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Allgemeiner Anzeiger : 12.12.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189612125
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18961212
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1896
-
Monat
1896-12
- Tag 1896-12-12
-
Monat
1896-12
-
Jahr
1896
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 12.12.1896
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Volttische Rundschau Deutschland. - Kaiser Wilhelm traf am Dienstag, von Bückeburg kommend, wieder im -Neuen Palais ein. *Ueber das Befinden des siebzigjährigen Sroßherzogs Friedr ich von Baden bringt die ,Köln. Volksztg.' bedauerlich lautende Mitteilungen, die, wie das Blatt versichert, von vertrauenswerter Seite stammen sollen. Gegenüber den aussichtsvoll lautenden Karlsruher Hof berichten wird in jenen Darlegungen behauptet, die Situation sei derartig, daß man sich schlimmerer Befürchtungen nicht ent- schlagen könne, da das operativen Eingriffen entrückte Uebel leider im Fortschreiten be griffen sei. * Der ,Hann. Cour/ bestreitet die Richtigkeit der Meldung, daß der Kaiser sich in der Reitschule zu Hannover über denFallBrüse- witz geäußert hätte. * Auf die Proklamation des Präsidenten Cleveland, durch die die Befreiung der in amerikanischen Häfen einlaufenden deutschen Schiffe vom Tonnengeld auf gehoben wird, antwortet die ,Nordd. Allg. Ztg.' offiziös: Die Behauptung, in deutschen Häfen würde von amerikanischen Schiffen Tonnengeld erhoben, werde von der deutschen Regierung be stritten, und es sei einstweilen eine Verwahrung gegen die Verfügung des Präsidenten eingelegt worden. "Dem Bundesrat ist nach der,Post' der Entwurf einer Grundbuchordnung durch den Reichskanzler zur Beschlußfassung zu gegangen. * In den Bundesratsausschüffen, die sich mit der Vorberatung der Handwerkerorga nisations-Vorlage beschäftigt haben, soll nach der,Nat.-Ztg/ Preußen und Sachsen sich auf der einen und Württemberg mit den kleineren Staaten auf der anderen Seite be funden, Bayern eine mittlere Stellung einge nommen haben. Gegen den zur Annahme ge langten württembergischen Antrag soll Bayern allerdings auch gestimmt haben. ^Dem Reichstage ist eine Ueberficht über den Stand der Bauausführungen und der Beschaffung von Betriebsmitteln für dieEisen - bahnen in Elsaß-Lothringen und für die im Großherzogtum Luxemburg be legenen Strecken der Wilhelm-Luxemburg-Eisen- bahnen zugegangen. «Herr v. Bennigsen soll sich auf eine Anfrage aus seinem Wahlkreise dahin geäußert haben, daß er nach Ablauf seines Mandats nicht wieder zu kandidieren gedenke. *Zu militärischen Uebungen wer den im Etatsjahr 1897/98 11 Stabsoffiziere, 170 Hauptleute, 173 Premier- und 3293 Sekond- Leutnants auf 56 Tage, 500 Unterärzte und 38 Unterroßärzte auf 6—8 Wochen, 80 Haupt leute, 124 Premier- und 500 Sekond-Leutnants auf 42 Tage, 55 Hauptleute, 100 Premier- und 420 Sekond-Leutnants auf 28 Tage, 70 Assistenz ärzte auf 28 Tage, 130 Assistenzärzte auf 21 Tage, 44 Rittmeister, 44 Premier- und 88 Se kond-Leutnants auf 17 Tage sowie 84 Haupt leute, 154 Premier- und 916 Sekond-Leutnants auf 15 Tage eingezogen werden. Im Militär- Etat sind hierfür an Besoldungen 824 070 Mk. ausgeworfen. «Wie die ,Bad. Landcsztg/ mitzutcilen weiß, wird das 14. Armeekorps im nächsten Herbst Kaisermanöver haben, an dem sich auch das 15., 16. und 8. Armeekorps beteiligen werden, und zwar finden diese Uebungen im Norden Lothringens, Kreis Diedenheim und Bolchen, einem