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Allgemeiner Anzeiger : 23.12.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189612238
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-12
- Tag 1896-12-23
-
Monat
1896-12
-
Jahr
1896
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 23.12.1896
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Politische Rundschau. Deutschland. * Kaiser Wilhelm empfing am Donnerstag ben Kriegsminister v. Goßler und wohnte abends dem parlamentarischen Diner beim Reichskanzler bei. * Ein neues ernstes Mandat ist der deutschen Diplomatie durch einen traurigen Vorgang im Reiche deS Sultans von Marokko überwiesen worden. Kaum ist die schuldige Genugthuung für blutige Verbrechen gegen Deutsche — man hat nicht recht klar gesehen, ob sie auch aus reichend gewesen — bewilligt worden, so kommt die Nachricht, daß schon wieder ein Deutscher, und zwar in der Hafenstadt des maurischen Reiches, von Frevlerhand den Tod ge funden hat. * In Ergänzung der Meldung, daß die Vor lage für dieMilitärstrafprozeßord- nung von dem Ausschuß wieder an das Plenum des Bundesrats gelangt sei, erfährt man noch, daß der Vorschlag Preußens, ein gemeinsames Militärappellationsgericht für das ganze Reich einschließlich Bayerns zu errichten, die Zustimmung des Ausschusses erhalten hat. Da in dem Ausschuß Bayern selbst vertreten war, so darf angenommen werden, daß gegen diesen Punkt nun auch im Plenum des Bundes rats ein Einspruch nicht erhoben werden wird. Aber auch sonst glaubt man, daß die Vorlage, wie sie aus dem Ausschuß herausgekommen ist, die Genehmigung des Plenums finden wird. *Jm Neichsjustizamt find die Arbeiten für eine weitere gesetzgeberische Maßnahme, die sich in Verbindung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch als notwendig erweist, nunmehr als abgeschlossen zu bettachten. Es sind dies die Arbeiten für ein Gesetz, das eine Reichsgrundbuch ordnung betrifft. Dem Bundesrat wird die Vorlage schon dieser Tage zugehen, so daß der Reichstag sich bereits bald nach Weihnachten wird damit beschäftigen können. *Jm Reichstag ist ein vom Abg. Johannsen (Däne) gestellter Jnitiativ-Antrag auf Gleich stellung der dänischen mit der deutschen Sprache m Nordschleswig eingebracht worden. *Auf den Aussterbe-Etat gesetzt sind jetzt die ausländischen,wandergewerbe- scheinpflichtigenGewerbetreiben- ben, welche mehr zur Belästigung als zum Nutzen gewisser Landesteile gehören, die soge- «annten Rastelbindcr, in der Regel Slowaken und die Orgeldreher, fast ausschließlich Italiener. In einer durch .Reichsgesetzblatt' veröffentlichten Bekanntmachung vom 27. November d. findet sich nämlich u. a. die Bestimmung, daß für das Gewerbe der (ausländischen) Topsbinder, Kessel flicker, Händler mit Blech- und Drahtwaren und ähnlichen Gegenständen, Drehorgelspieler und Dudelsackpfeifer ein Wandcrgewerbeschein nur solchen Personen erteilt werden darf, welche nachweislich in dem nächst voraüfgegangenen Jahre einen solchen Schein für dasselbe Ge werbe erhalten haben. Damit ist jeder weitere Zuwachs dieser Klasse von Ausländern ausge schlossen. * Nachdem durch die Verfügung der betei ligten Ministerien vom 18. Oktober d. die Ein setzung eines aus Fachmännern gebildeten Ver sicherungs-Beirates für Preußen beschlossen worden ist, sind in diesen Tagen die Einladungsschreiben an die von der Negierung in Aussicht genommenen Mitglieder ergangen. Die Regierung hat sich bei der Wahl der Mit glieder für den Beirat nicht auf die Leiter preußischer Versicherungs-Anstalten beschränkt, sondern auch im