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Der Mann, bei dem ich ziemlich im Innern Javas aus einer mittelgroßen Besitzung Wohnung genommen hatte, erschien mir wenig sympathisch. Es gab aber weit und breit keine andere Nieder lassung und da mich das Jagdficber ergriffen hatte, so erschien mir die Jagd in diesen Bergen unver gleichlich. Im übrigen war Mr. Welldon, der ganz allein mit einer Schar von Dienern und Knechten seine Besitzung bewirtschaftete, ein wort karger Mann, der mich nicht weiter genierte. Eines Abends kam ich von der Jagd nach Hause und fand die Diener gestikulierend beisammen; sie umstanden den Körper ihres Herrn, der, eine klaffende Wunde in der Brust, tot auf der Erde lag. Ich stürzte hinzu: „Was ist geschehen? Wie hat sich das ereignet?" Die Javaner zuckten die Achseln. Niemand konnte mir Antwort geben. Ich sandte sofort nach der nächsten Stadt, um einen Arzt zu holen. Ein Javaner warf sich aufs Pferd, um den Polizeiposten zu benachrichtigen, der sieben Stunden entfernt war. Da niemand unter den eingeborenen Dienern sich auf Medizin verstand — Mr- Welldon hatte niemals mit Europäern verkehrt — so blieb mir nichts anderes übrig, als den Tod sestzustellen. Welldon war schon vor wenigstens einer Stunde verschieden. Die ganze linke Brustscite war zerrissen, ebenso das Herz. Am meisten fiel mir die Schußwunde auf, daS heißt, es war überhaupt keine Schußwunde, denn eine Kugel konnte unmöglich ein Loch von solcher Größe Hervorrufen und das ganze Fleisch nach allen Seiten zerreißen. Die Nacht über blieb der Tote in seinem Zimmer aufgebahrt. Am nächsten Morgen kamen reitende Polizisten zusammen mit dem Arzt, der natürlich nichts weiter tun konnte als den Toten schein ausstellen. Er sowohl wi« die Polizisten pflichteten mir bei. Es war unmöglich festzustellen, auf welche Weise Mr. Welldon getötet worden war. Die Javaner hatten einfach einen Knall gehört und als sie herbei stürzten, war ihr Herr tot aus dem Boden gelegen. Alle Nachforschungen nach dem Mörder waren vergeblich. Ich war im Lause meiner vielen Aben teuer an Zwischenfälle so sehr gewöhnt, daß ich nach landläufigen Begriffen ziemlich starke Nerven besaß. So entsetzt ich über das Verbrechen an sich war, so kalt ging ich nach ein paar Tagen darüber hinweg. DaS HauS wurde von einem anderen Engländer bezogen, einem Bruder des Verstorbenen, wie man mir sagte, der bis jetzt eine Farm, zehn Rettstundcn weit entfernt, bewirtschaftet hatte. Dieser Mr. Welldon, der ebenfalls unver heiratet war, zeigte si» viel gemütlicher, liebens würdiger und geschmeidiger als der Tote. Er bewog mich wohnen zu bleiben, und da mich meine Jagd lust immer noch festhielt, so gab ich dem Drängen nach und ich hatte es auch nicht zu bereuen. In das düstere HauS, wo ewig drohendes Schweigen geherrscht, kam Leden. Dann und wann wurde noch ein nicht allzuweit entfernter Ansiedler beigezogen und wir spielten einen Skat zu dreien — mit einem Wort der arme Mister Welldon, der unter der Erde lag, war längst vergeßen und es war, als hätte nie jemand anderer in der Nieder lassung gehaust. Zehn Tage später fand man Mr. Welldon, den jetzigen Besitzer, tot in seinem Schlafzimmer. Er Halle genau dieselbe Wunde. Als ich herbei- gerufcn wurde und entsetzt in sein Zimmer trat, tonnte ich wieder nur konstatieren, daß er bereits tot war. Seine Kleidung war durchsetzt von kleinen Papierfaserchen das war ebenso auffallend und rätselhaft wie die seltsame Wunde, ebenso un erklärlich wie die Ursache, die dieses neue Verbrechen heraufbeschworen hatte. Man wird begreifen, daß mir nun doch unheim lich zumute wurde. Welcher Fluch ruhte auf diesem Haus? Ich konnte es nun aber mit meinem Ge- 'wissen nicht vereinbaren, einfach zn entfliehen. So wenig nahe mir der Tod des ersten Besitzers ge gangen war, so sehr bedauerte ich das Hinscheiden dieses liebenswürdigen und geselligen Mannes, und ich war entschlossen, den geheimnisvollen Verbrechern auf die Spur zu kommen. Mein Mißtrauen richtete sich natürlich sofort gegen die javanischen Knechte. Als am nächsten Morgen wieder reitende Polizei eintras, in Bälde gefolgt von dem englischen Arzt, da stand sie ebenso wie das erstemal vor einem unlösbaren Rätsel. „Unerklärlich . . ." murmelte der Arzt. „Man könnte denken, es sei ein Gewehrschuß — aber, zum Teufel, da müßte man doch irgendwo eine Kugel finden!" Schließlich zog der Doktor aber doch.etwas aus dem Körper des Toten — aber keine Kugel, sondern ein Papierschnitzel, wie ich deren schon mehrere an den Kleidern der Leiche vorgefunden hatte. Da tauchte ein Gedanke in mir auf. „Wer ist nun zunächst Besitzer dieser ausgedehnten Farm?" fragte ich einen der Polizisten. Er zuckte die Achseln. „Das wird langwierige Verwicklungen nach sich ziehen, wenn sich nicht rasch ein Erbe findet. Vor läufig glaube