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Allgemeiner Anzeiger : 16.10.1918
- Erscheinungsdatum
- 1918-10-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Urheberrechtsschutz 1.0
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- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191810163
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19181016
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19181016
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1918
-
Monat
1918-10
- Tag 1918-10-16
-
Monat
1918-10
-
Jahr
1918
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 16.10.1918
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Stimmungen. Stimmungen und Verstimmungen steigen in unsern Seelen auf; wir pflegen zu meinen, dast wir nichts dabei machen können. Etwas anderes ist es mit den Kundgebungen von Snmmungen und Verstimmungen; sie sind Handlungen, für die wir veranlworllich gemacht werden können, für die wir uns verantwortlich fühlen müssen. Denn es ist nicht, wie die Stimmung selber, unwillkürlich, daß wir so oder so uns aussprechen. Vor allem können wir, wenn wir nur wollen, das Sprechen unterlassen, wir können schweigen. Und wenn je das alte Sprichwort „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" Gestung halte, so ist es in dieser ernsten, schweren Zeit. Denn grund- falich ist alles Gerede, das unseren Feinden nützt, nuS und uniern Freunden schadet. Darum ist das erste große sittliche Gevot der Stunde, nicht nur jur beurlaubte Soldaten, die es all mählich keimen und verstehen gelernt haben, sondern jur jedermann aus dem Volle: „Hüte deins Zunge, bedenke, was du sagst, gedenke dessen, was das Vaterland fordert!" Es gibt eine berühmte kleine Schrift von Immanuel Kant: „Von der Macht des Ge- mms, durch den bloßen Vorsatz feiner krank haften Gefühle Meister zu sein." Und krank- baste Gettihle sind es doch zumeist, wenn wir den Kopf hängen lassen und verzagt sind, wenn sie uns deriüßt, die nach dem Worte eines griechischen Dichters die erste und die letzte Ge fährtin des Menschen ist, die Goethe seine stille Freundin nennt: „Oh, daß die erst Mn dem Lichte des Lebens Sich von mir wende, Die edle Treiberin, ' Trösterin — Hoffnung." Diesen Vers seines größten Dichters sollte das ganze deutsche Volk sich zu eigen machen I Und mit seinem Kant sollte es der Macht des Gemütes, des bloßen Vorsatzes, immer ein gedenk sein. Die Macht des Gemütes aber, der Voriatz, der moralische Wille und der Mut, sie müssen, um ganz wirksam zu werden, fortwährende Stärkung erhalten durch Vorstellungen, durch Gedanken. Und am heilsamsten sind solche Vorstellungen, solche Gedanken, die in Tatsachen beruhen. Stehen uns diese zur Verfügung? — Ja, sie stehen uns zur Verjügung in Hülle und Fülle. Tatsache ist es, daß wir fünfzig Monate lang nicht nur unentwegt gsaeu eins ungeheure Überzahl uns behauptet, sondern daß mgere Heere ein ungeheures Landgebict besetzt haben. Tatsache, daß wir trotzdem immer nur unsern Krieg um der Ver teidigung des Vaterlandes willen haben führen wollen, daß wir das Verderben des .Krieges immer eingesehen und gefühlt haben, und immer bereit gewesen sind, zum friedlichen Zustande zurückzukehren. Tatsache, daß unsere Feinde immer nach Vermehrung und Verstärkung Um- tchau gehalten haben; Tatsache, daß England immer noch seine stärksten Hoffnungen auf AuS- hungernng des deutschen Volles setzt, nachdem schon vor mehr als drei Jahren die ,Times' mit großer Zuversicht vorausgesagt hatten: „Im Dezember (jenes Jahres 1915) wird Hungersnot in Deutschland herrschen!": Tat sache, daß