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Allgemeiner Anzeiger : 17.11.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-11-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189411170
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18941117
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1894
-
Monat
1894-11
- Tag 1894-11-17
-
Monat
1894-11
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 17.11.1894
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Politische Rundschau. Deutschland. *Auf Befehl des Kaisers sind die Bataillvnskommandeure Major v. Kemnitz und v. Koßnitz, sowie der Regimentsadjutant Premier- Leutnant v. Bismarck, ferner sechs Feldwebel, Unteroffiziere und Gefreite des Kaiser Alexander Garde-Grenadier-Regiments, dessen Chef der verstorbene Zar gewesen, nach Petersburg ab gereist, um der Leichenfeierlichkeit beizuwohnen. *Der Reichskanzler Fürst Hohenlohe hat bei seinem Aufenthalt in München auch den Vorsitzenden des Vereins deutscher Zeitungs- Verleger, Dr. Georg Hirth, empfangen und dem selben die Gewährung einer Audienz für den Gesamtvorstand in Berlin in Aussicht gestellt. (Vermutlich handelt es sich um Vorstellungen wegen der beabsichtigten Reform des Post- Zeitungstarifs.) *Aus München wird der,Köln. Ztg.' ge schrieben: Leute, die hier längere Unterredungen mit dem Reichskanzler hatten, behaupten aufs bestimmteste, daß er demnächst den Fürsten Bismarck aufsuchen und weiterhin dessen Rat und Sachkenntnis nicht unverwertet lassen werde, in der Annahme, daß der größte Teil der dem Grafen Caprivi während seiner Amtsdauer ent gegengebrachten Abneigung von dem Verhältnis herrührte, das sich zwischen ihm und Bismarck herausgebildet'hatte. Eine Anbahnung besserer Beziehungen wird jetzt leichter sein, da die Ver stimmung Bismarcks sich wesentlich gegen seinen unmittelbaren Nachfolger richtete. Dieser Ent schluß Hohenlohes, dessen Beziehungen zu Bis marck niemals abgebrochen waren, soll vom Kaiser gebilligt sein. * Wie der ,Voss. Ztg/ mitgetcilt wird, soll die Etatstärke der kaiserlichen Marine für das kommende Etatjahr unter den fortdauernden Ausgaben eine fast gleiche Steigerung aufweisen, wie sie bereits vom Jahre 1893/94 zu 1894/95 eingetreten war; d. h. für den Mannschaftsbestand der Flotte dürfte eine abermalige Vermehrung von gegen 100Ü Mann gefordert werden, so daß dieser sich dann insgesamt auf gegen 21500 Mann be laufen wird. Diese Vermehrung des Personals der Flotte wird in erster Linie durch den Zu wachs des schwimmenden Materials veranlaßt. * Die Ausarbeitung eines Börsen - reformentwurfs ist, wie der ,Reichsanz/ mitteilt, nachdem die zwischen Vertretern des Reichs und der Bundesregierungen eingeleiteten Besprechungen über die Vorschläge der Börsen- Enquetc-Kommission zu Ende geführt sind, im Gange. Nach dem Stande der Arbeiten dürfe angenommen werden, daß der Gesetzentwurf dem Bundesrat binnen kurzem werde vorgelegt werden können. * Betreffs der Vorlagen für die neue Reichstag, ssession teilt der,Hamb. Korr/ mit, daß die Meldung, vor Weihnachten solle das Umsturzgesetz zur Verhandlung kommen, nichts sei als ein Vorschlag, über den die Ent scheidung noch ausstehe. Im Bundesrat ist von einer solchen Disposition nichts bekannt. Die Vorarbeiten für den Etat werden so gefördert, daß die Einbringung desselben im Reichstag so fort bei Beginn der Session erfolgen könne. Der,Hamb. Korr/ bestätigt zugleich, daß die Umsturzvorlage auch jetzt noch nicht zugegangen ist. Ueber den Inhalt derselben gibt die ,Köln. Ztg/ an, daß Fürst Hohenlohe vollständig den