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Allgemeiner Anzeiger : 08.09.1917
- Erscheinungsdatum
- 1917-09-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191709088
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1917
-
Monat
1917-09
- Tag 1917-09-08
-
Monat
1917-09
-
Jahr
1917
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 08.09.1917
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Der Tlsrt unserer Kolonien. Es ist bisweilen nicht ohne Interesse, die Ansichten unserer Gegner über die deutschen Kolonien zu hören. In England z. B. werden sic sür gewöhnlich nicht sonderlich hoch bewertet. Die Engländer, die ja beinahe zwei Drittel des gesamten Kolonialbesitzes der Erde ihr eigen nennen, sehen gerne mit etwas Geringschätzung auf den deutschen Kolonialbesitz herab, der nur den zehnten Teil der Fläche des britischen um faßt und weit mehr noch in Erschließung und Handel hinter ihm zurücksteht. Die Franzosen, die Herren des nordwestlichen Teiles von Afrika und Judo-Chinas, dünken sich als Kolonialvoik nicht minder über die Deutschen erhaben. In ihrer Presse kommt das fast immer zum Aus druck, wenn von deutschen Kolonien die Rede ist, besonders jetzt im Kriege. Vian niag ruhig zugeben, daß unsere Kolonien in wirtschaftlicher Hinsicht sür die Eng länder und Franzosen nur bedingten Wert be sitzen. England, das bereits vor dem Kriege seinen Nahrungsmittel« und Rohstoffbedarf zu beinahe 30°/» aus eigenen Kolonien deckte und bei planmäßigem Vorgehen ein noch weit gün stigeres Ergebnis erzielen kann, würde zwar in den Kautschuk- und Sisalhanf-Pflanzungen Ost- asrikas, den Kokospalmen Neuguineas und den KakaoplantagenKamerunseine nicht zuverachteude Bereicherung seines weltwirtschaftlichen Besitzes sehen. Aber es hat bereits in seinen eigenen Kolonien für den Bezug dieser Dinge eine reiche Quelle und damit eine ziemlich weit gehende Unabhängigkeit vom Weltmarkt. Vom Verkehrs- und machtpolitischen Standpunkt. aus werden Franzosen und Engländer (Ostafrika I) unsere Kolonien natürlich höher bewerten. . Ander? haben wir unsere Kolonien wirt schaftlich einzuschätzen. Wenn ein bekannter Volkswirtschaftler berechnet, daß der Wert des von uns besetzten Gebietes etwa das Zwanzig sache desjenigen Wertes darstellt, den unsere in die Hände der Feinde gefallenen Kolonien haben, so mag das, absolut genommen, zu treffen. Aber derartige Vergleiche können leicht zu einer ganz verfehlten Beurteilung der Frage führen. Der absolute, in Geld umgerechnete Wert der wirtschaftlichen Anlagen darf hier nicht als Maßstab angelegt werden. Zu berücksichtigen sind einmal die Entwick lungsmöglichkeiten, und die sind in unseren Kolonien gerade in den letzten Jahren vor Kriegsausbruch besonders aussichtsreich gewesen; dann aber auch der Umstand, daß es sich bei der Kolonialwirtschaft um eine unbedingt not wendige Ergänzung unserer heimischen Wirt schaft ' handelt. Nach dem Kriege müssen wir Baumwolle, Kautschuk, Palmkerne, Hanf, Kupfer usw. — Dinge, auf deren Bezug unsere Textil- und Gummiindustrie, unsere Elektrizität?