Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 19.12.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189612194
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18961219
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18961219
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-12
- Tag 1896-12-19
-
Monat
1896-12
-
Jahr
1896
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 19.12.1896
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Völkische Rnndschau. Teutschland. * Der Kaiser hatte sein Erscheinen bei dem am 17. d. von dem Reichskanzler ver anstalteten parlamentarischen Diner zugesagt. * Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Frhr. v. Marschall, ist seit einigen Tagen erkrankt. Sein Befinden hat sich zwar swon etwas gebessert, zwingt ihn aber, noch das Bett zu hüten. *Jn der Bundesratssitzung vom Montag wurde dem mündlichen Ausschußberichte über die Vorlage betr. eine Erklärung zwischen dem Reich und Frankreich wegen Tunis die Zustimmung erteilt. * Der Seniorenkonvent des Reichs tages hat beschlossen, daß dieFeriendes Reichstages am 18. d. beginnen, die Plenarsitzungen am 12. Januar wieder eröffnet werden sollen. *Jn der im Reichsamt des Innern abge haltenen Konferenz über die Entsendung von Sachverständigen nach O st a s i e n, an der außer den Vertretern der verschiedensten Industriezweige Beamte des Reichsamts des Innern und des Preuß. Handelsministeriums teilnahmen, wurde fcstgestellt, daß die Vorbe reitungen für die Expedition so gefördert seien, daß dieselbe Ende Januar von Bremen aus ihre Reise antrcten kann. Es darf mit An erkennung verzeichnet werden, daß der Nord deutsche Lloyd den Theilnehmern an der Expe dition freie Hin- und Rückfahrt zugesichert hat. * Der Hamburger Senat bringt zur öffentlichen Kenntnis, daß am 15. Dezember der demnächst in Betrieb zu nehmende neue Seeschiffhafen in Kuxhaven durch cine vom Bundesrat genehmigte Abänderung der Zoll grenze vom Zollgebiet ausgeschlossen und mit einem den Hasen umgebenden Landstrcifen zum Freihafen erklärt wird. * Bezüglich der Mitteilung über cine angeb lich bevorstehende Forderung für die Neu- bewaffnung der Artillerie wird offiziös erklärt, daß dem Bundesrat bisher keinerlei Vorlage dieses Inhalts zugegangen sei. Oesterreich-Ungarn. *Jm Wiener Abgeordnctcnhause kam im Laufe der Spezialberatung des Budgets die Debatte auf die auswärtige Politik. Von jungtschechischer Seite wurde der D re i- bund angegriffen. Der deutschliberale Abg. Menger führte dagegen aus, die Grund lage der Politik Oesterreichs sei der Dreibund und dürfte es wahrscheinlich noch viele Jahre bleiben. Er und seine Freunde, so fügte Menger hinzu, hegten sogar den Wunsch, den sic nie mals verhehlt hätten, daß dies Bündnis festere Formen annchmc und daß die beiden Reiche in ein dauerndes staats rechtliches Bündnis zueinander teten möchten. Diese Worte wurden von der Linken mit lebhaftem Beifall ausgenommen. * Die Einführung der 24 stündigenZeit zählung auf allen Bahnen hat die euro päische Fahrplan-Konferenz in Wien am Freitag beschlossen. *Jn Budapest erregt Aufsehen die Ver öffentlichung von drei Aktenstücken im Magyar Orszag', welche offenbar aus dem Ackcrbauministeriumge stöhlen wor den sind. Der Inhalt derselben ist nicht von solchem Belang, wie der Umstand, daß derartige vertrauliche Akten überhaupt entwendet werden konnten. Es handelt sich um die Verhandlungen zwischen Rußland und Deutschland bezüglich der Beseitigung von Mißverständnissen bei der Aus legung des russisch-deutschen Handesververtragcs. Frankreich. *Jn der Deputicrtcnkammer wurde dieser Tage von dem Abgeordneten Hörissü der An trag auf Errichtung von fünfundzwanzig Radfahrer-Kompanien