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Allgemeiner Anzeiger : 31.10.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-10-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189410311
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18941031
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-10
- Tag 1894-10-31
-
Monat
1894-10
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 31.10.1894
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Politische Rundschau. Deutschland. * Das offiziöse Telegraphen - Bureau bringt die überraschende Meldung, daß am Freitag nachmittag der Reichskanzler Gras von Caprivi sein Entlassungsgesuch ein gereicht und der Kaiser dasselbe ange nommen habe. *Bei den Vorschlägen des Reichs kanzlers, die den Konferenzen mit den Ministern der Bundesstaaten unterbreitet werden sollen, handelt es sich nach der,Franks. Zig.' um die Abänderung einzelner Paragraphen des Strafgesetzbuchs. Rian sinnt auf Vor schläge, die im gegenwärtigen Reichstage nicht ganz aussichtslos erscheinen und über die ohne die Gefahr eines Konfliktes beraten und ent schieden werden kann. Ob diese Absicht bei der Formulierung der Entwürfe erreicht werden wird, leibt abzuwarten — man muß bis dahin immer mit der Möglichkeit rechnen, daß diejenigen, die ehr weitgehende Pläne verhindert haben, über die Annehmbarkeit ihrer eigenen Vorschläge viel- 'eicht zu günstig denken. * Der R ei ch s h a u s h alt s e t a t für 1895/96 wird insofern gegen den Etat von 1894/95 eine erhebliche Besserung aufweisen, als eine Einnahmeposition mit wesentlicher Erhöhung in denselben eingestellt werden dürfte. Während im laufenden Etat in der Position der Ueber- schüssc aus früheren Jahren nur 1,3 Mill, ange setzt werden konnten und damit ein Weniger gegen das Jahr 1893/94 von 2,7 Mill, verzeichnet werden mußte, wird in der gleichen Position des nächsten Etats eine ungleich höhere Summe er scheinen. Infolge der Ueberschüsse, welche die Einnahmen namentlich aus den der Reichskasse verbleibenden Verbrauchssteuern, sowie aus den Erträgen der Post- und Eisenbahnverwaltungen und der Reichsbank über die entsprechenden Etats- Ansätze ergeben hatten, schloß das Etatsjahr 1893/94 mit einem Gesamtüberschuß von rund 14,2 Millionen ab. * Hinsichtlich der Pläne für die Organi sation des Handwerks erklärt es der ,Hamb. Corresp/ für zweifelhaft, ob diese Orga nisation bereits in der nächsten Session den Reichstag beschäftigen werde. Es fragt sich, ob es rechtzeitig gelingen werde, den richtigen Weg zu finden, um ohne weiteres die Frage gesetz geberisch in Angriff zu nehmen. *Jn der bevorstehenden preußischen Landtagssession wird der Staatshaus haltsetat pro 1895/96 den Hauptgegenstand der Verhandlungen bilden, lieber die weiteren Vor lagen, die dem Landtage vorzulegen sind, ist zwar eine entgültige Entscheidung noch nicht ge troffen, doch soll derselbe so wenig wie möglich in Anspruch genommen werden, da wegen der bedeutenden Arbeiten des Reichstags ohnehin schon für die Verhandlungen des Land tags wenig Zeit übrig bleibt. Oesterreich-Ungarn. * In Wien geht das wenig glaubwürdige Gerücht nm, Kaiser Franz Joseph selbst habe dem Ministerium eine Frist gestellt, bis zu welcher das neue Wahlgesetz cingeführt und die Arbeiter am Stimmrecht beteiligt sein müssen, andernfalls werde er den Reichsrat auflösen und ein Kabinett bilden, das die Wahlresorm auszu arbeiten habe; die Neuwahlen würden dann bereits nach dem neuen Wahlgesetz vor sich gehen und der so gewählten Kammer die nachträg liche Zustimmung abverlangt werden. Frankreich. *Wie aus