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X- 70, 24. März 1927. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel Clara Viebig Heinrich Vierordt H. von Waldeycr-Hartz Paul Warncke Wilhelm Weigand Josef Winckler Ludwig Wolfs Paul Zech H. C. von Zobeltitz Richard Zoozmann Carl Zuckmayer Stefan Zweig Ferner: vr. Gustav Diercks, Ehrenvorsitzender des Deutschen Schriftstellerverbandes, und vr. Hans Lutz, Vorsitzender der Rechtskommission des --Urheberschutz«. Das sind aber durchaus noch nicht alle Schriftsteller namen, deren Unterschrift bei mir liegt, sondern nur die schon veröffentlichten. Auf jener Berliner Versammlung hat man, wie mir ein Teilnehmer berichtet^ sogar gewagt zu behaupten, die Herren hätten ihre Unterschrift längst wieder zurückgezogen. Kein Wort davon ist wahr! Nicht ein einziger der hier Genannten hat seine Unterschrift zurückgezogen. Und wahrlich, es sind Namen, die man nicht als Bagatellen abtun kann! Wieviele Schriftsteller aber ihre Meinung in der Tasche ballen, um peinliche Auseinandersetzungen mit ihren Organisationsleitern zu vermeiden — darüber wollen wir lieber nicht reden. Die dritte wesentliche Behauptung des Herrn vr. Rosner, daß alle Jnteressenverbände mit Ausnahme des Börsenvereins sich für di« 50jährige Schutzfrist erklärt haben, ist, milde gesagt, ein Irrtum. Bei der Besprechung im Reichsjustizministerium, wo die gegnerischen Verbände in vollzähliger Breite, die auf unserer Seite stehenden Verbände aber leider nicht mit der gleichen reichen Ver tretung ausmarschiert waren, sind trotzdem von 32 Stimmen nahezu di« Hälfte, nämlich 13 für die Beibehaltung der 30jährigen Schutzfrist abgegeben worden. Hätte man vorher gewußt, in welcher Gruppierung die gegnerischen Verbände auftreten, so wäre es für uns nicht schwer gewesen, auch noch eine Reihe von Ver bänden zur Anwesenheit aufzusordern, von denen es sicher steht, daß sie für 30 Jahre optiert hätten. Gleichviel: daß der Börsen verein allein stände, ist, wie aus diesen Tatsachen hervorgeht, eine Legende. Wenn übrigens, wie es sich meiner Ansicht nach unbedingt gehört hätte, zu den Verhandlungen im Reichsjustizministerium und den noch im Gange befindlichen im Reichswirtschaftsrat die Vertretungen der Universitäten, der Volksbildung und der Päda gogik hinzugezogen worden wären, so hätten wir sicher sogar schon bei diesen Verhandlungen eine Majorität bekommen. » Und nun möchte ich mich doch einmal mit dem buchhändleri- schen Teile der Darlegungen der Veranstalter der Berliner Ver sammlung etwas beschäftigen. Die ganz kleine Gruppe von Verlegern, die an der Verlänge rung der Schutzfrist aus durchaus achtbaren Gründen gerade im gegenwärtigen Moment materiell interessiert ist, hat neuerdings die für -die Allgemeinheit verführerische Parole geprägt: Der Buch handel hat ein Interesse "daran, die 30 Jahre Toten noch 20 weitere Jahre unter dem Siegel des Monopols zu halten, weil freiwer dende Autoren die Kanäle des Buchhandels verstopfen. Wie wir wissen, hat diese Parole tatsächlich auf einige hoch- angesehene Firmen eine solche Wirkung ausgeübt, daß sie sich von der bisher so gut wie einstimmigen Meinung des Gesamtbuch- hrndels haben lösen lassen. Es hat sich damit «ine Sezession ge bildet, die sür den erklärten Willen der Gesamtheit höchst bedenk liche Folgen haben kann, wenn sie sich weiter ausbreitet. Ehe ich diese Parole auf ihre innere Richtigkeit Prüfe, möchte ich sagen, daß schon eine einzige Erwägung mich vermuten läßt, daß es sich hier nicht um eine erhärtete Überzeugung, sondern um eine Art von plötzlicher Blendung handelt.. Denn wie soll es sonst denkbar sein, daß z. B. ein so kluger, so erfahrener Mann wie Herr Fritz Cohn, der dir Frage der Schutzfrist seit Jahr und Tag genau studiert hat und sich oft genug dahin geäußert hat, daß die Beibehaltung der 30jährigen Schutzfrist sür den Buchhandel nötig ist; ja der sogar erst vor vier Wochen in der »Literatur« einen ganz ausgezeichneten Aufsatz für die 30jährige Schutzfrist geschrieben hat/ plötzlich feine Meinung ändert. 