Volltext Seite (XML)
Politische Rundschau. Deutschland. * Der Erbgroßherzog Karl August von Sachsen-Weimar ist in der Mitternachts stunde vom Dienstag zum Mittwoch seinen Leiden erlegen. Er war am 31. Juli 1844 zu Weimar geboren und hat sich am 26. August 1873 zu Friedrichshafen mit der Prinzessin Pauline von Sachsen-Weimar-Eisenach vermählt. Ein Waß des Großherzogs gibt den Tod des Erb großherzogs Karl August kund, sowie den Ueber- gang des erbgroßherzoglichen Titels auf den ältesten Sohn des Verstorbenen, den Prinzen Wilhelm Ernst. * Staatsminister v. Bötticher soll nach einer Meldung des ,Rhein. Cour.' nach der Entlassung des Grafen v. Caprivi ein Schreiben an den Kaiser gerichtet haben, worin er sagte, falls der Kaiser Vertrauen zu der jetzigen Regierung nicht mehr habe, stelle auch er sein Portefeuille zur Verfügung. Der Kaiser antwortete in einem huldvollen Schreiben, daß er die Demission ablehne nnd übersandte an v. Bötticher am folgenden Tage zu dessen silbernen Hochzeit unter Glückwünschen eine große Standuhr als Geschenk. *Die Umsturzvorlage hat dem Bun de s r a t in seiner am Dienstag abgehaltenen Plenarsitzung vorgelegen und wurde den ständigen Ausschüssen überwiesen, ebenso die neue Vorlage betr. die Bestrafung des Sklavenraubes und Sklavenhandels. In derselben Sitzung wurden die Etats des Reichseisenbahnamts, des Rech nungshofes und der Reichseisenbahnen ange nommen. * Eine für den deutsch-russischen Grenzverkehr wesentliche Erleichterung dürfte demnächst dadurch herbeigeführt werden, daß die Gültigkeit der Legitimationskarten, die jetzt sieben Tage beträgt, auf zwei bis drei Wochen erhöht werden soll. Von dem russischen Finanzministe rium soll bereits die Zustimmung zu dieser Er leichterung gegeben sein, die übrigens im russisch österreichischen Grenzverkehr schon seit längerer Zeit besteht. * Eine Reform derReichsversiche- rungsgesetzgebung.und zwar durch Ein führung einer allgemeinen Versicherung, wird jetzt auch von Sachsen aus angeregt. Der sächsische Landeskulturrat wird sich demnächst mit einem Anträge seines Ausschusses zu beschäftigen haben, wonach die Reichsregierung ersucht werden soll, Erhebungen darüber anzustellen, ob cs thunlich und geraten erscheint, die sämtlichen Versicherungs anstalten, Kranken-, Unfall-, Invaliden- und Altersversicherung, in Verwaltung und Beiträgen zu vereinigen und zu bestimmen, daß jeder Deutsche von einem bestimmten Lebensjahre an, ohne Rücksicht auf Stand, Gewerbe, Vermögen und Geschlecht, versicherungsberechtigt, bis zu einem Einkommen (oder Einkommensteil) von 2000 Mk. aber versicherungspflichtig ist. * Während der wahre Schuldige an den skandalösen Vorgängen in Kamerun, der Kanzler Leist, bisher mit einem blauen Auge davongekommen ist, muß der an jenen Vorgängen eigentlich völlig unschuldige Gouverneur v. Zimmerer — er befand sich während der berüchtigten Meuterei auf einem längeren Urlaub in Europa — als Sündenbock herhalten. Wie die ,N. N.' melden, ist in der Verwaltung unserer westäfrikanischen Kolonie Kamerun insofern ein Personenwechsel bevorstehend, als zunächst Herr v. Zimmerer von seiner Stellung als Gouverneur ^urücktritt. Für ihn würde der bisherige oberste Beamte von Logo, Herr v. Puttkamer, zum Gouverneur von Kamerun aufrücken. An Herrn v. Puttkamers Stelle in Togo würde Herr v. Öertzen treten, der bis dahin als Bezirks amtssekretär in Kamerun beschäftigt war. Oesterreich-Ungarn. *Franz Kossuth brachte am Mittwoch in Nyiregyhaza einen