Rive de Gier (im französischen Departement Loire) gemeldet wird, sind von dort aus drei deutsche Arbeiter, die teils im September, teils in diesem Monat verhaftet worden waren, weil sie von der Firma Richarme angeworbene ausländische Glasarbeiter mit dem Tode bedrohten, aujsgewiesen und an die Grenze gebracht worden. England. * Endlich sind die Iren, Parnelliten und Anti-Parnelliten sich über den so genannten Pariser Fonds, dessen Ver waltung zu Parteizwecken seiner Zeit der ver storbene Parnell hatte, einig geworden. Es ist viel Tinte deswegen geflossen und langwierige Verhandlungen haben vor den französischen Ge richtshöfen stattgefunden. Jetzt hat das Bank haus Munroe in Paris, wo das Geld hinter legt war, einer gerichtlichen Entscheidung Folge gebend, den 40 000 Pfund betragenden Fonds an den Führer der Anti-Parnelliten, Justin McCarthy, ausgezahlt. Abzüglich 14 000 Pfund, die zur Zahlung von Schulden verwendet werden sollen, die von der allen parnellitischen Partei gemacht worden sind, soll der Fonds den ver triebenen Pächtern zur Hilfe dienen. Das Komitee, das die Verteilung leiten soll, besteht aus den Anti-Parnelliten Dillon und Davitt und dem Parnelliten Harrington. Italien. * Uebcr die A u f l ö s u n g der s o z i a l i sti- schen Vereine wird offiziös noch folgendes mitgeteilt: Im ganzen wurden in 35 Provinzen 271 Vereine aufgelöst, die entsprechend dem in Reggio d'Emilio beschlossenen Parteiprogramm auf dem Boden des internationalen Klassen kampfes stehen, auf der Notwendigkeit einer un gesetzlichen Aktion beharren und als Grundsatz aufstellen, daß die Haltung der Partei nach Wesen und That eine revolutionäre sein muß. Andere Gesellschaften wurden nur verwarnt. Unter den beschlagnahmten Dokumenten wurde auch das jüngste Zirkular gefunden, das die Arbeiterpartei an die Chefs der Sektionen ge richtet hatte und in dem dieselben aufgefordert wurden, dies Zirkular den Mitgliedern der Gesell schaft nicht mitzuteilen; weiter wurde ihnen darin geraten, den Konsequenzen der letzten Gesetze über die öffentliche Sicherheit aus dem Wege zu gehen; auch werden sie zum Widerstand gegen die bestehenden Gewalten aufgereizt. * Infolge der Auflösung dersozia - listischcn Gesellschaften ist in Mai land ein mit 84 Unterschriften versehenes Manifest veröffentlicht worden, in dem gegen die Auflösung protestiert und die Gründung einer „italienischen Liga zur Verteidigung der Freiheit" angekündigt wird. Unter den Unter zeichnern des Manifestes befinden sich 8 Deputierte der äußersten Linken. * Der Oberbefehlshaber in der italienischen Kolonie Massauah, General Baratieri, be richtet, daß sich die Derwische in der Stärke von nahezu 30 000 Mann, allerdings schlecht bewaffnet, zu einem möglicherweise Mitte künf tigen Monats zu erwartenden Angriffe auf Kassala sammeln. Angesichts des Umstandes, daß dieser Ort von einem verschanzten Lager umgeben und zu seiner Verteidigung disziplinierte Truppen in der Stärke von 5000 Mann vor handen seien, erscheine Kassala gegen einen Ueberfall der Derwische vollständig gesichert. NnstlanÄ. * Nach den ärztlichen Berichten vom Donners tag hat der Kais er von Rußland einige Erleichterung, indem die Aerzte ihm wiederholt Wasser abgclassen haben. Nun soll ihm zu gleichem Zwecke auch die Brusthöhle geöffnet werden; es geht also offenbar schnell zu Ende. Am Mittwoch erfreute sich der Patient, wie die Berichte ausdrücklich hervorheben, mehrere Stun den vollen Bewußtseins. *Die für Mittwoch anberaumt gewesene Trauung des Thronfolgers und der Prin zessin Alix scheint nicht stattgefunden zu haben, denn wie