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X- SV, 8. März 1932. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. b. Dtschn Buchhandel. Verweisungen machen einen beträchtlichen Teil des Um fanges des Bücherverzeichnisses aus, sind aber unerläßlich. Un bedingt verwiesen werden müssen z. B. jeder zweite und dritte Autor eines Buches. Auch Verweisungen vom Pseudonym auf den wirklichen Namen oder umgekehrt vom wirklichen Namen auf das Pseudonym sind notwendig, wenn ein Autor sowohl unter dem wirklichen Namen als auch unterm Pseudonym Bücher veröffentlicht hat. Auf gleichklingende Namen mit ver schiedener Schreibweise Wird durch einen entsprechenden Hin weis aufmerksam gemacht, z. B. Berchtold vgl. a. Bergtold; Berend vgl. a. Bärcnd — Wehrend — Behrendt — Berendt; Berg vgl. a. Berck — Bergh — Bergk. Alle Verweisungen sind knapp gefaßt und werden in Nonpareille gesetzt, denn sie sollen nur auf die Hauptaufnahme hinführen. Eine der wichtigsten redaktionellen Arbeiten am Bücher verzeichnis ist die bibliographische Bearbeitung der Autoren. Alle Bücher desselben Autors sollen natürlich unter diesem ver einigt werden. Das ist nun nicht so einfach, als es scheint. Im Lause von fünf Jahren find manche Autoren recht fruchtbar ge wesen. Im alphabetisch geordneten Manuskript treffen viele gleichlautende Familiennamen zusammen, deren Vornamen teils ausgeschrieben sind, teils aber nur gekürzt vorliegen, teils über haupt fehlen. Um die Identität zweifelsfrei sestzustellen, werden Nachforschungen angestellt etwa in »Kürschners Deutschem Ge- lehrten-Kalender« oder »Kürschners Deutschem Literatur-Kalen der« oder Degcncrs »Wer ist's» und anderen Lexika. Ein großer Teil solcher Nachforschungen ist heute bereits bei der Bearbei tung des Alphabetischen Katalogs der Deutschen Bücherei ge macht worden, und dw Ergebnisse können ihm entnommen werden. Diese Ausführungen dürften genügen, uni einen Einblick in die Redaktionsarbcitcn des Deutschen Bücherverzeichnisses zu vermitteln. Es ist die umfangreichste Bibliographie des deutschen Buchhandels, ein Monumentalwerk, auf das jeder deutsche Buch händler stolz sein darf und das zu unterstützen in seinem Persön lichen Interesse liegt. Es ist ein beredtes Zeugnis für die Frucht barkeit des deutschen Geistes und dürfte als kühner, erfolgreicher Versuch bibliographischer Zusammenfassung der Literatur des deutschen Sprachgebietes gerade deshalb Anerkennung finden, weil durch die Deutsche Bücherei die möglichste Lückenlosigkeit garantiert ist. Arno Franke. Joseph Haydn als Held des Romans und der Novelle. Zur Wiederkehr seines 200. Geburtstages am 31. März 1932. Von vr. Paul B li l o w (Lübeck). Mit dem Auftreten Joseph Haydns wird Wien der Mittel punkt des europäischen Musiklebens im Zeitalter des Rokoko und behauptet diese überragende Stellung auch für die folgenden Jahr hunderte. So beginnt denn auch die Reihe der poetischen Huldigun gen, welche die erzählende Dichtung den musikalischen Genies aus der Wieucrstadt darbrachte, mit dem Begründer der neueren Instru mentalmusik, und hier ist es zunächst Goethe, dem wir bemerkens werte Zeugnisse über Haydns Schaffen danken. In den Kreisen der Weimarer Musikfreunde und insbesondere auch im Nahmen der von Goethe in seinem Heim veranstalteten Hausmusiken erfuhr Haydns Kunst eine emsige Pflege. Unter dem Eindruck dieses Musi- zicrens mag Goethe zu diesem Ausspruch über des Meisters Sinfo nien und Quartette veranlaßt sein: »Diese seine Werke sind eine ideale Sprache der Wahrheit, in ihren Teilen notwendig zusammen hängend und lebendig. Sie sind vielleicht zu überbieten, aber nicht zu übertreffen.« Die Reihe der eigentlichen poetischen Huldigungen an Haydn beginnt mit den Versen Eduard Mörikes: »Manch mal ist sein Humor altfränkisch, ein zierliches Zöpfcheu, / Das, wie der Zauberer spielt, schalkhaft im Rücken ihm tanzt.« Nun mag die gehaltvolle Bücherreihe an uns vorüberziehen, die ausweist, wie es auch bei Haydn die Fabulierungsfreude unserer Dichter und Erzähler anlockte, dieses Musikers Leiden und Freuden in das buntfarbige Gerank einer Geschichte einzuspinnen. Im 8. Kapitel von Karl Söhles autobiographischem Roman »Der verdorbene Musikant« (L. Staackmann Verlag, Leip zig) ist dem Helden Haydnsche Quartettkunst als Lichtblick in seiner armseligen Präparandenzeit beschieden. In der Seele des musik begeisterten Pestalozzischülers jubelt es in jugendlicher Überschweng lichkeit auf: »Haydn, Mozart und Beethoven — ja, wahrhaftig, das ist nun die gefundene Zauberformel, das A und O, und alle sonstige Musik, pah, sie ist nicht wert, daß sie existiert!