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Allgemeiner Anzeiger : 13.04.1895
- Erscheinungsdatum
- 1895-04-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189504132
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18950413
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18950413
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Bemerkung
- Beilagen für 1895 gesammelt in einer Ausgabe am 01.01.1895
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1895
-
Monat
1895-04
- Tag 1895-04-13
-
Monat
1895-04
-
Jahr
1895
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 13.04.1895
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Politische Rundschau. Deutschland. Zu dem Bismarck-Denkmal, daS die Alten Herren der Korps auf derRudels - bürg zu errichten beschlossen haben, hat der Kaiser einen namhaften Betrag gezeichnet. * Beim FürstenBismarckin Friedrichs- ruh trafen am Montag 400 Lehrer von den höheren Schulen Preußens zum Huldigungs besuch ein. *Daß die deutsch-russischen Be ziehungen sich irgendwie verschlechtert und der neu ernannte Botschafter Fürst Radolin in Petersburg nicht genehm gewesen, wird in einer Peterburger Meldung der ,Köln. Ztg.' bestimmt in Abrede gestellt. * Bei den Handelsvertrags-Verhandlungen zwischen Deutschland und Japan sind besonders die Eisenzölle streitig, an denen auch die Verhandlungen des vorigen Jahres scheiterten. Ueber die anderen Punkte ist bereits Uebereinstimmung erzielt worden. *Die Reichspostdampferlinien, welche vom Norddeutschen Lloyd betrieben werden, haben zwar im Jahre 1884 einen Ueberschuß von 1446 792 Mark ergeben. In dessen ist davon abzuziehen eine Abschreibung auf die Reichspostdampfer von 1 226 400 Mark. Die Zahl der ausgehenden Personen auf der ostasiatischen und australischen Fahrt ist von 8370 Personen im Jahre 1893 auf 9150 Per sonen im Jahre 1894 gestiegen, die Zahl der eingekommenen Personen von 5401 auf 8187. * Graf Ferdinand zur Lippe- Biesterfeld - Weißenfeld, Chef der zweiten erbherrlichcn Linie der Grafen zu Lippe, hat an den Bundesrat ein Einspruchs- schicibcn gegen die Regentschaft des Prinzen Adolf zu Schaumburg-Lippe gerichtet, in dem er bittet, „den vom Prinzen Adolf hochfürstliche Durchlaucht für das Fürstentum Lippe bestellten Bevollmächtigten zum Bundesrate als nicht legitimiert zurückzuweisen, sowie über die streitige Regentschaft und Thronfolge eine Entscheidung zu treffen." * Der Fall Leist hat durch das Urteil des kaiserlichen Disziplinarhofs in Leipzig endlich eine Sühne gefunden, wie sie den Rechts- und Sittlichkeitsbegriffcn des deutschen Volkes ent spricht. Während die Disziplinarkammer in Potsdam in ihrem Urteil vom 16. Oktober 1894 die Züchtigung der Weiber der Dahomeysoldaten als gerechtfertigt erachtet hatte und auch in der Art der Vollstreckung keine „rohe und ekelerregende Grausamkeit" erblicken konnte, hat der Disziplinar hof die Auspeitschung der Weiber für eine Amts überschreitung von Leist erklärt und zugleich in der Art der Ausführung, in der völligen Ent blößung der Weiber und in der Vornahme der Prozedur in Gegenwart der Männer der Be straften eine Entwürdigung und Beschimpfung gesehen. Ebenso wurden die Vorgänge mit den Pfandweibern in Kamerun als unsittlich und als Mißgebrauch der Amtsgewalt erklärt. Dem ent sprechend lautete dann auch das Urteil auf Dienstentlassung, während die Pots damer Disziplinarkammer nur eine Gehalts kürzung um ein Drittel beschlossen hatte. Daß Leist noch auf 3 Jahre die halbe Pension