im Caprivischen Sinne ausgearbciteten Entwurf übernommen habe. Bayern verhalte sich dem gegenüber nicht ablehnend. i *Die Neubesetzung des Preuß. Justiz ministeriums ist noch immer nicht erfolgt. Von einer Seite wird zwar mitgeteilt, daß die Verhandlungen mit dem Präsidenten des Ober landesgerichts in Celle, Schönstedt, zu dem er wünschten Resultate geführt hätten und daß die Ernennung desselben nahe bevorstehe. Ander seits wird dagegen behauptet, daß noch über , den Kreis der bekannten Namen hinaus An- - erbietungen erfolgt sind, daß aber überall ab- ' lehnende Antworten erfolgten, Frankreich. * Die Regierung verlangt einen Kredit von 120 000 Frank für die Kosten der zu den Bei setzungsfeierlichkeiten nach Petersburg zu entsendenden Gesandtschaft. * Für denKrieggegenMadagaskar will die französische Regierung nach Erklärung von zwei Deputierten von der Kammer einen Kredit von 60—65 Millionen Frank und die Entsendung von 15 000 Mann Truppen ver langen. *Ein Berichterstatter des ,Figaro' hatte eine Unterredung mit einer hervorragenden Persönlich keit der deutschen Botschaft, woraus hervorgeht, daß der Hauptmann Dreyfus keinerlei Briefe, wie von verschiedenen Blättern be richtet worden war, an den d euts ch en Militär- Attachs, Major v. Schwartzkoppen, gerichtet hat. Auch hat der des Vaterlandsverrates angeklagte französische Offizier die betr. Dokumente nicht an Deutschland, sondern an die Regierung eines anderen Landes gesandt. Rußland. * Der ,N. Fr. Pr/ wird aus Petersburg ge meldet: Die Hochzeit des Zaren Niko laus findet verläßlichen Informationen zufolge am 26. November statt. * Ueber die Regierung spolitik des neuen Zaren hat der russische Minister des Auswärtigen an die russischen Vertreter im Aus lande einen Zirkularerlaß des Inhalts gerichtet, daß die Regierung die bisherige friedliche und loyale Politik auch weiter verfolgen werde. Balkanstaaten. * Infolge der Hoftrauer für den Kaiser Alexander werden die Festlichkeiten und Zere monien am rumänischen Königshofe, die für die silberne Hochzeit deS Königs und der Königin in Aussicht genommen waren, bedeutend eingeschränkt. Nur bei der Ankunft des Königs und der Königin am Mittwoch wird am Bahnhof ein feierlicher Empfang und abends ein Damenempfang stattfinden. Am Donnerstag werden nach einem Tedeum das diplomatische Korps, die Würdenträger und Abordnungen der gesetzgebenden Körperschaften empfangen werden. Am Freitag werden die Empfänge fortgesetzt; abends kehren der König und die Königin nach Sinaja zurück. Am nächsten Tage wird die durch die Festlichkeiten unterbrochene Hoftrauer wieder ausgenommen. * Aus Armenien wissen englische Blätter, die in dieser Sache aber nicht ganz unparteiisch sind, fortgesetzt von türkischen Grausamkeiten zu berichten. Nach den ,Daily News' wurden im Bezirk Sassun 25 armenische Dörfer von türkischen Truppen zerstört und angeblich 3000 Personen, darunter Frauen und Kinder, niedergemetzelt. Afrika. * An der Grenze des Tuatgebiets im Südwesten von Algier haben Kämpfe zwischen französischen Soldaten und Eingeborenen stattgefunden. Letztere waren von einem marok kanischen Agenten aufgereizt worden. Asien. * Die Japaner haben am Sonntag Port Arthur genommen, fast ohne Widerstand zu finden. Als sie nach dem Bombardement zum Sturm vorgingen, legten die Chinesen die Waffen nieder und ergaben sich. Wie verlautet, ver ließen der chinesische General mit dem General stab und den anderen Oberoffizieren in der Nacht deS 6. November die Forts und retteten sich auf einen Aviso und einen Dampfer. * In China wird an ferneren Widerstand