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Allgemeiner Anzeiger : 10.07.1895
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189507102
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18950710
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18950710
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Bemerkung
- Beilagen für 1895 gesammelt in einer Ausgabe am 01.01.1895
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1895
-
Monat
1895-07
- Tag 1895-07-10
-
Monat
1895-07
-
Jahr
1895
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 10.07.1895
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Politische Rundschau. Deutschland. * Die vollständige politische Stille bereitet sich vor. Der Kaiser hat seine Nord landsfahrt angetreteu, Reichskanzler Fürst Hohen lohe hat sich über Baden-Baden nach Straßburg zum Besuch der elsaß-lothringischen Gewerbe-Aus stellung begeben, wonach er in Alt-Aussee Auf enthalt nehmen wird, der Staatssekretär des Auswärtigen und der preußische Minister des Innern befinden sich auf Urlaub. Und mit dem Beginn dieser Sommerstille fallen die großen geschichtlichen Gedenktage des Jahres 1870 zu sammen ! * Der Kaiser Wilhelm-Kanal wird, wie anders lautenden Angaben gegenüber der ,Nordd. Allg. Ztg/ von zuständiger Seite nut geteilt wird, bis auf weiteres nur für Schiffe bis zn 4,5 Meter Tiefgang geöffnet sein. Bis zu welcher Grenze später gegangen werden kann, darüber steht Endgültiges noch nicht fest. Doch besteht der Wunsch, es zu erreichen, daß der Kanal für Schiffe bis zu 8 Meter Tiefgang befahrbar wird. *Jn parlamentarischen Kreisen findet von neuem die Nachricht Verbreitung und Glauben, daß die preuß. Regierung die Absicht hat, den Abg. Frhr. v. Huene zum Direktions- v o r s i tz e n d en der Z e n tr alk a s s e zur För derung des genossenschaftlichen Personalkredits zu ernennen. Die Verhandlungen hierüber sind bereits so weit gediehen, daß die Annahme der Stelle seitens des Herrn v. Huene nicht mehr bezweifelt wird. *Die württembergische Kammer bewilligte 400 000 Mark für die Opfer der Wasser-Katastrophen im Eyachthale und in anderen Landesteilen, sowie 120 000 Mark behufs Ab wendung der Schadenersatz - Prozesse gegen die landwirtschaftlichen Konsumvereine. Die Petition des württembergischen Schutzvereins für Handel und Gewerbe gegen Auswüchse der Konsumver eine wurde der volkswirtschaftlichen Kommission überwiesen. * Der neue Gouvcöneur von Ostafrika Major v. Wißmann dürfte nach seiner An kunft in Tanga sich nicht sogleich nach Dar-es- Salaam, sondern zuerst nach Pangani begeben, weil die wirtschaftlichen Unternehmungen, welche dort vorbereitet werden, besonders die Anlage einer Znckerfabrik, sein Interesse erregt haben. Man hofft von seinem Eingreifen eine Förderung der auf die Entwicklung der Kolonie gerichteten Bestrebungen. *Jm Gouvernement von Kamerun soll demnächst ein Wechsel stattfinden. Die ,Kreuzztg.' will wissen, daß Gouverneur Zimmerer, dessen Urlaub im August abläuft, nicht wieder auf seinen Posten zurückkehren wird. Aller Wahr scheinlichkeit nach werde der Landeshauptmann v. Puttkamer, der die Stelle seit Dezember 1894 auftragsweise verwaltet, zum Gouverneur er nannt werden. Oesterreich-Ungarn. * In Oesterreich sind die Parteien, wie der Prinz Alois Liechtenstein bei der allgemeinen Beratung des Staatshaushalts sich richtig aus drückte, geradezu Kriegslager und der Prinz bezeichnete die Vereinigung aller deutschen Parteien in Oesterreich als das Ziel, das ihm vor Augen schwebt. „Soviel steht für mich fest, daß die vereinigte Linke, die parla mentarische Verkörperung aller Mißbräuche