Teile der Rheinprovinz und der westlichen Pfalz statt. Die Stäbe des 15. und 16. Armeekorps find mit den Vorarbeiten be auftragt; die Audienz, welche der Komman dierende des 16. Armeekorps, Graf Häseler, bei dem Kaiser in letzter Woche hatte, hängt, dem genannten Blatte zufolge, mit diesem Plane zusammen. *Dern eu eGouverneurvon Deutsch- Ostafrika, Oberst L i e b e r t, wird sich dem Vernehmen nach noch in diesem Monat auf seinen Posten in Dar-es-Salaam begeben. Seine Familie nimmt er zunächst noch nicht mit. Frankreich. *Wie in Parlamentskreisen verlautet, wird der Deputierte Lockroy ein Staatsmonopol für Petroleum-Raffinerie beantragen, dessen Erträgnisse die vorgeschlagenen außer ordentlichen Marinekredite decken sollen. «Am Montag hatte das Ministerium eine Interpellation wegen Madagaskar, wo die Dinge noch immer kunterbunt durcheinander liegen, auszuhalten. Der Deputierte Michelin tadelte besonders die Nachgiebigkeit des bis herigen Generalrefidenten Laroche gegenüber den Engländern sowie die Absicht Laroches, den Engländern eine Eisenbahn-Konzession zu be willigen. Kolonialminister Lebon erwiderte, er werde keine Konzession ohne Genehmigung des Parlaments erteilen. Maly behauptet, die Er nennung Laroches sei auf den Einfluß der eng lischen Bibelgesellschaften, die aus Madagaskar ein politisches Ziel verfolgten, zurückzuführen. Kolonialminister Lebon erwiderte, der jetzige Generalgouverneur Gallieni sei mit allen Voll machten ausgerüstet, um gegen jede Agitation politischen Charakters vorzugehen. Das Haus nahm schließlich die von der Regierung ge nehmigte einfache Tagesordnung mit 431 gegen 91 Stimmen an. Schweiz. * Bei der Schweizer Volksabstimmung wurde mit 3600 gegen 2600 Stimmen beschlossen, die vollständige Revision der Kantonver fassung sei trotz der Verwerfung des dem Volke zur Abstimmung vorgelegten Entwurfes fortzusetzen. Die Regierung wurde ohne Wider spruch für die neue vierjährige Amtsdauer bestätigt. Italien. * Das italienische Kabinett scheint doch eine ernsthafte Züchtigung der Somali stämme an der Benadirküste ins Auge gefaßt zu haben. Es bestätigen sich also die Ankündi gungen Visconti Venostas, während die Ein schränkungen Rudinis vermutlich nur Expeditionen ins Land hinein ableugnen sollten. Das Kriegs schiff „Volta" ist mit fünf Mitrailleusen und anderem Kriegsmaterial von Neapel nach Mo gadischu abgegangen. Die,Opinione' bestätigt, daß das Kriegsschiff „Volta" Massauah an laufen werde, wo die 200 nach Mogadischu be stimmten Askaris eingeschifft werden sollen. Belgien. * Der Brüsseler G e m e ind erat hat die Schöffen, die sämtlich Liberale find und die wegen Annahme des Antrages der katholischen Gemeinderatsmitglieder bett, den Mindestlohn der Gemeindearbeiter ihr Amt nieder gelegt hatten, wiedergewählt. Schweden-Norwegen. «Die Unterhandlungen wegen Erneuerung des schwedisch-norwegischen Handelsver trages sind gescheitert. Balkanstaate». *Der König von Griechenland hat eine Botschaft erlassen, die eine gründliche Armee-Reform ankündigt. Die Botschaft hat in Athen eine gewaltige Erregung hervor- aerufen; man reißt sich um die Blätter. Die Opposition hat eine Interpellation über die Botschaft angekündigt. Das in der Botschaft geforderte „stehende Lager" wird wahrscheinlich bei Theben errichtet werden. * Die seit einiger Zeit in den türkischen Gewässern kreuzenden fremden Ge schwader werden auch während des Winters dort verbleiben und verschiedene türkische Häfen anlaufen, und nur eine kleine Anzahl