offenbar nicht mehr gedacht. Die chinesische Regierung wendete sich, da ihr bisheriges An suchen ergebnislos blieb, nochmals an die Ver treter Englands, Amerikas, Frankreichs und Deutschlands mit dem Gesuch um Vermittelung. Sie fügte die Erklärung hinzu, sie sei bereit, Frieden um jeden Preis zu schließen. *Jn einer Sitzung des großen Reichsrates zu Peking am 9. d., dem der Kaiser und Prinz Kung beiwohnten, wurde beschlossen, derkaiser- liche Hof solle die Hauptstadt Peking vor der Belagerung durch die Japaner, die als un vermeidlich betrachtet wird, verlassen. Der Kaiser und der kaiserliche Hof haben denn auch bereits die Abreise nach Sinjanfu (Provinz Kiangsu) vorbereitet. Australien. * Aus Samoa wird gemeldet, daß die Lage in den letzten Wochen sich verschlechtert hat. Tamasese soll offen erklärt haben, daß seine angebliche Unterwerfung nur aus Klug heitsrücksichten geschehen sei, und er die Absicht habe, alsbald nach der Abfahrt der Kriegsschiffe von neuem gegen Malietoa vorzugehen. Die Stimmung der Weißen soll eine sehr gedrückte sein, da die Geschäfte wegen der Unsicherheit der Lage auf den Inseln sehr daniederliegen. Uon Uah und Fern. Zwei neue Cholerafälle sind in Jütschau bei Glogau festgestcllt worden. Auch in den Dejekten des elfjährigen Knaben Paul Zaebe, der sich sonst aber ganz Wohl befindet, sind Cholerabacillen gefunden worden. — Leider muß nach dem ,Niederschl. Anz.' noch ein neuer Fall von Brechdurchfall bei dem dreijährigen Knaben Wilhelm des Arbeiters Stritzke als Cholera angesehen werden. Das Kind erkrankte am Mittwoch an Brechen und Durchfall; als der Arzt am Donnerstag gerufen wurde, fand dieser es schon kalt am ganzen Körper und pulslos. Es ist Freitag morgen gestorben. Die Stritzkesche Wohnung ist nicht weit von der Zaebeschen entfernt. Durch schlagende Wetter verunglückten in der Nacht zum Sonntag laut amtlicher Mit teilung in den Plutoschächten der Dresdener Kreditanstalt in Wiesa 19 Mann. Bis Montag morgen waren 5 Leichen geborgen. Die Grube ist wegen der Gefahr von nachfolgenden Explo sionen zum Teil gesperrt. Hochwasser wird aus Kirchheim, einer Station an der Main-Weserbahn, gemeldet. Dort sind einzelne Stadtteile vollständig überschwemmt, und zwar in einer solchen Höhe, wie sie seit dem schrecklichen Jahre 1862 nicht erlebt wurde. Namentlich die Bewohner der Mühlengasse haben schwer darunter zu leiden. Das Wasser drang in die Keller, Küchen, Ställe und Hausflure viele Fuß hoch ein und richtete große Ver heerungen an. Eine bei Schönbach erbaute Schleuse hat sich nicht bewährt. Unterschleife. In der Ratswitwenkasse zu Brül sind große Unterschleife entdeckt worden. Der Bürgermeister Kahle wurde verhaftet. Ueber sein Vermögen ist Konkurs ausgebrochen. Diphtheritis. In Fritzlar grassiert in Be denken erregender Weise die Diphtheritis. In den letzten Tagen sind zwei bis drei Kinder täglich gestorben, und eine große Anzahl ist erkrankt. Die Schulen wurden geschlossen. 10k» Jahre alt. Die in Wilda wohn hafte Witwe Katharina Karasinska, die sich mit ihrer jüngsten Tochter, einer armen Waschfrau, kümmerlich durchs Leben schlägt, vollendete am 9. November ihr 105. Lebensjahr. Zur Fuchsmühler Affäre. In einem offiziösen Bericht der Regierung der Oberpfalz bezüglich der Affäre in Fuchsmühl wird jetzt die Möglichkeit zugegeben, „daß der eine oder der andere Soldat in der Auflegung etwas zu weit gegangen ist. Bei einer so ausgedehnten Strecke konnte der einzelne Mann unmöglich mehr so überwacht werden, daß jede Ausschreitung ver hindert wurde." Zufriedene Ehemänner. In Wien hat