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Minderwertiges ab; umfangreicher und doch geschlossener er wuchs die Sammlung; sie lernten die Antiquare unterscheiden, ihren Wert oder Unwert abwägen, und halten sie Glück, fanden sie unter ihnen einen, dem sie restlos vertrauten und mit dessen Rat sie gut fuhren. Diese Allgemeinheiten voransetzend, möchte ich nun versuchen, einige Sammlertypen, die ich kannte, hier zu skizzieren; daß die noch aktiven Herren mir es nicht verübeln werden, wenn ich sie in meiner Erinnerungsgalerie auffllhre, hofse ich. Da die engste Verbindung zwischen Sammler und Antiquar nur möglich ist, wenn beide denselben Wohnort teilen, so ist demsnisprechend die Schilderung gerade der solgendcn Sammlerpersönlichkeiten darauf zurückzufllhren, dast sie alle — mit Ausnahme zweier Berliner Herren — in Frankfurt (Main) ihren Wohnsitz hatten und ich als dort ansässiger Antiquar in Beziehung zu ihnen zu stehen das Vergnügen hatte. Zuerst möchte ich einige der schon dahingegangenen Sammler nach ihren Gebieten kurz schildern. Da war noch in meiner ersten Frankfurter Gehilfenzeit der Doktor Ern st Kelchner, Bibliothekar an der Stadtbibliothek. Aus der Buchhändlerlaufbahn hervorgegangen, hatte er sich in Freiburg im Breisgau den Doktor geholt, was in der Zeit, in der es vor sich ging, nicht sehr schwierig war. Er war ein kleiner, sehr wohlbeleibter Herr mit rosigen, dicken Backen, über die aus goldgefaßten Brillengläsern kleine bewegliche Äuglein herab sahen, eine immer geschäftige Natur, die stets bereit war, biblio graphische Auskünfte zu erteilen. Das Material dazu besaß er, eine der umfangreichsten Katalogsammlungen, an der er Zeit seines Lebens gesammelt hatte; der Grundstock mochte vielleicht noch in seiner Buchhändlerzeit gelegt worden sein. Diese in ihrer Art einzige Sammlung kam in den Besitz derStadtbibliothek, diesie käuflich übernahm, gegen Zahlung einer Rente nach erfolgter Pensionierung des Sammlers. Kelchner ist kurze Zeit darauf gestorben; er war verschiedentlich schriftstellerisch tätig, nament lich auf lokalem Gebiete, auch eine ^rs moi-wackl hat er neu heraus gegeben. Man konnte von ihm außer bibliophilen Auskünften auch sonst manches erfahren, was gerade zu hören wünschens wert war, denn Kelchner kam überall herum, und aus dem Grund« wurde er von den Buchhändlern warm gehalten. Ganz das Gegenteil hiervon stellte ein anderer Sammler dar, vr. Heller. Von Haus aus Arzt, hatte er seine Praxis ent weder nicht ausgeübt oder aufgegebcn und lebte Privatisierend in einem schönen Hause an der Eschenheimer Anlage. Heller war ein leidenschaftlicher Sammler der Graphik des neunzehnten Jahrhunderts, nicht nur der deutschen, sondern auch der ausländi schen, und zwar begann er zu einer Zeit zu sammeln, als die Blätter der Künstler dieser Epoche noch sehr billig zu haben waren; ich habe nie Gelegenheit gehabt, die Hellersche Samm lung als Ganzer zu sehen, da der Besitzer nichts Mitteilsames in seinem Wesen hatte. Aber nach dem zu urteilen, was ich Ge legenheit hatte zu bemerken bei Ankäufen und Erwerbungen auf Auktionen, wo ich mit dem Sammler zusammentraf, mußte die Kollektion eine sehr bedeutende sein. Heller war ein gründlicher Kenner seines Gebietes und widmete sich ziemlich ausschließlich seiner Liebhaberei. Er war bis auf ein etwas schielendes Auge ein ideal schöner Mann, eine groß«, schlanke Erscheinung, mit blei chem, edlem Profil, in seinem Wesen scharf und sarkastisch, so steht die Persönlichkeit in meiner Erinnerung. Dann zwei Frankfurter Sammler, die ich in ihren letzten Lebensjahren kennen lernte. Beider Frankfurter Gestalten aus der Zeit der Freien Reichsstadt: der eine Justizrat vr. Euler, ein viclbeschöstigier Rechtsanwalt und eifriger Geschichtsforscher, speziell der Frankfurter Lokalgeschicht«. Euler besaß eine um fangreiche Bibliothek, die alle Zimmer seines Hauses bis auf den Treppenflur hinaus für ihre Unterbringung in Anspruch nahm, alles peinlich geordnet und jederzeit zur Verfügung bereit stehend. Der alte, kleine Herr mit dem Weißen Haar und der großen schwarzen Hornbrille war eine fleißige Bienennatur. Außer den Berufsarbeiten verfaßte er zahlreiche Abhandlungen und fand immer noch Zeit für den Besuch von Theaterpremieren oder