur Zeit gelassen, aber jetzt war es da. Sie erkannte deutlich, was die höhnischen Blicke der Baronin bedeuteten; diese Frau war ihr niemals gewogen gewesen, es galt jetzt einen Kampf, den Kampf um ihr Glück. Frau Balding kam der Eintretenden ent gegen; fie iah blaß und niedergedrückt aus. Mit krampfhaftem Drucke preßte fie Melittas Hand in der ihrigen. „Wie froh bin ich, daß ihr gekommen seid!" sagte fie leise. Melitta konnte nicht antworten; die Kehle war wie zugeschnürt, eine heiße Angst bemächtigte sich ihrer — was würde der heuttge Tag noch bringen? Ballung rief den neuangekommenen Gästen ein fröhliches „Willkommen" zu. Er stellte Cor naro als einen alten lieben Freund vor; der Künstler verneigte sich lächelnd und sagte, Melitta einen glühenden Blick zuwerfend: „Ich bin entzückt, meine Gnädige, Sie so schön und blühend wiederzusehen." Er machte eine Bewegung, Melittas Hand zu küssen; fie zog sich scheu einige Schritte zu rück. Ihr Gatte bettachtete diesen Vorgang mit gerunzelter Stirn; die Art und Weise des Künst lers hatte ihn offenbar verletzt. Balbing bemerkte bie Verstimmung seiner Gäste; er zog Volkmann in ein lebhaftes Ge spräch, um ihn den üblen Eindruck vergessen zu machen, welchen das Benehmen Cornaros her vorgerufen. Melitta wandte sich zu Rosina; fie machte sich die bittersten Vorwürfe über ihre Fassungs losigkeit und nahm sich vor, Cornaro mit kühler Ruhe zu begegnen. Sie vermied vorsichtig die Nähe der Baronin, welche ihrerseits unausgesetzt Konrad beobachtete. Es waren eine Menge Personen, welche Melitta noch nie im Herrenhause getroffen; Herren und Damen, sämtliche Gäste der Baronin, welche vor kurzem von Poris zurückgekehrt war. Melitta fühlte sich äußerst unbehaglich in diesem Kreise; das Benehmen der Damen kam ihr etwas degagiert vor und- die Herren über häuften fie mit Schmeicheleken, 'an denen sie keinen Gefallen fand. Rosina machte die Honneurs mit gemessener Förmlichkeit; ihr Ge sicht war ruhig und unbeweglich, aber in den klaren Augen blitzte es manchmal wie ver haltener Zorn. Zuweilen sandte sic einen for schenden Blick zu ihrem Gatten, welcher das be lebende Element der Gesellschaft bildete. Er sprach tapfer den servierten Erfrischungen zu und nötigte unaufhörlich seine Gäste, doch seinem Beispiel zu folgen. Man drang in Cornaro, welcher sein Jnstru- ment mitgebracht, irgend etwas zu spielen; der Künstler ließ sich eine Weile bitten, dann fügte er sich den Wünschen der Gesellschaft. Melitta flüchtete in die dunkelste Ecke, als er zu spielen begann. Er spielte eine jener süßen, ergreifenden Weisen, die er, wie er damals gesagt, aus MelittaS Augen gelesen hatte. Atemlos, mit fliegenden Pulsen, lauschte die junge Frau. Die vergessene Vergangenheit stieg wieder vor ihr empor und sie vermeinte, ihr Herz müsse brechen vor Reue und Schmerz. Als sich der Beifallssturm ein wenig gelegt hatte, näherte sich Cornaro der jungen Frau. — „Wollen wir wieder einmal miteinander spielen?" sagte er zu ihr in bittendem Tone. Sie sah ihn kalt au. „Sie würden an mir eine schlechte Partnerin finden, mein Herr; meine Haushaltungsgeschäfte lassen mir wenig Zeit zuM Ueben übrig. „Melitta!" Sic maß ihn mit einem verächtlichen Blicke. Die Baronin kam mit lächelnder Miene daher gerauscht. „O bitte, bitte, spielen Sie doch mit Her« Cornaro.
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