der be treffenden Schiffe werde in der nächsten Zett nach den heimischen Gewässern zurückkehren. *Jn Sachen der Reformen auf Kreta unternahmen die Botschafter bei der Pforte einen gemeinschaftlichen Schritt und richteten die Auflage an die Regierung, weshalb der ursprünglich für die Justizkommission auf Kreta bestimmte Delegierte Kostaki Effendi durch Nazim Bey ersetzt worden sei, dessen Ernennung den Botschaftern nicht mitgeteilt worden sei. Die Botschafter erklärten, falls Kostaki Effendi nicht auf Kreta eintreffe, werde die Kommission ihre Arbeiten ohne diesen beginnen. Aegypten. * Die ägyptische Regierung hat die für die Dongola-Expedition entnommene halbe Million Pfund der Staatsschuldenkaffe zurück gezahlt. Die Summe wurde aus den vor handenen Staatsmitteln entnommen und soll mittels einer in England aufzunehmenden An leihe wieder gedeckt werden. Der Minister des Auswärtigen dankte Lord Cromer für das eng lische Anerbieten pekuniärer Unterstützung und bat ihn, Lord Salisbury den lebhaften Dank der Regierung des Chedive für die ihr bewiesene große Freundlichkeit zu übermitteln. Amerika. * Nach der nach Eingang sämtlicher Wahl ergebnisse festgestellten Mitgliederliste des Repräsentantenhauses der Ver. Staaten von Amerika setzt sich dasselbe aus 205 Republikanern, 137Demokraten nnd15Popu- listen zusammen. Hiervon sind 202 Anhänger des „gesunden Geldes", 155 der freien Silber prägung, so daß für „gesundes Geld" eine Mehr heit von 47 Stimmen vorhanden ist. Asien. * Der Vizekönig von Indien hat nach London berichtet, daß in vielen Teilen Indiens weitere Regenfälle vorgekommen sind, daß die Kornpreise fallen und für verschiedene Be zirke Hungersnot nicht mehr befürchtet wird. Im Prozeß Keckert-Aitzom dauerten am 5. d. die Erhebungen, trotzdem eine öffentliche Verhandlung nicht stattfand, fort. Vormittags schon erschien der Oberstaatsanwalt Drescher im Auswärtigen Amt, um mit dem Staatssekretär Freiherrn v. Marschall über die Enthüllungen des Angeklagten v. Lützow des weiteren zu konferieren. Von dort begab sich der Oberstaatsanwalt nach dem Polizei-Präsi dium, wo er eine längere Unterredung mit dem Polizei-Präsidenten v. Windheim hatte; Gegen stand derselben war zweifellos die nähere Be ziehung des Angeklagten v. Lützow zu dem Kriminal-Kommissar v. Tausch. Nachmittags sah man den Legationsrat Dr. Hammann vom Auswärtigen Amt im Hause des Rechtsanwalts Dr. Lubszynski, des Verteidigers des Herrn von Lützow, wo des Staatssekretärs Vertreter nahezu eine Stunde verweilte. — Der Ange klagte v. Lützow empfing am 5. d., nachdem ihm Oberstaatsanwalt Drescher nochmals per sönlich gehört, den Besuch des Gefängnisgeist lichen, der ihn eindringlichst ermahnte, sein Ge ständnis zurückzuziehen, wenn dasselbe der Wahrheit nicht entspräche, damit kein Unschul diger dadurch ins Verderben gestürzt werde. Lützow soll mit aller Entschiedenheit dabei ge blieben sein, daß er unter dem Drucke der Ver hältnisse sein dem Tausch gegebenes Versprechen gebrochen und nur die reine Wahrheit gesagt habe, wie er sie auch vor dem höchsten Richter vertreten könne; er sei sich dessen voll bewußt, daß sein Geständnis an der Strafbarkeit seiner eigenen Handlungsweise nichts zu ändern ver möge. Herr v. Tausch', der „Kommissar der geheimen Polizei", wie ihn Exzellenz v. Marschall zu nennen pflegt, mußte bekanntlich, allerdings erst nach minutenlangem Zögern, einräumen, daß der (von den haussuchenden Beamten des Herrn von Tausch nicht gefundene bezw. nicht