zu- gcbllligt wurde, ist anscheinend hauptsächlich ge schehen, um ihm die Bezahlung der Kosten seines Prozesses zu ermöglichen. Oesterreich-Ungarn. * Die Mitteilung, daß Kaiser Franz Joseph den Kaisermanövern bei Stettin beizuwohnen gedenke, bestätigt sich offiziöser Mit teilung zufolge, doch sind der Zeitpunkt des Ein treffens und die Dauer der Anwesenheit des Kaisers von Oesterreich noch nicht festgestellt. * Die ,Neue Freie Presse', die früher meldete, Kardinal Schönborn habe vom Papste den mündlichen Auftrag an die Bischöfe mitge bracht, die Christlich-Sozialen zu ermahnen, dem Antisemitismus entgegenzutreten, erfährt setzt, eine gemeinsame Kundgebung der Bischöfe sei nicht zu erwarten. Frankreich. * Präsident Felix Faure hielt in der Pariser Vorstadt St. Antoine bei Einweihung einer Kunsttischlereischule eine Ansprache, in der er betonte: „Ich gehöre meiner Geburt nach zu der Welt der Arbeit und rechne mich mit Stolz dazu. Man kann den jungen Leuten keine bessere Lehre geben, als ihnen zu zeigen, wie hoch die Arbeit in einer Demokratie wie der unsrigen geehrt wird." *Die Regierung hat beschlossen, in jene Grenzorte an der französisch-spanischen Grenze, in denen bisher keine Garnisonen untergebracht sind, entsprechende militärische Abteilungen zu verlegen. Es sollen zu diesem Zwecke, ähnlich wie es bereits an der französisch italienischen Grenze der Fall ist, von den in der Nähe der spanischen Grenze garnisonierenden Regimentern einzelne Kompanien bestimmt und in den betreffenden Grenzorten einquartiert werden. *Die Deputiertenkammer nahm die Vorlage an, durch die die Ausfuhr von Waffen und Kriegsmunition nach dem Auslande verboten wird. *Dcr ehemalige Direktor des ,Siecle', der in den journalistischen Erpressungs-Affären viel genannte Portalis, der bekanntlich, als seine Unternehmungen die Aufmerksamkeit der Staats anwaltschaft erregten, flüchtig wurde, lebt jetzt in Buenos-Ayres. Die französische Regie rung hat seine Auslieferung verlangt, die argen tinische Regierung bezeichnet aber die bisher bei- gcbrachten Gründe als ungenügend und erklärt die Ergänzung des Materials für erforderlich. *Der Deputierte Perrier richtete in der Kammer eine Anfrage an die Regierung be treffend das auf dem Bahnhofe von Chamböry gestohlene militärische Dokument. Der Kriegsminister General Zurlinden ant wortete, daß die gerichtliche Untersuchung eröffnet sei. Es seien strenge Anordnungen erlassen, baß künftig die genaueste Ueberwachung staltfinde. Die Kammer möge die Annahme desSpio - nagegesetzes beschleunigen. * Infolge einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Howas und den ausländischen Offizieren hat der englische Oberst Sherving- ton die madagassische Armee ver lassen und befindet sich jetzt auf dem Wege nach der Küste. England. *Der Sprecher (Präsident) des Unter hauses, Peel, hat sein Amt niedergclegt. Vor Nahrungssorgen ist er einigermaßen geschützt, denn er bekommt eine Pension von 5000 Pfund (100 000 Mark) jährlich. Italien. *Das in Rom erscheinende,Giornale'meldet die Verlobung des Kronprinzen von Italien mit der Prinzessin Luise von Sachsen - Koburg - Gotha. (,Jl Giornale' hat offiziöse Beziehungen, ist aber trotzdem keine unbedingt verläßliche Quelle.) * Der italienische Botschafter in Petersburg, Curtopassi, der wegen Kränk lichkeit am Freitag aus Bukarest nach Wien ge kommen war, um einen ihm bewilligten kurzen Urlaub an der Riviera zu verbringen, wurde auf der Durchreise in Wien plötzlich schwer krank nnd verstarb