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Illustrierte Anterhaltungs-Beilage 7chrg. IHtS Seit Edgar nach dem plötzlichen Tode seines Vaters das Studium und die Studienfreunde Verlassen hatte, um das ihm zugefallene Gut zu verwalten) hatte ich zwar brieflich viel von ibm gehört, ihn aber nie wiedergeschcn. Daher ließ ich, als mich eines Tages ein herzlicher Brief einlud, an seinen Jagden teilzunehmen, gern genug meine dringenden Examensarbeiten im Stich. Nach den durch die Situation gegebenen Prahlereien gegenüber Edgars und meinen Freunden, in denen die bisher von mir mit der WindLüchsc verfehlten Ratten und die wenigen mit dem Tcsching getroffenen Karnickel zu Neh- böcken und „kapitalen" Hirschen wuchsen, machte ich mich, eine strahlend neue Jagdausrüstnng um die Glieder gehüllt, auf die Fahrt. Ein schmucker Jagdwagen, den Edgar selbst lenkte, brachte mich von der Station zu seinem Gut. Der Abend, senkte sich eben, als wir ankamen, und ich mutz gestehen, daß wir uns in die Erinnerung ge meinsamer, akademischer Abende bei seinem guten Wein etwas zu genau verloren. Wenigstens hatte ich, als ein überaus heftiges Poltern mich zu mir sehr ungewohnter, noch ganz nachtdnnkler Stunde weckte, ausschließlich daS deutliche Gefühl schmerzender Haare. Ich be schränkte mich also, ohne über die etwaige Be deutung des Lärmens etwas nachzudenken, auf einige stärkere Unhöflichkeiten, mit dem Willen, gleich wieder in diesen dumpfen Schlaf zu ver fallen. Aber auS erst halber Bewußtlosigkeit fuhr ich, vom reichlichen Inhalt meines Wasch- kruges auf Augen, Stirn und Haar getroffen, jäh in die Höhe, und starrte verständnislos auf Edgar, der, halb angekleidet, ein Licht in der einen, den Krug in der andern Hand hielt, und eine längere Rede über die Pflichten begann, die dem Jäger sein edles Handwerk auserlege, und unter denen das frühe Nufstchen zu den vor nehmsten zähle. Diese Rede nahm, während ich in Hosen und Strümpfe fuhr, einen immer böseren Tonfall an und endete mit einen« ironischen „Weid mannsheil". Sodann kleideten wir uns beide, versöhnt und beruhigt, hastig an und machten uns nach einem eiligen und, ivic mir schien, zu dürftigen Frühstück auf den Weg. Wir fuhren zu Rade die noch ganz dunkle Chaussee entlang; ich fröstelte, aber in der feuchten Frische wurde mein Kopf wieder klar, und ich spürte fast ein Behagen an der Fahrt. Es wurde ganz wenig Heller; die Bäume, die lautlos und gespenstisch an unS vorüberglittcn, wurden er kennbar. Am Waldrandc stiegen wir ab und verbargen die Näder, deren Ketten mir ver schloßen, sorglich iin Chausseegraben. Dann stampften tvir durch das nasse Kraut zwischen Wald und Wiese entlang, und ich freute mich eitel meiner neuen, wasserdichten Jagdgamaschen. Edgar war plötzlich von einer ungeduldigen Schweigsamkeit; er blickte hin und her, und hastig flüsternd wiederholte er mir Verhaltungs maßregeln, die vor allem vollste Geräuschlosigkeit verlangten rind die Behandlung des schweren Drillings, den er mir geliehen hatte, betrafen. Plötzlich hielt er an. Er prüfte noch einmal die Ladung meines Kngellaufcs und forderte mich auf, eine dicke, etwa zwanzig Schritte vor dein Walde stehende Fichte zu ersteigen und den Hochsitz einzunehmeu. „Und dann: keine Be wegung mehr, das ist die Hauptsache!" Ich prüfte'mißtrauisch den Stamm, in den unten