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Allusteierte Unterhaltungs-Beilage Kuf Rahnen und VahnhSfen. Ulk. Bahnen und Bahnhöfe sind für die Welt der Gauner das denkbar beste Arbeitsfeld. Da ist jedermann in Eile, es wird daher niemandem auj- iallcn, wenn er z. B. auf einem Bahnhof eine Reise tasche ergreift und so schnell wie möglich sich damit entfernt. Wenn auf der Straße jemand läuft, würde alles hinter ihm hcrrufen: Haltet den Dieb! Auf dem Bahnhof würde man dem Flüchtenden höflich ausweichen. Auf dem Bahnhof füllt es nicht auf, wenn man sich an den Kassen, an den Barrieren, an den Fahrplänen dicht an andere hcrcmdrängt. Auf den Babnen und Bahnhöfen.wechselt das Bild in einen» fort; man hat alle paar Minuten die Möglichkeit, schnell dem Schauplatz zu enteilen. Wo ist das alles noch sonst in dem Maße der Fall! Wer den Bahnhof betritt, hat daher die Pflicht, besonders achtsam auf seine Sachen zu sein. Man fährt mit seinem Gepäck vor, die Gepäck träger stürzen heran, heben vom Kutscherbock die Koffer, nehmen dem Reisenden das Handgepäck aus der Hand, während der Reisende zur Kasse geht. Daß ein „falscher Gepäckträger", d. h. ein Gauner, der nicht als Gepäckträger ongestellt ist, die Sachen ergreift, kommt wohl, wenn man direkt an der Bahnhofspforte Vorfahrt, nicht vor, denn die an deren Gepäckträger würden ihn dort sofort als nicht zu ihnen gehörig erkennen. Aber es ist vorgckom- men, daß Reisende, die mit Fahrgelegenheiten bis in die Nähe von Bahnhöfen fuhren, von Gaunern, die sich den angestelltcn Gepäckträgern ähnlich ge kleidet halten, abgefangen und ihres Reisegepäcks beraubt wurden. Und noch ein anderer Trick wurde ausgefübrt: ein elegantes Ehepaar fährt am Bahnhof vor. Beide entsteigen arg- und achtlos dem Wagen und begeben sich zm Kasse, während sie cs zwei Gepäckträgern überlassen, sämtliches Gepäck zur Gepäckabfertigungs- stclle zu bringen. Als sie sich mit Len gelösten Billetts dann dorthin begeben, fehlt am Gepäck ein Handtäschchen Ler Dame, das natürlich Wertobjekte, Sckmucksachen usw., enthielt. „Aber die Dame hat ja eben das Täschchen ge holt!" rufen die Gepäckträger dem erschreckten Ehe paar zu, und es stellt sich heraus, daß, während das Ehepaar zur Kasse gegangen war, uin die Billetts zu lösen, eine Gaunerin, die ähnlich gekleidet ge wesen wie jene Dame, schnell die Situation erfaßte, auf die Gepäckträger zuging und mit den Worten: „Diese Handtasche behalte ich bei mir!" das wert volle Eepäckstückchen an sich riß und im Bahnhof gewühl verschwand. An der Bahnhofskasse selbst werden mit Vorliebe von den Taschendieben Brieftaschen und Uhren ge stohlen. In der Regel arbeiten dabei zwei Gauner sich in die Hand. Haben sie einen Reisenden aufs Korn genommen, von dem sic gesehen, daß er seine Brieftasche lose iu die Brusttasche steckte oder die Uhr vorn bei offenem Rocke trägt, so treten sie so an die Kasse, daß der eine — sagen wir A. — in der Reihe der Wartenden gerade vor dem aufs Korn Genommenen zu stehen kommt. Ist A. nun daran, sein Billett zu lösen, so tritt sein Komplize B- unter Mißachtung der Vorschriften außerhalb der Reihe von links an den Schalter heran, was natürlich an sich schon allgemeine Er regung unter den von rechts angetretcuen Reisenden hervortust. „Ich will ja nur etwas fragen!" ruft er und verdrängt, sobald sein Komplize A. mit der Lösung des Billetts fertig ist, diesem den richtigen Weg, so daß dieser rückwärts an dem zum Opfer des Gaunerstreichs auserschenen