cingcbracht. Sieben dieser Kompanien, die den unabhängigen Kavallerie-Divisionen zugcteilt werden sollen, find auf die Stärke von 5 Offizieren, 29 Unter offizieren, 4 Spielleuten und 166 Mann be rechnet. Die übrigen Kompanien, von denen jedes Armeekorps eine erhalten würde, sollen je drei Offiziere, 16 Unteroffiziere und 2 Spiel leute, 96 Diann stark sein. Aus den Reihen der Reservisten können jedoch auch diese Kompanien jederzeit auf insgesamt 244 Köpfe verstärkt werden. Schweiz. * Der Bundesrat hat beschlossen, einDank - schreiben an die deutsche Regierung zu richten für die ausgezeichneten Dienste, die der deutsche Vertreter in Chile, v. Treskow, in dem Falle Meier-Krieghoff den dort ansässigen Schweizern geleistet hat. Italien. * In Italien find die Aktenstücke zum Drucke gelangt, aus denen hervorgehen soll, daß unter dem Ministerium Crispi insbesondere mit den Geldern, die aus der Sammlung für die durch das Erdbeben Beschädigten cingegangen sind, arg gewirtschaft worden ist. Diese Gelder sollen vielfach nicht nach der Be dürftigkeit, sondern zum Zwecke politischer Agitation verteilt worden sein. Es darf aber im Interesse der gegenwärtigen Regierung gehofft werden, daß die angestellte Untersuchung sich nicht zu einem Tendenzprozesse gegen Crispi selbst gestalte, da er für das Verhalten einzelner seiner Anhänger nicht ohne weiteres verantwort lich gemacht werden könnte, wie das von den Ultraradikalen verlangt wird. * Die Rückkehr der italienischen Ge fangenen des Negus von Abessinien voll zieht sich ohne Zwischenfalls. Die ,Agenzia Stefani' teilt ein Telegramm des Majors Nerazzini aus Zeila mit, wonach Nerazzini am 5. d. mit 215 Gefangenen, darunter 7 Offi zieren, Harrar verließ und am 17. oder 18. mit denselben in Zeila einzutreffen hofft. Spanien. * In Spanien sollen demnächst 4000 Marine mannschaften einberufen werden als Besatzung für die n eu en P anzer, deren Bau in kurzer Zeit vollendet sein wird. * Nach einer in der amtlichen ,Gaceta' ver öffentlichten Abrechnung hat der cubanische Feldzug in der Zeit vom 4. März 1895 bis zum 30. Juni 1896 255 Millionen Mark ge kostet. Die Abrechnung über die vom 1. Juli bis zum 31. Dezember d. verausgabten Summen wird im Januar erscheinen. * An dem Tode des cubanischen Jnsurgentcn- führers Antonio Maceo ist wohl nicht mehr zu zweifeln, auch nicht daran, daß er im Gefechte bei Punta de Brava gefallen ist. Die von Amerika verbreitete Version, er sei nicht in ehrlichem Kampfe getötet, sondern von seinem von Weylcr bestochenen Leibarzt Certucha ver giftet worden, ist nichts als eine Erfindung, deren Keim vielleicht in der Thatsache zu suchen ist, daß Certucha sich den spanischen Behörden gestellt hat. Balkanstaate». * Die ,Nordd. Allg. Ztg.' bezeichnet in türkischem Auftrage die Meldung von der Flucht des Exsultans M ur ad als völlig aus der Luft gegriffen. Murad lebe nach wie vor in seinem Palais von Tscheraghan am Bosporus. Der Geisteszustand, in dem er bekanntlich seit Jahren sich befinde, würde außerdem etwas derartiges unmöglich machen. — (Was das letztere betrifft, so ist es bekannt, daß viele Leute nicht an die Geistes krankheit Murads glauben.) *Die gemeinsamen diplomatischen Schritte der Großmächte in Konstantinopel halten ein sehr maßvolles Tempo ein. Rußland hat seinen bekannten Standpunkt in den türkischen Angelegenheiten allem Anschein nach nicht ge ändert. Unterrichtete Kreise glauben, man wolle in Petersburg dem Sultan und der Pforte auch jetzt noch nicht allzu schroff begegnen und man neige dort einem behutsamen Vor gehen zu, während bekanntlich einige Groß mächte möglichst energisch vorgehen wollen. Indes bezweifelt man nicht, daß ein Einver ständnis zwischen den Kabinetten er zielt und