in der Nacht zum Montag. Sein Leichnam wird nach Italien geschafft werden. Schweden-Norwegen. * Der außerordentliche norwegische Kriegshaushalt verlangt die sofortige Bewilligung von 3 bis 4 Millionen Kronen für Veränderungen an Monitoren, für Anschaffung, schnellfeuernder Kanonen und für den vorläufigen Abschluß der Verteidigungsanlagen beim Hafen von Tönsberg. Weiter sollen 44 Millionen Kronen zu Veränderungen in der Erzeugung rauchloser Patronen, sowie für Truppenbekleidung und die Errichtung von Schießplätzen verlangt sein; der außerordentliche Kriegshaushalt soll in diesem Jahre größer sein, als jemals früher. Balkanstaaten. *Jn mehreren Ortschaften Serbiens sollen nach der ,Köln. Ztg.' seit mehreren Tagen förmliche Kämpfe zwischen der G c n d ar m e r i e und der Bevölkerung wüten. Die Truppen sind in Eilmärschen unterwegs. Mehrere Ge meinden sind von Militär eingeschlossen. Als Ursache wird das versuchte willkürliche Vorgehen bei den Wahlmännerwahlen angesehen. Dagegen wird von Belgrad aus in verschämter Form eine kühne Ableugnung riskiert, die dringend kurzer Beine verdächtig ist und lautet: „In unter richteten Kreisen werden die Meldungen verschie dener Blätter über Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen und dadurch veranlaßte stürmische Ministerkonferenzen als jeder thatsächlichen Be gründung entbehrend bezeichnet. Die Wahl bewegung verläuft ruhig und ohne Zwischenfal l." * Der bulgarische Ministerpräsi dent Stoilow, der in Berlin und auch beim Fürsten Bismarck in Friedrichsruh war, ist in Berlin von den leitenden Persönlichkeiten nicht empfangen worden. Man kann hierin einen Beweis dafür erkennen, daß man deutscherseits den Wunsch hegt, in allen Bulgarien betreffenden Fragen keinen Schritt zu thun, der in Rußland irgendwie mißdeutet werden könne. Amerika. *Jn Washington erklärte Präsident Cleveland, daß er unter keinen Umständen zum dritten Male für die Präsidentschaft kandi dieren würde. * Die autonomistische Partei aufCuba ver öffentlicht ein Manifest, in welchem nach drücklich gegen den Aufstand protestiert wird. Die Autonomisten bekunden ihre An hänglichkeit an Spanien und bieten dem Gouverneur ihre Unterstützung zur Unter drückung des Aufstandes an. Asien. * England schwenkt vollständig auf die japanischen Friedensvorschläge ein. Die Hauptorgane beider Parteien, die ,Daily News' und die .Times', finden die Vorschläge Japans durchaus bescheiden, obwohl sie die wichtige strategische Bedeutung Formosas und der Halbinsel Liaotung nicht verkennen. Die ,Daily News' meinen, Rußland würde durch die UnabhängigkeitserklärungKoreas vollständig befriedigt werden, und die,Times' raten England an, eine absolute Neutralität hin sichtlich der Verhandlungen auf der hier gege benen Grundlage zu beobachten. Kanzler Keist vor dem kaiserlichen Disziplinarhofe. Vor dem kaiserlichen Disziplinarhofe in Leipzig, der zweiten und höchsten Disziplinar instanz für Reichsbeamte, fand am 6. d. die Verhandlung über die Berufung gegen das Urteil der Disziplinarkammer in Potsdam gegen den früheren Kanzler von Kamerun Leist. Den Vorsitz führt Reichsgerichtspräsident Dr. v. Oehl schläger. Die Staatsanwaltschaft vertritt Lega tionsrat Rose, die Verteidigung hat Rechts anwalt Müseler aus Berlin übernommen. Die Ocffentlichkeit ist zunächst nicht ausgeschlossen, Leist ist anwesend. Bekanntlich lautete die An klage gegen Leist dahin: 1) am 15. Dezember 1893 die Weiber der Dahomcysoldaten in grausamer Weise bestraft und dadurch den