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und Anger hat er mancherlei geschrieben. Aber schon allein der verfängliche Name „Leuchte" und sein Motto hatten bei weitem genügt, um ihm von staatswegen einen Prozeß zu machen. Heute, nach beinahe einem Jahrhundert, wissen wir alle, in welch vornehmer Gesellschaft sich Große auf der Anklage bank da befunden hat. Hat man nicht einen Fritz Reuter von Kerker zu Kerker geschleift? Was ist aus Hoffmann von Fal lersleben geworden, weil er das Deutschlandlied gedichtet hatte? Flüchtete nicht Richard Wagner wie ein gehetztes Wild über Land und Meer? Haben nicht auch die Märchenonkel Ge brüder Grimm hinter Gefängnismauern gesessen? Und was bedeuten uns diese Namen heute! Wir sehen die Ereignisse von 1848 natürlich durch eine ganz andere Brille. Wir ver stehen, daß die Mißernte 184? ein Hungerjahr heraufbeschwo ren hat und eine Teuerung mit sich brachte, bis sogar Brot karten ausgegeben werden mußten; wir glauben gern, daß die Maul- und Klauenseuche des nächsten Sommers so manchen Bauern ruiniert hat. Explosivstoff war natürlich da. Man braucht nur einmal die breiten Berichte aus Bauernversammlungen jener Zeit zu .lesen. Aber dür fen wir bei dem politischen Geschehen von anno 48 die große Linie übersehen? Was hatten denn eigentlich die „Va terlandsverräter" und „Revolutionäre" auf ihre Fabne ge schrieben? Sie kämpften und bluteten für ein Groß- d e u t s ch l a n d , das nun inzwiscben endlich Wirklichkeit ge worden ist. Wie oben schon einmal erwähnt ist, nahmen auch Naun hofer und Brandiser Kreise deswegen eine Knarre in die Hand. Sie hatten sogar Doppelflinten und Bajonette. Aber an und für sich blieben sie recht harmlos. Sie ließen es bei einer schönen pfingstlichen Fahnenweihe mit Kirchenparade und Böllerschüssen bewenden. Auch das übliche Feuerwerk fehlte nicht. Ihr ganzes Tun war weiter nichts als Feuerwerk. Und Große hat sich weidlich über sie lustig gemacht. „Sie ahmen das große deutsche Vaterland nach und sind nicht einig". Line andere Stelle: „Die Brand iser K o m m u n a l g a r d e hat noch nicht hundert Mann, aber einen Kommandanten, einen Adjutanten, zwei Hauptleute, 6 Zugführer, zwei Feld webel, ungezählte Rottenführer. Sie rücken Sonntags aus. Denn jemebr ausrücken, destomehr Ansehen hat das Ganze. Es wäre Gesetz, sagen die Ehargierten. weil sie sich sonst am Ende selbst kommandieren müßten." Große hat mit kleinen Kreaturen und Spießern nichts zu tun. Er rückt sehr energisch von ihnen ab und — muß das büßen, wie sehr ihm das Hochziel „Großdeutschland in volks- gemeinsämst" voranleuchtet, bezeugen Verse aus seiner Feder, die wir ihrer Gegenwartsnähe wegen ungekürzt abdrucken. Weise: Prinz Lugen, der edle Ritter. Ob wir rote, gelbe Kragen, Helme oder Hüte tragen, Sporen, Stiefel oder Schuh; Oder ob wir Röcke nähen, Und zu Schuhn die Fäden drehen, Das tut wahrlich nichts dazu. i Mb wir können possidieren Oder müssen Akten schmieren Ohne Rast und ohne Ruh — Ob Kollegin wir lesen. Oder ob wir binden Besen: Das tut wahrlich nichts dazu. Ob wir stolz zu Rosse reiten, Ob zu Fuß wir fürbaß schreiten Unser aller Ziele zu — Ob uns vorne Kreuze schmücken Oder Kreuze hinten drücken: Das tut wahrlich nichts dazu. Aber ob wir Neues