begeisterten Toast auf den König von Ungarn aus. Er erfülle eine patriotische Pflicht, sagte er, wenn er durch seine fortwährend wiederholten Loyalitätskundgebungen auch das letzte Mißverständnis, wie es in Debre- czin entstanden sei, beseitige. Dieses Mißver ständnis habe nur entstehen können, weil der Saal, wo das Bankett stattgefunden habe, so ' Die rechte Kabe. 1 6) (Fortsetzung.) „Verschwinden Sie schon wieder, Inez?" schmollte Andy. „Es ist nicht hübsch »om Grafen, daß er Sie nicht zu unterhalten versteht." „Ich habe nur etwas Eiliges zu besorgen," murmelte Inez verlegen und werde gewiß —" „Nicht wiederkommen!" ergänzte Andy lachend. „Ach, Inez, ich kenne Sie schon sehr genau, wir modernen Weltkinder langweilen Sie allzu leicht. Bitte, vergessen Sie wenigstens nicht Ihr Versprechen, mich morgen zu be tuchen." Unbekümmert um Wallmors Schelten sprang Komtesse Andy auf, um stürmisch Inez' Hände zu erfassen. „Ich werde Ihnen bitterböse, Inez, wenn Sie nicht kommen." „Ich habe es ja einmal zugesagt," entgegnete diese ruhig. „Aber nicht nur deshalb, sondem well Sie mich auch ein bißchen lieb haben, wie?" drängte Andy, Sie legte schmeichelnd ihren Arm um Inez' stolzen Nacken. „Gewiß, habe ich Sie gern, Komtesse, sonst käme ich wahrlich nicht. Ich gehe überhaupt selten aus, besuche eigentlich nur den asten Onkel, der zugleich mein Lehrer ist." „Das ist hübsch von Ihnen." Andy hauchte einen Kuß auf Inez' glühende Wange. „Wollen Sie mich nicht einmal zu diesem Gelehrten mit- nehmen?" „O nein, dahin passen Sie nicht. Sie würden lang und überdies so lärmerfüllt gewesen sei, daß die Zigeunerkapelle, die am unteren Saal ende gesessen, nicht habe hören können, daß am oberen Saalende ein Toast auf den König aus gebracht würde, gleich wie am oberen Ende niemand habe hören können, daß die Zigeuner ein Schmählied spielten. Er erhebe sein Glas auf das Wohl des gekrönten Königs von Un garn. (Brausende, langanhaltende Eljenrufe.) Frankreich. * Die Madagaskarfrage hat zu einer Ministerkrisis Veranlassung gegeben. Der Kriegsminister Mercier will für die Madagaskar truppen 8000 Mann Fußvolk und die Reiterei den algerischen und kolonialen Beständen, 4000 Mann, die Artillerie und die technischen Truppen dem festländischen Heer entnehmen. Der Heeresausschuß aber widersetzt sich jeder Schwächung des Festlandheeres. General Mercier ist einer Meldung der,Voss. Ztg.' zufolge ent schlossen, zurückzutreten, wenn die Kammer dem Heeresausschuß recht gibt. *Jn der Kammer begann Donnerstag vor überfüllten Tribünen die Beratung über den Feldzug gegen Madagaskar; 4 Redner er klärten sich gegen eine kriegerische Expedition, drei andere sowie der Regierungs-Vertreter für eine solche. Dann wurde die Besprechung vertagt. * In der französischen Kammer hat die Hul digung für den Zaren Anlaß zu einem heftigen Auftritt gegeben. Wie gemeldet wird, klagte der Abg. Jules Guesde gelegentlich einer Anfrage über die Roubaixer Verhältnisse, daß die Republik nur scheinbar bestehe. „In den Gemeinden," rief er, „haben wir noch immer unsere Kaiser, Könige, Zaren." Darauf großer Lärm. Guesde: „Ich wundere mich nicht, daß mich bei der Nennung des Zaren diejenigen unterbrechen, die den Zaren als ihren Zaren in Anspruch nehmen." Bouge: „Ja, wir nehmen ihn als unseren Zaren in Anspruch." Hände klatschen auf vielen Bänken. Guesde: „Wir sind Franzosen und Republikaner; wir sind weder Kosaken noch Zarendiener!" Langer, heftiger Lärm. Guesde: „Muß ich die Russenfreunde