der durch diese „humanen^ Be strebungen ausgenötigte Kampf gegen HandelS- fahrzeuge eine wachsende Knappheit an Ton nage und zunehmende Lebensmitlelnot in Groß britannien selber hervorgerufen hat; Tatsache,, daß die Kohlennot dort und zumal in Frankreich und Italien ungeheuer ist, „die größte Gefahr sür unsere Streitkräfte und für die heimische Bevölkerung (.Daily Chronicle'); Tatsache, daß halbamtlich diese Bevölkerung darauf vorbereitet wird, dem nackten Mangel, besonders dem Mangel an Milch für den innsten Kriegswinter ins Auge zu sehen; Tatsache endlich, daß die Sehnsucht des Volkes nach Frieden in alten Ländern Europas mindestens ebenso stark ist wie im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn. Alle diese Tatsachen reden eine vernehmliche Sprache und müssen den moralischen Willen zu tatkräftigem Durchhauen unterstützen. Freilich gibt es auch minder günstige, ja ungünstige Tatsachen; sie liegen manchem im Bewußtsein obenauf und sind alle so bekannt, daß es^mcht nötig ist, sie in Erinnerung zu bringen. Es ist aber kein hinlänglicher Grund vorhanden, alles nach ihnen allein zu beurteilen und eiiw» un günstige Voraussage sür unsere Zukunft auf sie zu gründen. Der Arzt, der dem Kranken und seinen Pflegern voraussagt, er werde durch kommen — Hilst ihm zum Durchkommen. Und das deutsche Volk wird durchkommen — wenn es nur will. Und es wird wollen, weil es ein sieht, daß es notwendig ist! Vie Millon-^ote. — Äußerungen der Presse.— Die reichshauptstädtische Presse ist im allge meinen geneigt, die freundlicheren Seiten der vorläufigen Antwort aus Amerika zu unter streichen. Besonders optimistisch gestimmt ist der .Vorwärts', der zum Schluß seiner Be trachtungen sagt: Ein Krieg, der vier Jahre und zwei Monate dauert, der die ganze Welt in wilde' Bewegung gebracht hat, kann nicht binnen vierundzwanzig Stunden zum Abschluß gebracht werden. Noch ist der Hafen nicht er reicht. Aber den ungeduldig Harrenden dürfen wir heute zurnfen: Seid guten Mutes und voll Zuversicht! Nicht lange kann es mehr dauern, bis das Morden envet. Auch die ,Germani a' gibt der Hoffnung Naum, daß die Morgenröte des Friedens im Anzuge sei. Weiter sagt sie: Wir wollen uns gewiß nicht dastrit schmeicheln, Woodrow Wilson besser zu kennen; aber wir haben es ost genug gesagt, daß es in seiner Brust eine Seele geben muß, die an die von ihm proklamierten Ideale des Friedens, der Gerechtigkeit und der Humanität glaubt und sie auch verwirklichen will. Auf diese edlere Seite des Präsidenten von Amerika setzt die ans tausend Wunden blutende Menschheit zurzeit ihre Hoffnungen. Das .Berliner Tageblatt' legt den Haupiwert auf den Nachweis, daß „die allen und die neuen Gewalten bei jedem Schritt völlig einig" seien. Wir wollen nicht, das; dreiste Lügenpriester hinter dem Volke sagen können: all das verdankt ihr der Demokratie! Niemand dars jemals täuschend behaupten können, die erste deutsche Volksregieruua habe im Oktober 1918 anders gehandelt, ais es durch die Lage der Dinge, nach dem Urteil des Be rufensten geboten oder nützlich gewefcn sei. Die ,B e r li u e r M o r g e n p o st' ist sehr ernst gestimmt: Das deutsche Volk werde sich nie und nimmermehr so weit erniedrigen, um von denen, die bisher seine Führer waren, abzurücken, sie schnöde im Stich zu lassen, ihnen die Schuld an der furchtbaren Welitragödie unsere? Vaterlandes au'zubürden, nur damit man es Halbwegs glimpflich davonkommen laste. Die nationaUiberale ,B ö r s en z e it n n g' äußert sich pessimistisch : Wir vermögen uns nicht vorzustellen, daß national denkende Männer in den Frieden, den