Aufstand der Dahomeyleute veranlaßt, 2) in der zweiten Hälfte des Jahres 1893 mit verschiedenen, im Kameruner Gefängnis unter gebrachten Weibern unzüchtige Handlungen, zum Teil unter Anwendung von Gewalt, vorge nommen zu haben. Schon bei der erstinstanzlichen Verhandlung stellte der vom Auswärtigen Amt zum öffent lichen Ankläger ernannte Legationsrat Rose, mit Rücksicht auf den Umstand, daß der Angeschuldigte durch sein Verhalten in Kamerun das Ansehen des Deutschen Reiches geschädigt und den deutschen Namen beschimpft habe, den Antrag auf Dienst entlassung. Die Potsdamer Disziplinarkammer gelangte jedoch betreffs des ersten Anklagepunktes zu einem freisprechenden Erkenntnis und er kannte wegen des zweiten Anklagepunktes auf Versetzung in ein anderes Amt von gleichem Range, jedoch mit Verminderung eines Fünftels von dem bisherigen Dienstcinkommen. In der Berufsschrift des Legationsrats Rose wird nun u. a. dargelegt, daß die Prügelstrafe/ deren Anwenduug wohl in Ostafrika erforderlich sei, sich in Westafrika als vollständig überflüssig erwiesen habe. Jedenfalls habe die von de« Angeschuldigten angeordnete Strafe in keine« Verhältnis zu dem Vergehen der gezüchtigte» Weiber gestanden Eine strengere Aufsicht und- Kostschmälerung hätten hingereicht, um Dahomey- Weiber zur Arbeit anzuhalten. Der Angeschuldigte habe gehandelt unter Mißbrauch seiner Amtsge walt und dadurch öffentliches Aergernis erregt. Wenn man die hohe amtliche Stellung des An geschuldigten in Betracht zieht, dann sei die von> ersten Richter verhängte Strafe keine ausreichende > Sühne. Er beantrage daher Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und auf Dienstentlassung zu erkennen. Leist sucht in einer Entgcgnungsschrift diese! Darlegungen abzuschwächcn. Er behauptet, die Eingeborenen von Westafrika seien frech, unver schämt und faul. Selbst Gouverneur v. Zimmerer! habe die Prügelstrafe zugelassen. Er beantragt, eventl. als Zeugen zu laden 1) Frhrn. v. Soden, s 2) Legationsrat v. Schuckmann, 3) Hauptmann i v. Morgen und 4) den früheren Direktor des Botanischen Gartens „Viktoria" in Kamerun. Dieselben würden sämtlich bekunden, daß er weder durch sein amtliches, noch durch sein > außeramtliches Verhalten das Ansehen des ! Deutschen Reiches geschädigt und den deutschen j Namcu beschimpft habe. Major v. Wißmann würde dasselbe bekunden. Zunächst gelangte ein Bericht des bisherigen Gouverneur v. Togo, v. Puttkammcr, jetzt Gouverneur v. Kamerun, zur Verlesung, der besagt, daß die Schmach und Schande der Kameruner Ereignisse auch auf Togo Einfluß übten und bei den Eingeborenen Mißtrauen gegen die Deutschen erweckten. Das Vertraue» ! könne nur allmählich zurückgewonnen werden. Nach beendetem Referat findet eine eingehende Vernehmung des Angeschuldigten statt. Dieser bestreitet, seine Amtsbcfuguisse überschritten oder durch sein außeramtliches Verhalten öffentliches Aergernis gegeben und dadurch das Ansehen des ! Deutschen Reiches geschädigt zu haben. Er be- ! antragt nochmals mündlich, den Frhrn. v. Soden, I Legationsrat v. Schuckmann, Hauptmaun Morgen ! und Dr. Preuß als Zeugen zu laden, die seine Behauptungen bestätigen würden. Ferner be antragt er, den Grafen Pfeil und Dr. Büttner zu laden, die ebenfalls Weiber hätten prügeln lassen. Der Diszipliuarhof lehnt jedoch alle diese Beweisanträge als unerheblich ab. Legationsrat Rose hält cs für erwiesen, daß Leist an dem Aufstände mitschuldig war; das hauptsächlichste Vergehen Leists liege aber in der Benutzung der