aus Livadia gemeldet wird, wohnten der Großfürst-Thronfolger und Prinzessin Mix von Hessen am Mittwoch im Schlosse Orianda der Seelenmesse für den verstorbenen Groß- sürsten Konstantin Nikolajewitsch bei. Das Brautpaar besuchte darauf den Wasserfall von Uschunssu. *Die Unkenntnis bezüglich der politi schen Gesinnung des künftigen Zaren Nikolaus lastet schwer auf den Gemütern; er begegnet vielfach Antipathien, weil er namentlich militärischen Dingen kein sonderliches Interesse entgegenbringt. In unter richteten Kreisen hegt man dagegen die Ueber- zeugung, daß Großfürst Nikolaus als Zar die Politik seines Vaters befolgen und sich politischer Experimente enthalten werde, wenigstens so lange, als ihm noch politische Selbständigkeit und eigenes erfahrenes Urteil fehlt. Balkanstaaten. * Vor einigen- Tagen hielten sämtliche O st - rumclien angehörenden Mitglieder der bul garischen Sobranje in Philippopel eine Ver sammlung ab, in der beschlossen wurde, sich zu einer k o n s e rv a t i v e n P a r t ei mit Stoilow als Führer zu vereinigen. Diese Entscheidung wurde dem Prinzen Ferdinand durch ein Tele gramm mitgetcilt, das die Unterschriften sämt licher bei dem Parteitag anwesenden Abgeordneten trug. Die konservative Partei wird als Präsi denten der Sobranje den Advokaten Theodorow aus Rnstschuk Vorschlägen. Zankow empfahl für diesen Posten Balabanow, der im Jahre 1883 im Kabinett Zankow ein Portefeuille innehatte. Amerika. *Daß die Demokraten in den Ver. Staaten von Nordamerika sich die hochgefährdete Lage ihrer Partei nicht verhehlen, erhellt aus dem Entschlusse der Regierung zn Washington, die Verordnung aufzu heben, die Bundes beamten verbietet, politische Reden zu halten. In den gefährdeten Staaten fehlt es zum Teil an guten Volksredncrn; in diese Lücke sollen nun die Beamten treten, denen bis her Schweigen auferlegt war. * General Schofield, der Oberkommandant der Unions-Armee, gedenkt, da er das gesetzliche Dienstalter erreicht hat, sich demnächst in den Ruhestand zu begeben. Vorher aber hat er noch seine Ansicht über die Armee und deren notwendige Umgestaltung veröffent licht. Eine Verstärkung des stehenden Heeres scheint ihm im Hinblick auf mögliche aus wärtige Verwickelungen ebenso, wie auf die zu Aufständen anschwellenden Streiks der letzten Jahre geboten. Asien. *Eine offizielle Bestätigung der Nachricht, wonach ein japanisches Armeekorps auf chinesischem Gebiete gelandet sein soll, liegt noch nicht vor. Die Meldung findet aber in Japan allgemein Glauben, da es fest steht, daß die Expedition des Marschall Oyama die Landung in Port Arthur oder Wei-hai-wei oder vielleicht an diesen beiden Punkten bewerk stelligen sollte. Ein Gerücht besagt, die Japaner seien bei Seikiosso, ein anderes, sie seien auf Ta lien Hoan im Osten von Port Arthur ge landet. Ueber den angeblichen Zusammenstoß der angeblich gelandeten Japaner ist auch noch weiter nichts bekannt, jedoch verlautet in Schanghai, also in China, gerüchtweise, die Chinesen hätten Port Arthur geräumt. Port Athur ist ein stark befestigter Kriegshafen, nicht weit Tschifu und Tientsin. Wenn in der That die Japaner diese wichtige chinesische Position gleich beim ersten Versuch erobert haben sollten, so würde das zeigen, daß die Widerstandskraft der Chinesen schon fast gebrochen ist. Non Uah und Fern. Die diesjährige Weinlese in Grünberg hat im Durchschnitt einen so geringen Wein ge liefert, daß für das Viertel (500 Pfd.) höchstens 37 Mk. gezahlt werden. Ausgenommen sind Champagnertrauben, die 10 Mk. höheren Preis erzielen. Da auf den Morgen Weingarten kaum zwei Viertel