ich, daß das Gericht Sie unt der Ver waltung betrauen wird, nachdem Sie der einzig« Europäer find, der auf vier Meilen in der Runde mit dem Toten näher bekannt war." „Gut!" sagte ich nach kurzem Nachdenken. „Ich nehme das Amt an und werde vorläufig als Besitzer der Niederlassung auftreten." „Ich möchte Sie aber schon bitten» etwas vor sichtiger zu sein", sagte der Doktor, ein ziemlich rauh beiniger Patron. „ES ist keine Annehmlichkeit für mich, beständig aus der Stadt' geholt zu werden und sieben Stunden auf einer hochgchenden Mähre galoppieren zu müssen!" „Ich werde Ihnen keine Mühe machen", erwiderte ich lachend, „Übrigens ist die Sache sehr einfach. Bleiben Sie die Nacht über hier und ich werde das Verfahren des Mannes, der hier den bösen Geist spielt, beschleunigen." Der Doktor sah mich durch seine großen Brillen gläser durchdringend an. „Was soll das heißen?" „Das soll heißen, daß ich entweder bis morgen den Burschen habe, oder daß Sie mich mit derselben mysteriösen Wunde finden werden." „Tun Sie mir bloß den Gefallen", entgegnete der englische Arzt lachend, „und legen Sie sich wenigstens Zeitungspapier über die Brust oder kleben Sie sich ein paar Deckel aus die Herzgegend." Es wird auch ohne diese gehen", erwiderte ich. Ich hatte meinen Plan und der Arzt sowohl, wie der Führer der Polizisten ließ sich gern bewegen, die Nacht über im Haus zu bleiben. Die übrigen Polizei beamten mußten nach der Station zurümehren. Die Nacht verbrachte ich in demselben Zimmer, in welchem das letzte Opfer des geheimnisvollen Verbrechers gefallen war. Noch lagen überall jene kleinen Papierschnitzcl umher, die mich aus eine be stimmte Idee gebracht. Ich benützte die ersten Nachtstunden, nm das Papier, welches der Doktor aus der Wunde des Loten gezogen hatte, zu waschen und zu untersuchen und bemerkte, daß es mit Wachs überzogen war. Mein Revolver lag vor mir auf dem Tisch. Über mir schliefen die beiden Männer, bereit, auf das erste Geräusch eines Schusses hin zu meiner Hilfe herabzueilen. Den Rat des Doktors hatte ich übrigens befolgt; zwar hatte ich mir keinen Deckel aus das Herz ge legt, wie der mehr humorreiche, als gefühlvolle Eng länder mir geraten. Aber ich hatte mir einen dicken Karton unter den Rock gezwängt, so daß ein Ge schoß, wenn es nicht gerade eine gute Kugel war, nicht so leicht hindurchgehen konnte. Gegen Mitternacht löschte ich die Lampe aus und verharrte regungslos auf meinem Platz. DaS Fenster war offen und ich hatte einen freien Blick auf ein Gebüsch, das gerade vor dem Fenster in dem Garten wucherte. Der Mond schien hell und überstrahlte alles mit seinem Licht, so daß ich die Umriffe aller Gegen stände genau beobachten konnte. Plötzlich war es mir, als ob das Gebüsch sich bewegte. Ich rührte mich nicht. Nu» tauchte etwas aus dem Dunkel deS Busch werks auf, ein Mann, der, wie ich sah, eine schwarze Maske vor dem Gesicht trug. Unbeweglich verharrte ich in meiner Stellung. Nur die Hand lag auf dem Revolver. Run sah ich, wie der unheimliche Gast etwas wie «inen Stock in die Höhe hob und an die Wange legte. Plötzlich überlies eS mich siedend heiß. Der Elende zielte genau in der Richtung, wo ich saß, er mußte mich also bemerkt haben. Ich vertraute nicht allzusehr ans den Panzer, den ich trug. Rasch entschloßen hob ich den Revolver: „Hände hoch, Mann!" Ein Krach aber ich war beiseite gesprungen. Hinter mir knallte und klatschte cs, und eS entstand momentan ein ohrenbetäubender Lärm. Im selben Moment aber hatte ich auch schon geschaffen. Der Mann warf die Arme in die Höhe und stürzte rück wärts in das Gebüsch. Ich eilte hinaus. Halb angekleidet stürzte der Arzt herbei. „Alle Wetter! Sind Sie mobil, Mr. Crofton?" „Ja, Doktor! Kommen Sie einmal hieher!" Der Arzt beugte sich über den Toten: „Das haben Sie gut gemacht! Mitten ins Herzl Diesmal weiß man wenigstens, woran der Bursche gestorben ist. Ich werde ihm morgen die Kugel aus der Wunde ziehen! Wo bleibt denn der Polizist?" Ich zog die MaSke vom Gesicht deS Toten. Der Doktor stieß einen unterdrückten Schrei aus und fuhr zurück: „Das ist er jal" „Well!" ' Der Arzt starrte mich an. „Was soll das heißen, Mr. Crofton?" „Kommen'Sie herauf, Doktor, ich will Ihnen alles erklären!" Der Tote wurde in Sicherheit gebracht. Weder der Arzt noch ich dachten in jener Nacht daran zu ruhen. Wir zündeten uns Zigaretten an, um das Morgengrauen abzuwarte» und zur Polizeistation zu reiten. „Wie der erste Mr. Welldon getötet wurde, hatte ich natürlich keine Ahnung, wie daS zuge gangen war", sagte ich. „Sie begreifen, Doktor, daß man in meinem Beruf, der einem in so viele Gefahren führt, keine Zeit hat, über jedes traurige Ereignis nachzudenken. Ich bin kein Detektive und habe keine Ursache, Dingen, die mich nichts weiter angehen, nachzuspüren. Als aber der zweite Mr. Welldon erschossen