daran erinnern, daß der Zar 1870 Frankreich erwürgen ließ?" Neuer Lärm, der Guesdes Stimme minutenlang übertönt; da Guesde dann von Roubaix sprach, war der russische Zwischen fall beendigt. *Der,Figaro' erzählt eine Schauergeschichte vom Treiben der Spione in Frankreich. Kürzlich sei versucht worden, zwei Modelle der neuen Schnellfeuerkanone zu stehlen, die der Kriegsminister in einem bleiverschlossenen Bahn wagen von Paris nach Bourges und Calais schickte und von deren Absendung außer halb des Ministeriums niemand Kenntnis hatte. Das Blatt versichert, daß 122 Spione demnächst ausgewiesen werden sollen. — Eine den Zeitungen zugestellte Note der ,Agence Havas' bestätigt die Meldung des ,Figaro', daß die Siegel, die an den Thüren eines Waggons, in dem sich wichtige Bestand teile der neuen Kanone befanden, angebracht waren, verschwunden seien, doch stehe es noch nicht fest, ob dies Verschwinden auf einen Zu fall oder auf eine verbrecherische Handlung zurückzuführen ist. Im übrigen seien alle Kisten unberührt angekommen und zeigten keinerlei Spur des Versuchs eines Einbruchs. Italien. * Der italienische Schatzminister Son nino und sein Kollege, der Finanzminifter Boselli, sollen sich nun über die notwendigen Ersparungen, die sie dem Parlamente Vor schlägen werden, endlich geeinigt haben. Es sollen erspart werden: Bei den Ministerien der Finanzen, des Unterrichts und des Ackerbaues zusammen 3 Millionen; bei den öffentlichen Ar beiten 5 Millionen; beim Justizministerium (ohne Verminderung der Richter und Gerichte) 2',^ Mill.; beim Schatzministerium 1 Million, eine halbe beim Post- und Telegraphen-Ministerium, schließ lich am Kriegs- und Marine-Haushalt 10 Mill. Wie man diese herausschlagen wird, ohne die Kadres zu verringern, ist namentlich nach den Beschlüssen der vielberedeten Generalskommission vorläufig nicht klar. *Der französische Kapitän Romani ihn nur stören; dazu ist mir sein Mes Heim, seine Ruhe zu lieb." „Wirklich, Inez, Sie sind die einzige, die mir so himmlische Grobheiten sagen darf," lachte Andy, „aber Ihnen kann ich eben nichts übel nehmen." Hier rief Wallmor zürnend, ob denn die Konferenzen auf der Thürschwclle nicht zu einem anderen Zeitpunkt stattfinden könnten. Andy hufchte mit einem liebenswürdig ver söhnenden Wort gegen den Meister auf ihren Platz zurück, während Inez nun in den Garten flüchtete, ihre heißen Wangen der kühlenden Herbstluft preisgcbcnd. In befremdlicher Rastlosigkeit schütt sie lange die buchsbaumumfaßten Wege des sich weit hinter dem Hause hinzichenden parkartigen Terrains auf und ab. Sie vermochte den bren nenden, mitleidschweren Blick nicht zu vergessen, der sie aus des Grafen ernsten Augen sekunden lang getroffen. Mit unruhvoller Pein mußte sie darüber rätseln. Widerstrebend, voll heimlicher Angst, sie könne Graf Prittwitz begegnen, suchte sie am nächsten Tage Komtesse Andy auf. Diese befand sich indes allein in ihrem zier lichen Privatzimmer und verstand es, durch ihr lebhaftes Geplauder ihren ein wenig befangenen Besuch bald heimisch zu machen. Sie erzählte so fesselnd ein buntes Durcheinander von ihrem Leben im schönen, schwedischen Vaterlande, ihren eigenen Neigungen und Gewohnheiten, daß Inez mit immer reger werdendem Interesse zuhörte. Nur eines schien seltsam. Graf Prittwitz hing mit diesen lebhaften Schilderungen kaum näher wurde von dem Gerichtshof in San Remo wegen Spionage zu 14 Monat Gefängnis und 1200 Lira Geldstrafe verurteilt. Spante«. *Der Anarchist