Trauben gewonnen werden, deckt der Erlös nicht einmal die Kosten der Bear beitung. Der ostdeutsche Weinbauverein und die Weinbauschule in Krossen empfehlen die Gallisie- rung des diesjährigen Mostes, der nur nach Zusatz von Wasser und Zucker einen einigermaßen trinkbaren Wein liefern würde, da er nur neun Prozent Zucker und 10 Prozent Sänre enthält. Ein Zusatz von 31 Liter Wasser und 14 Kilo gramm Zucker auf 100 Liter Most würde nötig sein. Gegen den unlauteren Wettbewerb. Die Handelskammer in Braunschweig, die ge meinsam mit einer Anzahl mitteldeutscher Handels kammern in der Frage der Bekämpfung des un lauteren Wettbewerbes Stellung genommen hat, beabsichtigt, nächstens auch auf dem Wege der Selbsthilfe gegen den unredlichen Geschäftsbetrieb vorzugehen. Sie hat einen ständigen Ausschuß zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes im Herzogtum Braunschweig eingesetzt. Der Aus schuß ist verpflichtet, jede ihm von einem Mit glied (Jahresbeitrag etwa 1 Mk.) übermittelte Beschwerde zu prüfen, darüber zu beschließen und den Beschluß dem Antragsteller mitzuteilen. Alle notwendig werdenden Informationen, Kund machungen, prozessnellen und sonstigen Maß nahmen werden aus den verfügbaren Mitteln des Ausschusses gedeckt. — Dieses Vorgehen der Kammer wird überall gebilligt werden. Es wäre zu wünschen, daß es auch Nachahmung fände. Hochwasser wird gemeldet vom Oberlauf der Fulda, von der Obcrweser, der Werra, Eider, Lahn. Auch die Maas und ihre Zuflüsse sind infolge der anhaltenden Regengüsse aus ihren Ufern getreten, haben weite Flächen über schwemmt und großes Unheil angerichtet. Alle Häfen Lüttichs stehen unter Wasser, Schiffe, Waren, Boote und Luftfahrzeuge sind von dem reißenden Strom ergriffen und fortgerissen wor den. Die Ourthe und Vesdres haben die Ebenen bei Anglcur und Chenee in einen See verwandelt. Am schlimmsten hat die Sambre, deren Wasser eine seit 1890 nicht mehr gekannte Höhe erreicht haben, gewütet. In Charleroi liegen am Quai de la Prison zahlreiche der Be ladung harrende Schiffe auf der Sambre vor Anker. Infolge der steigenden Wassermassen rissen sich die Ankertaue los; die reißende Strömung trieb die Schiffe gegeneinander; noch bevor eine geordnete Hilfe veranstaltet werden konnte, sanken acht zertrümmerte Schiffe unter. Mit Lebensgefahr und unter großen Mühen wurden die Insassen gerettet; auch gelang es, die Habe einzelner Schiffer aufzufischen. Der angerichtete Schaden wird auf 200 000 Frank geschätzt. Auf dem Platze der alten Johanniskirche in Leipzig hat man in den letzten Tagen Nach grabungen veranstaltet, um das bereits feit langer Zeit gesuchte Grab von Johann Sebastian Bach, der auf dem alten Friedhöfe bei der ge nannten Kirche beerdigt worden ist, aufzufinden. Leider sind die Nachforschungen von Erfolg nicht gekrönt gewesen. Uebcrhanpt gibt man jetzt, wie bestimmt verlautet, in Sachverständigen kreisen die Hoffnung auf, jemals das Grab des berühmten alten Kantors des Thomanerchors zu finden. Europamüde. Vierzig Familien in Aschers leben sind durch Agenten zur Auswanderung nach Brasilien veranlaßt worden. Die Seereise geht am 31. d. von Hamburg ms vor sich. Das Ziel ist die Kolonie Blunienau in Süd brasilien. Mittels Dynamit wurde in Iserlohn der alte katholische Kirchturm in die Luft gesprengt, um die Abbruchsarbeiten zu erleichtern. Zwei Minen hoben den Koloß in die Luft und daitn stürzte er in sich zusammen. Abgesehen von einigen kleinen Unfällen verlief alles gut. Eine hochinteressante Szene spielte sich kürzlich, wie die,Breslauer Morgen-Ztg.' schreibt, in einer mittleren Provinzstadt