sich soeben ein „Klub der zufriedenen Ehemänner" gebildet. Der Klub soll „einem Geselligkeits vereine gleichen, dessen Tendenz es ist, durch Feste und Vergnügungsabende den Mitgliedern — und als solche werden nur wirklich zufriedene Ehemänner angesehen — manch heitere Stunden zu schaffen, er soll aber auch Wohlthätigkeit auf seiner Fahne führen, um durch Spenden, Festes erträgnisse rc. rc. dem Vorstande die Möglichkeit zu bieten, alljährlich einigen Männern und Mädchen, die in den zufriedenen Ehestand treten wollen, zur Erreichung ihres Zieles zu verhelfen." Sehr lobenswert. Das gesundheitswidrige Abzählen von Papiergeld unter Befeuchten des Fingers an der Lippe, hat einem Bankbeamten das Leben gekostet. Ein 28jähriger Beamter eines Wiener Bankhauses hatte kürzlich eine bedeutende Anzahl kleiner Papiergeld-Pakete zu zählen, wobei er wiederholt den Finger an der Unterlippe naß machte. Am Ab end empfand er einen stechenden Schmerz an der Lippe, beachtete dies jedoch nicht eher, als bis sich an jener Stelle eine Ge schwulst entwickelt hatte. Auf Zureden seiner Familie konsultierte er den Chirurgen Professor Weinlechner, der sofort die operative Entfernung der Geschwulst für unerläßlich und den Fall für äußerst bedenklich erklärte. Die Operation wurde ausgeführt, die Schmerzen ließen nach, allein nach Ablauf von drei Tagen starb der Patient. Aufgehobenes Diebesnest. Seit zwei Jahren machte eine verwegene Diebesbande Laibach und Umgegend unsicher. Jetzt entdeckte die Gendarmerie das Diebesnest im Hause der 70jährigen Witwe Kasar in Gleinitz bei Laibach. Alle Räumlichkeiten waren voll von gestohlenen Sachen, Gold- und Silberwaren, Meßgewändem und Gräberschmuck, so daß fünf Leiterwagen zum Fortschaffen notwendig waren. Die Witwe Kasar und sechs Mitglieder der Bande wurden dem Gericht eingeliefert. In einem Tunnel fand vor einigen Tagen ein Bahnwächter auf der Gebirgsbahnstrecke zwischen den Stationen Krassowa und Lissawa auf der südöstlichen Linie der ungarischen Staats bahnen ein schreckliches Ende. Der Zug über raschte den eben den Tunnel passierenden Bahn wächter, der, in dem schmalen Tunnel keinen Ausweg mehr findend, den Zug durch Schreien zum Halten zu bringen versuchte, und zermalmte den Körper des Unglücklichen, dessen Leiche erst am nächsten Tage aufgefunden wurde. Ein versinkendes Dorf. Das Dorf Grahovo nächst Fiume befindet sich in großer Gefahr, da der Erdboden gewaltige Risse mit Senkungen aufzuweisen hat. Das Dorf zählt 14 Häuser mit 70 Einwohnern, die wegen der drohenden Gefahr ausquartiert werden müssen, da auch mehrere Häuser bereits starke Sprünge zeigen. Ein schwerer Zusammenstoß hat in Südfrankreich zwischen zwei Güterzügen auf der Strecke zwischen La Ciotat und Saint-Cyr statt gefunden. Lokomotiv- und Zugführer beider Züge wurden getötet, 15 Beamte schwer ver wundet. Der Materialschaden ist bedeutend. Eine Explosion entzündete die große Fabrik Deville in Roubaix. Zahlreiche Arbeiter sprangen aus den Fenstern der obern Stockwerke heraus, wobei mehrere getötet wurden. Vier Arbeiterinnen werden vermißt. Einen unangenehmen Scherz leistete sich in Monte Carlo ein Franzose, der, als er eben ein paar Züge an der Roulette verloren hatte, einen leibhaftigen Revolver aus der Tasche zog. Vor Schrecken wären die Inspektoren und Croupiers bei einem Haar von den Stühlen ge/ fallen. Wollte der fürchterliche Mensch sich selbst erschießen oder ein paar Croupiers? Ein rui nierter Spieler ist zu allem fähig. Aber der Revolverheld hatte kaum seine Waffe gezogen, i so waren ihm auch schon ein paar Geheimpoli