der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, nur durch die Deutschen überwunden werden wird." * Außerordentlich überrascht hat die That- sache, daß der gewesene Finanzminister und Führer der Deutschlibcralen, Ab geordneter v. Plener, sein Mandat nieder gelegt hat. Er richtete an den Vorsitzen den der Handels- und Gewerbe-Kammer in Eger, von der er sein Mandat hatte, ein Schreiben, in welchem er erklärt, daß das gegenwärtige Mißlingen des Versuches einer Koalition der gemäßigten Parteien, für welche politische Idee er in den letzten anderthalb Jahren mit allem Nachdruck eingetreten sei, es ihm rötlich erscheinen ließe, sich von der parla mentarischen Thätigkeit zurückzuziehen. Peter Kol;' Vermächtnis. 4j (Fortsetzung.) Vor einem stattlichen, hohen Hause, dessen Front ein Balkon mit durchbrochenem Eisen gitter zierte, über dessen Rand Schlingpflanzen qnollen, und in welches zwei Treppen von Quadern mit zierlichen, eisemen Geländern führte, machte Herr Bolz halt. „Hier find wir am Ziel, Herr Doktor," sprach er, die Stufen der einen Treppe hinauf- fchreitend und die Thüre öffnend. „Bitte treten Sie ein!" Der junge Mann folgte ihm durch einen Hellen, breit angelegten Hausflur, den eine Thür mit bunten Glasfenstern abschloß, in ein höchst geschmackvoll ausgestattetes Gemach. „Seien Sie herzlich willkommen in meinem Hause!" sprach Herr Bolz und rückte einen der dunkelroten Plüschsessel für seinen Gast näher heran. Dann drückte er auf die silbenie Tisch glocke. Eine ältere Frau erschien. „Bitte Frau Müller, eine Flasche Johannisberger!" Erstaunt hatte sich Direktor Lorenz im Zimmer umgesehen und ließ dann seinen Blick von den herrlich geschnitzten Ebenholzmöbeln, den kostbaren Gardinen, den seidenen Portieren, den Statuetten, Gemälden und Blumentischen zu dem Besitzer aller dieser Herrlichkeiten gleiten, dessen kleine, unscheinbare Gestalt fast in dem schwellenden Lehnsessel verschwand und der so garnicht zu dieser Umgebung passen wollte. Der alte Herr hatte den Blick seines Gastes aufgefangen und richtig gedeutet. Er entkorkte Frankreich. *Die internationale Vogelschutzkon ferenz in Paris hat ihre Arbeiten nach fünf tägiger Beratung zu Ende geführt. Die Ver ständigung zwischen den einzelnen Konferenz teilnehmern ist ernsteren Schwierigkeiten nicht be gegnet, vielmehr herrschte allseitig eine erfreuliche Uebereinstimmung sowohl hinsichtlich des anzu strebenden Zieles, wie der zielführenden Mittel und Wege. Es handelte sich eigentlich nur darum, das von der Wissenschaft und Erfahrung zur Verfügung gestellte Material in die Form einer internationalen Vereinbarung zu bringen. Den wertvollsten Teil des Konfcrenzwerkes bildet das Verzeichnis der schutzbedürftigen und als schutzberechtigt anerkannten Vogelarten. Italien. * In der Deputiertenkammer kündigte der Abg. Demicolo an, daß Giolitti vor dem Schluffe der gegenwärtigen Session in der Kammer erscheinen und die Erledigung der ihn betreffenden Fragen verlangen werde. England. * Das neue Ministerium regt sich. ,Morning Post^ äußerte sich in scharfer Weise gegen die abessinischen Missionen, welche nach Rußland gehen, und gegen die russischen Missionen, die nach Abessinien gehen. Dieser gegenseitige Austausch der Missionen ver letze englische und italienische Interessen, und es sei hohe Zeit, daß diesem Vorgehen ein Ziel ge setzt werde. * Das Unterhaus hat am Mittwoch die dritte Lesung der F a brikc n - u n d W e rk st ä tt en- bill angenommen. Die neue Regierung hat, indem sie diese Vorlage noch zur Erledigung brachte, einen sehr geschickten Schachzug gethan und sich selbst den Charakter eines Reform- kabinetts beigelcgt. Lord Rosebery u. Gen. ist damit eine sehr