Reisenden vorbei drängt. Allerlei aus der Gauncrpraxis von Albert Frick. Dieses Opfer hat alle Aufmerksamkeit auf den zu Unrecht tzerangetretenen B. gerichtet, er zankt und räsoniert mit B. und läßt sich währenddessen getrost von A. Brieftasche und Uhr stehlen, deren Abgang er natürlich erst merkt, wenn jene beiden Gauner längst auf und davon sind und ihren Raub teilen. Auf ganz ähnlichem Prinzip werden durch Zu sammenarbeit von zwei und drei Gaunern die Be raubungen in den Lnxuszügen ausgeiübrt. Hier ist der Schauplatz der Gaunereien zumeist in den Gängen an den Kupeetüren. Einer drängt das Opfer von vorn, einer von hinten. Natürlich spielt sich daS meist kürz vor Einfahrt des Zuges in die Station ob, wenn die Gauner in der Lage sind, den Zug sofort nach Ausführung des Streiches zu verlassen. In der Regel ist in diesen wenigen Minuten vor Einfahrt des Zuges in die Station auch des halb die Gelegenheit sehr günstig, weil diejenigen Reisenden, die ebenfalls auf dieser Station den Zug verlassen wollen, sich mit allem Handgepäck in den Gängen vor der Kupeetüre aufhaltcn, den Gaunern also die Brust ohne Schutz prelsgebcn, da sie die Hände mit Taschen und Schirmen beschwert haben. Indessen ist es keineswegs unbedingt notwendig, daß der Gauner sofort nach Ausübung des Coups den Zug verläßt. Man hat vor ein paar Jahren auf einem in Brüssel einlaufenden Zug ein Paar internationale Gauner fcstgenommen, die mit Perücken und falschen Bärten arbeiteten und die in der Toilette auf der Bahn selbst sich aus Jünglingen in Greise und umgekehrt verwandelten. So werden denn auch auf Stationen, auf denen für wenige Minuten Halt gemacht wird, und wo viele Reisende die Kupees verlassen, nicht selten Raubzüge ausgcsührt von Gaunern, die von Kupee zu Knpee gehen und in denjenigen, in denen niemand zurückbftcb, schnell etwas an sich reißen. Indessen sind dies meist nur unbedeutende Gauner, die eben jede Gelegenheit wahrnehmen, auch Kleinigkeiten zu stehlen. Die Genies der Zunft sehen es nur auf Gaunereien großen Stiles ab und wissen sehr wohl, daß man große Wertobjekte nicht im Kupee ohne Aufsicht zurückläßi. Ein anderer mehrfach auf Bahnen Und Bahn höfen nusgeführtcr Coup ist der mit der gleiche» oder ähnlichen Handtasche. Die reisenden Damen besonders pflegen ihre Preziosen und ihre Reisekasse in kleinen braunen oder schwarzen Handtaschen zu haben, die zwar bei näherer Betrachtung kleine Unterschiede hoben, aber doch in der Eile auf den Bahnhöfen leicht verwechselt werden können. Darauf bauen die. Gauner ihr Geschäft. Stellt die Reisende ihr Handtäswchen im Wartcsaal aus der Hand, sei es auf den Stuhl oder die Erde, so ist es mit Leichtigkeit geschehen, daß ein Gauner, der durch einen Komplizen gedeckt ist, sein ähnliches Handtäschchen an die Stelle des abgelebten stellt. In Kupees wird es ähnlich gemacht. Während die Besitzerin sich im Gange aufhält oder anS Fenster stellt, deckt der eine der Komplizen mit seinem Körper den Ausblick über den Schauplatz, er verstellt der Besitzerin den Weg oder sucht sie in anderer Weise zu beschäftigen oder ihre Aufmerksamkeit abzulcnkcn, während der andere den Wechsel der Taschen leicht vollzieht. Die Dame sicht dann oder glaubt ihre Tasche an ihrem Platze zu sehen und merkt erst viel später, daß sie eine andere Lasche mit wertlosem Inhalt hat. Im vorigen Jahre entfiel einer Dams auf dem Potsdamer Bahnhof in Berlin ihr Retsmäschchen im Nr. ö (Nachdruck »erboten.) * Gedränge, während sie