Salvador, der Urheber des Attentats im Teatro Liceo, ist am Mittwoch in Barcelona hin gerichtet worden. Ein Zwischenfall ist nicht vorgekommen. Asien. * Die japanischeRegierung hat auf die Anfrage des amerikanischen Gesandten in Tokio, ob die amerikanische Vermittelung Japan genehm sei, geantwortet, Japan würdige zwar das Gefühl der Freundschaft, von der Amerika beseelt sei, anderseits aber sei der Erfolg der japanischen Waffen ein derartiger, daß Japan meine, China müsse Japan direkt Vor schläge machen. — Nach einer neueren Meldung aus Washington hat jedoch Japan den amerika nischen Gesandten in Tokio als Vermittler für etwaige Friedensvorschläge Chinas angenommen. * Das Heergesetz der Japaner steht den europäischen in seinen Ansprüchen an die Opferwilligkeit der Bevölkerung wenig nach. Der japanischen Verfassung zufolge ist jeder körperlich tüchtige Japaner vom 17. bis zum 40. Lebensjahre militärpflichtig. Aber nur im Falle eines feindlichen Einfalles werden junge Leute unter 20 und Männer über 32 Jahre zu den Fahnen gerufen. Der Japaner dient drei Jahre aktiv. Nach dem letzten japanischen parla mentarischen Ausweis ist die japanische Armee wie folgt zusammengesetzt: Stehendes Heer: (Männer von 20 bis 23 Jahren) 69 097 Mann. Aktive Dienstzeit 3 Jahre. Erste Reserve: (von 23 bis 27 Jahren) 92 904 Mann. Zweite Reserve (von 27 bis 32 Jahren) 106 109 Mann. Bis jetzt hat Japan 125 000 Mann nach Korea und China gesandt. Non Uah «ad Fern. Die Behringsche Entdeckung des Diph- theritis-Serums soll eine wesentliche Erweite rung erfahren durch die Professor Behring nun mehr auch gelungene Herstellung eines Typhus- Serums. Der Typhusbacillus war schon der älteren medizinischen Forschung bekannt. Durch die neuere Entdeckung der Serumtherapie wäre indessen überhaupt erst der Weg gezeigt, die individuelle Kraft dieser Krankheitserreger zu stören. Sollte cs mit dem Typhus gelinge«, so wäre dadurch eine Bahn gewiesen, allen Bacillenarten erfolgreich zu Leibe zu gehen, und der bis dahin oft ohnmächtigen Theraphie eine neue, gute Aussicht eröffnet. — Man wird aber gut thun, diesen in Aussicht gestellten Kampf gegen die Spaltpilze mit mißtrauischen Blicken zu betrachten und keine überschwänglichen Hoff nungen daran zu knüpfen. Das Tuberkulin hat gründlich Fiasko gemacht, das Diphtheritis- Serum hat sich noch keineswegs bewährt; ge holfen hat letzteres freilich den Höchster Farben werken, deren Aktien es tüchtig auf die Beine geholfen hat; also Vorsicht! Degradiert «ach dem Tode hat die Stadtverordneten - Versammlung von Wittenberg den früheren Bürgermeister Dr. Schild. Bei der Entfestigung Wittenbergs und der damit verbundenen Anlage neuer Straßen wurde einer derselben der Name des Bürgermeisters Dr. Schild, der sich um die Entfestigung Wittenbergs hochverdient gemacht hat, beigelegt. Infolge der bekannten Vorgänge (Unterschlagungen), die Dr. Schild mit freiwiligem Tod gebüßt, hat die Stadtverordneten - Versammlung jetzt beschlossen, den Namen Schildstraße aufzuheben und der Straße den Namen „Wallstraße" beizulegen. Durstige Geschworene. Bei der jüngsten Verhandlung des Schwurgerichts in Düsseldorf über einen Raubmord in Anrath ist, wie man der ,Volksztg.' schreibt, ein Zwischenfall vorge kommen, der, so lange die Schwurgerichte in Preußen bestehen, wohl noch nicht dagewesen ist. Als nach Schluß der Beweisaufnahme die Ge schworenen ihren Spruch fällen sollten, zogen sie ! sich anstatt in ihr Beratungszimmer in eine