bauen Oder Altes nur verdauen, Sorglos, wie das Gras die Kuh, Ob nur in der Welt was schaffen Oder nur die Welt begaffen: Das tut wahrlich was dazu. Ob in unserm Kopfe Klarheit, In dem Herzen Durst nach Wahrheit Wirkt dem höhern Ziele zu. Oder ob wir friedlich kauern Und verhungern und versauern: Das tut wahrlich was dazu. Ob wir hurtig und geschäftig, , wo cs gilt, zu wirken kräftig, Immer, immer greifen zu — Oder ob wir schläfrig denken: „Gott wirds schon im Schlafe schenken", Das tut wahrlich was dazu. Darum Bürger, darum Brüder, Alle eines Bundes Glieder, was auch jeder, jeder tu: Alle, die dies Lied gesungen, So die Alten, wie die Jungen: Tun wir denn etwas dazu! Hatte Große wirklich zuviel „dazu getan"? Ganz präch tig ist ein satirisches Zeitbild des Deutschen Reiches von anno dazumal: Heute verstehen wir dieses um so mehr, weil wir in einem großen, starken Reiche wohnen, wer läse die folgen den Zeilen nicht mit einigem Schmunzeln? „Preußen ist der Kopf von Deutschland, wer das bestreitet ist ein Schafskopf. Preußen ist am aufgeklärtesten, Preußen ist am stärksten. Preußen hat das bißchen Ehre von Deutsch land bisber allein aufrecht erhallen. — Sachsen ist der Hals von Deutschland. Anno 48 schreit es kräftig. — Hannover ist der Buckel von Deutschland. Diesen Buckel zeigt es Deutsch land, und mit dem Gesicht guckt es nach England . . . (Die Hannoversche Politik war ja bis zu Bismarcks, mit starker Hand geführten, operativen Eingriff englandfreundlich und deutschfeindlich.) — Württemberg ist die Brust von Deutsch land. Da drin sitzt das gefühlvolle Herze und zwei Lungen flügel, wovon der eine katholisch betet und der andere evan gelisch singt. — Bayern ist der Bauch von Deutschland. Der beherbergt das bayrische Bier und die kebcrknödel. — Oester reich ist das Sitzfleisch von Deutschland. Oesterreich hat so lange still gesessen, daß es Schwielen gekriegt hat und daß seine Beine geschwollen sind." Die Geschichte hat dem Verfasser bitter recht, nur zu recbt gegeben: Das schwache Oesterreich von damals ist inzwischen zerfallen, und aus seinen Trümmern stieg der deutsche Adler auf. Derselbe deutsche Aar, dessen Schwingen 1848 nur zu kurz gewesen waren, um den großen Flug wagen zu können. Erst nach beinahe einem Jahrhundert sehen wir, wie kräftig er feine Flügel ausbreitet und sich stolz in die Lüfte schwingt. Lin gesunder Nähr-, Lehr- und Wehrstand geben ihm die Kraft dazu. Zu Großes Zeiten aber suchte der Deutsche vergebens nacb solchen Kraftquellen. „Nähr-, kehr- oder Wehrstand?", schreibt der unverzagte Seher, „Nein: Titel-, Mittel- und Kittelstand muß es heißen! Denn hast du keinen Titel, bist du nichts. Du nennst dich Hof-Rat, hast aber bloß einen Hühnerhof und kannst auch nichts erraten. Und was zählt der Handwerker, der früher den gesunden Mittel stand ausmachte? Er nennt sich Fabrikant, Künstler und wer weiß was; und heute scheint Mittelstand nach Bankiers und Kommerzienräten zu heißen. Ain stärksten ist der Kittelstand; denn wie sollten sonst die Neichen herausragen, wenn nicht die Menge einen Kittel trüge?" Diesem „Kittelstand" gilt Großes besondere Liebe, wie immer die Besten eines Volkes sich gerade diesem Stande zn- gewendet haben. Die bisherigen Darlegungen haben das ge-