Herr Wilson für das demiche Volk bcreithält, einwilligen werden, ohne daß ein eisernes Muß lind die bestimmte Aussicht ständig wachsenden Notstandes es ihnen vor- schreiben. Können wir noch einen besseren Frieden erhoffen, fo wollen wir weiierstreilen und den letzten Mann zu den Fahnen rufen. In der,Kreuzzeitung' wird ein vor sichtiges abgewogenes Urteil geboten. Besonderen Nachdruck legt das konservative Blatt auf die Forderung der restlosen Annahme des Wilton- Programms. Die Meinung, daß die Diskussion über die praktischen Einzelheiten Möglichkeiten genug biete, um unseren Unterhändlern die Be weglichkeit am Verhandlungstisch zu erhalten, sei nicht zutreffend. „Vor allem wird Wilson voraussichtlich fosor! den drohenden Finger erheben und den Abbruch der Besprechungen ankündigen, wenn unsere Unterhändler den Begriff „praktische Einzelheiten" anders auffaffen als er. Hier liegt also fraglos ein Konfliktstoff, der die etwa einsetzenden Fliedensverhandlungen in jeder Stunde aufs , neue gefährden könnte." Die übrigen Berliner Blätter der Rechten äußern in den erregtesten Worten ihre Auf fassung, daß es sich um unannehmbare Forde- runaen handele. WMon habe sich wieder als s ausgesprochene.' Erzfeind des deutschen Volkes gezeigt. Aus dem Reich liegt eine Reihe von Äuße rungen vor, die durch ihre Zurückhaltung er kennen lasten, wie ernst die Verantwortung jedes einzelnen gewertet wird. Die ,Frank- furterZeitung' erklärt: Es ist anzunehmen, daß man an den verantwortlichen Stellen sich von Anfang an klar über die Schritte gewesen ist, die zu tun sind, wenn eine Antwort, wie man sie erwarten mußte, käme. Die Antwort schafft keine neue Lage. Die schwerwiegenden Gründe, die den Kanzler, die Regierung und den Reichstag im Einvernehmen mit der Heeres leitung veranlaßt haben, die Bitte um Friedens- Verhandlungen nnd Waffenstillstand auszusprechen, bestehen unaeschwächt fort und werden auch die Entscheidungen bestimmen, welche die Negierung auf die Wilionsche Antwort hin zu treffen hat. Das nationalliberale ,Leipziger Tage blatt' freut sich über den Ton der Wilson- schen Antwort, der srei von Schroffheit und Gereiztheit sei. Das ,Hamburger Fremderi ll lat t' bemerkt dagegen: Der verbindliche Teil der Note dürfe über die Schwere ihres Inhalts nicht täuschen. Die .Leipziger Ne ne st en Nachrichten' sagen über den Zweck der Wilfonschen Antwort: „Die Ant wort ist sehr geschickt darauf angelegt, die Stimmung weiter zu drücken, die Beunruhigung in Osterreich-Ungarn dadurch, daß ihm leine Antwort erteilt wird, zu steigern und so auch der deutschen Regierung zunächst, ohne daß Wilson sich zu irgend etwas verpflichtet, weitere Zugeständnisse herausznlocken." VoMlebZ ArmcksGÄU. Le«tschl«uS. "Die Beratung der maßgebenden Reichs stellen über die Antwortnote Wilsons hat noch kein endgültiges Ergebnis gezeitigt. Es hat den Anschein, als ob eine Antwort an den Präsidenten Wilson ergehen wird, die eine sür den Frieden wirsame Forlsührung der Ver handlungen ermöglicht. Es scheint, daß der Rat der Staatssekretäre auf dem Standpunkt ge standen hat, daß die einzelnen Besetzungen oder Räumungen Gegenstand Ler Festlegung im Waffenstillstandsvsrlrage lein werden. Die konser vative Fraktion im Reichstage hatte den so- foUlgen Zusammentritt des Hauses gefordert. Sie dürste jedoch diesen Wunsch zurückziehen in der Erkenntnis, daß zurzeit eine öffentliche Aus sprache verfrüht wäre, solange die Abgeordneten Nicht mit allen Voraussetzungen sür das Ver- stäudms der Lage genau vertraut sind. * Zwilchen den Parteien des Abgeordneten hauses und in einflußreichen