wirksame Waffe für die Wahl agitation entwunden. * Die siebzehn Männer, die zusammen das neue Kabinett Salisbury bilden, werden ein Jahresgehalt von 1780 000 Mark beziehen. Am höchsten bedacht ist wegen großer Repräsen- tationskosten der Lord-Leutnant für Irland, nämlich mit 400 000 Mark; daun folgen die zwei Juristen des Kabinetts, der Lord-Kanzler und der irische Lord-Kanzler mit 200 000 nnd 100000 Mark. Sieben Kabinettsminister er halten jährlich je 100 000 Mark, nämlich der Schatzkanzler, der Minister des Auswärtigen, der Minister des Innern, der Kolonialminister, der Kriegsminster, der Minister für Indien, und der erste Lord des Schatzamtes. Der erste Lord der Admiralität bekommt 90 000 Mark und der Rest der Minister je 40 000 Mark. Spanien. * Aus Cuba kommen einmal für die Spanier etwas günstigere Nachrichten — vorausgesetzt, daß sie sich als wahr erweisen. Von Madrid aus wird gemeldet: Major Chabran an der Spitze von 240 Mann schlug bei Castillo und Zayac eine Truppe von 500 Aufständischen und erbeutete 47 Pferde. Das Kanonenboot „Magallanes" landete an der Küste bei Maravi eine Kompanie, die eine Truppe von 400 Mann schlug und zahlreiche Aufständische verwundete. Balkanstaaten. , * Das serbische Journal Male Novine verzeichnet ein in den Kreisen der Radikalen kursierendes Gerücht, wonach mit dem früheren Finanzminister Wuitsch wegen Bildung eines radikalen Kabinetts verhandelt wird. Bekanntlich haben die Radikalen die große Mehrheit im Lande, haben sich aber an den letzten Wahlen so gut wie garnicht beteiligt.) * Der rumänische Generalstabschef Ge neral Lahovary und mehrere rumänische Offiziere haben dieser Tage das Schlachtfeld von Plewna (Bulgarien) besucht. In Plewna hat ihnen die Stadtverwaltung ein Diner gegeben. Lahovary ließ in der Kapelle von Griwitza einen Trauer- gottcsdienst celebrieren, dem sämtliche Offiziere und die Behörden von Plewna beiwohnten. Der Bürgermeister von Plewna richtete an den König Karol ein Telegramm, worin er demselben für die zur Befreiung des bulgarischen Volkes von der rumänischen Nation gebrachten Opfer Dank ausspricht. König Karol erwiderte mit Worten des Dankes für den herzlichen Em pfang der rumänischen Offiziere. Asien. * Zur chinesisch-russischen An leihe verlautet, daß die direkte russische Staats anleihe nicht abgeschlossen wird. Dagegen sollen die Verhandlungen über die chinesische Anleihe unter Bürgschaft Rußlands günstig verlaufen. Vrrutzifcher Landtag. Das Herrenhaus begann am Freitag die Be ratung der Vortage behufs Errichtung einer General kommission für Ostpreußen. Die Kommission hatte Annahme nach den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses empfohlen und eine Resolution damit verbunden, nach der die Regierung sich verpflichten soll, eine gesetzliche Regelung der Zuständigkeit der Generalkommissionen unter Sicherung anderer, namentlich der Selbstver waltungsbehörden herbeizusühren. Landwirtschafts minister v. Hammerstein erklärte die Annahme der Vorlage und der Resolution in dieser Form für die Regierung für unmöglich, worauf sie nach kurzer Debatte abgclehnt wurde. In der Dounerstagsitzung des Abgeordnetenhauses wurde in dritter Lesung der Entwurf über die Rück zahlung der Grundsteuer-Entschädigung beraten, die sich auf 16 Mill. Mk. beläuft. Das Gesetz wurde nach der Erklärung des Abg. v. Bülow-Eckernförde, er werde im Interesse der vielen kleinen Besitzer seines Wahlkreises für den Antrag stimmen, aber den auf ihn entfallenden Teil der Rückzahlungen im Betrage von 16 600 Mk. für einen gemeinnützigen Zweck bestimmen, angenommen. Sodann wurde der Antrag Ring, die administrativen Maßregeln zu beschleunigen, welche