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Und während er durch die Straßen geirrt und'vor sich hingeschrien hatte: „So kann sie seins — so kann sie sein!" wartete sie hier in Angst und Bangen auf ihn und war im Begriffe ihn suchen zu gehen. Der Pförtner brachte noch zwei Stühle. So rasch war alles erzählt und hatte doch einen langen, schrecklich langen Nachmittag gebauert und eine halbe Nacht. „Bleibst du?" fragte er und suchte in dem schönen, trau rigen Gesicht, das auf ihn gerichtet war. „Was sonst, mein Bub? Darf ich fetzt noch im Krankenhause vorsprechen?" „Ich habe gesagt, baß du kommst." „Du hast also metn Telegramm erhalten?" fragte Klothilde. „Nein! — Aber du mutztest doch »kommen, Mama!" Er hatte recht. Sie mutzte ja kommen! Zu dreien bestiegen sie ein Auto, das der Pförtner herbeigerufen hatte. Die Baronin saß mit Dr. Keller auf den breiten Lederpolstern und ihnen gegenüber der junge Leopold. Und während dieser Fahrt zum Krankenhause stietz Ker Professor sein Urteil über Lie Jugend von heute um. Ach, sie war ja so gar nicht anders, als man selbst auch einmal vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren gewesen war. Sie tat ja nur so widerborstig und hochnäsig nach außen hin und war im Grunde genommen genau so schütz- und hilfebedürftig, genau so voll des Sehnens nach ein bißchen Liebe, wie die vor hundert Jahren auch. Da reckte so ein junger Mensch die Schultern hoch und gab sich unzugänglich und gescheit und duckte sich doch so gerne in ein warmes Nest, wenn es ihm geboten ward. Und wie der junge Leopold jetzt so in halbver schämtem Suchen nach den Händen der Mutter griff, lächelte er ihm ermunternd zu, als wollte er sagen: „Fürchte dich nur nicht, -2 jlxinex Vogel! Leg ruhig deinen Kopf hier in den Schoß! Und wenn alles sich ändert, deiner Mutter Kind bleibst du immer! Koste sie nur aus, die Wonnen, daß sie noch da ist, noch für dich sorgt, noch ihre Arme um dich legt und vor dich hinsteht, auf daß ihr Haupt die ersten Schläge treffen, statt über dich hereinzuprasseln." Die Baronin hielt die kalten Finger ihres Einzigen fest umschlossen und drückte sie in stummem Trösten. Als -er Wagen hielt, ging Leo mit dem Professor und der Mutter an das große Tor. Auf ihr Läuten wurde sofort geöffnet. Aber nur die Baronin trat ein. Der Professor schob den Arm unter den seines Schülers Und zog ihn mit sich fort. „Was das Schicksal bringt, das muß man alles ertragen lernen," sagte er gütig. „Und es kommt viel, wenn das Leben lang ist." Eine weiße Schwesternhaube flatterte Klothilde nach Lem zweiten Stock voran und machte vor einer der ge polsterten Türen halt. Geräuschlos klappte die Kltuke herab. „Bitte!" Es war nur geflüstert. Alles war hier Ruhe, Frieden und Stillesein. Das ganze Haus nur ein einziges lautloses Atmen. Leo Hammerstein lag mit zurückgeneigtem Kopfe in den wertzen Kissen und trug die hektische Röte -es Fie bers auf den Wangen. Klothilde stützte die Hand auf den Marmor -es Nachttisches und neigte sich über das Gesicht ihres Mannes. Sie hörte ihn stöhnen und suchte in den ernsten Augen der Schwester. Die weiße Haube stand vom matten Licht der grünen Lampe beschirmt. Darunter