beschlagnahmte) Kölner Brief, den Staatsanwalt und Verteidiger aus Lützows Wohnung abge holt, von seiner Hand herrühre. Da Herr v. Tausch diesen Brief als ganz „harmlos" hin zustellen versuchte, so dürfte es interessieren, nachttäglich noch mitzutcilen, daß der Brief schreiber den Adressaten in einer Nachschrift auf forderte, den Brief ja zu zerreißen, besser, zu verbrennen, und das Kouvert auch zu verbrennen. Weshalb das, wenn der Brief so „harmlos" war? v. Tausch steuerte damals auf den „Polizeirat" los; denn man mußte sich über iwn Nachfolger des Polizeirats v. Mauderode, den als Chef der politischen Exekutive Graf Stillfried vertrat, schlüssig werden. Daher er griff Herr v. Tausch die Gelegenheit beim Schopfe, sich wegen seiner Verdienste um die Verhaftung der in die Pfeiffersche Landes verrats-Affäre verwickelten Personen in der Presse „herausstreichen" zu lassen. Der Bries des Herrn v. Tausch enthält denn auch nichts Sachliches über diese Untersuchung, sondern ledig lich die Aufforderung an Lützow, als den Helden jener Affäre, den Herrn „Polizeirat in sxs" in den Vordergrund zu schieben. Ob Herr von Lützow diesem Wunsche nachgekonMen ist, blieb am Freitag unerörtert, soviel ftett aber fest, daß zu jener Zeit in einzelnen Blättern ein Artikel erschien, in welchem die Verdienste des Herrn v. Tausch ihre Würdigung sanden und in dem u. a. hervorgehoben wurde, daß v. Tausch ehemaliger bayrischer Offizier sti, die und die Orden besitze u. s. w. Der Gerichts präsident ist mit Recht zu der Feststellung ge langt, daß Herr v. Tausch sich seines „Ver trauensmannes" v. Lützow auch zu persönlichen Interessen bedient hat. — In den Verhandlungen gegen v. Lützow und Genossen bot der Schluß tag, der Montag, als hervorragendsten Punkt die Verhaftung des Krimnalkommiffars v. Tausch wegen dringenden Verdachts des wissentlichen Meineids. Der deutsche Botschafter in Wien, Graf Philipp zu Eulenburg, hat am Montag noch zeugeneidlich ausgesagt, daß er sich niemals in Intrigen gegen das Auswärtige Amt einge lassen habe, seine Beziehungen zu Herrn von Tausch, den er in Abazzia kennen gelernt habe, beschränke sich darauf, daß er sich auf Tauschs Bitte um eine österreichische Ordensverleihung an diesen mit Erfolg bemüht habe. Das Urteil lautete gegen v. Lützow wegen wiederholter Beleidigung auf anderthalb Jahre, gegen Leckcrt wegen ver leumderischer Beleidigung in drei Fällen auf gleichfalls anderthalb Jahre, gegen den Redakteur der,Staatsb.-Ztg/ Berger auf einen Monat Ge fängnis, gegen den Redakteur Plötz (Melt am Montag') auf 500 Mk., gegen den Bericht erstatter Föllmer auf 100 Mk. Geldbuße, wäh rend der gleichfalls angeklagte Vater des Leckert fleigesprochen wurde. Don Maß und Fern. Berlin. Ein Fackelzug für den Kaiser wird, als Abschluß der Centenarfeier vom 22. März 1897, von der Berliner Studentenschaft geplant. Außerdem wollen die Studenten gleich zu Be ginn des Gedenkjahres, am 14. Januar, einen dem Andenken Kaiser Wilhelms I. geweihten Gedächtniskommers veranstalten, zu dem sämt liche Universitäten eingeladen werden sollen. Hamburg. Der Betrieb im Hafen ge staltet sich allmählich etwas reger. Der Zuzug von Arbeitern von außerhalb dauert fort, auch viele alte Arbeiter begannen wieder zu arbeiten. Die Haltung der Ausständigen ist im allgemeinen ruhig, nur an zwei Stellen wurde je ein Arbeiter von Ausständigen mißhandelt; die beiden Verletzten wurden ins Hospital gebracht. Am Montag haben 17 Versammlungen statt gefunden. In einer Versammlung