Volltext Seite (XML)
7068 Börsenblatt f> d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 162, 15. Juli 1907. Wachstum dieser Organisation seit ihrem Beginn vor 80 Jahren zu zeigen. Herr Heinemann sagt: Seit seinem großen Erfolg hat der Börsenoerein eine Reihe von andern Fachvereinen mehr oder weniger unter seine Fittiche genommen, die sich im Bündnis mit ihm gut entwickelt haben. Da ist der Deutsche Verlegerverein, der Zentraloerein Deutscher Buch- und Zeitschriftenhändler, der Verein der Deutschen Musikalien händler, der Deutsche Buchgewerbe-Verein, der Kunstverlegervcrein und daneben zahlreiche lokale Vereine, die fast in jeder Stadt über die Länge und Breite des Landes zu finden sind, alle mit ihm verbündet, zum Teil ihm organisch angegliedert. Er hat ein täglich erscheinendes Vereinsblatt, das Börsenblatt, das von Prinzipalen und Gehilfen im ganzen Reich gelesen und studiert wird. Die Mitgliedschaft ist auf jedermann ausgedehnt, der als gelernter Berufsmann den Buchhandel betreibt, sei es als Prinzipal, sei es als Teilhaber oder verantwortlicher Geschäfts führer. Das Eintrittsgeld beträgt 30 der jährliche Beitrag 6 Der Eintretende muß erklären, die Satzungen des Vereins und die Beschlüsse der Hauptversammlungen einhalten zu wollen. Anderseits ist der Börsenverein verpflichtet, seine Aufmerksam keit dem Wähle des Deutschen Buchhandels zu widmen ohne Rück sicht auf persönliche Interessen. Eine besondre Aufgabe ist die Förderung der Zweigorganisationen unter den Buchhändlern einer jeden wichtigen Stadt oder eines Kreises, die alle sich grundsätzlich für Einhaltung der Satzungen und Beschlüsse des Börsenvereins zu verbürgen haben, mit diesen aber innerhalb ihres lokalen Ge biets so weit ihrer Kundschaft sich anpassen dürfen, wie diese es nötig macht, — eine Art Lokalrcgierung unter der allgemeinen Aufsicht des Parlaments. Wie mächtig dieser oberste Verein ge worden ist, hat sich gezeigt in der völligen Unterdrückung ruinösen Kundenrabatts und der Ordnung des Verkehrs zwischen Verleger und Sortimenter. Wie viel wir schon von unfern teutonischen Nachbarn entlehnt haben, mag aus einem Vergleich unsrer ver schiedenen Rabattsysteme entnommen werden, worüber wir ein andermal Einzelheiten zu geben hoffen. In bezug auf die kollegialen Beziehungen zwischen Verleger und Sortimenter sagt Herr Heinemann: »Die örtlich begrenzten Verbände und Vereine senden alljähr lich Vertreter nach Leipzig, um an der Hauptversammlung zur Ostermesse teilzunehmen. Die Ostermeffe ist tatsächlich das Stell dichein aller Buchhändler. Verleger und Sortimenter begegnen sich da als Kollegen, tauschen ihre Meinungen aus, ordnen ihre Rech nungen, übertragen auf neue Rechnung Bücher für ihr Lager (Dis- ponenden. Red.) — ein Verfahren, das in Rücksicht auf die Ent fernungen in Deutschland in größerm Umfange geübt wird als bei uns — und ausnahmslos scheiden sie wieder mit dem Be wußtsein, daß sie alle voll- und gleichberechtigte Mitglieder einer gesunden und glänzenden Republik sind.- — Man vergleiche dies mit der Isolierung, wie sie in unserm Lande herrscht. Ein Londoner Buchhändler schrieb uns in bezug auf unfern letzten Leitartikel: -Seit 10 Jahren bewegen sich meine Rechnungen mit den großen Häusern in vierstelligen Ziffern (in Red.); aber in dieser ganzen Zeit kann ich mich nicht erinnern, auch nur einen der Geschäftsinhaber in meinem Laden gesehen zu haben-. Das ist nur ein Niederschlag der Gefühle, die im ganzen Sortimentsbuchhandel empfunden werden. Sie verlangen nicht viel; was sie verlangen, ist eine bessere Erkenntnis ihrer Lage und ihrer beruflichen Interessen und eine Gelegenheit, Meinungen auszutauschen, dazu verständnisvolles Zusammenarbeiten mit denen, denen sie nahelegcn möchten, daß sie den gleichen Inter essen zu dienen haben. Wir unserseits haben keinen andern Zweck, indem wir diesen Gefühlen Ausdruck geben, als das freundschaft liche Bündnis zu pflegen, dessen Möglichkeit die Stürme der letzten achtzehn Monate erwiesen haben. Di« BuchhändltkMtffe in Leipzig. (Abdruck aus -Tüs ^utbor».) Ich hatte den Vorzug, dieses Jahr eine Reise nach Leipzig zu machen, und zwar in Begleitung meines Verlegers, eines Mitglieds des Börsenvereins, und alle die Festlichkeiten mitmachen zu dürfen, die sich zwischen wenige Geschäftsstunden hineindrängen, um den Mittelpunkt Kantate herum, den vierten Sonntag nach Ostern. Dank den Verkehrseinrichtungen und schnellen Verbin dungen des zwanzigsten Jahrhunderts ist die heutige Buchhändler