den häufigen Sperrungen des Berliner Viehhofes vorbeugen sollen, ebenfalls an genommen. Am Freitag stand im Abgeordnelenhause der! Jagdschein - Gesetzentwurf zur dritten Lesung. Er wurde mit unwesentlichen Abänderungen angenommen, die Schlußabstimmung aber ausgesetzt, bis der defi nitive Text gedruckt vorliegt. Hierauf stellte Abg. Rintclen (Zentr.) die Anfrage an die Regierung, ob dieselbe beabsichtigt, den Erlaß des Unterrichtsministers Dr. Falk bctr. den katholischen Religionsunterricht in den Volksschulen vom 18. Februar 1878 aufzu heben uüd bezüglich der Erteilung des katholischen Religionsunterrichts in den Volksschulen eine ander- weite Regelung unter Berücksichtigung des Dogmas der römisch-katholischen Kirche herbeizusühren. Der Kultusminister verlas eine ablehnende Erklärung der s Regierung, der sich die Redner der übrigen Parteien kurz anschlossen. Nächste Sitzung unbestimmt. Uon Uah und Fern. Deutsche in der indischen Armee. In jüngster Zeit treten wieder viele Deutsche in die indische Armee ein und zwar meistens solche Leute, die ihrer Militärpflicht in Deutschland Genüge geleistet haben. Im Mai dieses Jahres wurden im ganzen 125 Mann angeworben; darunter waren 74 Niederländer, 34 Deutsche, 9 Belgier, 4 Schweizer, 3 Luxemburger und 1 Oesterreicher. Verschiedene deutsche Offiziere, die infolge des hannoverschen Spielerprozesses ihren Abschied nehmen mußten und vor längerer Zett als Gemeine in die indische Armee ein traten, sind teilweise zu Korporälen und Unter offizieren befördert worden. Ihre Verführer, Rosenstein und die Nachkommen des „ollen ehr lichen Seemann", haben ihre Operationsbasts nach Holland verlegt und zwar nach Amsterdam, von wo aus sie ihre Beziehungen mit deutschen Geld bedürftigen weiter unterhalten. Vergiftet. Vier Arbeiter der Siemensschen Glasfabrik in Dresden wurden durch sogenannte „magenstärkende Tropfen", die sie sich nachts vom Portier der Fabrik geben ließen, vergiftet. Zwei sind bereits gestorben; die beiden anderen liegen hoffnungslos im städtischen Krankenhause. Der Portier und der Droguist, bei dem er die Tropfen gekauft hatte, sind verhaftet worden. Die Lüneburger Heide. Wie verlautet, treffen demnächst vierzig englische und schottische . Forstleute in der Lüneburger Heide ein, um sich ! über die Äufforstung derselben und die Ein- Achtung der Forstakademie zu unterrichten. Lebendig verbrannt. Die Gattin des Dr. Harz in Edenkoben (Baden) kam beim Brennen der Haare der Spiritusflamme zu nahe; - ihre Kleider fingen Feuer und die Frau ver brannte. Ihr Gatte, der zur Hilfe herbeieilte, erhielt schwere Brandwunden. ruhig die Flasche, die rasch gebracht worden war, und goß die Gläser voll Dann sagte er: „Sie wundern sich, lieber Doktor, wie ich alter, schlichter Knabe zu all den Herrlichkeiten komme?" Er lachte sein kurzes, spöttisches Lachen. „Ja, ja, darin geboren und groß geworden bin ich nicht! Hab' mich wohl selbst am meisten gewundert, als ich vor 20 Jahren und darüber als unbekannter Aktcnmensch, als armer Stadt- gerichtsaktuarius, schlafen ging und am andern Morgen als der hochangesehcne Herr Bolz er wachte, als der einzige Erbe des reichsten Mannes der Stadt — eines weitläufigen Vetters, der sich nie im Leben um mich gekümmert und dem nun plötzlich der Schlag gerührt hatte. Wie viel Freunde der Peter Bolz da plötzlich fand, Freunde, von denen er früher nie gewußt, die er sogar in seiner dummen Verblendung für hochmütige Narren gehalten hatte, wenn sie seinen ehrerbietigen Gruß nicht bemerken wollten! Ja, ja, junger Freund, so wird man Menschenkenner!" Der beißende Zug in seinem hageren Gesicht hatte sich vertieft und er fuhr ein paarmal