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X- 57, 8. März 1932. Redaktioneller Teil. vvr1«llblatt f. b. Dtschn vuchhaubet. Die fahrbare Bücherei. In Frankreich ist das Wort Bibliobus aufgekoinmen fiir eine dort fiir neu geltende, in Deutschland aber nicht mehr ganz neue Sache, nämlich einen Autobus, der die Vororte der Großstadt, in denen ständige Büchereien noch nicht bestehen, oder die verschiedenen Ge meinden eines kleineren Gebietes mit Büchern der Volksbücherei versorgt. Die erste Einrichtung einer Autobücherei erfolgte für das S a a r- gebiet durch den Volksbüchereidirektor vr. Adolf Waas in Saar brücken (jetzt in Frankfurt a. M.j im Dezember 1926. Gleichzeitig wurde in Dresden und in München an derselben Idee gearbeitet. Man dachte an Wagen der Straßenbahn. Zur Ausführung kam aber dieser Gedanke nur in M ii n ch c n durch Bibliotheksdirektor Hans Ludwig Held. Die Münchener »Biblio thek auf Nädern« erledigte ihre erste Ausleihe am 10. Februar 1028. Diese Trambahnbücherei ist bisher die einzige geblieben, hat aber in der deutschen Öffentlichkeit und im Auslände (besonders Rußland, Amerika, auch Frankreich) sehr viel Interesse gefunden. In Hunder ten von in- und ausländischen Zeitungen und Zeitschriften erschienen Artikel und Bilder (zuletzt noch in der Kölnischen Illustrierten 1931 Nr. 47). Ein ähnlicher Wagen soll in M annhei m eingerichtet wevdcn. Dresden (Büchereidirektor vr. Lvckle) dagegen entschied sich für den Autobus, weil die Elektrische nicht die nötigen Ausweich geleise hat, die Höhenunterschiede zu groß sind und manche Vororte mit der Straßenbahn gar nicht zu erreichen gewesen wären. Der im September 1929 in Betrieb genommene Wagen versorgt 15 Vor orte. Die neue Eiurichtung fand ebenfalls viel Interesse. Es kamen Besuche aus Amerika, Holland, der Schweiz, Schweden, der Tschechoslowakei usw. Es folgten weiter Büchcreiautobusse in Frankfurt a. M., wo an den Wochentagen sechs eingemeindete Vororte besucht werden, und im März 1931 in K ö l n für die Vororte Niehl, Bayenthal, Dünn wald, Zollstock, Höhenberg, Dcllbrück und Holwcidc. Das Neue an der ganzen Sache ist die Vereinigung von Bücher magazin und Ausleihe, während cs vorher nur fahrbare Bücher magazine gab. Aber die Ausleihe beratung muß im Saargebiet, in Frankfurt a. M. und Köln noch in geschlossenen Räumen, z. B. Schulzimmern, vorgenommen werden. Der Dresdner Wagen dagegen ist so groß, daß der ganze Ausleihevorgang in ihm abgewickelt werden kann. Die Länge be trägt 9, die Breite 2,55 m. Der Hintere Teil ist als Publikums raum eingerichtet. In den beiden Ecken rechts und links von der Tür sind zwei Sitzgelegenheiten angebracht, davor Klapptischchen zum Schreiben, zu beiden Seiten der Ausleihtasel nochmals zwei Schreibpulte, auf denen Kataloge auslicgen. In dem Publikums raum haben etwa 15 Personen Platz. Hinter der Ausleihtasel be findet sich der Bücherraum mit zwei Wandregalcn von je 4 m Länge und einem freistehenden Doppclregal von 2,20 m Länge in der Mitte. Sie bieten Platz für 3000 Bände. Um das Herausfallen der Bücher während der Fahrt zu verhindern, ist eine Sperrvorrich tung angebracht. Vorn sind noch ein Kleiderschrank und ein Klosett- und Waschraum eingebaut. Die Beleuchtung geschieht bei Tage durch vier Seitensenstcr und Oberlicht. Für künstliche Beleuchtung und Heizung besteht Anschlußmöglichkeit an das Starkstromnetz. Die Gc- samtanschaffungskosten betragen 30 000 NM (ohne Bücher). Jeden Nachmittag werden zwei Vororte je 1>4 Stunden besucht, außerdem die größeren einmal je eine Stunde vormittags. Die Fahrbücherei hat einen eigenen Bücherbestand von 13 000 Bänden (7000 Einzel werke, 6000 Doppelstücke). 