330 In diesem trefflichen, kurz vor der Berliner Versammlung erschienenen Aufsatze preist Herr Cohn die Segnungen der dreißig jährigen Schutzfrist insbesondere für die vernünftig begrissenen geschäftlichen Interessen der belletristischen Verleger und weist nach, wie sinnlos und unzuträglich die Verlängerung für Autoren und Verleger wäre und wie gerade -die einsichtigen Monopol- Verleger das auch in ihrer Mehrzahl längst erkannt hätten; und dann rust er aus: »Um der paar Ausnahmen willen soll man die Schutzsrist verlängern? Um solcher Ausnahmen willen, die billig ins Volk zu bringen wirklich eine kulturelle Tat bedeutet, soll der Verleger eine Verlängerung seines Monopols erbitten?» Habe ich nicht recht, wenn ich seine plötzlich ausge brochene Willensänderung auf die Einwirkung eines geschickten Hypnotiseurs zurückführe? Oder wie ist es sonst zu erklären, daß einer der anderen zu Herrn Rosners Gruppe übergetretenen großen Verleger noch vor wenigen Monaten aus eigenem Antrieb an mich folgenden Brief gerichtet hat: »Es versteht sich ja wohl von selbst, aber -dennoch möchte ich es mit allem Nachdruck ausgesprochen haben: daß ich bedingungslos der Beibehaltung der 30jährigen Schutzsrist zu stimme; daß ich die Verlängerung für ein großes allgemeines Un glück halten würde und daß -ich mit Ihnen zuversichtlich hoffe, daß der geistige und kulturell« Selbsterhaltungstrieb der Deutschen das Unglück einer Verlängerung der Schutzfrist verhindern wird«. Ja, wie ist dasalles nur denkbar? Ich glaube die Erklärung gesunden zu haben. Die Herren fühlen, wie wir alle, die immer wachsende Schwierigkeit des Buch absatzes, Sie sehen die billigen, aus Massenverkaus gestellten Aus gaben den Markt überwuchern; sie sehen die Kaufkrast sinken, die Kauflust schwinden, die Stockung im Umsatz der Läger anschwellen. In solcher Situation sucht man nach irgendwelchen Heilmit teln und ist bei dem sich ergebenden schwankenden Seelenzustand geneigt, den Versprechungen jedes Wunderdoktors zu glauben. Man nimmt die Hoffnung statt der Tat, die Beschwörungsformel statt -der Erkenntnis. Und nun frage ich, um das Kind beim Namen zu nennen: würde die von der Berliner Versammlung als Grundübel hin gestellte Wirksamkeit jener »Guchfa-briken» durch die Verlänge rung -der Schutzfrist lahmgelegt werden? Wer nüchtern die Tat sachen des Entstehens dieser Betriebe, ihre verlegcrische Produk tion und ihre Vertriebsmittel Prüft, muß diese Frage ganz be stimmt verneinen. Einer dieser Herren hat sogar ganz unum wunden erklärt, er hoffe auf Verlängerung der Schutzfrist. Denn er werde von legitimen Verlegern und lebenden Autoren bestürmt, ausbaufähige Verlagsrechte in seine Organisation zu übernehmen. Und wer die -Bugramesse aufmerksam besucht hat, konnte schon diesmal feststellen, daß dort geschützte Werke zu verheerenden Preisen am Markte waren — wer weiß, ob die von Herrn Rosner so genannten »Mumienhändler- nicht rascher als er ahnt sich in Papagenos verwandeln werden! Da ich mich redlich bemüht habe, nüchtern die Wahrheit zu erforschen, so wäre ich in der Lage, noch eine Reihe spezieller Angaben zu machen, die ich aber aus Diskre tion lieber verschweige. Wer sich die Mühe nicht verdrießen läßt, den Dingen genau nachzugehen, wird selbst finden, wie recht ich habe. Nebenher bemerkt: ich habe in meinem Betriebe beobachtet, daß die Angestellten für ihre privaten Anschaffungen mit Vor liebe Bücher jener »Buchbinderverlcger« kaufen und habe bei der Stelle, durch deren Hand BLcherzcttel von Angestellten für eigenen Bedarf laufen, mich über die Art der bestellten Bücher informieren lassen. Fast niemals die »verstopfenden Schädlinge« Freytag, Storm, Keller. Fast immer Balzac, Zola, Dostojewski oder Deutsche Ur-Klassiker. Und noch eines mögen sich alle, die es angeht, gesagt sein lassen: insoweit vorzügliche Qualität zu bil ligem Preis geboten wird (was bei einem Teile solcher Produkte tatsächlich -der Fall ist), wird keine Macht der Welt ihren Siegeszug hindern: es ist ein neuer Faktor, mit dem man rechnen muß und der durch keine künstliche Maßnahme, am allerwenigsten aber durch die Verlängerung der Schutzfrist, gehemmt werden kann.