« Wer würde ferner nicht in Söhles Meisternovelle »Der heilige Gral« (aus dem Bande »Musikergeschichten«, sowie auch als Sonderdruck erschienen im Staackmann Verlag, Leipzig) die humorübersonnte Schilderung der Irrungen und Wirrungen bei der Aufführung von Haydns »Schöpfung« in der Kleinstadt Hankensbüttel im Lüneburgischen in Erinnerung behalten? — Auf wenige Seiten hat Robert Hohl ban m ein erschütterndes Menschenschicksal um ein Haydnsches Quar tett aus den Tagen der französischen Besetzung Wiens eingefangen. Ein verhaltenes Moll zittert durch diese schweriyutvolle Novelle aus dem Bande seiner prächtigen Musikergeschichten »Himmlisches Orchester« (L. Staackmann Verlag, Leipzig), die uns schildert, wie einem rauhen Krieger in der belagerten Wieucrstadt kurz vor seinem Tode im Kreise friedsamer Hausmusik ein Haydnquartett noch einmal zum inbrünstig heißen Sehnsuchtslied inmitten eines armen, wilden Lebens wird. — Heinrich Wilhelm Niehls Novelle »Das Quartett« (aus dem Novellenbaude »Um Haydn und Mozar t«, Verlag Strecker L Schröder, Stuttgart) spiegelt m be haglich sich verbreitendem Plauderton und mit reizvoller Ausmalung des kulturgeschichtlichen Hintergrundes ein gar anmutiges Bild aus der aristokratischen Hausmusikpflege des Rokoko wider. Diese span nende Dichtung läßt den vom Weltruhm gefeierten Meister in den Bezirk des schier verwunschenen Schlosses Einkehr halten, und der Genius Haydns ist es, der über den seltsamen Schicksalen jener Schloßbewohner wacht. — In Johann Peter Lysers laug verschollener, aber höchst unterhaltsamer Novellensammlung »Ver zaubertes Rokoko« (Neudruck bei Hofmann L Campe, Ham burg 1921) ergötzt uns eine Episode aus der Freundschaft Haydns und Mozarts bei der Entstehung der »Bauernsinfonie«. Mit Rüh rung lesen wir auch die Schilderung des Besuchs Haydns in der bescheidenen Arbeitsklause Mozarts, wo dieser in die Partiturblätter der »Entführung« vertieft ist und sie daun seinem väterlichen Freunde zur ersten Begutachtung reicht. Den Schauplatz ihrer Novelle »Der Brau d« (aus dem reich haltigen Musikgeschichtenbande »Cherubim«, Gustav Bosse Ver lag, Negensburg 1928) verlegt Anna Charlotte Wutzky in das von der Haydn gewidmeten Dichtung der Gegenwart am stärksten bevorzugte Nokokoiöyll von Eisenstadt und Esterhäz. Im fürstlichen Nokokoschloß und -park der Esterhäz erlebt Michael Haydn eine Stunde der Offenbarung an der Kunst seines Bruders, dessen Dämonie des Daseins in dieser von Mollakkorden umklungeuen No velle erschütternd zu uns spricht. Das fröhliche Gegenstück zu dieser fesselnden Novelle ist des jungen österreichischen Dichters Josef Marschall Haydn-Roman »Die vermählten Junggesel len« (L. Staackmann Verlag, Leipzig 1931). Er spiegelt uns den bunten Lebcnswirbel der theresianischen Epoche auf jenem Erden fleck des Esterhäzyschen Schloßbesitzes wider. Ist doch diese von der Lebenskunst und Anmut des Rokoko beschwingte Atmosphäre der eigentliche Ausgangspunkt für die ernstere schöpferische Ent faltung des Genies Haydn gewesen. Mit herzerfrischendem Humor ist hier ein Bildnis Haydnschen Musikertums inmitten der kunst gewogenen Nokokowelt der Esterhazys gezeichnet. Wie der Meister den Musikanten seiner Kapelle, die hier fern von ihren Frauen als »vermählte Junggesellen« pünktlichst und unverdrossen ihren Dienst versehen müssen, mit der Komposition seiner Abschiedssinfonie die heißersehnte Befreiung aus diesen Fesseln vermittelt, ist mit über mütig sprudelnder Frohlaune und Lebensechtheit geschildert. — Als Abgesang in der Reihe dieser poetischen Huldigungen kündet Hermau n Richters Haydn-Roman »Jahreszeiten der Liebe« (Koehler L Amelang, Leipzig 1931) einen Liebcstraum aus verklungenem Rokoko. In farbensatter, spannender Handlung ver folgt er an vier schicksalhaften Begegnungen — vom aufrüttelnden Erlebnis des Jünglings mit der kühnen friderizianischen Spionin am österreichischen Hofe an bis zu dem in zarter Elegie verhauchen den Seelentraum am englischen Hofe — die »Dämonie« des Weibes im Leben des Meisters. Ein urwüchsig-volkstümliches, ganz dem wienerischen Heimat boden des Genius entwachsenes Haydnbuch ist der nur im Manuskript bekannte Roman Ottokar Janetscheks, des fabulierungs- freudigen Musikerdichters aus der Donaustadt, der uns bereits er folgreiche Romandichtungen aus dem Leben Mozarts, Beethovens und Schuberts geschenkt hat. 183