3000 Bände, zur Hälfte unterhaltende, zur Hälfte belehrende Literatur, werden jedesmal mitgeführt. Täg lich werden die Bestände des Wagens aus dem Magazin ergänzt, wobei ans die besonderen Bedürfnisse der einzelnen Stelle Rück sicht genommen werden kann. Außerdem aber kann jedem Leser ein gewünschtes Buch, das nicht vorhanden ist, unentgeltlich aus der Hauptbücherei besorgt werden. Auch dient die Fahrbücherei der Sächsischen Landesbibliothck als Vermittlungsstelle. Im ersten Jahre meldeten sich 2642 Personen (1685 männliche, 957 weibliche) als Leser. An der einzelnen Stelle schwankt die Zahl zwischen 100 und 300. Die Jahresausleihe betrug 77 891 Bände, davon 42178 (53,5?L) unterhaltende, 35 713 Bände (46,5A) belehrende Literatur. Zum Personal gehören 6 Beamte: 1 Hilfsbibliothekar, 3 Ausleih beamte, 1 technische Hilfskraft, 1 Wagenführer. Die Ausleihe wird nachmittags stets von zwei, vormittags auch von einer Person be sorgt. Der Dienst ist so verteilt, daß die Beamten regelmäßig nach bestimmten Stellen fahren, also in jeder Standortbücherei die Leser genau kennen lernen und mit ihnen in Fühlung bleiben. Die Fahr bücherei hat den Vorteil, daß die nebenamtlichen Ausgabestellen in den Vororten aufgegeben werden konnten. Die Ausleihe ist 184 hauptamtlich, der Bücherbestand größer. Mit der Hauptstelle ist eine rasche und leichte Verbindung und Buchvermittlung möglich. Der jeweils günstigste Standort kann ausgcwählt werden. Es wird an Miete, Licht und Heizung erheblich gespart. Der M ü n chner Straßenbahnwagen ist 6,6 m lang und nach den Angaben des Bibliotheksdircktors in den eigenen Werkstätten der städtischen Straßenbahn eingerichtet worden. An den Längs wänden sind durchlaufende Bücherregale (4,68 m lang, 1,26 m hoch) ausgestellt, die 2400 Bände aufnehmen können. Herabklappbare Bordwände verhindern das Herausfallen der Bücher während der Fahrt. Der Vorderteil des Wagens dient als Arbeitsplatz für die Büchcrausgabc mit einem Kartothekschrank und einem Schreibpult. Der Ausleihcschalter hat klappbarcn Ausgabetisch und ein Schiebe fenster. An der gegenüberliegenden Seite sind ein Garderobcschrank und ein Schrank mit Waschgclegenhcit eingebaut. Die Beleuchtung erfolgt durch fünf Deckenbelcuchtungskörpcr von je 40 Watt. Als Ausleiheraum und Auslcihcberatung dient eine Plattform, die 10 bis 12 Personen Platz bietet. Der Wagen nimmt an bestimmten Wochentagen in regelmäßig festgesetzten Stunden in Hinterstellungs- gclcisen der Straßenbahn, die in den Außenbezirken ohnehin vor handen sind, Ausstellung. Bisher sind acht Halteplätze sestgelegt. Der Ausleihcdienst wird von dem Ausleihbeamten und zwei Wagen führern, die neben dem Fahrdienst die Rücknahme der Bücher be sorgen, geleistet. Es ist ein besonderer Wanderbüchereibestand von etwa 20 000 Bänden vorhanden, der nebst dem Büroraum in einem