Hinblick auf die später vielleicht notwendig werdende Errichtung eines Reichs- Versicherungs -Beirates Vertreter nichtpreußischer, aber deutscher Versicherungs- Gesellschaften zu dem Beirat hinzugezogen. *Der deutsche Nautische Verein hat das Reichsamt des Innern ersucht, auf geeignete Weise fcststellen zu lassen, wie häufig sich in späteren Jahren Farbenblindheit bei denSeeleuten einstellt, nachdem die Augen in einem Alter, in welchem das Steuermanns oder Schiffer-Examen abgelegt zu werden Pflegt, normal gewesen find. Der Verein ist der An sicht, daß die Frage, ob in späteren Lebens jahren periodische Nachuntersuchungen stattfinden sollen, nur auf dieser Grundlage beraten werden kann. * Innerhalb einer nicht geringen Zahl von Einzelstaaten macht sich immer dringender das Bedürfnis geltend, eine Verschärfung des Nahrungsmittelgesetzes herbeizu- führcn. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß über kurz oder lang die gesetzgebenden Faktoren sich mit dieser Frage zu beschäftigen Veranlassung haben werden. Frankreich. *Die Deputiertenkammer nahm mit 495 gegen 21 Stimmen die Kredite bezüglich der Ausgaben anläßlich der Anwesenheit Kaiser Nikolaus' in Paris an. Vorher wurde ein von mehreren Sozialisten gestellter Zusatz antrag, dahingehend, diesen Krediten 4 Mill. Frank zur Unterstützung von beschäftigungs losen Arbeitern hinzuzufügen, mit 346 gegen 136 Stimmen abgelehnt. *Der ,Temps' veröffentlicht ein Schreiben KönigMeneliks, in welckem derselbe den Franzosen für die ihm anläßlich des Sieges über die Italiener ausgesprochenen Glückwünsche verbindlichst dankt. Der Kaiser von Abessinien soll über diese Glückwünsche sehr gerührt gewesen sein. England. * In der englischen liberalen Partei macht sich eine starke Strömung gegen die Gladstoneschen Lieblingsdokirinen geltend. In dem in Liverpool tagenden Hauptausschuß der nationalen Vereine wurden bei der Erörterung des liberalen Programms die für die Sezession maßgebend gewesenen Punkte einfach über Bord geworfen. Homerule in Irland wird aufgegeben, von den Temperenzplänen gegen die Schankwirtschaften abgesehen. Der Parteitag besprach auch die Armenier frage, nahm mit großer Mehrheit eine Ent schließung an, die das Bedauern darüber ans drückt, daß das gemeinsame Vorgehen der Groß mächte bisher keine guten Früchte getragen hat, verwarf aber einen Zusatz, die Frage zum Gegenstand der Parteiagitation zu machen. Luxemburg. *Die deutsche und französische Sprache sind zwar nach der ausdrücklichen Bestimmung der Verfassung alsAmtsspracheninLuxem- burg gleichberechtigt, aber die Büreaukraten halten sich als echte Gewohnheitsmenschen that- sächlich an die überkommenen französischen For mulare, und so dauert noch immer der alte Un sinn fort, daß dieses deutsche Völkchen in einer ihm unverständlichen Sprache regiert wird. Die Kammer bekam in den letzten Tagen vom Abg. Spoo bittere Wahrheiten über diesen wunden Punkt zu hören. „Lange genug," meinte er, „ist unser luxemburgisches Volk mit der fremoen französischen Sprache über die Ohren gehauen worden. Ich frage jeden vernünftig denkenden Menschen im Lande, ob es sittlich zulässig ist, daß über Hab und Gut, Leben und Tod des freien luxemburgischen Bürgers in einer Sprache verhandelt und abgeurtcilt wird, die drei Viertel der Bevölkerung nicht verstehen. Ich habe das Gefühl, daß mancher Bauer noch Haus und Hof innehätte und mancher arme Schelm nicht hinter Schloß und Riegel säße, wenn die fremde Sprache nicht gewesen wäre." Es erfolgte keine Erwiderung darauf, und zwar aus dem ein fachen Grunde, weil