-, Seifen- und Ölindustrie unbedingt angewiesen sind — in ausreichendem Maße zu angemessenen Preisen erhalten. Kohlen und Eisen haben wir im Überfluß. Aber jene Dinge fehlen uns im eigenen Lande, und deswegen brauchen wir Gebiete, die sie uns wenigstens zum Teil liefern. Geht doch die Absicht unserer Gegner eingestandenermaßen dahin, uns als Kon sumenten wie als Produzenten unter ihre Kon trolle zu bekommen. Und ihre Hoffnung, diesen Wirtschaftskrieg mit Erfolg zu führen, gründet sich nicht zuletzt darauf, daß es ihnen gelingen werde, uns aus den überseeischen Besitzungen zu verdrängen. Diesen Wirtschaftskrieg müssen wir verhindern. Das können wir auch, aber nur dann, wenn wir genügend großes Gebiet in tropischen und subtropischen Ländern unser eigen nennen. Unsere bisherigen Kolonien haben uns etwa 3°/o unseres Milliardenbedarfes an kolonialen Produkten gedeckt. Wäre der Krieg nicht ge kommen, so würde heute bereits der Prozentsatz beträchtlich überschritten sein. Man vergesse nicht, daß eigentlich erst in den letzten Jahren vor dem Kriege in unseren Kolonien die Vor bedingungen sür eine rationelle, auch für die Allgemeinheit des Mutterlandes nutzbare Be wirtschaftung geschaffen wurden. Erst in den Etats der letzten Jahre finden wir größere Ausgaben sür Wege-, Brückenbauten, Wasser- anlagen, Daumwollkulturen, Eisenbahnerkun dungen usw. Aber der Erfolg hatte sich bereits gezeigt. Immer mehr Land wurde in Plan lagenbewirtschaftung genommen. In Ostafrika, um nur ein Beispiel an zuführen, waren 1908 noch nicht 12 000 Hektar mit Kautschuk bebaut. Fünf Jahre später be trug die bebaute Fläche bereits weit über 100000 Hektar. Davon waren 1908 2150 Hektar ertrag fähig, 1912 56750 Hektar I Das gleiche Bild erfreulicher Entwicklung zeigte die Ein- und Ausfuhrstatistik unserer Kolonien, die stets im Wachsen begriffenen eigenen Ein nahmen und die entsprechende Verminderung der Reichszuschüsse. Kurz: Wir standen bei Kriegsausbruch in unseren Kolonien vor der Zeit der Ernte. Der Krieg hat nun die Ent wicklung unterbrochen. Aber wenn wir nach dem Kriege dort wieder anknüpfen, wo wir vor drei Jahren gezwungenermaßen aushörten, werden wir allein schon in unseren Kolonien ein Mittel in der Hand haben, unsere heimische Volkswirtschaft aus eigenem überseeischen Grund und Boden wenigstens zum Teil zu ergänzen, und nicht gänzlich der Willkür unserer Feinde ausgeliefert sein. verschiedene Megsnachrichten. Der Ruf nach Japans Hilfe. Im Pariser ,Petit Journal' schreibt Senator Humbert: Der chinesische Generalstabschef Tsan- Tsai-Li hat soeben bekanntgegeben, daß es die Absicht Chinas sei, noch vor dem Frühjahr zwei Divisionen an die französische Front zu senden. Wenn gleichzeitig in der Presse darauf hin gewiesen wird, daß im japanischen Heer rege Tätigkeit herrscht und dessen Stärke 2^2 Millionen Mann beträgt, so ist das kaum ein Zufall. Schon 1914 hatten manche, so Pichon im .Petit Journal', darauf hingewiesen, wie erwünscht ein Eingreifen Japans auf dem Kriegsschauplatz sei. Die Schwierigkeiten, die sich damals einem solchen entgegenstellten, dürften jetzt behoben seinl Im Juli 1916 haben Rußland und Japan einen Vertrag ab geschlossen, durch den das Mandschuproblem be seitigt ist, und au Differenzen Japans mit den Ver. Staaten ist auch nicht mehr zu denken, denn beide Länder sind ja jetzt verbündet. Schon zeigen japanische Kreuzer ihre Flagge im Mittelmeer. Nach der Kriegserklärung Chinas aber steht der politische Himmel sür Japan