messe nicht mehr das, was sie noch vor 10 oder 20 Jahren war, und obwohl alte Gebräuche langsam aussterben, ist es nicht unwahrscheinlich, daß es nicht mehr lange dauern wird, bis diese Messe nichts weiter mehr sein wird als ein jährliches Essen, wenn die Zeit überhaupt dazu reicht. Der erste Punkt des Programms war ein Empfangsabend in dem großen Saal des Buchhändlerhauscs, wo wir alle herum standen, deutsche Zigarren rauchend, oder an Tischen saßen, bier trinkend und »warme und kalte Speisen ä ls. oaits- verzehrend. Der Saal ist ein glänzender Raum, bet aller Hochachtung vor der Bedeutung von Lkatiooors' Lall. Rings an den Wänden sind Bildnisse früherer Präsidenten; unter ihnen fand man die Namen Brockhaus, Göschen, Tauchnitz und andre. Etwa um 10 Uhr waren wir bei einem -gemütlichen und zwanglosen Bei sammensein- im Rathaus, wo ein großer Raum im Ratskeller reserviert war. Hier saßen wir in Gruppen und kosteten ver schiedene Weine des »Vaterlands». Nicht an späte Stunden ge wöhnt, gingen mein Freund und ich um Mitternacht heim; aber die Mehrzahl hielt noch bis 3 oder 4 Uhr des Morgens aus, ungeachtet des Umstands, daß viele an demselben Tag um 10 Uhr 30 morgens der Hauptversammlung beizuwohnen hatten. Dieser Versammlung darf nur je ein Mitglied einer Firma beiwohnen (?), und so konnte ich durch keine der Einbildungs kraft angetane Gewalt als zur Teilnahme zulässig in Betracht kommen. Während nun mein Verleger seine Stimme für den neuen Vorsteher abgeben ging, wartete ich auf ihn in der Aus stellung von Büchern und andern das Buch betreffenden Dingen in dem benachbarten Buchgewerbehaus. Dieses Gebäude, das mit dem Buchhändlerhause einen imposanten Block bildet (es ist nur durch einen einladenden Btergarten von ihm getrennt), gehört den Buchdruckern und Papiermachern von Deutschland und enthält auch eine Lehrlingsschule für die verbündeten Gewerbe. Was das Buchhändlerhaus für den deutschen Buchhandel ist, ist das Buch gewerbehaus für die Buchindustrie. Hier findet sich ein inte>- essantcs Museum des Buchhandels, auch Sammlungen, die die ver schiedenen technischen Buchherstellungsarten veranschaulichen, und für mehrere Monate im Jahr ist eine Reihe von Sälen der Ausstellung von Neuigkeiten Vorbehalten, die deutsche oder ausländische Ver leger einzusenden belieben. Der Zutritt steht dem Publikum frei, und jeder darf in Muße ein Buch studieren, das ihm gefällt. Es ist natürlich von Vorteil für die Verleger, auf diese bequeme Art ihre neuesten Erscheinungen zeigen zu können. Hier war auch eine ansehnliche Zahl englischer Publikationen, die wenigstens ihrer äußeren Erscheinung nach, den Vergleich mit ihren deutschen Nachbarn aushielten. Das große Ereignis der ganzen Messe war das Bankett, zu dem wir unsrer gegen vierhundert um halb vier Uhr am Sonntag Nachmittag uns niedergesetzt hatten. Die Türen der großen Halle wurden pünktlich geöffnet, und zu Haus strömten wir hinein nach den Klängen eines flotten Marsches von einer Militärkapelle auf einer der Galerien. Die Suppe wurde 20 Minuten vor 4 Uhr aufgetragen; der Kaffee erschien um 8 Uhr 15. Da war also zwischen den Gängen reichlich Zeit, sich guten Appetit zu schaffen, was übrigens auch nötig war, um dem aus gezeichneten Menu — einem Wunder für den billigen Preis von 5 — gerecht zu werden. Zwei Stunden verstrichen zwischen dem ersten und dem dritten Gang; währenddessen ereigneten sich verschiedne Dinge. Kaum hatten wir unsre Mocturtlesuppe er ledigt, so setzte der »toast-wastsr- eine kleine Handklingel in Be wegung und erbat Ruhe für Herrn Sellier aus München. In etwas längerer Rede, als die nicht weniger loyalen Engländer gewöhnt sind, forderte er zu einem Glase auf den Kaiser und den König von Sachsen auf. Wir leerten es unter den Klängen einer Nationalhymne, die das gemeinsame Eigentum von wenigstens drei Nationen ist. Nachdem dies erledigt war, wurde uns ein entzückendes kleines Andenken überreicht in Form eines zier lich in Leder gebundenen Taschenkalenders mit Datum von diesem Kantate bis zum nächsten. Ein andres ähnliches Büchelchen von einem andern Verleger war uns schon ins Hotel geschickt worden. Mit dem zweiten Gang — Lammbraten — kam ein kleines Lieder heft, das wir (nach der von einem Berliner Buchhändler aus gebrachten und vom General Delzr sd'Elsaj, dem Gouverneur von Leipzig, erwiderten Gesundheit der Ehrengäste) Blatt für Blatt durchsangen, sechzehn verschiedene Melodien ohne Pause, außer hier und da zu einem Hoch, wenn ein populärer Buch-