niemand etwas zu erwidern wußte und der Redner nur allzu wahr gesprochen. Aber das Volk wird weiter „über die Ohren ge hauen" werden. Svanien. *Die verhältnismäßig günstigen Nachrichten für Spanien, die aus Cub a einlaufen, werden durch die Verschlechterung der Situation auf den Philippinen wett gemacht. So melden die ,Times' aus Singapore: Die Truppen sind von den einzelnen Philippinen - Inseln nach Manila zurückgezogen worden. Die Rebellen, die Cavite befestigten, find jetzt 50000 Mann stark. Das Land ist in vollem Aufruhr. Balkanstaaten. * Daß die Verhandlungen über Reformen in der Türkei alsbald zu einem endgültigen Ergebnis führen, wird in dem offiziösen,Hamb. Korr.' schon deshalb bezweifelt, weil bisher Vor schläge, die eine feste Gestalt angenommen hätten, nicht bestehen. Eine gewaltsame Lösung der türkischen Frage ist, soweit ersichtlich, von keiner Seite beabsichtigt, da es dazu an jeder positiven Grundlage fehlt. Die jung türkische Partei bietet eine solche nicht. Jede Aenderung in der Regierung würde also ein persönlicher Wechsel sein. Eine grundsätzliche Aenderung in der Stellung der Dreibundmächle zu den türkischen Dingen ist nicht eingetreten. *Die Ernennung des Obersten Iwanow zum bulgarischenKriegsminister ist insofern ein Ereignis, dem man Beifall zollen muß, als der neue Kriegsminister politisch noch in keiner Weise hervorgctreten ist. Er gehört keiner Partei an. Bulgarien bedarf aber, um endlich zur Ruhe zu gelangen, neuer Männer, nachdem die alten, wie sie auch heißen mögen, politisch verbraucht oder mit wütendem Partei haß geladen sind. In die Klasse der neuen Männer gehört auch der Minister des Innern Benew. So scheint sich Stoilow allmählich mit frischen Kräften umgeben zu wollen und selbst leitend über dem Ganzen zu schweben. Mancher lei Arbeit steht ihm noch bevor. Falls dieser Prozeß sich so abspielt, daß auch in die Polizei ein neuer Geist einzieht, was heute noch nicht der Fall ist, so kann man Bulgarien nur Glück wünschen. Prentzischrr Landtag. DeM Herrenhause machte am Donnerstag der Furst zu Solms d e Mitteilung, daß er wegen eines Herzleidens die auf ihn gefallene Wahl zum Präsi denten nicht annehmen könne. Nach Erledigung kleinerer Vorlagen kam die Interpellation des Grafen Udo Stollberg zur Debatte, die eine Trennung der Fonds- und Produktenbörse verlangt. Handels minister Brefeld erklärte, daß eine solche Trennung nur für Berlin und Breslau vorgesehen sei, nicht für die kleineren Börsen. Sollte sich seiner Zeit das Bedürfnis einer Trennung Herausstellen, so werde er seinen Einfluß nach dieser Richtung hin geltend machen. Nächste Sitzung unbestimmt. Am Donnerstag verwies das Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf betr. Abänderung des Gesetzes über die Handelskammern vom 24. Februar l870 an eine Kommission. Die nächste Sitzung findet am 8. Januar statt. Die Arbeitslosen. Unter dem Titel „Die beschäftigungslosen Arbeitnehmer im Deutschen Reich am 14. Juni und 2. Dezember 1895" veröffentlicht das kaiserl. Statistische Amt die Ergebnisse der beiden Auf nahmen, die im vorigen Jahre bei der Berufs- und bei der Volkszählung über die Arbeitslosen — zum ersten Male — von Reichswegen ver anstaltet worden. Die Ergebnisse sind niedergelegt in einem besonderen Ergänzungsheft zu den.Vierteljahrs heften zur Statistik des Deutschen Reichs' (Ver lag von Puttkammer und Mühlbrecht Berlin) und hier sowohl textlich (26 Seiten) wie tabellarisch (89 Seiten) ausführlich dargestellt. Die-Darstellung bezieht sich zunächst auf Zahl, Geschlecht, Beruf und Alter der