herrlich blau aus. Dringend erwünscht ist, daß alle Kräfte der Verbandsmächte jetzt verwandt werden, und die Japaner find an der russischen Front nötiger als je. — Die Pariser Ausgabe des ,New Jork Herald' weiß indessen aus Tokio zu berichten, daß der japanische Ministerrat das Gerücht von japanischen Truppensendungen nach Europa in bestimmter Form als Erfindung be zeichnet. * Englische Eingeständnisse. Die Gesamtzahl der britischen Schiffe, die seit 15. Februar durch U-Boote ver senktwurden, wird in einer Londoner halb amtlichen Meldung angegeben mit 695. Das ist ein Wochendurchschnilt von 25,7. Davon waren 525 über 1600 Tonnen. Die Anzahl der erfolglos angegriffenen Schiffe soll 452 be tragen oder 17 in der Woche. * Ei» Vorschlag zur Verständigung. Die englische Sozialistenpartei hat ein Pro gramm für die Friedensbedingungen aus- geaNeitet, in dem gefordert wird, daß die Be völkerungen von Elsaß-Lothringen, Polen, dem Balkan, Armenien, Indien, Ägypten, Irland usw. in einer Volksabstimmung ihre Regierung selbst wählen sollen. Die Kriegsbeschädigungen sollen durch einen gemeinsamen Fonds, zu dem jeder der Kriegführenden einen Betrag steuert, beseitigt werden. Mesopotamien soll an die Türkei und die deutschen Kolonien sollen an Deutschland zurückfallen. — Wenn diesem Vor schlag auch keinerlei Bedeutung zukommt, weil er ohne Mitwirkung der Negierung gemacht wird, so Zeigt er doch, daß manche Kreüe in General Suchomlinow. In Rußland hat das Strafgericht gegen den wüstesten Kriegshetzer, gegen den früheren Kricgs- minister General Suchomlinow begonnen. Es ist ein Bild der Verkommenheit, der Verlogenheit, der niedrigsten Gesinnung, das sich da vor unseren Blicken aufrollt, und es zeigt, mit welchen verwerf lichen Mitteln das ruisische Volk in den Krieg gegen uns gehetzt worden ist. ES ist jetzt bereits ein Teil des Schleiers, der bisher noch über den Ereignissen der schicksalslchweren Tage unmittelbar vor dem Kriegsausbruch gebreitet war, in dem Zeugenverhör beim Prozeß Suchomlinow gelüftet worden, und was wir da schaudernd erkennen, ist, daß die Peters burger Hetzer, voran der bösartige Suchomlinow, den unglückseligen Schwächling Nikolaus, der noch im letzten Augenblick vor dem Unheil zurückbebte, das er anzurichten im Begriff stand, durch frech« Lügen und gewissenlose Zettelungen in das Unheil hincinhetztcn. polMcbs ArmcilckLU. Deutschland. * Reichskanzler D r. Michaelis empfing auf seiner Reise durchBelgi e n in Brüssel eine Abordnung des Rates von Flandern, die ihn in einer längeren Ansprache begrüßte. Der Reichskanzler nahm in seiner Erwiderung Bezug auf die Erklärungen, die dem Rat von Flandern bei dem Besuche in Berlin am 3. März d. I. von seinem Amtsvorgünger gegeben wurden, und bemerkte, daß sich an dem Standpunkte der Reichsregierung nichts geändert habe. * Nach Berichten aus Wien und Berlin rechnet man an dortigen diplomatischen Stellen nicht mit einer sehr bald erfolgenden Beantwor tung der Papstnote durch die Mittel mächte. Die Antwort erfordere Zeit und * England langsam sich zu klareren Gedanken durchringen. * Argentiniens Nentralität. Der Pariser ,Temps' meldet aus Buenos Aires: Ein Manifest mit über 100 000 Unter schriften, darunter der des ehemaligen Ministers Alessio Gomez, des Kammerpräsidenten