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Das -r^ elhnachtswun-er Von Professor Hanns Schmied el« Heidelberg An den festlichen Tagen des Jahres kommt uns, je älter wir werden, um so deutlicher unser eigenes Werden zum Bewußtsein. Wir stellen uns hinein in den Kreislauf des Erdengeschehens und prüfen die Entfaltung unserer Seele, ihr Ziel, ihre Bewährung und ihre Selbstgewißheit. Wir rechnen ab mit uns. Wir halten Gerichtstag über uns. Mehr und mehr erkennen wir hierbei, wie schmerzlich und bitter das Ergebnis eines Menschenlebens ist. Wir räumen alle Hem mungen weg, indem wir alles Widerwärtige und Fremde als Schicksal bezeichnen und auf das Konto einer über uns blind herrschenden Gewalt schreiben. So entfernen wir und ent fremden wir unsere beste seelische Anlage dem Einfluß, der Jedes Fest hat sein Wunder. Es hat seine steigernde, aufbauende Schönheit, seine Stille der Einkehr, seine Tiefe der Mahnung, seine Geduld auf Hoffnung und Erfüllung, sein Sinnbild für Leben und Tod. Dem Weihnachtsfest aber ist eine ganz außerordentliche Wundergabe einverleibt worden. Das Krippenkind ist eigener Majestät Verzicht: Gott steigt in die Fron des Fleisches herab. So deutlich und schmerzlich, so wunderbar geopfert und erlösend geweiht ist dieses Kind, daß nur ganz verstockte Herzen den Hauch der Ewigkeit nicht verspüren können. Aus dem Gnadenborn frischquellender Gottes- und Vatergüte stammt dieses Kind her, in Reinheit und Glorie der Unschuld geboren und doch drohend gen Himmel streckt. Die Einsicht demutvollen Ge horsams ist erste Frucht der Weisheit, gu dieser Weisheit sollen uns die Feste bringen. Aber kein Fest bringt diese Erneuerung so strahlend und gemütstief, so versöhnlich und milde, so voll Rückkehr zur Jugendsonne und zum besseren Ich, wie gerade Weihnachten. Weihnachten ist die überschäumende Freude, wunder seligen Genesens am besseren Ich. Weihnachten erobert die Feste kindlicher Einfalt zurück, die Herzhaftigkeit des Lebens- glaubens und die Zuversicht auf den Sieg im Schicksal: Kind und Erwachsener sind eins. Wer vor den Wundergestalten der Krippe kniet, wer die ergreifende Schlichtheit dieser Ge- »V!« heilig« jamttl«- »,n Mppin» «ppi l>4§7—1444). Einwirkung und Stärkung einer uns wahrhaft gütigen Kraft. Wir weichen aus Be- quemlichkeit und Gewöhnung der entscheidenden Frage aus, ob wir selbst dieses unbefriedi gende Schicksalsgefühl hätten andern, vielleicht vermeiden können. Wir haben uns auf uns selbst gestellt, sind dem göttlichen Wesen, das alles durchdringt, entflohen, haben die Seele eingesponnen in eine Trugwelt des äußeren Wohlergehens und eines ma teriellen Scheinglücks. Auch die Gedanken der Festtage und ihre inneren Mahnungen übergehen wir gerne, um uns am äußerlichen Glanz de? Genusses und qiner blendenden Aufmachung über die steten Qualen des Lebens hinwegzulügen. Das rächt sich bitter. Wo der Mensch seine Seele verrät, wo er den großen lebensentscheidenden Prüfun gen ausweicht, wo er dem göttlichen Gesetz entflieht, da geht es abwärts. Kein Mensch erträgt den Abfall von Gott, der sittlichen Weltmitte; der Entwurzelung folgt gänzlicher Zerfall mit sich selber. Es gehen Ströme heiliger Liebe von Gott zum Geschöpf. Wir Menschen verspüren die All gegenwart dieser hegenden bewahrenden Kräfte unvoll, kommen. Wir laufen fremden Zielen nach, jedes Irrlicht der Erde scheint uns mehr Rich- tung zu weisen als die stetig geleitende Flamme im Herzen. Wir verschütten die Goldader des Gewissens, wir vergraben die Tafeln göttlicher Liebes gesetze. Dieser Abfall, dieses Sondersein auf eigene Faust, dieser ewige Fall des Lichtengels ist heute stille Voraussetzung unserer öffentlichen