Arbeitslosen sowie Zahl ihrer nicht erwerbsthätigen Familien angehörigen, ferner auf Grund und Dauer der Arbeitslosigkeit und endlich auf die Arbeitslosen nach den einzelnen Bundesstaaten und Landcs- tcilen, sowie nach drei Ortsgrößenklassen (Groß städte mit über 100 000 Einwohnern, Gemeinden mit 10 bis 100 000 und Gemeinden mit unter 10 000 Einwohnern). Insgesamt wurden am 14. Juni 1895 299 352, am 2. Dezember 1895 771005 be schäftigungslose Arbeitnehmer ermittelt. Dem Geschlecht nach waren es im Sommer 218 603 männliche und 80749 weibliche, am 2. Dezember 1895 553 578 männliche und 217 427 weibliche Arbeitslose. Im Vergleich zur Gesamtbevölkc- rung kamen im Juni auf 100 Einwohner 0,58, im Dezember 1,48 Arbeitslose. Unter den 299 352 Beschäftigungslosen im Juni waren zwei Fünftel — nämlich 120 348, und zwar 85 866 männliche und 34 482 weib liche — wegen Krankheit arbeitslos, die übrigen drei Fünftel — 179 004 im ganzen, 132 737 männliche, 46 267 weibliche — hatten aus anderen Gründen keine Beschäftigung. Faßt man lediglich diese letztere Kategorie, also die nicht wegen Krankheit Beschäftigungs losen, ins Auge, und vergleicht dieselbe mit der Gesamtheit (16 146 671) der Arbeitnehmer, s» treffen auf 100 Arbeitnehmer 1,11 Arbeitslose im Sommer, 3,42 im Winter. Gegenüber diesem Durchschnittsprozentsatz sind die meiste« Arbeitslosen vorhanden nach der Junizählung in der Berufsart See- und Küftenschiffahst (10,60), Ofensetzer (6,94), Hilfsgewerbe des Handels (6,57), Lohnarbeit wechselnder Art (5,87); nach der Dezemberaufnahme in der Be rufsart See- und Küstenschiffahrt (27,51), Stein setzer (21,90), Lohnarbeit wechselnder Art (20,83); Maurer (18,71). Die niedrigsten Prozentzahle« haben Sommer wie Winter die Berussart Post- und Telegraphenbctricb (0,11 im Sommer, 0,18 im Winter), Eisenbahnbetrieb (0,13 bezw. 0,18), Kirchendienst und Anstalten für religiöse Zwecke (0,30 bezw. 0,19). Don Uah and Fern. Hamburg. Die Einberufung eines Schieds gerichts ist in Ausficht genommen. Jedenfalls wird der Streik noch vor Weihnachten beigelegt werden. Halle a. S. Infolge der Aendcrungen, die der Handelsminister bezüglich der Börsen ordnung verlangt, hat die Börsenkommisfion m Halle a. S. einstimmig den Vorschlag gemacht, die-Börse aufzuMen. Nach der ,Saale-Ztg/ stößt in Handelskreisen besonders die Forderung auf Widerstand, daß einer Anzahl Landwirte Sitz und Stimme im Vorstand der Börsen- kommiision eingeräumt werde. Ob die Börse nach ihrer Auflösung eine freie Vereinigung gründen oder das Geschäft auf den Märkten und in den Gastwirtschaften sich entwickeln lassen werde, soll noch dahinstchen. Thorn. Die Erhebung der Anklage gege« die in der hiesigen Landesverratsaffäre ver hafteten Personen — den früheren Hilfsgerichts diener Albrecht, den Schachtmeister Fahrin und einen Unteroffizier — ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden, da zur Begründung derselben dasZeugnis des verhaftetenKriminalkommissarius v. Tausch erforderlich ist, in dessen Händen fast ausschließlich alle Ermittelungen in der Sache gelegen haben. Daher sollen die Verhaftete« auch einstweilen nicht nach Leipzig überführt werden. Hannover. Der beim Kentern des bre mischen Schiffes „Rajah" mit ums Leben ge kommene zweite Steuermann Richard Janicke von hier war ein Sohn des hier als Historiker hochgeschätzten verstorbenen Geh. Archivrats Dr. Janicke. Der junge Seemann hatte schon vor mehreren Jahren, von Rangoon kommend, Schiffbruch am Kap der guten Hoffnung erlitte«. Aachen. In Steckborn wurde einem armen Fabrikarbeiter aus Versehen in