Demaria sowie einer Gruppe katholischer Deputierter, fordert den Präsidenten der Republik auf, die Neutralität Argentiniens auf- rechtzu erhalten. * Die Kriegskredite der Ver. Staaten. Das Repräsentantenhaus der Ver. Staaten hat die Erörterung über die Eröffnung neuer Kredite in Höhs von 11Vs Mil liarden Dollar begonnen. Dir Ausgaben sür das Steuerjahr betragen 18 Milliarden Dollar einschließlich 7 Milliarden Vorschüsse an die Alliierten. Die Regierung wird voraussichtlich einen Gesamtkredit 'von 21 Milliarden Dollar (85 Milliarden Mark) fordern. Ferner wird der Marineminister im Laufe der Woche einen außerordentlichen Kredit von 1750 Millionen Frank für den sofortigen Bau einer großen Torpedojägerflottille anfordern. gründliche Bearbeitung der einzelnen Punkte, die je nach dem Standpunkt für die Verbün deten von größerer oder geringerer Bedeutung sei. So stehe beispielsweise der Begriff de» Freiheit der Meere für die Türkei im Mittel punkte ihrer Erwägung, die damit die Darda nellenfrage in enge Mitleidenschaft gezogen sieht. Wenn alle Mittelmächte die Papstnote mit, gleichbleibender Sympathie betrachten, kann anderseits kein Zweifel bestehen, daß die Note in mancher Beziehung Einseitigkeiten aufweist, die für die Mittelmächte die Stellungnahme er schweren. * In der letzten Sitzung des Bundes- rats wurden angenommen die Vorlage über die Bekämpfung von Pflanzenkrankheiten, die Vorlage betreffend die Veröffentlichung der Handelsregistereintragungen und ein Antrag auf Verlegung des Inkrafttretens der Bekannt«, machung vom 3. August 1917 über die Ver anstaltung von Lichtspielen. Österreich-Ungarn. *Das großzügige Programm deS nunmehr ernannten Ministeriums Wekerle hat in Österreich den allgemeinen Beifall gefunden. Insbesondere hat man mit Genugtuung Kenntnis von der beabsichtigten Schaffung der Ministerien für soziale Fürsorge und für Volksgesundheitspflege genommen. ' Der Deutsche Nationalverband des öster reichischen Reichsrates hielt eine Versammlung ab, in der über die auswärtige Politik und die Friedensfrage gesprochen wurde. Es wurde ein Antrag angenommen, an dessen Schluß es heißt: „Der Deutsche National verband warnt mit Nachdruck vor Friedens- Vorschlägen, die Triest und Südtirol betreffen. Jeder Versuch, mag er von welcher Seite immer kommen, der unternommen werden sollte, Triest und Südtirol - zu Italien zu bringen, muß und wird alle deutschen Öster reicher zum fortgesetzten rücksichtslosesten Wider stand bereit finden." Polen. *Der Rücktritt des polnischen Staatsrates soll angeblich wegen Verschickung der pol nischen Legionen zum österreichischen Heer erfolgt sein. Natürlich ist das nur ein Borwand, denn dieser Abtransport der polnischen Legion an die Front wurde durch die Kricgs- notwendigkeit veranlaßt, alle versügbaren kampf tüchtigen Truppen einzusetzen. Deshalb mußte auch auf die im Generalgouvernement Warschau bereitgestellte Legion, die zum weitaus größten Teil aus Galizien stammte, k. u. k. Heeres- angehörige umfaßt, zurückgegriffen werden. Frankreich. * Präsident Poincarö, der in Verdun dem General Potain das Großkreuz der Ehrenlegion überreichte, hielt eine Rede an die Frontsoldaten, in der er mit bitteren Worten der inneren Schwierigkeiten Frankreichs gedachte. Der Staatschef er klärte, jede