ein gemeinsamer Schritt Gesamt- Europas gegen Konstantinopel unternommen werden wird. *Die bulgarische Sobranje hat nach ihrer Eröffnung Dr. Jankulow zum ersten Vorsitzenden gewählt. Die Thronrede bewegt sich nach dem Stile Ferdinands zumeist in groß sprecherischen Phrasen. Amerika. *Jn Venezuela erhebt sich lebhafter Widerspruch gegen das Abkommen zwischen England und den Ver. Staaten von Nord- Amerika. Man nimmt ernsten Anstoß daran, daß Venezuela in dem einzusetzenden Schieds gericht garnicht vertreten sein, also über seinen Kopf weg die Sache entscheiden lassen soll. Afrika. * Aus Sansibar wird mitgeteilt, daß der da selbst in der Verbannung lebende, rechtmäßige Sultan des Suahelilandes (Witu) Fuwo Omari plötzlich v er s ch i ed e n ist. Gleich seinem Vorgänger in der Sultanswürde, Funo Bakari, soll er, so wird behauptet, eines natürlichen Todes nicht gestorben sein. In den deutschen Kreisen Ostafrikas hegt man nun die Befürchtung, daß das Ableben des Sultans von der britischen Regierung dazu benutzt werden wird, das Sultanat Witu dem groß britannischen Kolonialbesitz einzuverleiben. Es würde damit den britischen Maßnahmen, die sich seit Jahren gegen die Selbständigkeit des Sultanates richteten, die Krone aufgesetzt werden. Ans dem Reichstage. Der Reichstag begann am Montag die dritte Lesung der Justiznovelle. Abg. Spahn (Zcntr.) er klärte, seine Partei würde auf die von der Regierung bekämpften Beschlüsse der zweiten Lesung mit Aus nahme derjenigen verzichten, die sich auf die Be rufung, das Wiederaufnahmeverfahren und die Ent schädigung unschuldig Verurteilter beziehen. Abg. v. Buchka ikons.) wollte im wesentlichen die Kom missionsfassung wieder hergestellt wissen, während die Abgg. Bassermann (nat.-lib.) und Förster (Antis.) sich auf den Standpunkt des Zentrums stellten, dem sich auch die Abgg. Lcnzmann (frs. Vp.) und Görtz (frs. Vgg.) im Interesse des Zustandekommens des Gesetzes näherten. Abg. Stadthagen (soz.) hielt da gegen an den Forderungen seiner Partei fest. Am 15. d. wird die dritte Beratung der Justiznovelle fortgesetzt. Das Wort erhält zunächst Abg. v. Marquardscn, der seinen gegen Wiedereinführung der Berufung gerichteten Standpunkt vertritt. Er erklärt sich für die Bei behaltung des Fünsrichterkollegiums. Eine Ver schlechterung der ersten Instanz und des Vorver fahrens würde einen üblen Einfluß auch auf die zukünftige Militär-Strasprozcßreform ausüben. Staatssekretär Ni eberding hebt hervor, daß nach Lage der Sache die Entscheidung über die Vor lage ichlietzlich von Fragen abhängig sein werde, die er nur als Fragen zweiter Ordnung bezeichnen könne. Die Gründe, welche der Vorredner gegen die Berufung vorgebracht habe, könne er nicht als stichhaltig ansehen. Als man die Berufung anfhob, sei für die Mehrheit des Reichstags der Gesichts punkt maßgebend gewesen, daß die Einheit des Rechts wichtiger sei, als die Aufrcchthaltung der Berufung. Richtig sei, daß die verbündeten Regierungen der Berufung nicht ohne Bedenken gegenüberständen. Wenn sic aber die Bedenken zurückgestellt hätten, die vielleicht gegen die Berufung und andere Teile der Vorlage sprächen, so könne man eigentlich erwarten, baß auch der Reichstag seinerseits Entgegenkommen übe und nicht Forde rungen an die Vorlage knüpfe, welche es den ver bündeten Regierungen mindestens als zweifelhaft erscheinen lassen müßten, ob die Berufung die ge forderten Opfer wert fei. Diese Erwartung habe sich aber nicht erfüllt, vielmehr habe sich eine immer weitere Kluft zwischen den Anschauungen der ver bündeten Regierungen und der Mehrheit des Reichs tags aufgethan. Von der Forderung, daß die erste Instanz nur mit drei Richtern besetzt werde, wenn eine zweite Instanz mit fünf