hervor kam ein Flüstern: Es stünde nicht schlecht. Der Arzt habe alle Hoffnung. Man müßte eben die Krisis abwarten. „Sie können selbstverständlich bleiben, gnädige Frau — wenigstens heute nackt," schloß die Schwester freundlich. Klothiloe dankte. Die großen Fenster standen wett offen, durch das hohe Rechteck kam die laue, sommer durchschwängerte Luft des Spätaugusts. Da das Zim mer nach rückwärts lag, blieb jedes Geräusch ausge schaltet. Nrtr ein Hupenton kam ab und zu aus der Ferne, und eine Turmuhr schlug in das Stillesein. Als Frau Klothilde sich auf dem schmalen Diwan aus- streckte, fühlte sie erst die Müdigkeit der Glieder. Trotz- Lem konnte sie nicht schlafen. Das Gehirn war zu sehr mit Eindrücken überlastet. Nur die Augen hielt sie halb geschlossen und das Gesicht nach -er Richtung gewandt, m welcher das Bett lag. — Leo Hammerstein erwachte gegen drei Uhr. Es däm merte schon. Eine matte Helle fing sich in dem Spiegel, der über Lem Waschtisch hing. Vom Garten herauf kam ein feines Piepsen. Ein leiser Schritt über ihm ließ Hammerstein vollends erwachen. Da sah er sich gegenüber die Frauengestalt auSge- streckt, dre mit ihm den Raum teilte und wußte sofort, wer es war. Klothilde! Der Burscht hatte also nicht dickt gehalten. Das Gefühl, -aS er dabet empfand, war halb Schreck, halb Freude. Trotz der Schmerzen, die ihm jede Bewegung verursachte, setzte er sich auf, um seine Frau besser sehen zu können. Da lag sie nun, die Frau, Lie er einmal aller Welt zum Trotz zu der seinen gemacht hatte. Drei Pferde hatte er ihretwegen zuschanden geritten, immer den weiten Weg von der Garnison nach dem Klausenhof hinüber. Drei Stunden hin — drei Stunden zurück — und immer tm Galopp! Immer zur Nacht, um am Morgen wieder tm Dienst sein zu können, und immer auf dem Sprung vor den Hunden, die den Klausenhos bewachten denn sie hatten feste Zähne. Tausend Möglichkeiten hatten er und Klothilde ge schaffen, wie und wo man sich treffen konnte: In der Schiffshütte am See, im Gartenhaus, das die Obst bäume gnadenooll beschattete, im Buchenholz, das mtt solch starken Zweigen schirmte. Selbst dte Madonna, die in der Feldtapelle zwischen Mohn und Wetzenähren thronte. Hatto ihnen Zuflucht gewähren müüen. 'Zwei Jahre lang hatten die Seinen neln gesagt, und der Klausenhofer Pech und Schwefel- auf ihn herab- aerufen und der Tochter mit Fluch und Enterbung ge droht. Zwei Jahre lang war er wie ein Dieb zur Nacht gekommen und hatte sich seine Küsse und die wenigen, scheuen Umarmungen gestohlen. Ach, und sie war aller Mühe wert gewesen, seine Klothilde! Stolz und rein und doch von einer Hingabe ohnegleichen, wenn er sie in den Armen hielt. Sie lassen? Niemals! Man mutzte nur Geduld haben und nicht müde werden und warten können, bis die anderen mürbe wurden. - Und sie wurden cs! Erst kam das „Ja" seiner Eltern. Er war Hauptmann und sollte selbst sehen, wie er sich sein Leben zimmerte. Dann käm das „Ja" -es Klausenhofes. Der tolle Hammerstein war sonst noch fähig, die Tochter bet Nacht und Nebel zu entführen, ihm und ihr zur Schande. Ach und wie sie glücklich waren! — Erst zu zweien und dann nach einem Jahr mit ihrem Jungen. Ein bißchen leichtsinnig