den Sarg unter den Kopf ein Gebetbuch gelegt, das eine 50 Frank-Banknote enthielt, das ganze Ver mögen der Familie. Erst nach der Beerdigung wurde das Fehlen des Geldes bemerkt; ma« wußte aber sofort, wo man es zu suchen hatt«. Wittenberg. Der Hauptmann Köls, früher bei der Lustswifferabteilung, ist Mittwoch früh von seinem Burschen, der zweifellos die Absicht hatte, ihn zu töten, durch einen Schuß eines Jagdgewehrs schwer verwundet worden. Der Bursche, der Musketier Schütze, der im zweite« Jahr dient und bei der Kompanie seines heiteren Temperaments wegen wohl gelitten ist, sollte vielfacher Trunkenheit wegen abgelöst und mit Arrest bestraft werden; er soll bereits Dienstag abend geäußert haben, daß er erst seinen Haup^ mann, dann sich selbst erschießen wolle, und er ist erst gegen 2 Uhr nachts bettunken nach Hause gekommen. Die letzte Ursache zu der Kata strophe, die keine Zeugen hatte, ist noch nicht bekannt. Der Schuß traf den Hauptmann i« die Schulter, aus der die Kugel herausgeschnitte« worden ist. Der schwer, aber nicht lebens gefährlich Verletzte hat Aufnahme im Garnison lazarett gefunden. Der Bursche, der sich nach der That eiugeriegelt hatte und jeden Ei»- dringenden zu erschießen drohte, ist von einer Patrouille überwältigt und in Untersuchungsarrest abgeführt worden. Gin Ehrenwort. 4) Roman von L. Haid heim. riseeun«.) „Natürlich müssen Sie gleich morgen bei uns assen, lieber Otto," hatte Frau Oberförster von Deinhart den Assessor bei seiner Antrittsvifite sofort tingeladen, und da die Dame eine ruhige Freundlichkeit hatte, auch daneben mit Herzlich keit ihn als Verwandten begrüßte, so sagte Trautmann gern zu. Vielleicht trug dazu die Hoffnung bei, die schwarzäugige, in tiefe Trauer gekleidete junge Dame wieder zu sehen, welcher er vorgestellt und die Fides v. Burkard genannt worden war. »Augen wie eine Feuersbrunst hat sie," lachte hinterher der joviale Oberförster. „Nehmen Sie Ihr Herz in acht, lieber Assessor." Wahrbafiig, ihre Blicke hatten am Ende schon gezündet, als sie sich beim ersten Sehen auf ihn gerichtet hatten, denn warum hätte er sonst immer an sie denken müssen? Bei seinen Berliner Zeitungen sitzend, unterbrach ihn der Barbier, der ganz aufgeregt aussah und erzählte, Leutnant von Truhn solle von Herrn Winzcck erschossen worden sein. Erschreckt sprang Trautmann empor, hörte schon das Lamentieren seiner Hauswirtin, sah, wie die Nachbarn aus den Häusern stürzten und sich die Schrcckenskuude zuricftn, und den Sanitätsrat aus oem engen Heckengange kommen, der neben dem Hause vorüber nach dem Park führte. Der alte Herr grüßte ihn höflich, und als er derabuci: „Ist es wahr, daß der Leutnant er schossen ist?" lachte er laut aus und rief nur: „Haben Sie noch eine Tasse Kaffee?" Das klang sehr beruhigend, eine Minute später war er oben. Frau Erdmeier brachte eine zweite Tasse, und während er frühstückte und plauderte, ließ Trautmann sich rasieren. „Sie müssen hier die guten Leute erst kennen lernen. Geschossen haben sie sich, Winzccks Kugel hat des Leutnants Arm gestreift, kleine Fleischwunde, nicht der Rede wert; aber das kennt man ja in so einem Neste, vor lauter Emotionsbedürfnis sieht man in jeder Mücke einen Elefanten." Dann wandte er sich an den Barbier und fubr fort: „Es ist mir lieb, Strüger, daß ich Sie hier treffe. Sie wissen, daß ich Ihnen Zu trauen schenke, darum sage ich hier offen, wie die Sache steht. Das brauchen die andern aber nicht zu wissen; thun Sie mir also den Ge fallen, allen, die es hören wollen, zu erzählen, die beiden Herren hätten nach der Scheibe