zisten in den Arm gefallen. „Was wolltest du mit dem Revolver? Sprich!" Entgegnete finster der Wüterich: „Ein Stück abbeißen. Er ist ja aus Schokolade." Im Löwenzwinger. In Mailand ist es gegenwärtig zu einer förmlichen Manie geworden, alle möglichen Geschäfte im Löwenkäfig zu be treiben. In einem Tingeltangel der Stadt hat ein unternehmender Tierbändiger einen soliden Käfig mit drei Wüstenkönigen aufgestellt. In diesem Käfig hat nun zunächst eine Tänzerin den erstaunten Löwen und dem zitternden Menschen publikum den Schlangentanz vorgetanzt. Dem Beispiele der Tänzerin folgten zwei Fechtmeister, - die in dem Käfige einige Gänge Floret fochten, ohne daß sie bei dieser Beschäftigung von den s Löwen gestört worden wären. Am Sonntag war die Reihe an einen kühnen Mailänder Barbier, der dem Tierbändiger im Löwenkäfige den Bart stutzte und die Haare schnitt. Später wollte sich ein Standesbeamter in den Käfig wagen und den Löwen zeigen, wie man die Geburt eines neuen Menschenkindes bucht, aber die Polizei hielt es für unangebracht, die Löwen in diese Geheimnisse einzuweihen, und verbot die Vorstellung. Ein Tropfen Wasser dürfte selten mehr Die rechte Habe. xz; <Fortietzn»a.> „Denke nicht an mich, du Guter. Ich bin ein schwer umgänglicher Geselle jetzt, den es nirgends lange rasten läßt. Ueberlaß mich einst weilen mir selbst, mein Harald. Du aber mußt heiraten, und sied Glaube mir, sie wird sich vortrefflich in eure Vernunftheirat finden. Eine Anzeige eurer Vermählung ersparte mir. Briefe werden mich überhaupt unsicher erreichen. Ich bin fortan ein Zugvogel, bald hier, bald dort. Noch eins, empfiehl mich deiner gnädigen Stief mama. Sie wird sich freuen, meiner impertinent bürgerlichen Person nicht mehr begegnen zu brauchen, ich will daher selbst von einer Aö- schiedsaudienz absehen. Du wirst mich irgendwie entschuldigen, und laß dir nochmals raten: emanzipiere dich sobald als möglich von ihrem Joch. Leb'wohl, Harald, lieber Freund — möge sich alles freundlich für dich wenden." Eine Woche später gab die Verlobung der Komtesse Elkström mit dem Grafen Prrttwitz willkommenen Untcrhaltungsstoff. Akan war einig, daß eine passendere Verbindung nicht leicht ge schlossen werden könne. Und wenn einige em pfindsame junge Damen schüchtern äußerten, Komtesse Andy sähe eigentlich etwas blaß und ruhelos in ihrem bräutlichen Glück aus, während Graf Harald das seine wunderbar gleichmütig nähme, so wurden sie achselzuckend belehrt, daß überschwengliche Liebesheiraten längst aus der Mode seien. Der Stammsitz des Grafen Prittwitz lag im badischen Lande, während das Geschlecht in Karlsruhe selbst ein umfangreiches Schloß besaß, das ihm seit Generationen zum teil weisen Winteraufenthalt gedient und daher stets in wohnlichem Zustande erhalten wurde. Harald hatte es seit den letzten Jahren, die er beinahe ausschließlich mit seiner Stiefmutter auf Reisen zugebracht, wenig betreten, und er würde auch vielleicht in dem kommenden Winter sich nicht der alten Familiensitte erinnert haben, wenn seine bevorstehende Vermählung es nicht geboten hätte. Es war ein alter, unumstößlicher Brauch der Grafen Prittwitz; die Trauungszeremonie in der kleinen Schloßkapelle zu begehen und die ersten Wochen und Monate ihres Eheglücks hier im Stadtschloß zu verleben, während das nahe gelegene Stammgut, der Tradition nach, stets und mit keiner Ausnahme den Vorzug genoß, die Geburtsstätte der gräflichen Nachkommen ge wesen zu sein. Harald hatte gegen diese Familiensitte nichts einzuwenden. Er beschloß, sein junges Weib zunächst in das traditionelle Stadtpalais