war er ja immer gewesen. Aber als er dann Papa wurde, schwor er seiner Frau mit tausend Eiden, daß es nnn anders werden solle. Ein halbes Jahr ging's über Erwarten gut. Dann kam der Rückschlag. Die Hammersteins hatten alle, samt und sonders, ein bißchen über die Schnur gehauen. — Und er war nicht aus der Art geschlagen. Das Atmen tat so weh, die Lippen brannten tm Durst, aber er regte sich nicht, denn da drüben lag die Frau, der er das Leben „verpatzt" hatte. Ganz einfach „ver patzt"! Man konnte nicht anders sagen. Und er hatte sie so lange nicht mehr gesehen. Sie hatte sich kaum verändert. Schlank und schmal ruhten die Hüften und trugen den schönen, tadellosen Körper. Nur das Gesicht war reifer geworden, ernster, und der herbe Zug um den Mund war früher nicht gewesen. Und so im Schauen und sich Dareinversenken kam eine große, unsagbare Trauer über Hammerstein. Eine Trauer über all das Glück, das er verscherzt hatte, um all die schönen, unwiederbringlichen Tage, die er ver geudet und wie ein Verschwender verpraßt hatte. Jetzt, wo sein Feuer im Erlöschen war, war eS zu spät! Jetzt, wo das Leben verrann, konnte er nicht noch einmal nach neuem Glück suchen gehen. Er hatte keine Zeit mehr.. Keine Zeit, das war es. Er stand an der Neige seines Daseins und hatte nichts an Weisheit zu verzeichnen als die Einsicht, wie eitel alles gewesen war, wie viel er versäumt und wie wenig er sein Leben ausgenützt hatte. Und es hätte ein Glückstreffer für ihn werden können! Ein Haupttreffer sogar! Er hatte die Nummer in der Hand gehabt und sie nicht verwertet. Sein unbeherrschtes Seufzen ließ Klothilde Lie Augen auftun. Sie lächelten sich an, als wären sie nie getrennt ge wesen. Als hätten sie Tag für Tag dies Zimmer mit einander geteilt. Als wäre das ein Erwachen wie immer, ein Wiedersehen, das ihnen jeder Morgen schenkte. Klothilde erhob sich und kam zu ihm herüber. „Wie geht es dir, Leo?" „Jetzt geht es mir gut!" Seine heißen Finger lagen in den ihren, die eine tröstende Kühle ausströmten. „Es ist so schön, Latz du gekommen bist!" »»WWWWMWNBMMWNMM 1 INI MSiiI Spruchrülsel. Aus den Silben d«, de. de, de, der, eh, er, se, fri«, qrot, h«, HS, in, r«, lei, tau, t«, wun sind S Wörter zu bilden, die aneinander ««reiht «in biblische» Wort zur Geburt Thristi ergeben, wen» sie in obige Figur so eingetragen werden, daß in jedes Feld ein Buchstabe kommt (ö ist ein Buchstabe). Beim Ablcsen des Spruches fallen die in einem stark umrandeten Feld stehenden Buchstaben weg. Di« Wörter bedeuten: 1 Gegensatz zu Schande, 2 seine» Ge webe, S Berghöble, 4 Astat, S Dimension de» Raume», S Berletzung, 7 harmonischer Zustand, 8 Sakrament, S Planet. „«cho» gleich nach Mitternacht, Leo! «der Lu -ast so aut geschlafen." „Ja. Weiß Burscht, daß du da bist?" . „Er hat mich hergebracht. Ich war ihm so dankbar, Latz er mir depeschiert hat." Vorsichtig, -aß ihn nicht» erschütterte, setzte sie sich auf den Rand des Bettes und neigte dte Wange gegen ihn. Als er die Augen schloß, bog sie sich über seinen Mund und küßte ihn. „Leo —!" Sein Mund verschob sich zu einem seligen Lächeln. „Du!" Dieses Lächeln und dieses „Du" war Ler Abschluß von Hammersteins bewegtem Leben. Er