mit der Hand über die fast kahle Stirn. „Doch lassen wir die alten Geschichten, Doktor, und stoßen wir dafür an auf eine Freundin, die ich stets als echt und wahr erkannt, die in Freud und Leid stets treu zu mir hielt, auf die edle Frau Musika!" Hell klangen die Gläser aneinander, und der lebhafte, kleine Mann fuhr fort, indem er sie aufs neue füllte. „Und nun: Auf Erfüllung Ihrer Hoffnungen in unserer Stadt und gute Nachbarschaft, Herr Doktor! Ich hoffe, Sie gefallen sich in meinem Hause; später gehen wir hinauf in den andern Flügel und wählen die Zimmer aus." Obgleich der junge Arzt sich das Entgegen kommen des Sonderlings noch immer nicht er klären konnte, fand er doch keinen Grund, es abzulehnen. Er war mit den behaglichen Zimmern, die Herr Bolz ihm anbot, und dem Preis dafür recht zufrieden und so prangte denn richtig noch vor Abend ein weißes Porzellan schild mit der Aufschrift: „Dr. Werner Lorenz, praktischer Arzt", an einer der Thüren des statt lichen Hauses. — Der junge Mann war eifrig beschäftigt, den Inhalt seiner Koffer in Schränken und Kommoden, die sein Wirt bereitwillig zur einstweiligen Benutzung hergegeben hatte, unter zubringen. Die Rathausuhr hatte schon längst die elfte Stunde verkündet, als der Doktor sich endlich an dem geöffneten Fenster in einen Stuhl warf und den ereignisreichen Tag überdachte. Das Erlebnis des Morgens, das die fol genden Stunden fast verdrängt hatten, trat wieder vor seine Seele. Er dachte an das junge Mädchen, das so hilflos in seinen Armen gelegen, und wie am Morgen sprach er unwillkürlich: „Armes Kind!" Ob sie sich wohl schon ein wenig getröstet hat, ob sie trotz alledem den schönen Italiener noch liebt? In dem Grübeln über diese Frage fielen ihm die Augen zu, und erst der Helle Klang einer Glocke weckte ihn wieder. Er sah nach seiner Uhr. „Da habe ich wahrhaftig eine volle Stunde geschlafen, jetzt will ich aber rasch zur Ruhe gehen, die heute nicht auf sich warten lassen wird." Verfallene Spargelder. Eine merkwürdige Erscheinung läßt auf die bedeutende Bewegung schließen, die sich vor einem Vierteljahrhundert in der elsaß-lothringischen Bevölkerung bemerk bar machte. In den Sparkassen der Departe ments Ober- und Niederrhein, sowie der Mosel! befanden sich zahlreiche Guthaben, deren Be sitzer im Kriege umkamen oder auswanderten und sich seither nicht mehr um die betreffenden Gelder kümmerten. Soeben veröffentlicht das Amtsblatt für Elsaß-Lothringen ein Verzeichnis von 463 Sparkassen-Guthaben, über die seit mehr als 29 Jahren keine Verfügung getroffen wurde. In den nächsten Jahren werden noch viel um fangreichere Verzeichnisse solcher Guthaben ver öffentlicht werden, deren Mehrzahl den Spar kassen endlich anheimfallen, weil die rechtmäßigen Besitzer nicht mehr leben oder nicht aufzufinden sind. Darunter befinden sich viele von ehemaligen französischen Soldaten. Ein furchtbares Familiendrama fand am Dienstag in Wien seinen Abschluß. Am Freitag vergiftete bekanntlich die Gattin des Stabsarztes Dr. Rammel sich und ihr zehn jähriges Töchterchen, weil sie. „fürchtete, wahn sinnig zu werden", und am Dienstag sand man Rammel selbst als Leiche auf. Er hatte sich ebenfalls vergiftet. Auf einem Zettel hatte er den Wunsch ausgeschrieben, er möchte bei seinen Lieben begraben sein. „Texas Jack", von dem die deutschen Blätter berichtet haben, daß er bei Nacht und Nebel aus Graz verschwunden ist und seine Truppe in der ärgsten Verlegenheit zurückgclassen habe, ist in Brescia aufgetaucht, wo er auf der dortigen Rennbahn des Radfahrervercins seine üblichen Vorstellungen veranstalten wollte. Er kassierte auch die Eintrittsgelder sorgfältig ein und der erste