Richtern eingeführt werde, könnten die verbündeten Regierungen trotz der an sie gerichteten Appelle nicht ablassen. Wenn man dieses Festhalten als Eigensinn bezeichnet und es lediglich auf finanzielle Gründe zurückgcführt habe, so sei das durchaus unberechtigt. Schon bei den großen Justizgcsctzen hätten die verbündeten Regierungen den Standpunkt vertreten: Ohne Be rufung fünf Richter, bei Wiedereinführung der Be rufung aber drei Richter. Seit 20 Jahren sei dieser Standpunkt von den verbündeten Regierungen kon- segucnt fcstgehalten worden, für den sich auch ein so hervorragendes Mitglied des Zentrums, wie der Abg. Aug. Reichensperger ausgesprochen habe. Maß gebend für die verbündeten Regierungen für die Ab lehnung des Fünfrichtcrkollcgiums seien in erster Linie Bedenken, die aus der Organisation der Justizpflcae entsprängen, erst in zweiter Linie kämen finanzielle Bedenken in Betracht. Er betonte, daß sie an der Forderung des Drcirichter-Kollegiums auch auf die Gefahr hin festhielten, daß die ganze Vorlage scheuern würde. Des weiteren verteidigte der Staatssekretär nochmals die Stellungsnahme der verbündeten Re gierungen zu der Frage des Wiederaufnahme verfahrens, die sich mit der decke, die der Reichstag, selbst früher vertreten habe. Abg. Rintclen (Zentr.) glaubt der Frage, ob fünf, ob drei Richter, nicht eine solche Bedeutung Heilegen zu dürfen, daß daran die ganze Varlage scheitere, zumal die Verbesserungen, welche die Vor lage sonst bringe, die Stellung des Angeklagten im Prozesse entschieden verbessere. Wenn die Vorlage begraben werde, so werde man sie nie, oder doch sicher lange Zeit nicht Wiedersehen. Abg. v. Czarlinski (Pole) kommt auf die Ausführungen des Justizministers über die Verwen dung der Dolmetscher in den östlichen Provinzen Preußens zurück und fordert, daß man polnischen Angeklagten gestatte, sich in ihrer Muttersprache vor Gericht zn verteidigen. Justizminister Schön st cdt verweist auf ba- preußische Sprachengesetz von 1876, von welchem nicht abgegangen werden könne, da berechtigte An sprüche und Empfindungen der Polen nicht verletzt würden. Abg. Beckh (fr. Vp.) bedauert, daß man die Frage der Entschädigung unschuldig Verurteilter nicht aus dem Gesetz herausgegriffen und für sich be handelt habe. Im übrigen vertritt Redner noch ein mal den von der Auffassung der verbündeten Regie rungen abweichenden Standpunkt in betreff der einzelnen strittigen Fragen. Damit schließt die Generaldiskussion. In der Spczialdiskussion wird, entsprechend einem Anträge des Abg. Munckel (fr. Vp.) 8 77 voran gestellt. Nach dem geltenden Recht sind die Straf kammern mit fünf Richtern zu besetzen. Nach der Vorlage sollen sie nur mit drei Richtern besetzt wer den. In zweiter Lesung ist das abgelehnt worden, es soll also beim geltenden Recht bleiben. Abgg. Frhr. v. Manteuffel u. Gen. (kons.) be antragen, die Vorlage wicderherzustellen. Abg. v. Buchka (kons.) empfiehlt diesen Antrag zur Annahme. Für seine Freunde sei nicht die Be setzung des Gerichts, sondern die Einführung der Be rufung und d ie Entschädigung unschuldig Verurteilter die Hauptsache. Abg. Munckel (fr. Vp.) tritt für die Ausrecht haltung der Beschlüsse der zweiten Lesung ein, des gleichen der Abg. Spahn (Zentr.), der seine Aus führung mit der Erklärung schließt, es sei bester, daß jetzt die Berufung falle, als daß eine Verschlechte rung der Grundlage der Rechtspflege der ersten Instanz eingeführt werde. Abg. Schmidt-Warburg (Zentr.) weist den Vorwurf zurück, daß der Reichstag zu wenig Ent gegenkommen gezeigt habe. In einer ganzen Reihe von Punkten habe er der Regierung sehr weitgehende Konzessionen gemacht. Justizministcr Schönstedt faßt noch einmal kurz die Gesichtspunkte