Schlesiens ab. Engerer Schauplatz: Ring; Zeit: Mittags zwischen elf und zwölf Uhr. Aber geben Wir dem dortigen Lokalblatte das Wort, das also berichtet: „Heute fand große Defilierkour der hiesigen Trunkenbolde vor den Restaurateuren und Destillateuren statt. Die „Vorstellung" er folgte durch den Polizei-Inspektor. Teils mit finsterem, teils mit lächelndem Gesicht präsen tierten sich die Anhänger des Spirit—us den Gastwirten, die sich zum Teil vergeblich be mühten, die „durchgeistigten" Gesichtszügc der „Alkoholisten" ihrem Gedächtnis einzuprägen. Auch wir konnten den Gastwirten unser Mitleid nicht versagen — ist es doch schon schwer, sich zwei bis drei Gesichter in den wenigen Augen blicken der Vorstellung zu merken, wie viel schwerer, wenn dies ungefähr 15 sind. Die Trunkenbolde schienen von der „Kour" so er griffen zu sein, daß sie jedenfalls ihren Aerger sofort mit Wasser (wir vermuten mit gebranntem) hinter gespült haben werden." Uns ward ganz mittelalterlich zu Mute, da wir Vorstehendes lasen. Also wir haben noch einen Pranger; wir glaubten, der wäre längst abgeschafft. Und diese Defilierkonren sollen sich in bestimmten Zeit räumen wiederholen. Es ist doch verwunder lich, welche Kapriolen das scheidende Jahrhundert macht! Freche Strahenräuber. Eine Arbeiterin Are rechte Kerbe. 8 iFerriepmig.! Eben jetzt sagte er: „Wie viele Naturen be sitzen Sie im Grunde, Komtesse? Vor einigen Stunden wurde mir das Glück, Sie als Ama zone bewundern zu dürfen, und jetzt erscheinen Sie mir als Elfe des Lichts." „Zahllose," lachte sie. „Ich bin niemals dieselbe, veränderlich wie — nichts in der Welt. Das sagt schon mein Name — jede Stunde eine andere." . „Ich dachte es wohl," erwiderte er mit einem Anfluge von trübem Ernst. „Und wer hat die originelle Abkürzung Ihres stolzen Namens er sonnen ?" „Nun, ich selbst natürlich. Als kleines Kind nannte ich mich Andy, weil ich meinen groß artig ernsten Namen nicht aussprechen konnte. Papa meinte später, dieser geniale Einfall dürfe nicht wieder verloren gehen, und so blieb ich zur Entrüstung unserer Erbtante Antigone, nach der mich nämlich meine gute, vorsichtige Mama ge nannt, immerdar Komtesse Andy. Ich will es keinem raten, mich bei dem unverkürzten Tauf namen zu rufen. Seitdem die Erbtante aus purer Malice ihr von Rechtswegen mir zukom- mcndes großes Vermögen einem Stift vermacht hat, hasse ich ihn geradezu," schloß sie lachend. „Ah," rief Felix betroffen, „bekümmert sich wirklich ein Feenkind wie Sie um schnödes Trug gold ?" „Wer, der da lebt, leben muß, kennt denn heutigentags nicht die allbewegende Macht?" ver setzte sie, mit ernstem Aufblick in seine fragenden Augen schauend. Dann plötzlich flohen die dunkelnden Trauer schatten aus ihren wieder aufstrahlenden Blicken, und sie scherzte neckend: „Ich bin ein ganz modemes Weltkind, das weder mit Ihren Feen märchen, noch Ihren klassischen Heldinnen etwas gemein hat — nur Komtesse Andy!" Damit erhob sie sich schnell auf ein Zeichen Ihres Vaters, der sich soeben auf das freund lichste von der Gräfin und Harald verabschiedete. Auch sie reichte letzterem nach englischer Sitte, die auch in Schweden Mich ist, zwanglos die Hand zum einstweiligen Lebewohl, ihn mit einem so lieblichen Lächeln grüßend, als wolle sie da mit die vorherige kleine Vernachlässigung gut machen. „Welch' liebe Menschen!" äußerte die Gräfin freudig. „Der Graf ist noch ein Edelmann aus dem aueisn räxime, die leider immer seltener werden. Es ist überaus wohlthuend, einer so echten Ritterlichkeit, die mit Geist und Frohsinn gepaart ist, zu begegnen. Du wirst