Teil der Vorstellung, das bekannte Wettrennen zwischen Radfahrer und Reiter, ging ordentlich vor sich. Als aber der zweite Teil, das Prärieleben, beginnen sollte, fehlte es dem braven Jack an seiner Truppe, und er ließ dem Publikum bekannt geben, daß an dem Unglück die Zollverwaltung von Udine schuld sei. Die Truppe habe wegen der Zollschererci nicht recht zeitig in Brescia eintreffen können. Morgen werde das Versäumte nachgeholt werden. Das Publikum lärmte ein wenig, ließ sich aber zuletzt mit der Aussicht auf eine zweite Vorstellung ver trösten. Aber o weh! In der Nacht brannte Texas Jack mit den Eintrittsgeldern der braven Leute von Brescia durch. Lange wird er es freilich mit diesen Schwindeleien nicht treiben können. Vom Raubmörder Kögler. Am 3. Sep tember 1894 wurde am Hellen, heiteren Tage auf vielbegangener Landstraße in der Beaten- buchl am Thunersee der französische Pfarrer Ollier erschossen und ausgeraubt. Der Thäter entfloh in den nahen Wald des Beatenberges. Infolge einer Mitteilung des königl. sächsischen Staatsanwalts in Bautzen wurde der Verdacht auf Joseph Kögler aus Peterdorf (Böhmen), ge boren 1863, gelenkt. Kögler war in Algier in die Fremdenlegion eingetreten. Er wurde dort verhaftet. Der BundeSrat verlangt von Frank- reich die Auslieferung des Kögler, und die fran zösische Regierung hat der Schweiz dieser Tage die Auslieferung zugesagt. Kögler hat am 24. Juli 1894 in der Nähe der Sommerfrische Oybin bei Zittau (Sachsen) auf die Frau Rauch' fuß aus Dresden sechs Revolverschüsse abge geben, wobei der 17jährige Sohn Rauchfuß, der mit der Mutter spazierte, getötet wurde. De» beiden Personen hat Kögler eine Reihe von Gegenständen geraubt. Kögler hat ferner am 20. Oktober 1893 zwischen Gablonz und Schwarzbrunn (Böhmen) gegen zwei Frauen aut offener Straße einen ganz ähnlichen Raubmord versuch begangen, wobei eine der Frauen durch Revolverschüsse lebensgefährlich verletzt wurde. Am 14. Oktober 1893 gab Kögler inOberndott auf den dortigen Gemeindevorsteher mehrere Schüsse ab, als der Vorsteher ihm gestohlene Sachen abnehmen wollte. Nach begangener That, durch die der Gemeindevorsteher schwer verletzt wurde, floh Kögler in den Wald. Nach Meinung der bernischen Behörden soll Kögler M Bern nur abgeurteilt werden; die Strafe soll er in Bern nicht absitzen. Deutschland hat im Aus- Er wollte das Fenster schließen, als es wieder und stärker klingelte und eine angstvolle Frauen stimme von unten herauf rief: „Herr Doktor, Herr Doktor!" Galt das ihm? Sollte Herrn Bolz etwa^ zugestoßen sein? Er lehnte sich aus dem Fenster und rief hinunter: „Wünscht UM jemand?" „Ach ja, Herr Doktor," rief es zurück' „kommen Sie doch rasch; hier nebenbei s" Kommerzienrat Menzels!" Eilig hatte der Gerufene seinen Hut griffen und war mit ein paar Schritten auf der Straße. Das ihn erwartende Dienstmädchen sagA „Es sind nur wenige Schritte. Ach Gott, un!^ armes Fräulein!" < Sie öffnete die Thür des Nachbarhauses, ll» ehe der Doktor noch eine Frage thun konim- hatte sie den Hausflur durchschritten und mV ihn in ein erleuchtetes Gemach eintreten. „Hier, gnädige Frau," sagte sie, „ist der Doktor!" Der junge Diann verbeugte sich vor eu stattlichen Dame im eleganten GesellschaftsauM die ihn mit unverhohlenen: Staunen aus M kalten, blauen Augen betrachtete. „Mein Herr, ich weiß wirklich nicht -- " » Lina", wandte sie sich an das Mädchen, du denn nicht beim Herrn Geheimrat?" > . Der Arzt trat rasch einen Schritt na« - „Ich sehe, gnädige Frau, mein Hiersein der auf einem Irrtum; verzeihen Sie mein dringen und gestatten Sie —" Das Mädchen fiel ihm ins Wort.
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