für sonstige gesellige Kreise, in denen er erschien. Der größte Teil 1406 seiner wertvollen Bibliothek, die namentlich in den Fächern der Geschichte und Jurisprudenz sehr reichhaltig war, gelangte in den Besitz des Germanischen Museums in Nürnberg, Wohl auch durch Vermächtnis. Der andere Herr aus dieser Zeit war Herr Senator I>r. Speltz, ebenfalls ein untersetzter, kleiner, weißhaariger Herr mit goldner Brille. Er war der letzte Polizeigewaltige (Polizei präsident) der Freien Stadt gewesen und konnte es nicht ver gessen; im Verkehr war er aber ein sehrmmgänglicher Mann trotz seiner Wohl cholerischen Natur. Speltz war ein sehr eifriger Frankofurtensiensammler; wie oft habe ich ihm die riesengroße Mappe der Frankfurter Ansichten des Völckerschen Antiquariats vorgelegt, die nur zwei Mann zu heben imstande waren, und gewöhnlich fand er doch etwas, was ihm fehlte. Seine Samm lung erhielt nach seinem Tode die Stadtbibliothek. Von seiner Rechtsprechung erzählte mau sich folgende Anekdote: Eine Schlä gerei zwischen Frankfurtern und Fremden hatte stattgefunden. Beide Parteien waren vor Speltz vorgeladen; di« Frankfurter wurden väterlich vermahnt, derartiges in Zukunft zu unterlassen, und dann — sich zum Ausgang nach dem Zimmer der Gegen partei wendend — fügte der Polizcichef hinzu: -den« Fremde wolle wir s aber zeige«. Noch zwei andere Frankfurter Sammlergestalten möchte ich nur im Vorbeigehen erwähnen: I»>. Belli aus der bekannten Patrizierfamilie, ein Privatgelehrter, unverheiratet, von dem man meist nur ein zustimmendes Knurren als Antwort aus einen Vorschlag bekam, da er das Sprechen nicht liebte. Seine schönen Sammlungen, darunter wertvolle Fraukofurlensien, wie die so ungemein selten verkommende große vierblältrigs Ansicht von Frankfurt M. Merlans und Ähnliches, gingen nach dem Hin scheiden des Besitzers an das Historische Museum über. Als zweiter: Klein-Hofs, der ehemalige Bäckermeister, später im Vorstande des Städelschen Museums; er erreichte ein hoher Alter und trug seine lange Gestalt noch ziemlich rüstig mit achtzig Jahren, Sein schönes Haus in der Westendstratze barg manches Gute: wundervolle Exemplare von Braun und Hogen- bergs Städtcbuch, die Frankfurter Diarien in Prachtexemplaren, Merians Topographien, Schedels Chronik und andere Selten heiten; eine sehr wertvolle Handzeichnungensammlung, die na mentlich gute Niederländer und einige köstliche französische Blät ter des achtzehnten Jahrhunderts enthielt, auch Ölgemälde. Die Handzeichnungensammlung wurde nach München noch zu Leb zeiten Hoffs verkauft. Ein Zeitgenosse Hosfs war I)r. Linel, privatisierender Ju rist; mit reichen Mitteln lebte er, in kinderloser Ehe, später als Witwer, ganz seinen Sammlungen in der Eschenheimer Land straße, wo er den ersten zimmerreichen Stock eines Hauses ange- füllt hatte mit Gemälden, Antiquitäten, Münzen, Büchern, Manu skripten und Stammbüchern. Seine Schätze zeigte er gern den Besuchern und freute sich, wenn er anerkennende und verständ nisvolle Urteile entgegennehmen konnte. Sehr geordnet waren die Sachen freilich nicht. Die Gemälde, unter denen manches > Minderwertige und Fragliche sich befand, hingen recht hübsch symmetrisch an den Wänden der Zimmer, aber alle sonstigen Gegenstände seines Sammeleifers waren ungeordnet in Glas- Vitrinen und Schränken untergebracht, so, daß bei Hervorsuchung eines bestimmten Stückes immer ein« Revolution in den Kästen und ein« Umstellung in den Schränken sich als nötig erwies, um zum Ziele zu gelangen. Der Doktor schien jedoch das Lästige dieser Unordnung nicht zu empfinden; er jammerte Wohl über Platzmangel, aber es verblieb bei dem Modus. Nach einem feste» Plan hatte Linel nie gesammelt, mit Ausnahme einer Richtung — seine Siammbücher-Sammlung war zielbewußt an gelegt und durchgeführt, sie war innerhalb seiner Liebhabereien > sein Steckenpferd. Von diesen Freundschaftsbüchern mit eigen händigen Eintragungen in Prosa und Gedichtform, mit Male reien, Stickereien und sonstigen künstlerischen Beigaben hatte! Linel etwa 1000 Exemplare zusammengcbracht vom 16. bis! 19. Jahrhundert; auf diesem Gebiete herrschte relative Voll ständigkeit. Die Sammlung bot einen vollständigen kulturellen! i überblick über die Jahrhunderte und die wechselnden Geschmacks-