Geselligkeit. Die Triumphe der Technik, die Fortschrittsbesessenheit und die ewige Unruhe der Tages sensation scheinen unsere Seele völlig zu beschäftigen. Wir schämen uns der Rückkehr ins Kindlich-Einfältige. Wir schämen uns des gestammelten Gebets. Wir trutzen auf Eigenrecht, auf Eigenkraft. Und haben doch die Mahnung des Gerichtstag« in uns. Die ganze Jugend mit ihrem reichen Innenleben, den unvergeßlichen Bildern, den seligen Gefilden reiner Gottschauung und Gottfindung liegt wie ein mächtiger Foliant vor uns. Wir haben die Eisenbande der Eitelkeit und Ueberheblichkeit herumgeschmiedet. Wir haben den Mut verlernt, uns v.or Gottes Angesicht zu schämen. Wir weichen unserem besseren Menschensein feige aus. umflort von den Schatten tragischen Todes um der Liebe willen. Aus dem alten germanischen Lichthelden, umwogt von Düsternissen der Winternacht und dämonischer Schrecknis, ist der Lichtbringer der gläubigen Seele geworden, der den Pfad der verzeihenden, lind und leise weihenden Liebe öffnet. Trutz zerfließt, Argwohn schwindet, Sünde zerstiebt, Bitter- keit schmilzt, Wahn zerflattert. Opfer werden, das ist der einzige Sinn aller kreatür lichen Liebe. Diese Opferliebe zieht die Herzen hinan in ihre Urheimat. Wir sind eben mehr denn naturgesetzliche, auf Vererbung und Zufall der zeitlichen und örtlichen Bin dung festgelegte Wesen. In uns pulst die Unruhe des Ge wissens, die Kraft der Wiedergeburt und Erlösung, die Glut göttlicher Empfindung, der suchende Geist göttlicher Inspi- ratkon. Der Mensch ist gottgetrieben, und wenn er die Faust burt der Armut und Welten- Majestät rein verspürt, der kennt die Auferstehung der Gottesliebe, der bedarf keiner Philosophie und keiner ge lehrten Gottesbeweise. Der spürt im Kinderherzen die brennende Glut der heiligen Berufung. Es fällt wie Schlacken vom Herzen, wie Schuppen vom Auge, wie Kettenfessel von Arm und Fuß. Das weihnachtliche Liebeswunder hat alles von Grund aus verändert, alternde Züge erhellt, verwelkte Hoff nung zur Blüte getrieben, neue Tatenlust in müden Gliedern geregt. Wir „wer- den" endlich wieder. Aus Starre und Schwere, errettet, so treiben wir auf dem gött lichsten aller Ströme, der Liebe, dahin mit beschwingten Segeln der Gewißheit, daß wir erlösungswürdig sind. Unter dem duftenden, lichterumhellten Tannenbaum schweigt jedes menschliche Wünschen. Auch der Weiseste neigt sein Haupt vor solcher Wundertat. Der Himmel öff net sich, entläßt sein Heiligstes und senkt es in die harten Bedingungen irdischer Not und Qual. Es gibt Hinfort einen Himmel, der Gnade heißt. Tun und Schaffen ist nicht mehr sinnlos. Geschichte und Leben haben eine Voll endung. Wiedererstehen aus toter Form, aus Scherben und Verwesung, das ist Triumph der Weihnachtsidee. Der lie bende Geist ist das Erste und Letzte. Am Anfang war die Liebe. Alles Grauen des Schicksals, alle denkerische Qual, alle Problematik des Daseins, alle Not des Eigen gerichts weicht und macht der beseligenden Welt Platz, in der das göttliche Kind friedlich und verheißend atmet. Neu beginn ruft aus diesem Geschehen. Es darf kein Verweilen, kein bitteres Versagen geben. Leben ist wohl Kampf; aber hinter Tod und Leid, hinter Schmerz und Schein lebt die große, rettende, ewige Liebe. Keines Denkers und Dichters Gehirn hätte vermocht, ein Sinnbild dieser Kraft zu er schaffen. Alles Geschehen unseres Planeten steht im Zeichen dieser neuentdeckten Welten- und Liebessonne. Das Leben hat seinen zentralen Sinn offenbart. Die seufzende Mensch heit trinkt den Tau der Erquickung. Die bewegende Kraft der Schöpfung ist heiße, junge Liebe. Gott selber stieg selig und jung hernieder im Weihnachtswunder .«, ME