einige verrostete Nägel geschlagen waren. „Halt, noch eins", sagte Edgar, „steck' Dir vorher eine Zigarre an. Die kleine natürliche Bewegung des Rauches vergrämt das mißlraLifche Wild Mein erster* Mock. Humoreske von Gustav Näbert. nicht, und Du hast einen Schutz gegen daS fliegend- Ungeziefer. Nun steig; ich gehe nach der anderen Waldseite, wie wir verabredet haben, und wir finden unS nachher wieder." Ich begann, die Flinte umgehängt und die angebrannte Zigarre zwischen den Lippen, den Baum zu erklettern. Es war mühsam; das Ge wehr hinderte mich, ich sah wenig, ein morscher Zweig brach, als die Nägel ansgehört hatten unter meinem rechten Fuß — ich. hörte Edgar unten vor Wut über das Geräusch grunzen — und ich mußte alle Aufmerksamkeit an den Weg wenden. Schließlich erreichte ich das ziemlich hoch auf zwei Äste genagelte Brett und setzte mich; ich sah noch, daß Edgar seine Jagdwaffe von der Schulter nahm und um ein Gebüsch bog. Dan» war ich, gut gerüstet, der Jagdlust und dem Jagdglück überlasten. Ich rückte mich auf dem Sitze, der mir recht hart und schmal erschien, zurecht und wollte einen stärkeren Zug aus der Zigarre tun; o Gott — sie war mir bei der Anstrengung des Kletterns ausgegangen. Da saß ich nun; ein Streichholz anreißcn durste ich nach Edgars strengen Weisun gen natürlich nicht, es war schon hell, jeden Augenblick konnte Wild heraustreten. Ich wagte nicht einmal, die erkaltete Nolle aus dem Munde zu nehmen, sondern saß bewegungslos und be gann, mich unbehaglich zu suhlen. Auch fror ich. Eine Weile tröstete mich daS Bild des er wachenden Landes vor mir. Der dünne Nebel hob sich von den Wiesen, drüben aus dem Acker stieg eine Lerche immer höher und sang unter dem Himmel. Die Farben erhöhten sich, und daS noch feuchte Laub begann zu glänzen; jetzt mußte irgendwo in großer Ruhe die Sonne aufgehen. „Ja", dachte ich begeistert, „wirklich kommt der Jäger dem Herzen der Natur nahe, Mit der er mehr als andere lebt. Ich sehe heute Vorgänge, die ich sonst verschlafe. Und daß ich mich nicht bewegen und das kleine Leben nicht stören darf, läßt mich nur mehr beobachten." Dabet betrachtete ich einen Käser, der sich ans der Rinde bewegte. Bald aber begann ich mich zu langweilen. Der Käfer, den ich eben bewundert hatte, war an meinen Kragen geraten und belästigte mich. Mit unendlicher Vorsicht, eingedenk aller Mahnun gen meines Freunde?, hob ich die Hand und entfernte ihn. Aber anderes Getier kam, Fliegen, die kein Zigarrenrauch Vertrieb, richteten sich auf meinem Gesicht ein, und Mücken, die ich nicht fortzuschlagen wagte, zerstachen erbarmungslos meine Backen und Hände. Ich rührte mich nicht und begann meine augenblickliche Lage sehr un behaglich zu finde» und die Jägerei zu verachten. Da hörte ich ungewohnte Laute, als ob rasche kleine Schritte den weichen Waldbodeu schlügen und an Stämme träfe». Und gerade unter mir trat ein Reh aus dem Walde, äugte klug um her, senkte wieder den Hübschett Kopf nnd äste auf daS Lupinenfeld vor mir; zwei andere be gleiteten es. Zwar trugen sie kein Gehör» und waren Nicke», doch sah ich de» schonen Tieren, nur wenig enttäuscht, interessiert zu. Ich achtete kaum noch der dicken Fliege, die wieder auf meiner Schläfe saß. Mein Jntereffc belebte sich aber zur Erregung, als hinter de» Nicke» ein anderes, größeres Tier stand — ein