Pfandwciber. Es sei deshalb auf die strengste Strafe, Entlassung aus dem Dienste, zu erkennen. Die in der Vorinstanz vorgebrachten Milderungsgründe seien nicht über zeugend. Das Auswärtige Amt wolle den An geschuldigten auch im Konsulatsdienste nicht ver wenden, denn der hohe Grad von Mangel an Selbstzucht des Angeschuldigten könne sich auf jedem anderen Gebiete wiederholen. Das Ver gehen mit den Pfandweibern streife direkt das Strafgesetz, habe nachteilige Folgen gehabt, stelle sich als grober Vcrtrauensbruch dar und sei auf unlautere Beweggründe zurückzuführen. Der Verteidiger bestreitet die Schuld von Leist am Aufstande und wirst der Presse Vor eingenommenheit gegen Leist vor, der dann noch mals sein Verhalten zu rechtfertigen sucht. Der Angeklagte bemerkte, er gebe zu, daß er gefehlt habe, aber nicht so sehr, daß er die Ehre, Beamter zu sein, verwirkt habe. Unter einem anderen Klima hätte er zweifellos anders gehandelt. Er hoffe, daß der Disziplinarhof das erste Urteil bestätigen werde, und ec werde sich bemühen, wieder gutzumachen, was er unter dem Tropenklima gefehlt habe. Hierauf zog sich der Gerichtshof zur Be ratung zurück und verkündete sodann folgendes Urteil: Der Diszipliuarhof hat beschlossen, unter Aufhebung des ersten Urteils, den Kanzler Leist mit Dienstentlassung unter Belassung der Hälfte der gesetzlichen Pension auf 3 Jahre und mit Zurlastlegung der Kosten des Verfahrens zu bestrafen. Die Begründung des Urteils besagt: Der Diszipliuarhof hat in der Auspeitschung der Kin KL'ückskinö. KZ «Norlietzung.! „Wie Eugen schreibt," entgegnete Ella leicht hin, „ist Fräulein Cäcilie Horn die Seele des Ganzen. Er schildert sie als tüchtig, nur etwas Magistrat. — Ihr Bruder, Doktor Horn, soll ein tüchtiger Geschichtskenner, sonst aber ein ziem lich unpraktischer Herr sein. Die Lehrer weiß man dort sehr geschickt zu erwählen; eine Schwägerin Mademoiselle Geneux, die das Fran zösische lehrt, soll sehr tüchtig sein und diesem Zweige bereits sieben Jahre vorstehen." „Ein gutes Zeichen." Inzwischen sauste der Schnellzug dahin und am Nachmittage war die Stadt erreicht. Eine Droschke mußte die beiden jungen Damen nach der Pension bringen, die vor der Stadt in einem prächtigen Garten lag. „Wie hübsch!" rief Rose. „Reizend!" gab Ella zu. Fräulein Cäcilie Horn empfing die jungen Damen sehr artig, wies beiden ein kleines Zimmer mit Kabinett, vw-ä-vis auf einem Gange gelegen, an und versprach, zum Thee den beiden Neulingen auch die anderen Elevinnen vorstellen zu wollen. Die beiden Freundinnen halfen sich bei der Einrichtung ihrer Wohnungen gegenseitig, womit die Zeit verging, bis es zum Thee schellte und eine Dienerin die beiden ersuchte, ihr zu folgen. Man ging in den Speisesaal, wo um eine große Tafel versammelt bereits vierzehn Per sonen saßen. Fräulein Cäcilie stellte Rose und Ella als neue Elevinnen vor und nannte die Namen ihres Bruders, des Fräulein Geneux und des Doktor Renndorf, worauf die Namen der Mädchen folgten. Zum größten Erstaunen beider fanden sie in der Pension auch — Liddi Leidenfrost, die Fleischerstochter. Diese trat sogleich aus dem Kreise und be grüßte Rose und Ella als Landsmännin. Beide dankten kühl, worauf Liddi mit spöttischen Mienen auf ihren Platz zurückkehrte. Es bedurfte nur einiger Tage, daß die beiden Neulinge sich völlig in der Anstalt eingelebt. Es ging in allem sehr exakt zu; es wurde gut ge lehrt und gelernt, selbst die Kost war erträglich. Es war am dritten Tage, als die ganze Mädchcnschar im Garten