der Schauer- lcutc teilte der Abg. Molkenbuhr mit, die Unter- stützungsgclder seien so reichlich eingegangen, daß die Unterstützung um eine Mark erhöht werden könne. Unverheiratete würden demgemäß neun Mark wöchentlich, Verheiratete zehn Mark und für die Kinder dem Verhältnis entsprechende Unterstützungen erhalten. Holtenau. Eine Kieler Firma hat vom kaiserl. Kanalamt die Erlaubnis erhalten, auf der hiesigen Außenreede, an der Sette des Boß- brooker Gehölzes, eine Kohlenniederlage zu er richten. Ein großer Kohlenprahm von etwa 2000 Registertons wird erbaut und dort veran kert werden. Die von See kommenden Schiffe, die den Kaiser Wilhelm-Kanal durchfahren, wer den dann leicht ihren Kohlenvorrat ergänzen können, während bis jetzt sämtliche Schiffe, denen auf der Reise die Kohlen ausgegangen waren, in Kel Kohlen einnehmen mußten. Stcinamanger. Am Montag früh spielte sich hier eine furchtbare Ehetragödie ab; der Husarenleutnant Petak feuerte je drei Revolver schüsse auf seine junge Frau sowie auf den Leutnant Baron Korb und versetzte dem Leutnant Bezeredy drei wuchtige Säbelhiebe. Frau Petak ist bereits gestorben, Baron Korb ringt mit dem Tode. Petak stellte sich dann selbst der Militär behörde. Gin Ehrenwort. Roman von L. Haid heim.*) Der Zug hielt an dem kleinen Stations gebäude. Seitwärts sah man zwei Kirchtürme und zwei Fabrikschornsteine, inmitten einer An zahl roter Dächer, zwischen welchen grüne Baum kronen emporragten. Dahinter erhob sich Wald und einige Hügel; ein Flüßchen durchzog, zwischen Wiesen sich hinschlängelnd, das weite Thal, dessen Rahmen die fernen, bläulich schim mernden Berge bildeten. Die ganze, vom großen Verkehr abseits liegende Gegend trug den Charakter ländlicher Ruhe und Einsamkeit. Am Bahnhof war niemand außer einem Arbeiter, der als Gepäckträger fungierte. Ihm übergab der ankommende Herr seinen Gepäck schein und fragte nach dem Hause des Herm Gerichtsrat Pauer, als fast atemlos ein Gerichts diener auf den Perron stürzte und, die Antwort des Arbeiters abschneidend, tausendmal um Ent- 'chuldigung bat, daß er nicht rechtzeitig da gewesen sei, der Hetr Gerichtsrat habe ihm auf die Seele gebunden, den Herrn Assessor gut zu empfangen, aber aus Versehen die Zeit falsch angegeben. „Und wie befindet sich der Herr Gerichtsrat ?" fragte der Assessor, ein schlanker Herr von vor nehmem Aussehen. „Recht schlecht, bedauerlich schlecht," zuckte der Gerichtsdiener bedenklich die Achseln. „Ja, das wollte ich ja auch nur sagen, der Herr ist heute in der Frühe halbtot abgereist *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. nach die Kaltwasserheilanstalt," sagte der Arbeiter in seinem breiten Dialekt dazwischen. „Schon abgereist?" fuhr der Assessor Traut mann herum. „Ja, und es that ihm so leid," fiel der Ge richtsdiener ein, „den Herrn Assessor nicht noch begrüßen zu können, und ich soll sehr um Ver zeihung bitten, und die Wohnung, die der Herr Vorgänger hatte, ist gemietet und ich könnte den Herrn Assessor gleich hinbringen; Müller kommt mit dem Koffer dann nach." „Nun gewiß, dann nur zu! Also eine Wohnung haben Sic mir besorgt?" „Die beste, die zu haben ist, prachtvolle Aussicht auf den Kirchhof und die Straße, und alles waS ausgeht, muß vorüber." Sie sprachen unterwegs von dem plötzlich verschlimmerten Leiden des Gerichtsrats, den Assessor Trautmann vertreten sollte. Dann waren sie am Eingang der Stadt Tristleben; es sah alles prosaisch und nüchtern aus. Die an beiden Seiten mit Linden besetzte Chaussee