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Räucherkerzchen Eine Meihnachkserzählung für unsere Kleinen. „Zünd't nur ein Weihrauchkerzel an, Daß's nach Weihnachten riccki, Und stellt es auf das Scherbel dort. Das unkcrrn Vscn liegtl" sang der Baler, während er ein Räucherkerzchen mehrere Male blitzschnell im Kreise in der Lust Herumdrehle, um es zum Brennen anzufachcn. Hierauf nahm er den Räucherkerzchenmann aus einander und stellte es hinein. „Kinder", sagle er dann, „dies Jahr mutzt Ihr schon zufrieden sein, wenn es nur nach Weih nachten riecht. So gern ich auch möchte, ist cs mir doch nicht möglich, euch eine kleine Freude Zu machen. Es gab in der letzten Zeit so wenig Arbeit, datz ich gerade nur soviel verdiente, daß wir uns knapp sattesten konnten. Dazu Hal auch noch die Krankheit derMuttcr viel Geld gekostet." Die Mutter seufzte, der Baler aber lröslcle sie: „Laß nur gut sein, Mutter, unsere größte Weih nachtsfreude ist doch, daß du wieder gesund bist, nicht wahr, Emst?" „Ja", antwortete Ernst, der älteste Knabe, doch hörte man seiner Antwort an, daß er ein wenig Enttäuschung hinunterschlucken mußte. Er hatte sich so sehr einige Bleisoldaten gewünscht, um mit seinem Freunde Paul Krieg spielen zu können. Ach, würden das traurige Feiertage werden! Schnee gab es auch nicht in diesem Jahr, sonst hätte er sich die Zeit mit Schneeschuhlaufen ver trieben. Er Halle sich ein Paar Schneeschuhe aus Faßdauben selbst zurecht gemacht, darauf ließ sich fein fahren. Den Ruschelschlitten beanspruchten schon seine jüngeren Geschwister. „Ernst", sagle der Baker wieder, „lege einmal die Bibel auf den Tisch und schlage Lukas zweites Kapitel auf! Wenn Martha kommt, will ich euch die Eeburtsgeschichte des Heilands vorlesen." Martha war die Zwillingsschwesler von Ernst. Sie war Laufmädchen bei einem Seifensieder. Gerade als Ernst die Bibel vom Wandbrett herunterlangte, kam sie. „Ich habe beschert bekommen", rief sie schon unter der Tür. „Eine Menge schöner Sachen, eine Schürze, ein Paket Pfefferkuchen, eine ganze Tüte Nüsse und viele Aepfel; außerdem noch eine Schachtel Lichte aus dem Laden!" Probedruck aus„Melfiers Jugendbüchern"^ Land I Mcher sind jetzt noch die billigsten SrZeugnW Meisters Iugendbuchcr kosteten vor dem Kriege M. 4.—, jetziger Preis M. I.— Sie sind im allgemeinen nur um das 3. bis Z fache teurer als vor dem Kriege, während alle anderen Waren das ^o-,2o. und Mehrfache kosten. erstrahlte, begann die Mutter auszuteilen. „Du bist ein braves Mädchen, Martha", lobte sie, dämm sollst du auch deinen Freudestrahlend legte sie die Sachen auf den Tisch und bat: „Da Bitter, stecke die Lichte auf die Pyramide, daß sich alle daran freuen können, und du, Mutter, bist wohl so gut, die Aepfel und Man beachte diese Tatsache besonders beim Einkauf von Nüsse sowie die Pfefferkuchen auszuleilen. Es sind gerade sechs im Paket: wenn ich und Lenel, das noch keine Zähne hat, keinen essen, kommt auf jeden einer." Der Bater hatte die Pyramide wohl aufgebauk, aber keine Lichte darauf kaufen können, darum steckte er sie hocherfreut auf; und als die Stube dann im Hellen Lichterglanz Pfefferkuchen haben, ich werde mir einen mit dem Baker teilen." — „Nein, Mutter, nimm den meinen, daß du auch einen ganzen hast", wandte Ernst ein. Es kam ihm auf einmal recht beschä mend vor, daß seine Schwester, die so gut wie er erst elf Jahre al! war, ihren Angehörigen durch ihrer Hände Arbeit eine Freude bereiten konnte. Martha wollte das nicht gelten lassen, und schließlich kam man überein, daß sie mit der Mutter, Ernst mit dem Baker teilen sollte. Als die Kinder wieder ruhig geworden waren, begann der Baker vorzulesen, und die ganze Fa milie hörte andächtig zu. Doch Ernst war heute gar nicht recht bei der Sache. Er hätte auch gern seine Eltern ein wenig mit unterstützt, aber wo mit? „Das Geld liegt auf der Straße, man muß es nur aufzuheben verstehen," hatte er einmal gelesen. Sollte er sich zum Wegelaufett anbieten? Das würde wenig Zweck haben; man nahm dann doch lieber — ein Mädchen, weil das der Haus frau auch in der Wirtschaft helfen konnte. Nach denklich jieß er seine Augen von einem Gegen stand zum andern gleiten. Dort auf dem Fenster brett stand sein Gumminäpfchen. Er hatte in guten Tagen Knöpfe gestopft. Jetzt war alles eingekrocknet und der Stocher festgeklebt. In Posa menten gab es nichts zu tun. Seine Augen wanderten weiter und blieben bei dem Näucherkerzenman stehen, der ruhig seine Pfeife rauchte. Da kam ihm ein Gedanke! Sah nicht in seiner Klaffe ein Mitschüler, der Räucherkerzchen in einer Drogerie machte? Wenn er nun auch einmal dort anfragke? Beim Essen teilte er seinen Eikern seinen Ge- danken mii, und vom dritten Feiertage an durste er wirklich jeden Tag für einige Stunden in dis Drogerie kommen. Sei Freund Paul ging auch mit. Nun stellten sie statt Bleisoldaten Räucher kerzchen in Reih und Glied auf. Und diese stan den gegenüber wie zwei feindliche Heere, denn die eine Hälfte der Knaben formte rote, die mit allerhand Kräutern vermengt waren, die andere schwarze, welche nach Weihrauch, Benzoe und Ctorar rochen. Und die roten wanderten weit hinaus in alle Welt, die schwarzen aber blieben im Erzgebirge, wo man sie nur zu Weihnachten anbrennt. Die Knaben wetteiferten immer miteinander, , wer die größte Räucherkerzchen-Armee aufstellen könnte, und Ernst vermißte seine Bleisoldaten nicht. Als dann wieder Weihnachten kam, wa ren bei den Ellern bessere Zeiten eingekehrt, und da er auch seinen Teil dazu beigctragen hatte, sang er diesmal mit ganz besonderer Begeiste rung: »Zünd'i nur ein Weihrauchkerzel an, Dah's nach Weihnachten riecht, Und stellt cs auf das Scherbel dort, Das unicrnl Gfen UegtI"