dem! Gerichtsgebäude gegenüberliegende Wirtschaft > zurück, um sich zunächst für ihre schwere Arbeit j zu stärken, und mußten erst durch einen Gerichts-! zusammen, und geschah es einmal, daß Andy des Verlobten erwähnte, so that sie es in selt sam gleichgültiger Weise. Später bemerkte sie beiläufig, gegen Weihnacht werde sie voraus sichtlich Gräfin Prittwitz sein. Ein tiefer Schat ten hatte dabei ihr reizend sonniges Gesicht ge- trübt, die lachenden Lippen schloffen sich in stummer Pein. Inez sah erschrocken auf die junge Braut, die sie bisher Mr strahlend heiter gesehen. Und warum sprach Andy in dieser niüden, ober flächlichen Weise von ihrem Verlobten. Kannte oder würdigte sie ihn nicht? Inez konnte nicht anders, sie meinte still, es geschähe dem Grafen mit dieser Denkungsart ein Unrecht. Dann er faßte sie plötzlich Andys kleine Hand, an der fast versteckt unter juwelenblitzcndcn Ringen die schlichte Verlobungsfessel haftete. „Sind Sie glücklich, Andy?" wagte sie jäh. „Wie kommen Sie nur darauf, Inez? Das hat mich noch niemand gefragt, weil es ja selbstverständlich ist. Sehe ich etwa unglücklich Ms? Ich bitte Sie, unter meinen Freundinnen daheim ist nicht eine, die mich nicht glühend be neidete. Was nennen Sie Glück, Inez?" „Ich? Wie sollte ich es kennen? — Viel leicht wäre ich glücklich, wenn ich wieder arbeiten könnte." „So können nur Sie denken, mit Ihrer hohen, welffremden Seele," entgegnete Andy ernst bewegt. „Wir andern gewöhnlichen Sterb lichen sind aber für den irdischen Genuß ge schaffen. So wünschen wir uns gar Verschie denes, immer aber ein Stück Glück von dieser Welt, in der wir einmal leben müssen." Sie diener im Auftrage des Gerichtshofes zurückge holt werden. Die beiden Raubmörder, Ge brüder Wirtz, wurden dann für schuldig er klärt und zum Tode verurteilt, ihr Verteidiger aber gab sofort zu Protokoll, daß er die Revision einlegen würde, weil sich die Ge schworenen aus dem Gerichtshof entfernt hätten. Die ganze Verhandlung ist infolge dieses geradezu unbegreiflichen Verstoßes der Ge schworenen ungültig und wird vom Reichsgericht kassiert werden, der Staat aber hat das Ver gnügen, die durch den Gerichtsdiener noch dazu vereitelte Stärkung der Geschworenen mit der Wiederholung der Verhandlung, wozu sämtliche Zeugen wieder geladen werden müssen, und den sich daraus ergebenden bedeutenden Kosten be zahlen zu müssen. Der „grobe Wilhelm". In Jena ist dieser Tage der Wirt der Wilhelmshöhe, Wil helm Kramer, gestorben. Unter dem Namen „der grobe Wilhelin" war er bekannt als Original. Seine „altdeutsche Bierstube", wie er sie selbst genannt, glich eher einer Räucherkammer als einer Gaststube. Kreide zum Verewigen lag stets zu jedermanns Gebrauch bereit. Das Zimmer war tapeziert; doch hatte Wilhelm, damit die „Kerle das schöne Muster nicht immer so voll schmieren konnten", die Tapete verkehrt, mit der gemusterten Seite an die Wand kleben lasten. Das Anredewort „Sie" gab's in seinem Sprach schatz nicht. Der Großherzog von Sachsen- Weimar, der einmal dahin geführt wurde, um die schöne Aussicht über Jena und das Saal- thal zu genießen, beschwerte sich über den be schwerlichen Aufstieg bis zur „Wilhelmshöhc". Wilhelm entgegnete ihm mit der gleichgültigsten Miene von der Welt: „Da wärst du doch unten geblieben!" Während des Gottesdienstes feuerte in einer dichtbesetzten Kirche zu Köln Donnerstag vormittag ein arbeitsloser Mensch einen Schuß auf sich selbst ab, ohne sich zu treffen; der Mann wurde verhaftet. Seinen