zusammen, welche die Stellungnahme der verbündeten Negierungen be dingen und weist auf die vielen Verbesserungen hin, welche sie mit der Vorlage in Vorschlag gebracht haben. Die verbündeten Negierungen werden ihren Teil der Verantwortung an dem Schicksal der Vor lage mit gutem Gewissen tragen. Abg. Spahn kann nicht anerkennen, daß die Mehrzahl der Strafkammersachcn leichterer Natur seien. Dieselben hätten schon heute in sehr schweren Fällen zu urteilen, ihre Kompetenz soll außerdem noch ausgedehnt werden. Damit schließt die Diskussion. — Der Antrag Manteuffel wird gegen die Stimmen der Rechten und die Mehrheit der Nationalliberalen, sowie deS Abg. Rintelcn abgelehnt. — Es verbleibt daher bei den Beschlüssen zweiter Lesung. Staatssekretär Nieberding: Durch diese Ab stimmung hat das hohe Haus kund gcthan, es ent gegen den Wünschen und der Ucberzeugung der ver bündeten Negierungen bei der Besetzung der Stras- kammern bei den Beschlüssen der zweiten Lesung zn belassen. Damit ist in die Vorlage eine Bestimmung ausgenommen worden, welche für die verbündeten Regierung n unter allen Umständen unannehmbar ist, und eine Vorlage geschaffen, der sie, nachdem der Be schluß perfekt geworden ist, die Zustimmung nicht werden erteilen können. Unter diesen Umständen bin ich durch Beschluß deS Bundesrats ermächtigt, zu erklären, daß die verbündeten Regierungen am die weitere Beratung der Vorlage keinen Wert mehr legen. Darauf vertagt sich das Haus. prruBscher Sandtag. Am Montag nahm das Abgeordnetenhaus in zweiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf an, der die Detailrcisenden, soweit ihnen das Aufsuchen von Bestellungen bei Privaten verboten ist, der Haufier steuer unterwirft. Sodann wurde die Städte- und Landgcmeindeordnung für Hessen-Nassau an eine besondere Kommission verwiesen. Nächste Sitzung Donnerstag. Cm Ehrenmort. 81 Roman von L. Haid he im/ Worts-Sung.) „Ah, da sind Sie ja noch!" rief auch der Landrat ihm zu, sobald er ihn sah. „Es ist recht, daß Sie sich sofort in unsere Interessen hineinziehen lassen, unsere alten Herren denken an ihre Familien; wir sparen unS das noch." „Und Truhn?" fragte Winzcck, sich an den jungen Rechtsanwalt wendend, den der Landrat nun Trautmann unter dem Namen von Oheim Vvrstcllte. »Der Herr Geheimrat verweigert jede Ge- nugthuung." , „Unter welchem Vorwande?" fragte Winzcck mit zuckenden Lippen. Der Landrat und der Rechtsanwalt sahen sich zögernd an, dann beide zugleich auf Traut mann. .Sagen Sie alles, der Herr Assessor hat sich unaufgefordert zu mir gestellt und ich sehe nicht ein, warum wir aus der Sache ein Ge heimnis machen sollen," sagte Winzcck. „Ganz recht. Truhn behauptet, er habe auS zuverlässiger Quelle erfahren, daß Sie mit einem Kunstreiter identisch seien, der in Prag vor einer Reche von Jahren viel von sich reden gemacht." „Also doch." Winzcck sagte das nicht, aber «an sah ihm den Gedanken an. „Er fordert Ihre Erklärung auf Ehrenwort, daß Sie dies nicht gewesen sind," fügte der Landrat hinzu. Winzcck richtete sich auf und sah den drei Herren fest in die Augen; dennoch sah man ihm deutlich an, welchen inneren Kampf es ihn kostete, seine Ruhe zu behaupten. „Das kann ich nicht! Truhn ist recht be richtet," sagte er. Niemand hatte diesen Ausspruch erwartet, und weder der Landrat noch der Rechtsanwalt wußten im ersten Moment das passende Wort zu finden. „Und waS beschließen Sie jetzt, Herr Winzcek ?" fragte Herr v. d. Achel endlich. Früher hatte er einfach Winzcek gesagt; sein Ton war nur um eine fast unmerkliche Mance verändert, doch dem feinen Ohr des ehemaligen Kunstreiters entging beides nicht. „Ich werde von dem Sohne Gcnugthnung verlangen," sagte er mit einer heißen Röte zorniger Pein auf der