Kreisen des Herren hauses wild über die Möglichkeit einer schleu nigen Erledigung derVerfassungs- vorlage verhandelt. Als Grundlage dient dabei dw Regierungsvorlage, und zwar in ihrer ursprünglichen Form, die das gleiche Wahlrecht ohne jede Zttiatzstimme vorsah. Als einzige Sicherungen sollen die vom Zentrum geforderten konfessionellen Garantien eingefügt werden. Wenn auch die Verhandlungen noch nicht ab geschlossen sind, so kann man doch sagen, daß sie ein günstige? Ergebnis erwarten lasten. Österreich-Ungar«. "Die Christlich-soziale Vereinigung der deutschen Abgeordneten faßte folgenden ein stimmigen Beschluß: „Die Christlich-soziale Ver einigung der deutschen Abgeordneten nimmt, indem sie das Selbstbestimmungsrecht der slawischen und romanischen Nationen Österreichs anerkennt, das gleiche Recht auch sür das demsche Volk in Österreich in Anspruch und ist bereit, auf dieser Grundlage mit den Vertretern der anderen Nationen über die Um Wandlung Österreichs in eine Föderation freier nationaler Gemeinwesen zu verhandeln. Wir verlangen, daß sämtliche deutschen Gebiete Österreichs zu einem natio nalen Gemeinwesen vereinigt werden, welches das Seibstbestimmungsrscht des deutschen Volkes auszuüben berufen ist." Polen. *Dr. Kucharzewski richtete ein Schreiben an de" waiisral, in : n -r nm w-octwe Enthebung von der Stellung deS Premierministers und um gleichzeitige Entbindung von dem Auftrage, ein neues Kabinett zn bilden, bittet. Der Minister- Präsident kündigt ferner ein ausführliches Schreiben über die Gründe für seinen Rücktritt «n und erklärt sein Ersuchen damit, daß er nicht wolle, daß seinetwegen irgendein Aufschub in der Bildung deS neuen Kabinetts eintrete. Sein Entschluß sei unwiderruflich. Frankreich. "Eine Note der Agence HavaS sagt: Präsident Wilson hat die deutschen Vorschläge in der Weise ausgenommen, wie man dies von seinem klugen Scharfblick erwarten konnte, indem er von der deutschen Regierung Auf- klärungenüber den Sinn und Tragweite ihres Angebote? erbat. Auf diese Weise wird keinerlei Zweideutigkeit die Lösung des gegenwärtigen Konfliktes fästchen. Deutschland wird zuerst kategorisch erklären müssen, ob eS unverzüglich und ohne Erörterung die äufgestellien Bedingungen an nimmt. Wenn die Vorbedingungen: Rückhalt lose Zustimmung zum amerikanischen Friedens programm, Neuorientierung der deutschen Politik wwie Räumung der besetzten Gebiete von der kaiserlichen Regierung angenommen werden, so wird der Waffenstillstand doch nicht soiort eintreten. Präsident Wilson wird vielmehr dann erst glauben, in der Lage zu sein, eine Einstellung der Feindseligkeiten den Völkern der Entente vorzuschlagen, die dann die Bürg- schasten bekannt geben müssen, welche sie von den Feinden fordern wollen, bevor sie die Waffen niederlegen. Enqland. * Die englische Arbeiterpartei hat eine Er klärung abgegeben, die besagt, das Friedens angebot der Zentralmächte habe einen Zustand geschaffen, der voller Möglich keiten sei, dis die Alliierten nicht außer acht lassen dürften. Andererseits könne nicht ge leugnet werden, daß die Vorschläge näherer Er klärungen bedürfen, infolge deren die mili tärischen Vorbereitungen erlahmen könnten. Deshalb sei es Unbedingt nötig, daß die Zen- tralmächte iich ans allen besetzten Gebieten zu rückziehen und eine unzweideutige Erklärung abgebsn, in der lie versichern, die Grundsätze Wilious ehrlich und oyne Vorbehalt in allen Fragen über den Frieden anwenden werden. Italien. *,Italia' meldet, man habe Grund zur An nahme, daß das Angebot des Waffen stillstandes im Vatikan und beim Heiligen Vater, dessen