Schwiegersohn erstach in Köln ein bejahrter Mann, als letzterer die Waffe gegen ihn richtete. Der Mörder wurde verhaftet. Das Opfer war ein bisher unbescholtener 27jährigcr Mann. Um eines Hutes willen. Ein Insasse des Mittwoch abend in Köln eingelaufenen ober rheinischen Schnellzuges, angeblich ein Frank furter Reisender, stürzte sich, als ihm kurz vor Köln der Wind den Hut entführte, Ms dem in voller Fahrt befindlichen Zuge und wurde Mich verletzt dem Hospital übergeben. Erschossener Sträfling. Aus dem Zucht hause in Waldheim i. Sachs, versuchte ein mit 5'/r Jahr Zuchthaus bedachter Sträfling zu ent fliehen. Der Wachtposten machte hierbei von seiner Schußwaffe Gebrauch und verwundete den Entfliehenden so schwer, daß dieser nach kurzer Zeit seinen Wunden erlegen ist. Gefährliche Fresser. Wie man aus Thüringen berichtet, konnte bei einem kürzlich in Katzhütte ausgebrochcncn Brande die Ortsfener- wehr mit ihrer Feuerspritze nicht in Wirksamkeit treten, weil die neuen noch ungebrauchten Schläuche von — Ratten völlig zerfressen waren! Vom Ehepaar Gerlach. Zum Antrag auf Revision des Urteils des Erfurter Schwur gerichts haben sich die Gerlachschcn Eheleute bis jetzt noch nicht entschlossen. Ihre Verteidiger haben ihnen als aussichtslos davon abgeratcn. Das Vermögen, das einige Hunderttausend Mark betragen soll, ist vorläufig behördlich beschlag nahmt worden. Der ganze Prozeß hat an 20 000 Mk. gekostet, an 2000 Mk. erhielten allein die Verteidiger. Die Verpflegung während der Strafzeit der Verurteilten wird sich auf 5000 Mark belaufen. Dieser Tage wurden sie von ihrer Tochter im Gefängnis besucht; die erste Frage der Frau G. ging nach dem neuen Blatte an der Palme zu Hause. — Fran Ober förster Gerlach, so wird der ,Thür. Ztg.' aus Ilmenau geschrieben, steht bei den älteren Ein- wohnern des Ortes wegen ihrer Herrschsucht und Härte noch in gutem Andenken. Wie stark der ! Mann unter der Fuchtel der Frau stand, mögen (folgende Geschichtchen beweisen, deren Wahrheit verbürgt ist: Als einst das Forstpersonal von seufzte. Ich bin ein ganz materielles Geschöpf, Inez. Ein Dasein im Glanz und Schimmer einer bevorzugten Rangstellung, das ist's für mich — ein Ziel, aufs innigste zu wünschen." Inez erhob sich. Eine heiße Angst brannte ihr im Herzen. Ob um Andy, um Harald oder gar um ihr eigenes Heil, sie wußte es nicht zu sagen. Aber es trieb sie mächtig fort und Andys süßestes Schmeicheln hielt sic nicht. „Sie sind ein sonderbares Menschenkind, Inez, lange halten Sie es nie unter uns andern aus. Aber meine Brautjungfer müssen Sie werden, Ihr Vater hat es mir schon halb und halb zugesagt. Machen Sie sich nur mit dem Gedanken an ein hochzeitlich Gewand vertraut." „Es hat ja noch Zeit," murmelte Inez. Dann eilte sie heim in den stillen Frieden ihres Hauses. An der Pforte ihres väterlichen Gattens traf sie auf Graf Harald. Er kam aus der Villa. Ich habe Ihrem Vater eine Stunde seiner kostbaren Zeit geraubt, Fräulein Inez. Es geschah mit Absicht. Er arbeitet zu viel, er sollte sich schonen." „Sie haben recht, nnd ich danke Ihnen, Gras Prittwitz. Ich selbst vermag leider nicht viel über ihn; seine zunehmende Schwäche be ängstigt mich, und doch kann ich ihn nicht von der Arbeit zurückhalten." „Vielleicht sollten die Sitzungen der Kom tesse aufhören einstweilen," meinte Harald zögernd. Inez' bekümmertes Gesicht erhellte sich. „Bitte, stellen Sie selber ihm das vor," sagte sie hastig. „Wie leicht es ihr wird, uns zu meidens