aus dem Perron zum Kupee eilte. Ein Herr, an dessen Arm eine Dam- hing, hob es ihr artig auf, und sie eilte weiter, nachdem sie das Täschchen aus seinen Händen zurückempiangen- Zwar hatte sie, wie sie nachher sich selbst erst sagte, sofort gemerkt, daß ihr das Täschchen plötzlich leichter erschien, aber erstens hatte sie Eile, nm ihren Platz einzunehmen, dann mochte sie wohl auch denken, daß ja so im Augenblick nichts aus dem Täschchen entnommen sein konnte. Und erst im Kupee, als sie in Ruhe sich daS Täschchen ansah und es öffnete, merkte sie, daß es gar nicht ihre Reisetasche war. Jetzt erst ward eS ihr klar, daß ihr wahrscheinlich gar nicht da§ Täschchen entfallen war; die am Arme des galanten Herrn hängende Dame hatte ihr offen bar daS Täschchen aus der Hand gerissen, im selben Augenblick hatte sich das Paar zur Erde gebückt, und der Gauner von seiner Komplizin deren nnter ihrem Mantel verborgenes Täschchen empfangen, das er der Dame dann überreichte. Ähnliche Coups werden auf allen Bahnhöfen aus- gesührt. Die Gauner und deren Helfershelfer be obachten bereits die am BabnhofSportal vorfahrende Droschke. Mit Kennerblick haben sie sofort erfaßt, welches Handgepäck dem Reisenden besonders am Herzen liegt, in welchem also die Reisekasse und die Juwelen der reisenden Dams liegen. Schnell ist dann ein Reisetäschchen von einem der Helfershelfer besorgt, das dem betreffenden, aukS Korn genom menen Täschchen ähnlich sieht. Da es sichln der Regel nur um ein paar Formen und nm schwarze oder braune Täschchen handelt, ist es nicht schwer, ein Ersaytäschchen zur Auswechslung zn erhalten. Die Schwierigkeit liegt mehr darin, die rechte Schwere des Täschchens zu erhalten, denn cs ist ein Unterschied, ob jemand ein paar hundert Mark in Gold und Silber, Juwelen und Schlüssel bei sich trägt, oder nur Papiergeld. Und cS trägt oft zum Gelingen des Coups bei, daß der oder die Beraubte so spät wie möglich den Umtausch merkt. Die gewöhnliche Zunft der Taschendiebe, die es auf den Raub von Portemonnaies abgesehen hat, ist verhältnismäßig auf den Bahnhöfen weniger ver treten. Diese Leute wissen, daß man auf der Reife sein Geld nickt im Portemonnaie trägt, oder doch nur kleinere Beträge. Indessen soll man auch mit Portemonnaies nickt gar zu arglos auf Bahnhöfen umgehen, und Personen, dis in äußere Rock und Manteltaschen ihre Portemonnaies steck n, sind auch auf Bahnhöfen wert, daß sie bestohlen werden. Ein eigenes Kapitel würde der Bauernfänger noch in Anspruch nehmen; sein Hyuptarbeilsgebiet ist der Bahnhof; seine besten Kunden sind die an kommenden Fremden, wobei gesagt werden darf, daß der Name Bauernfänger insofern deplaziert ist. als der wirkliche Bauer in der Regel viel zu mißtrauisch ist, um sich vm- Gaunern adfangen zu lassen. Biel eher gehen Kleinstädter inS Garn, die sich selbst für ungemein schlau halten und gar nicht an die Möglichkeit denken, daß man sie begaunern könne, während der Bauer im Gegenteil jeden Städter oder gar Großstädter für einen Schwindler anzusche» pflegt. Er läßt sich auf Kartenspiele mit Fremden so leicht nicht ein. Dagegen sind ungemein dankbare Objekte der Bauernsängerzunst junge und alte Lebemänner der Kletnstädt, die nach den Großstädten kommen, um sich dort einmal cmcn vergnügten Tag zu machen. Daß solchen Reisenden von „Damsn", in deren Gesellschaft sie soupieren, die Brieftasche gestohlen wird, wobei natürlich sehr oft männliche HelferS- belser ihre Hände im Spiele haben, kommt sehr oft