Unterstützung der Absichten Deutsch lands, in den Verbandsstaaten innere Wirren anzustiften, sei verwerflich und schimpflich. — Er spielte damit offenbar auf Clemenceans Kampf gegen das Ministerium an. England. * In London wird die Bildung einer neuen nationalen Partei bekannt gemacht. Sie besteht aus einer Anzahl Unio nisten und will für Reformen zum Zusammen schluß der nationalen Elemente und eine wirk same Landesverteidigung eintreten. Die Kund gebung der neuen Partei sagt: „Es ist unser Ziel, das allgemeine Bedürfnis nach einer auf bauenden Politik auf demokratischer Gmndlage und die Aussicht auf ein baldiges siegreiches und entscheidendes Kriegsende zu verwirklichen." Amerika. "Verschiedene New Dorier Blätter sind in der Lage, Einzelheiten aus der Antwort Wilsons an den Papst mitzuteilen. Danach erklärt der Präsident, es könne keinen Frieden und keinen Vergleich mit dem Preußen tum geben. Die Blätter stimmen dem Präsi denten zu und meinen, die Antwort Wilsons enthalte eine neue Aufforderung an das deutsche Volk, seine Ketten zu brechen. Oie eiserne ^sor. W 12j KriegSroman von G. v. Br 0 ckd 0 rff. MD (Fortl-tzmg.) Manchmal setzte er sich an das Instrument im Nnterhaltyngszimmer und begann zu spielen; frische lustige Volks- und Vaterlandslieder, wie sie die Soldaten auf dem Marsch singen; und die Verwundeten lauschten mit glänzenden Augen durch die offenen Türen des Krankensaals. Ein froherer Zug als je herrschte jetzt in den »roßen, rveißgetünchten Räumen, in denen eS stets nach Verbänden und Desinfektionsmitteln roch, und die häufiger schmerzvolle- Stöhnen hörten als fröhliches Lachen. Das Lazarett rüstete zu einer Weihnachts feier. Der alte Sanitätsrat machte geheimnis volle Andeutungen über eine riesige WeinachtS- tanne, die er stiften wollte, und die so aufgestellt werden sollte, daß auch die Schwerverwundeten sich von ihren Belten aus am Kerzenglanz der Heimat freuen konnten. Die halb Genesenden schmiedeten in aller Stille gewichtige Pläne. Weihnachtsgedichte wurden ausgesucht und eingeübt, lustige Weih- nachtsverse verbrochen und allerlei kleine Ge schenke für die kranken Kameraden zurecht gebastelt. Wenn Sabine durch die Säle ging, sah sie ihre Pflegebefohlenen mit leuchtenden Augen hinter ihrer heimlichen Arbeit fitzen. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. War's möglich, daß diese Leute mit dem Kindergemüt dieselben waren, die auf Rußlands Eisfeldern mit einem unmenschlichen Feinde gerungen und mit halbwilden Völkern in ein schauerliches Ge metzel geraten waren? Nun warf die Weihnachtszeit ihre ersten . leuchtenden Strahlen in die Säle des Lazaretts und ließ alles Elend der Vergangenheit ver gessen. Noch war es November, kalter, nebliger November, aber in den Herzen der meisten brannte ichon der Lichterbaum in strahlendem Glanz. Nur Sabine Asmussens Herz war dunkel in dieser Zeit des Hoffens und der Vorsteude. Es war müde geworden von all dem vergeb lichen Warten, von der immer neuen Ent täuschung jedes Tages, müde und freudlos. Ihre lange Zeit hindurch aufs höchste ange spannten Nerven waren Plötzlich erschlafft; mechanisch tat sie nun die Arbeit, die früher ihr Trost und ihre Freude gewesen war. Eine stille, verzweifelte Hoffnungslosigkeit war über sie gekommen. Warum