zu führen, obwohl er überzeugt war, daß von eigentlichen Flitterwochen nicht die Rede sein konnte. Wußten sie doch beide, wie wenig das Herz bei ihrem Bunde mitgesprochen. Trotzdem ließ Harald es sich angelegen fein, eine gänz liche Renovierung des Schlosses vorzunehmen und die glänzendsten Einrichtungen zum Em pfange seiner schönen, verwöhnten Braut anzu befehlen. Zu diesem Zweck begab er sich bereits im Herbst nach Karlsruhe. Die Elkströms, welche erst nach Andys Vermählung, die gegen Weih nachten in Aussicht genommen war, nach Schweden zurückzukehren gedachten, folgten bald nach und wählten das erste Hotel der Stadt zur einstweiligen Behausung. Allerdings sah man einem Men Winter ent gegen. Die Stadt bot einem verwöhnten Ge schmack nicht gar viel. Gelegentlicher Theater- und Konzertbesuch, oberflächlicher Verkehr mit der tonangebenden Gesellschaft war alles, was man an Zerstreuungen erwarten durfte! Da gegen nahm freilich Andys Trousseau viel Zeit und Interesse in Anspruch, und so mochte man der freundlichen Zukunft zuliebe immerhin einige Monate das glänzende Stockholm missen. Die Gräfin Prittwitz befand sich indes voll kommen in dem ihr zusagenden Fahrwasser. Wurde ihr doch Gelegenheit, wieder einmal nach Herzenslust Geschmack und Luxus zu entfalten, ohne Rücksicht auf die Kosten. Und so widmete sie sich der Neuausstattung des Schlosses, in- sonderlich des Flügels, welcher die Gemächer der jungen Gräfin enthalten sollte, mit einem Eifer, als geschähe es für sie selbst, ohne freilich auch die Räume außer acht zu lassen, welche sie sich zu ihrem „Witwensitz" Vorbehalten. Andy dagegen schaute diesen Zurüstungen sonderbar gleichgültig zu. Zum Staunen ihrer Mutter enthielt sie sich jeden Wunsches, jeder Geschmacksäußerung, indem sie wie gelangweilt meinte, sich in dergleichen Dingen völlig auf ihre elegante Schwiegermama verlassen zu dürfen. Anderseits war sie womöglich noch lebhafter oder eigentlich ruheloser und launenhafte'- geworden. Sie quälte ihre Umgebung mit einem geradezu 2 exzentrischen Gebaren, daß die Gräfin Prittwitz Z allerdings einstweilen noch „pikant" fand. Sw» meinte, Andy werde mit ihrem Geist, ihrem gra- » ziösen Humor, ihrer schalkhaften Satyre eine I neue Aera unter der stagnierenden Aristokratie » bahnen. Harald lächelte dazu. Er verstand das schöne- » sonderbare Mädchen so wenig, daß er in AM » noch immer nichts, als ein verwöhntes und des-» halb zuweilen recht unartiges Kind sah, das I man nicht ernsthaft nahm und dem man die 1 Launen verzieh um der Grazie und SchönheU I willen, die es dabei nun einmal nicht verleugn^ I konnte. Er nahm die Dinge, wie sie ihm qE» aufgezwungen waren, und gab sich gar keine Mühe, sich eingehender mit dem Charakter seinC j Braut zu beschäftigen. Er war völlig zufrieden , mit dem freundlichen Wohlgefallen, welches m ihm erregte, das seinen gleichmäßigen HcrzscM niemals um einen Puls beschleunigte. Ja, t freute sich fast dieser Ruhe und war im übrigen 1 unglaublich nachsichtig gegen die reizbare, launew I hafte Braut. - , So that er auch das möglichste, ihr da-> - Leben in Karlsruhe angenehm zu gestalten. Ek streifte das bequeme Phlegma ab und nahm dw Pflicht des aufmerksamen Verlobten so ernsthaft- daß ihn die Gräfin Prittwitz scherzend „den ge- zähmten Bären" nannte. Eine willkommene Unterbrechung des mono' tonen Zerstreuungsprogramms bildete die Er öffnung der Kunstausstellung. Andy zeigte sm diese ein lebhaftes Interesse und ersuchte Haraw gleich in den ersten Tagen, sie dorthin zu führen-^
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