glühendster Wunsch es sei, das schreckliche Blutbad beendet zu sehen, einen gewissen Eindruck gemacht habe und daß die neue diplomatische Phase des Konfliites mit lebhaftester Aufmerksamkeit verfolgt werde. * .Tempo' veröffentlicht einen Tagesbe fehl des General Diaz an die Armee, worin gesagt wird, daß der Feind in Erkenntnis seiner verzwestelten Lage und seiner unvermeid lichen Niederlage dennoch den Kampf in Frank reich und Belgien hartnäckig sortsetze, indem er gleichzeitig Friedensangebote mache und auf dem heiligen Bosen des italienischen Vater landes verbleibe, um den größtmöglichen Teil seiner, Eroberungen zu behalten. „In dieser iür die Zukunst entscheidenden Stunde," so heißt es Weiler, „müssen wir mehr als fe bereit lein, den Feind zu schlagen, solange seine Angebote nicht von den notwendigen Garantien begleüet sino und auf eine neue Falle hinauslaufen, um die Niederlage zu verzögern." Finnland. * Nach einer geheimen Sitzung ist der Land tag auf Grund der Verfassung von 1772 zur Königswahl geschritten. Die Wahl erwlgte durch Zuruf, indem die Abgeordneten sich von ihren Sitzen erhoben. Die Agrarier und einige wenige Republikaner bekundeten durch Sitzen bleiben, daß sie an der Wahl nicht teiluähmeu. Durch den Beschluß deS Landtages ist Prinz Friedrich Karl von Hessen zum König von Finnland gewählt und die Thronfolge seiner Nachkommen festgestellt. Das Landtagspräsidium wurde beauftragt, die sich aus diesem Beschluß eiasbendsn Maßnahm.», »u uemn. Der falsche Aembranät. -s Noman von F. A. Geißler. K»rts<ch>mg.) Georg schaute überrascht aust Herr Kürbach fuhr fort: „Ich glaube, das wäre dis beste Vor bereitung Ihres großen Christus —, mir ist's, als müßten Sie erst mal die bewundernswerte Technik, die Sie sich durch die Nachbildung des alten Meisters erworben haben, gleichsam in die Freiheit der eigenen Erfindung übertragen, um ganz selbständig weiter zu kommen. Mich dünkt, dann finden Sie Ihren eigenen Ton am sichersten. Das ist nur so eine Idee von mir, die mir durch den Kopf schoß, als ich die Meisterkopie neben Ihrem KruzifixuS sah —" Georg schaute ihn mit dem erstaunten Blick eines Menschen an, der dunkel Geahntes plötzlich klar aussprechen hört. »Sie haben das erlösende Wort gefunden: Ja, nur eine solche Arbeit, die meine Nach ahmungstechnik in den Dienst einer freien Idee stellt, kann mich zu der vollen künstlerischen Freiheit führen, deren ich bedarf, um meinen Gekreuzigten zu vollenden." „Freut «ich, daß Sie dieser Meinung find. Also ich bestelle hierdurch bei Ihnen ein solches Bild, mit dem Sie sich sozusagen Ihre Rem- brandttrchnik heruutermalen. Den Gegenstand überlssse ich Jbnen, am liebten wäre mir ein Phemlasieporträt — oder vielleicht auch zwei Köpfe auf dem Bilde, ganz Hw Sie wollen, vbereilen Sie nichls, mir liegt sehr viel an dem Bilde, denn . . . hm, — — es soll nämlich Hi« Überraschung werden." Er hielt einen Augenblick inne und sah den Maler blinzelnd mit stummer Frage au. Georg nickte verständnisvoll. „Ah, eine Überraschung!" Und Herr Kürbach fuhr fort: „Darum werden Sie verstehen, wenn ich den Auftrag nur unter der Bedingung erteile, daß kein Mensch außer mir das Bild erblickt, so lange es noch nicht an mich abgeliefert ist und daß Sie darüber mit niemandem sprechen oder An dentungen irgendwelcher Art machen, selbst nicht ihrem Bruder gegenüber. Geben Sie mir dieses Versprechen, so sind wir einig. Honorar die doppelte Summe des heutigen Betrages, Lieferzeit sechs Monate." Georg bot ihm rasch die Hand, aber Herr Kürbach sagte mit ernstem Gesicht: „Nein, lieber Herr, nicht so geschwind. Ein