schrieb Werner nicht? Was konnte geschehen sein, das ihn am Schreiben hinderte? An den Trost des Blinden mit der Feldpost glaubte sie nun nicht mehr. Sie erwog alle Möglichkeiten, ohne eine Beruhigung dabei zu finden. Manchmal in der Nacht fuhr sie aus den Kiffen auf. Ging unten das große Portal? War Werner heimlich zurückgekehrt? Aber alles blieb still, und sie preßte das Gesicht in die Kissen und weinte. „Bist du krank, Sabine!" fragte Beate manchmal. „Sie müssen sich schone», Frau Asmussen," sagte der alte Sanitätsrat. „Sie kommen bei der Arbeit sonst vollständig auf den Hund." Sabine lächelte traurig. „Es ist nicht die Arbeit," dachte sie. In den letzten Tagen des November, als sie sich keinen Rat mehr wußte, suchte sie Frau von Sanden auf. Die junge Frau, die vor drei Wochen ein Kind geboren hatte, saß noch matt und ange griffen in ihrem Lehnstuhl am Fenster. Auch sie war blaß und schmal geworden seit jener Begegnung auf dem Bahnhofe. Auf Sabines Fragen brach sie in Tränen aus. Sie hätte vor acht Tagen einen Brief ihres Mannes erhalten. Die sechste Kompanie läge seit mehreren Wochen im Feuer. Die Franzosen hätten einen Durchbruch versucht. „Wenn er doch wenigstens sein Kind noch gesehen hätte," klagte die junge Fräu. Sie führte Sabine an das Bettchen, aus dem ein rosiges, friedliches Gesichtchen unter dunklen Härchen hervorlugte, und begann von neuem zu schluchzen. Mit bleichen Lippen sah Sabine auf das Kind. Sie fand kein Wort des Trostes für die Weinende; ihr Herz war in diesem Augenblick so schwer, sie fühlte sich so schwach und hilflos, daß sie unfähig war, andere zu stützen und auf zurichten. Müde und doch dabei noch unruhiger als sie gekommen, kehrte sie nach Haus zurück. Sie schalt sich selbst wegen ihres Kleinmuts und vermochte ihn doch nicht niederzuringen. War ihr Los nicht das von Millionen deutscher Frauen? Durfte sie verzagen? Wieder siel ihr ein Wort des Blinden ein. „Und wenn cS nur des Beispiels wegen wäre." Sabine Asmussen zuckte müde die Schultern. Die Kraft, — woher die Kraft nehmen? Dies« junge Frau von Sanden, in all ihrem Unglück, war besser daran als sie: Sie hatte ein Kind für das sie leben mußte, für dar sie arbeiten konnte. „Habe ich nicht in de« vergangenen Wochen die Unglücklichen im Lazarett als meine Kinder betrachtet?" fragte sich Sabine. „Bin ich nicht glücklich gewesen in dem Gefühl, ihnen helfen, für sie schaffen zu können?" Sie preßte die Lippen zusammen. Nein — sie durste nicht verzagen. ES mußte weiter Ar tragen werden. Sie ging weiter ins Lazarett und tat ihre Arbeit. AuS dem Unterhaltungszimmer klangen jetzt Weihnachlslieder. Der blinde Lehrer saß am Klavier und spielte: „Es ist ein Rosi entsprungen AuS einer Wurzel zart." , . - Die jungen Helferinnen und Schwestern auf den Korridoren summten die Melodie leise nach. Die Verwundeten hörten lächelnd dis alte Weise und dachten an den Lichterbaum zu Hause. Sabine halte sich in den letzten Wochen nach Schwester Fn-nMa umgesehen. Es hieß, sie wäre krankheilsbalder beurlaubt. ,,Wir tragen beide eine SSkge," dachte Sabine. „Arme, unglückliche Fraul" Wenn Semester Franziska wiederkam. wollte sie zu ihr sprechen wie eine Freundin,- Wollte ihr ssMy. daß sie beim Kunsthändler
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