Luft schöpfte. Plötzlich trat LidN Leidenfrost zu Ella und sagte: „Ist es dir nicht recht, Ella, daß ich dir freundlich entgegengekommen bin?" „O gewiß, Liddi; ich wundere mich sogar darüber, weil du sonst anders zu denken schienst." „Laß das doch!" bat Liddi. „Und Rose?" gab diese zurück. „Ich will auch gegen sie gut sein!" „Wirklich? Du hast ihr einen häßlichen Namen gegeben!" Liddi blickte auf: „Ein Märchenname, Ella! Waren es nicht Kindereien?" „Gewiß!" „So führe mich zu Rose!" Ella that es und erklärte dieser alles. Rose war viel zu edel, um nachzutragen. Sie reichte Liddi die Hand und sagte: „Es sei vergessen!" „Hekuba, bedecke es mit dem Schleier der Nacht! würde Dr. Adalbert sagen!" lachte Liddi. „Drückt er sich so aus?" lächelte Rose. „Immer klassisch — praktisch!" In diesem Augenblicke erschien Doktor Renn dorf im Garten. „Das Renntier!" lachte Liddi. Rose und Ella mußten unwillkürlich mit lachen. „Wer hat ihm den Namen gegeben?" „Nun ich!" berichtete Liddi stslz. „Er rennt den ganzen Tag; er ist ein verliebter Maikäfer!" „Aber Liddi!" bemerkte Rose. „Du meinst, eS sei despektierlich? Ah bah, du wirst bald sehen!" Jetzt erschien Fräulein Geneux, eine zierliche Gestalt und anmutig trotz ihrer Dreiundvierzig. Sie führte die Damen hinein und unterhielt sich bald mit Rose, bald mit Ella. Rose ward ihr erklärter Liebling, wie sie denn in der That alle Pensionärinnen im Französischen überstrahlte. Unter den jungen Dame« befanden sich noch zwei, die Rose ein besonderes Interesse einflößtcn. Die eine, war eine ätherische Schönheit ersten Ranges, Elsa von Lindblatt, die zweite eine junge Dame vom Lande, Eva Holzer. Rose besaß einen ausgesprochenen Schönheits sinn. Sie war deshalb nur zu sehr geneigt, Elsa von Liudblatt ihre vollste Zuneigung zu schenken, wenn eine gewisse vornehme Kälte von feiten derselben das nicht verhindert hätte. Eva Holzer dagegen dauerte sie von Herzen. Die Aermste war in den Wissenschaften total zurück, aber ihr Vater, ein reicher Bauer, hatte es sich nun einmal als Marotte in den Kopf gesetzt, eine gebildete Tochter besitzen zu wollen. Nie mand hatte indes Sinn für Evas Erzählungen von ihren Kühen und Kälbern, ihrem Milchkeller und ihrer Speisekammer als Rose, die stunden lang diesem Geplauder zuhören konnte. Sie träumte dann von einem Paar dunkler Augen, und Eva bemerkte manchmal: „Haben Sie mich denn nicht verstanden, Rose?"' Sie hatte in der That nichts gehört. Nach etwa acht Tagen kam Ella eines Mor gens zu Rose gelaufen: „Eugen schickt mir eben durch einen Dienst mann seine Karte, mit einem Vermerk, er wird uns besuchen und bringt noch einen Freund mit!" Rose errötete. Wie von ungefähr stand plötzlich Liddi Leiden frost bei ihnen; argwöhnisch blickte sie Rose an, dann ging sie abseits und flüsterte: „Er erkundigt sich so oft nach ihr, sollte er — Ich muß doch aufpassen! Ich denke, meines Vaters Füchse sind ebenso gut, als diejenigen des alten Lüßhorn! !Und wieviel kann denn die gerühmte Bettelerbschaft betragen? Für die Prinzessin vom Pantoffel ist es freilich wohl viel, aber — hm, aufgepaßt, Liddi! Gerade ein zukünftiger Pastor ist mein Ideal, wenn bei meiner realen Auffassung davon die Rede sein kann! Diese Bettelprinzessin! Worauf sie wohl so stolz ist? Wahrhaftig, mit ihrer Schönheit kann ich mich messen!" Sie mußte an einem Spiegel vorbei und musterte ihre Figur darin wohlgefällig. Ella fragte nun an, ob Fräulein Cäcilie den Besuch gestatte.
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