Vorschlag wie dieser will überlegt sein, darum schlafen Sie eine Nacht darüber und geben Ihre Antwort morgen dem Boten mit, der das heute gekaufte Bild und Ihres Bruders Manuskripte holen wird. Sobald Sie eine Idee haben, besuchen Sie mich, und daun besprechen wir alles genau, bevor Sie die Arbeit beginnen. Aber Sie müssen sicki Wei und unbeeinflußt ent ¬ schließen, : ne Bedingungen einzngehen. Ich Habs lugen Gründe daiür." Nach k —m.en brach Herr Külbach ab nnd sägte m ganz verändertem Tone munter hinzu: „Aber nun lassen Sie uns hinuntergehen, denn man soll einen Dichter und eine junge Dame nie lange allein miteinander lassen. Bei euch Malern ist's ein ander Ding. Ihr be ¬ wundert Schönheit und Anmut aus künstlerischer Freude, ohne euch gleich zu verlieben, aber ein Dichter. . ." Er lachte laut, und Georg mußte wohl ein stimmen, obwohl es ihm gar nicht wie Lachen war. Ob in diesen Worten Kürbachs für ihn eine Warnung, wohl gar eine Abweisung liegen sollte? Im Arbeitszimmer hatte unierdessen der Dichter einen solchen Stoß von Manuskripten aufgshäuft, daß Cora auf ihn mit einem Lächeln deutete und sagte: „Ich glaube, Onkel, das genügt für die ersten Wochen. Du bist ja so viel auf Reisen, daß du - lange genug brauchen wirst, um das alles durchzuarbeiten —" „Ja, ja, mein Kind. Du hall recht, ich werde kaum dazu kommen auf der Reise Geschäfte, immer Geschäste — na, ich nehme, einiges mit, und für den Rest verlasse ich mich auf üeine^ Unterstützung." Die Stirne des Schriftstellers hatte sich ver düstert. Denn welcher Dichter glaubt wohl, daß jemand von seinen Erzeugnissen zu viel bekommen kann? Aber bei den letzten Worten Kürbachs heiterten sich seine Brienen wieder auf, und er sprach mit freudiger Höflichkeit: „Eine bessere, verständnisvollere Beurleilerin kann ich mir nicht wünschen, und wenn es nicht wie Bestechung der Kritik aussähe, würde ich um freundliche Gesinnung bei der Lektüre bitten—" Cora lachte. „Das ist nicht nötig. Ich fürchte ohnehin schon, daß die persönliche Wert schätzung des Dichters mich parteiisch sür seine Werke machen wird..." j Jetzt schaute Georg trübe drein. Es lat ihm weh, nnd er hatte schon ein bitteres Wort ans den Lippen, als ihn Kürbachs geschäftsmäßige Stimme anredete: „Also, es bleibt dabei, Sie geben diesen Stoß Hesie morgen dem Boten, den ich nach dem Bilde senden werde. Und vergessen Sie nicht, mir die Antwort mitzusenden, um die ich Sie vorhin bat. Und jetzt, liebe Cora, müssen wir gehen." Beide Brüder begleiteten die Gäste plau dernd, bis zur Straßenbahn und kehrten dann um so schweigsamer in ihr Häuschen zurück. Als sie im Vorgarten standen, sagte Franz ärgerlich: „Wieder mal eine Enttäuschung. Ich bin überzeugt, daß sür mich nicht viel heraus springen wird. Die Herrschaften wurden ja merklich kühl, als sie den Berg meiner unge druckten Werke fabcn. Ich weiß nicht, dieser Herr Kärbach kommt mir sehr sonderbar vor, und wenn er nicht der Oheim dieses prächtigsten, herrlichsten aller Mädels wäre, könnte ich tast mißtrauisch sein. Du freilich hast ia schon reellen Grund, mit ihm zusrieden zu sein, denn ein Bild hat er dir schon abgekaust und vielleicht ein anderes in Auftrag gegeben. Ja, ja, ihr Maler schöpft doch immer gleich das Fett av, während sür uusereinen nur die magere Brühr der Hoffnung übrig bleibt. Aber diese Cora, das ist wahrlich ein Göfterkind " „Hast dich wohl recht gut mit ihr unter halten?" „Ganz ausgezeichnet: in meinem ganzen Leben hab'ich noch mit keiner jungen Dame so uetl geplaudert, bei keiner so viel Verständnis
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