führte an einigen Gärten vorüber direkt in die Straße, welche, auffällig breit und bei nahe völlig leer, nur hochgiebelige, gewöhnliche Handwerkerhäuser aufwies. So ging das eine Weile, bis der Marktplatz vor ihnen lag, um geben von größeren Gebäuden, die aber auch das kleinstädtische Gepräge trugen. Au der einen Seite des Vierecks lag das Rathaus, und neben diesem bogen sie in eine andere Straße, die nur eine Reihe Häuser hatte. Auf eines derselben, es gehörte dem Tischler Erdmeier, schritten sie zu, während der Gcrichtsdiener die Leute als sehr ordentlich und rechtschaffen lobte. Im steingepflasterten Hausflur empfing die Tischlerfrau den jungen Herm, fand ihn im Stillen „ungeheuer vornehm" und gleich darauf stand er allein am Fenster der im ersten Stock befindlichen Stube, die mit einer Schlafkammer nebenan sein Quartier bilden sollte. Seine bedrückte Stimmung wurde durch die sehr sauber gehaltenen, aber äußerst einfach möblierten Zimmer nicht gehoben. Mit Seufzen gedachte Otto Trautmann seiner eleganten Jung gesellenwohnung in Berlin und seiner bisherigen Lebensgewohnheiten. Ob es denn gar nichts Besseres hier gab? Was war dem alten Herrn nur eingefallen, daß er ihn in eine solche Bude steckte? Der mochte nur an den unbesoldeten Assessor gedacht haben; was wußte er denn auch von den Verhältnissen seines Vertreters? „Ich muß mir sofort von Berlin das nötige schicken lassen," dachte der Assessor und ging schon an den Schreibtisch, um ein Telegramm aufzusetzen, als ihn ein schnell fahrender Wagen an das Fenster zurückrief. Eine elegante Equipage, bespannt mit zwei vortrefflichen Falben, war fast schon, an dem Hause vorüber. Ein einzelner Herr saß darin; Trautmann sah nur ein gebräuntes Gesicht mit dunklem Schnurrbart, und dann ging seine Thür auf, die Hauswirtin brachte ihm frisches Wasser. „Da sehen der Herr Assessor gleich den reichsten Mann unserer Gegend. So einen Reiter soll es nicht wieder geben, und wage halsig ist er, als ob ihm das Leben keinen Groschen wert wäre. Sie nannten ihn hier zu- ' weilen den „tollen Winzek", aber das war nur im Anfang, als er kam, jetzt ist er viel ge- setzter. Er ist so reich, daß er selbst nicht weiß, wie viel er hat, sagt man." „So wohnt der Herr hier?" „Vor der Stadt, Herr Assessor, kaum ein Stündchen am Fluß hinunter; — schönes Be sitztum! Hat sein Geld von der verstorbenen Frau; — sie sagen, er wolle jetzt die Tochter des Herrn von Truhn heiraten — aber ich glaub's nicht." „Also er ist Gutsbesitzer?" „Ja! Mit der Frau hat er sogar mehrere Güter, sagt man, bekommen. Neider hat er auch; die selige Frau soll erzählt haben, er habe schon einmal aufgehängt werden sollen, sei aber begnadigt worden. Er soll weit her auS Oesterreich sein. Die Frau, sagen sie, sei von geringem Stande gewesen und die Witwe eines reichen Holländers, als Herr Winzcek sie ge heiratet hat." Der Arbeiter vom Bahnhof brachte das Gepäck, der Redefluß der Frau Erdmcicr wurde unterbrochen durch das Staunen über die beiden großen Koffer, für die der Herr ihr jetzt die Schlüssel gab mit der Bitte, sie auszupacken. Sie sah ihn beinahe verdutzt an. Das hatte noch keiner ihrer Mietsherren ihr an vertraut. „Wird es wohl so gewohnt sein," dachte sie und ging hinab, sich eine Schürze zu holen. Der Assessor blickte wieder aus dem Fenster. Drüben ragte die Kirche, vor derselben lag cm schmaler Streifen, mit Rasen bedeckt, aus dem alte Grabsteine hervorsahen. Dicht an der
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