ge schossen, da habe Herrn Winzceks Pistol sich unversehens entladen und den jungen Truhn ein wenig gestreift." „Sehr wohl, Herr Sanitätsrat! Werde es schönstens besorgen!" erwiedcrte der hoch- geschmeichelte Barbier, packte seine Werkzeuge in aller Eile in seinen Samtbeutel und konnte nicht schnell genug auf die Straße kommen. „Was halten Sie von Herrn Winzcek?" fragte Trautmann jetzt geradezu. Der Sanitälsrat war in bester Laune, lobte die treffliche Zigarre, die ihm Trautmann an geboten hatte und sah behaglich dem Rauch der selben nach. ! „Hm!" machte er. „Das ist nicht so leicht gesagt. Ich bin sein Hausarzt und habe während der Krankheit der Frau damals tiefere Blicke in die Verhältnisse gcthan. Daß er irgend einen dunklen Punkt in die Vergangenheit hat, ist mir schon lange klar; er stammt aus Oesterreich, und wenn er es nicht sagte, würde sein Dialekt ihn noch heute, wenn er lebhaft wird, verraten; aber noch nie hat man erfahren, wo seine Wiege stand. Ich kann es Truhn im Grunde deshalb nicht verdenken, daß er ihm die Tochter nicht geben „Und die junge Dame?" „Pah! Hochmütig wie der Satan, würde ich sagen, wenn sie ein Mann wäre! Der Alte ist nichts dagegen; sie und ihr Bruder treiben es nur in besserem Stil, da sitzt die Erziehung der Mutter dahinter. Das Mädchen ist aber eine wahrhaft vornehme Natur, alles, was da mit nicht Harmonien, verletzt sie, sie lehnt es schroff ab; sie gleicht überhaupt der Mutter sehr." „Aber wie mir schien, ist Winzcek nicht weniger eine vornehme Natur, als das Fräulein von Truhn." „Ist er auch! Das hat ihn aber doch nicht vor allerlei Thorheitcn bewahrt. Als er hier her kam, war es seine Passion, Aufsehen zu er regen durch sein tolles Reiten und Fahren und durch allerlei andere Exzentrizitäten. Es mag damals wohl noch so ein Rest von Kunstreiter in ihm gesteckt haben; jetzt ist er völlig ver ändert, besonders seit dem Tode der Frau. Als sie starb, da sah ich, daß er sic sehr lieb ge habt hatte; er war unaussprechlich erschüttert über ihren Verlust. „Ich weiß nicht, wie es kommt, mich inte» essiert dieser Mann, wie noch selten jemand. Ich möchte ihn besuchen," sagte Trautmann. „Thun Sie das. Mag er gewesen sein, was er will, er hat sich hier stets wie ein Kavalier benommen, und unter uns Männern ist keiner, der ihn nicht gern hätte, außer dem Geheimrat/ „Und die Damen? Sind sie alle wie Fräu lein von Truhn gestimmt?" „Du liebe Zeil! Das müssen Sie selbst sehen! Ich habe hier bei Ihnen die Zeit un verzeihlich verplaudert," sagte lachend der San»- tätsrat und sprang auf. Als er fort war, sah Trautmann nach seiner Uhr. Es lagen noch Stunden vor ihm bis M der von der Tante bestimmten Mittagszeit. Der Sonutagmorgen war köstlich, der Weg nach Rhcinstein ging zum Teil durch den Wald, sagte ihm seine Hauswirtin, riet ihm, durch ihre« Garten und den Park denselben abzukürzen und begleitete ihn. Daun zeigte sie ihm die entsetz lich verwilderte und desckie Hainbuchcnhcckc, die über mannshoch, teilweise gänzlich abgestorben war und in welcher große Lücken förmlich Thüren in den Park bildeten. „Zu holen m da nichts als Blumen, und die hat hier jeder selbst genug, deswegen brauchte man ihn nicht zu verschließen," sagte die Alte, „aber eine Schande für die Herrschaften ist's, und wen« sic auch nicht selbst kommen, so sollte rhr EM!» tum doch in repulierlichem Zustand sein. Diese Wirtschaft, wie sie der Herr von Truhn fuhrt, bringt keine Ehre." „, . . . Dann trat Trautmann allem durch ewe dieser Oeffuungen in den Park.
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