Straßenbahnhof untergebracht ist und Gleisanschluß har. Für jede Ausleihestelle ist eine besondere Bibliothek entsprechend den Be völkerungskreisen zusammengestellt. Verwechselungen sind durch Be zeichnung der Bücher mit verschiedenfarbigen Kalikobänden ausge schlossen. Die Zahl der eingeschriebenen Leser betrug 1930 2340, die Zahl der ausgeliehenen Bände 93 235. Der Kölner Autobus ist (im Bücherraum) 2,96 m lang, 2,10 m breit. Die vier Regale fassen etwa 2000 Bände. Es werden monatlich etwa 3500 Bände ausgeliehen; eingeschrieben sind 1850 Leser. Wenn nun auf der Pariser Kolonialausstcllung ein Bücher autobus zu sehen war, so ist kaum anzunehmen, daß die Erfin dung unabhängig von den deutschen Vorbildern in Frankreich zum zweiten Male gemacht worden ist. Der französische Wagen ist auf klappbar und hat dann eine ziemlich geräumige Bücherauslage. Die Anregung ist von der Vereinigung französischer Bibliothekare ge geben worden. Ter Wagen soll die Dörfer und sogar die einsam gelegenen Höfe besuchen und die Bücher an die Bevölkerung aus- leihen, die man auf diese Weise ans Lesen zu gewöhnen hofft. Den Namen Bibliobus, der in Deutschland etwas zu gespreizt wirken würde, zu übernehmen, liegt wohl kein Grund vor. Das, wie es scheint, in Dresden gefundene Wort Fahrbücherei genügt uns durchaus. Köln. Kl. Löffler. Goethe. Leben. Gedanken. Bildnisse. Verlag Der Eiserne Ham mer (Karl Robert Langewiesche), Königstein. 64 S. NM 1.20. Mit Wehmut nimmt man diese Gabe zur Hand; denn von den beiden Brüdern Langewiesche, die sich zu ihr zum Goethejahr zu sammentaten, ist der jüngere, der Besteller, uns allzufrüh entrissen worden. Uns, seinem Berufe, seinem Volk. Wiederholt habe ich es ausgesprochen: wenn der Nobelpreis auch Verlegern verliehen werden könnte, die zwei Brüder Langewiesche hätten unter den ersten auf ihn Anspruch. Vom Herausgebeu von Büchern gilt das näm liche wie vom Dirigieren von Symphonien: das höchste Lob heißt nicht »geistreich« oder »glänzend« oder »großartig« — das Höchste Lob heißt »richtig«. Karl Robert Langewiesche hat mit erstaunlicher Sicherheit immer das rechte Buch zur rechten Zeit herausgebracht, und daß zu diesem Goetheheft sein Bruder Wilhelm den Text be sorgt hat, war nicht mehr als richtig. Wer hätte Goethes Leben richtiger darstellen können als der Mann, der uns »Uber allen Gipfeln« gegeben hat, »Alles um Liebe« und »Vom tätigen Leben«! Dies 80jährige Leben auf nicht mehr als vier Bogen zu erzählen, erforderte keine geringe Kunst. Wilhelm Langewiesche löst die Aufgabe scheinbar spielend. Er erzählt ganz einfach, im Präsens, so schlicht, daß jeder Leser mitkommt. Wer cs nicht weiß, merkt gar nicht, wieviele wörtliche Zitate aus Dichtungen und Briefen Goethes hineingehcimnist sind; mit welcher Geschicklichkeit das Garn der Erzählung knotenlos abgesponnen wird. Allmählich wird man ge wahr, daß der Satzspiegel jeder Seite unten sockelartig gestützt, oben fricsartig gekrönt ist, beides durch Sprüche von Goethe, meist in Prosa, höchst umsichtig ausgcwählt und geordnet. In der Erzählung fast auf jeder Seite ein kleines Bildnis in Federzeichnung: Goethes Freunde und Freundinnen. Dazu auf doppelseitig bedruckten Tafeln Wiedergaben von Bildnissen seiner Eltern und von ihm selbst, be-