erwachte nicht mehr zum Bewußtsein. * * * Es ist nicht gleich, wohin ihr eure Toten bettet! — — Begrabt sie, wohin sie ihr letztes Wünschen, ihr letzte- Sehnen zieht! Der eine will unter Tannen schlafen, daß ihm ihr Rauschen das Wiegenlied von einstmals singt. Der andere will noch durch Sand und Stein das Wagenbrausen hören, das feine Hütte umbrandete. — Legt die, welche die Berge liebten, auf deren Scheitel, daß sie die Wette sehen können und ihr Gebein Lie Luft atmet, die einst ihr Entzücken war. — In Leo Hammersteins Schreibtisch fand sich ein weißes Kuvert. In diesem stand als letzte Bitte: Bringt mich nach Klausenhof zu meiner Frau. Ich mutz sonst immer Lie weite Reise von Wien zu ihr machen! Schon von Tvdesahnen -urchschauert, hatte er noch einen Scherz gefunden. So brachten sie ihn heim und betteten ihn neben Lie Klausenhofer. ES schien, als wäre in Klothilde durch dieses letzte Geständnis seiner Treue auch das Aller-allerletzte, was noch an Herbem aus ihrer Ebe blieb, gelöscht worden. — Endgültig! Er war wieder der Mann ihrer Liebe, wie er es immer gewesen. Immer blühten, knospeten, grün ten Blumen auf seinem Grab. Tag kür Tag ging sie Len weiten Weg zu ihm und hielt Zwiesprache mit dem geliebten Unvergessenen, dessen letztes Wort ein „Du" gewesen war. Der junge LeopolL hatte den ersten großen Schmerz seines Lebens erfahren. Zerschlagen und vernichtet war er tagelang in stummer Apathie umhergegangen, bis die Pflicht gebieterisch seine Rückkehr verlangte. Er durfte der Mutter die Schande nicht antun, in der Matura durchzufallen. Er begriff, daß er mit seinen achtzehn Jahren iu Bälde eine Last für sie bedeuten mutzte. ES war nicht mehr als billig, daß er endlich einmal auf eigenen Füßen stand. So war er denn weggefahren, und seine . letzten Worte, die er durch das Fenster des Abteils heraussprach, hatten gelautet: „Nun bin ich ohne Heimat!" Klothilde war erst zu Tode erschrocken gewesen, dann hatte sie seine Hände zwischen die ihren genommen mrd gelächelt: „Wo Leine Mutter ist, ist immer auch deine Heimat, mein Bub!" Sie hörte sein verzweifeltes Schluchzen noch, als sie schon längst wieder auf den Klausenhof zurückgekehrt war. . * * Die Toten schlafen, unL das Leben trottet weiter. Sechs Wochen später fand die Hochzeit Fritz Gerauers mit Margot Sturzbaecker statt. ES war ein großes Fest. Mama Sturzbaecker zeigte zum ersten Male kein trauriges Lächeln und wirkte in ihrem Kleid aus schwarzer, steifer Seide wie eine ver träumte Königin. Der alte Gerauer schmunzelte. Die Schwiegertochter war ihm gerade recht. — Nur der Junge! — Potz tausend, -er Junge gefiel ihm nicht! War das ein Bräutigam, wie sich's gehörte? Stand steif und starr, als hätte er einen Haselstecken verschluckt und küßte seiner Frau die HänLe, statt sich an deren Mund zu halten. Forts, folgt! Auflösung des Kreuzworträtsels aus Nr. 298 Les „E. B." Auflösung des Magischen Zahlenquadrats aus Nr. 298 des „L. B/ 3 6 9 1L L 1L 3 9 9 3 1L 6 ir,9 S 3 Auflösung des Auszählrätsels aus Nr. 300 des „E. D." Die Strophe lautet: Durch der Hütten niedre Räume, Durch des Schlosses goldner Pracht Zieht mit seiner Gnavenfüll« tzeü daS Lied der heiligen Nacht.