Stirn. Der Landrat sah befangen darein. „Oskar von Truhn ist Offizier; er müßte zuvor die in zweifelhaften Fällen erforderliche Entscheidung eines Ehrengerichts einholen." „Gut, so mag er das thun! Ich werde mich auf Sie, meine Herren, berufen." Der Landrat schwieg; er war blaß, und die Unsicherheit, die ihn plötzlich beherrschte, war zu unverkennbar, um nicht gerade von Winzcek zu erst verstanden zu werden. Plötzlich flog ein humoristisches Lachen über sein eben noch düsteres Gesicht, und wenn je ein Mann durch sein Aeußeres und seinen geistigen Ausdruck vornehm erschien, so war er es in diesem Augenblick. „Ich habe wirklich im Zirkus geritten, Herr v. d. Achtel, es ist wahr und thut mir leid um meine Freunde. Wie ich dahin geriet, kann ich Ihnen nicht sagen. Und nun für heute gute Nacht — ich werde für jede Mitteilung in dieser Sache die nächsten Tage zu Hause zu treffen sein. Empfangen Sie einstweilen meinen Dank." Dann verneigte er sich in vornehmer Ruhe und Verbindlichkeit und wandte sich zur Thür. Sie begleiteten Winzcek an den Wagen und als er abgefahren war, sahen sich Oheim und Trautmann überrascht an, denn der Landrat rief ihnen flüchtig „Gute Nacht, meine Herren!" zu und verschwand. „Ich bringe Sie nach Hause, Herr Assessor," sagte der junge Rechtsanwalt, als Trautmann nach der Richtung fragte. Trautmann nahm das freundliche An erbieten an. „Das ist ja eine ganz verteufelte Geschichte. Bin neugierig, wie sich Leutnant von Truhn dazu stellt," begann der andere. „Was liegt denn zwischen den beiden Herren vor?" fragte Trautmann. „Ich war, als der Streit ausbrach, nicht im Zimmer." „Ja, was liegt vor? Truhn ist eben ein Krakehler und mit der ganzen Welt in Streit. Ich habe allein vier Prozesse gegen ihn, er kann nun mal keinen Frieden halten." „Aber, soweit ich bemerkt habe, gab Herr Winzcek nicht die leiseste Veranlassung." „Im Gegenteil, Truhn hat sich offenbar an ihm reiben wollen. Man hat von irgend einem Zeitungsartikel gesprochen, da fragt Truhn mit hämischem Blick, ob die Herren die Notiz betreffs des vorgeblichen Grafen Monsalvado gelesen — Sie wissen die bekannte Schwindlergeschichte?" „Ja, ich kenne sie," nickte Trautmann. „Nun, die Herren aber zum Teil nicht,' Truhn erzählte sie, immer seine Augen heraus fordernd auf Winzcek gerichtet, und sagt dann, solche Schwindler gäbe es mehr, als mancher dächte — aber er zum Beispiel sei nicht der Mann, sich täuschen zu lassen. Nun soll Winzceks Vorleben in der That einigermaßen abenteuerlich gewesen sein, und Truhn konnte sich nicht mit ihm stellen. Falls es wahr ist, daß er sich um Trnhns einzige Tochter bewirbt, so sieht der Alte darin vielleicht eine Beleidigung. Stellen Sie sich diese Kunstreiter-Geschichte vor! Ich bin außer mir! Wenn Winzcck cS nicht selbst zugäbe, so glaubte ich es nicht! Das gnädige Fräulein mag schön die Nase ge rümpft haben. Da hat Winzcek einen dummen Streich gemacht, den ich ihm nicht zugetraut hätte." „Sie sagen, er sei enorm reich? Er scheint mir eine durchaus vornehme Natur —" „Das ist er ohne Zweifel. Aber wie ich Ihnen sagte, er mnß doch eine bewegte Ver gangenheit haben. Das Geld bekam er durch die Frau. Sie war eine Holländerin. Die Oberförstcrin von Deinhart erzählte mir noch neulich die ganze romanhafte Geschichte. Man hat hier also, als vor etwa zehn Jahren Winzcek das schöne Gut kaufte, mit größtem Interesse die reichen vornehmen Fremden, die nach einiger Zeit überall Besuche machten, will kommen geheißen. Die Frau sprach aber leider nur holländisch, hatte seit ihrer Kindheit auf Java gelebt und war ganz auffallend schön, blond und weiß, gut und freundlich, dis Leute schwärmten für sie.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)