vcritablcr Bock, ein Sechser, der breit, wie aufgebaut für einen Blattschuß, vor mir stand. Ich dachte an Edgar und begann Nr. 19 j (Nachdruck verboten.) — " unendlich langsam den Kolben hochznnehmen Meine Hand zitterte ein wenig„vber das Tier senkte wieder sein Prachtgehörn und merkt- nichts von meiner Bewegung. Die Fliege, die nun gerade meine Oberlippe überschritt, störte mich etwas, aber ich bestand nur noch aus Jagdeifer, Mordgicr und gespannter Aufmerksamkeit. Wollte das Tier mich zwingen, es zu be uchten, oder mißbrauchte cs meine erzwungene Ruhe: eine schnelle Bewegung brachte es an mein rechtes Nasenloch. Ich wandte alle Energie des Leibes nnd der Seele an die Riederkämpfung des Kitzels, doch die Fliege besaß größere Aus dauer; unaufhaltsam brach eS ans, und krampf haft, geschüttelt nieste und nieste ich. Die Rahe gingen in wilder Flucht ab, und ich, schwindlig von der körperlichen Erschütterung, erregt, wütend, schoß dem Bocke die Kugel aus der nun ohne all- Vorsicht an die Schulter geworfenen Büchse nach. Das Echo warf den Knall ein paarmal zurück; über de» verschwebenden Rauch sah ich, daß der fliehende Bock nach ein paar überlangen Sätzen fiel. Schnell warf ich das Gewehr zu Boden und begann herabzukletiern, da hörte ich einen Schrei. „Mein Gott", dachte ich, immer weiter kletternd, „einen Menschen — und das war ja eine Menschenstimme — kannst Du doch nicht ge troffen haben, der Bock lag doch? Und sein Magen war daS nicht!" Erschreckt verfehlte ich den obersten Nagel und stürzte zu Boden. Schnell raffte ich mich auf und sah — Edgar, der sich über das in seinem Schweiße verendete Tier beugte, die Büchse in der Hand. „Esel", rief er mir entgegen, „fast hätte Dein verfluchtes Niesen den Schuß verdorben!" Ich trat heran und winkte mit einer kühle» Bewegung ab. „Es tut nichts", triumphierte ich, „ich habe ja doch getroffen!" „Du?" richtete er sich erstaunt auf; ein GriiiDn begann sei» Gesicht zu falten. Aber ehe er de» Mund öffnen konnte, nahm ich die Leitung deS Gesprächs an mich. „Wo kommst Du denn eigentlich her? Und hast Du ge schrien? Warum?" „AuS Wut über Deine Ungeschicklichkeit", bleckte er, „— nnd dort hinter dem Busch hab' ich gelegen!" Er war also gar nicht weggcgangen. „Wie unvorsichtig", empörte ich mich, „wie leicht hätte ich Dich treffen können, wenn ich den Bock verfehlt hätte!" „Quatsch", sagte Edgar sehr ruhig; „glaubst Du, ich werde Dir grünem Anfänger eine scharfe Kugel geben? Du hast blind geschossen, und ich habe den Bock gelegt!" eso dumm habe ich noch nie einen Menschen angeschaut. Zwischen uns lag der arme Rehbock, den ich eben noch für meinen ersten hielt. Die Folgen? Ich habe Edgar heute noch nicht verziehen, daß er mir den Lauf blind lud. Und dann habe ich mir auf die bösen Erfahrun gen mit der Zigarre dieses Morgens hin das Rauche» aus der Pfeife angewöhnt, die sich leichter zwischen den Zähnen halte» läßt. Und das kann meine Braut bis heute nicht verzeihe». Aue Waffe für de« koumMn ßaudelsickg. Bon Hermann Lauwli» g. An den Von allen kriegführenden Parteien oft geäußerten Vorsatz, den Krieg so lange und bauptsächlich darum zu führen, daß ei» neuer Krieg, wenn auch nicht für immer, so doch in denkbar weitester Zukunft unmöglich ist, au- knüpsend, möchte ich mit vorliegendem Aufsatz einen Umstand beleuchten, der wohl eine Haupt-