finden, Harald, daß es sich mit dem alten Herrn gnt auskommen läßt. Der Sohn, nun, der scheint freilich unbedeutend. Aber er ist noch recht jung und " „Ein Einfaltspinsel," ergänzte Harald trocken. „Das ist ja auch schließlich gleichgültig. Desto begabter und anziehender ist die Schwester, ich finde sie geradezu bezaubernd." Die Gräfin schien zu erwarten, daß Harald ihrem Entzücken lebhaft zustimmen werde. Indes erwiderte er ziemlich phlegmatisch: „Ungleichere Geschwister sind allerdings kaum zu denken. Die kleine Komtesse ist die reine Rakete. Das sprüht und flimmerst daß man sich wundert, wie die zarte Elfcngestalt so viel Leben bergen kann. Selbst das Haar streut Funken, was mir nun weniger ge fällt. Schade, daß es rot ist," schloß er mit einem neckenden Blick zu Felix hinüber, der finster vor sich hinstarrte. „Du bist nicht gescheidt, Harald, die Komtesse hat ein köstliches Haar," ereiferte sich die Gräfin. „Eine überaus seltene Farbe, dies warme Gold blond, und dazu der matte, perlmutterweiße Teint. Du weißt nicht, was wirklich schön ist." „Vielleicht lernt sich das," lachte er. „Wir werden ja eine längere Bekanntschaft der schwedi schen Familie unschwer machen, und so möchte ich vielleicht schließlich zugebcn, daß deine be zaubernde Komtesse Andy wirklich nur blond ist." Der Gräfin Gesicht erhellte sich. Sie sah in Haralds Worten eine verblümte Zusage ihres Planes, und so entließ sie den Stiefsohn und seinen Freund um vieles freundlicher, als sie beide vor einer Stunde begrüßt hatte. Sobald die Freunde sich allein sahen, sagte Felix erregt: „So wäre also jene zauberschöne Walderscheinung die dir bestimmte Braut. Welch ein beneidenswerter Mensch du bist, Harald! Wärest du nicht mein Freund, wahrlich, ich hätte den verwegenen Mut, mit dir um dieses Mäd chen zu kämpfen bis zum äußersten, denn ich weiß leider nach diesem zweiten, ungewollten Begegnen, daß meine so betonten Vernunft gründe wie Schnee vor der Sonne geschmolzen sind. So will ich dir Glück wünschen und zu gleich Lebewohl sagen. Ich reise nun mit dem nächsten Zuge nach Berlin zurück." „Gemach, Bester," versetzte Harald dagegen in seiner ruhigen Weise. „Noch steht Andy nur ebenso fern wie dir. Ich gebe deiner Freund schaft nichts nach und bitte dich offen, bewirb dich ebenfalls uni die Komtesse. Mein Wort, ich trete zurück, sobald ich sehe, daß du der Be vorzugte bist. Ich lasse dir selbst den Vorrang zur Erklärung." „O Harald, welch ein Freund du bist!" sagte Felix in dankbarer Rührung. „Und doch wird dir diese seltene Großmut kaum teuer zu stehen kommen, ich — ich fürchte, Rang und Reichtum werden den Ausschlag geben," fügte er kleinlaut hinzu. „Dann hättest du nichts an dem Mädchen verloren," meinte Harald ernst. „Doch nein, ich halte Andy keiner häßlichen Berechnung fähig. Sie ist ja ein völliges Kind, das wie ein schöner, farbcnstrahlender Schmetterling sorglos der Sonne gaukelt. Fange dir den reizenden Haller ein, Felix — du siehst ja, ich lasse dir freies Feld." Felix seufzte. „Und wenn er nur im gleißen den Sonnengold zu leben vermöchte?" dachte er und mußte sich unwillkürlich erinnern, wie Andy vorhin geäußert, daß wohl ein jeglicher die allbewegcndc Macht des Goldes kenne. So aber sprach kein argloses Kind. „Nun, Felix," weckte ihn da Haralds freund licher Ruf aus dem finsteren Nachdenken, „willst du noch immer reisen?" „Ich bleibe." Seine mächtigen Künstleraugen flammten auf zu einem Blick feuriger Energie. „Ich danke dir, Harald. Ich will den fast un möglichen Versuch wagen. In meinem Leber
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