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Allgemeiner Anzeiger : 13.10.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-10-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189410136
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18941013
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18941013
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-10
- Tag 1894-10-13
-
Monat
1894-10
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 13.10.1894
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Politische Mndscha«. Deutschland. *Eine Meldung des,Gaulois', Kaiser Wil- helm habe ein Gespräch mit einem Franzosen gehabt, der in Berlin die Frage der Metall syndikate studierte, und habe die Absicht ge äußert, zur Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 zu gehen, wird offiziös als von Anfang bis zu Ende erfunden erklärt. * Die Kommission für das bürgerli ch e Gesetzbuch trat am Montag wieder zu ihrer ersten Sitzung nach der Sommerpause zusammen. * Die neue Berufs- und Gewerbe zählung, deren Vornahme im Jahre 1895 der Bundesrat zugestimmt hat, soll am 14. Juni n. I. erfolgen. Eine Vereinigung der Volkszählung mit der Gewerbczählung scheine nicht beabsichtigt, da für erstere sich der Sommer mit seiner größeren örtlichen Bewegung nicht eigne; dagegen frage sich, ob nicht die Volks zählung, die sonst im Dezember nächsten Jahres erfolgen müßte, um ein Jahr verschoben werden könnte. * Der Kolonialrat wird, wie die Most' von gut unterrichteter Seite erfährt, am 18. d. zusammentreten. Es werden ihm die Etats für die Schutzgebiete vorgelcgt werden. Auch die Frage bezüglich Erschließung Deutsch-Ost afrikas durch Herstellung einer großen Eisen bahnlinie wird in den diesmaligen Beratungen eine Hauptrolle spielen. *Ueber die Ergebnisse der Voruntersuchung gegen die verhafteten Unteroffiziere von der Oberfeuerwerker sch ule verlautet nichts. Alle Gerüchte darüber sind mit voller Vorsicht aufzunehmen, da die Untersuchung geheim ge führt wird. * Die verschiedenen antisemitischen Fraktionen haben sich in einer am Sonn tag abgehaltenen Vertrauensmännerversammlung in Eisenach zu einer „deutsch-sozialen Reformpartei" zusammengcthan. Ahlwardt wird als Hospitant zugelassen. Ob durch diesen Ausweg der Groll der ,Kreuz-Ztg/ beschwichtigt werden wird, dürfte sich alsbald zeigen; sie hatte den Antisemiten mit der Kündigung der Freund schaft gedroht, falls Ahlwardt als Mit glied der neu zu bildenden Partei ausgenommen werden sollte. Oesterreich-Ungarn. * Nachdem das ungarische Magnatenhaus den Gesetzentwurf über freie Religions übung in der Einzelberatung abgelehnt hatte, verfiel auch ein anderer Entwurf, der u. a. den freien Uebertritt zum Judentum ge statten wollte, demselben Schicksal. Frankreich. * Die Mitteilung, daß zwischen England, Frankreich und den übrigen Mächten zur Zeit Unterhandlungen über gemeinsame Aiaßregeln zum Schutze ihrer Unterthanen in China schweben und ein baldiges Einver ständnis erwarten lassen, wird jetzt bestätigt.. In Paris wird versichert, die Entsendung von vier französischen Kriegsschiffen nach China sei bereits infolge des Einvernehmens zwischen den beteilig ten europäischen Mächten erfolgt. * Zwischen französischen und italie nischen Arbeitern ist es wieder einmal zu einem blutigen Krawall gekommen. In Rive de Gier wurden bei einem am Sonntag abend in einem Cafshaus aus unerheblicher Ursache entstandenen Streite zwischen französi schen und italienischen Arbeitern 5 Personen ver wundet, darunter drei schwer. Fünf Verhaftun gen wurden vorgenommen. Die Staatsanwalt schaft wurde von dem Vorgänge unterrichtet. Belgien. *Eine mysteriöse Verhaftungs geschichte wird aus Brüssel gemeldet. Der .Jndspendance' zufolge wurden in der Freitag- Nacht zwei Italiener in einem Seitengaug deS Königspalastes versteckt gefunden. Die Polizei glaubt, daß esAnarchisten find, die sich in den Palast schleichen wollten. Die Untersuchung des geheimnisvollen Vorganges ist eingeleitet. Italien. * Die von der Regierung eingesetzte Kom- ! Mission von Generälen, die mit der Prüfung der Vorschläge von etwaigen Ersparnissen in der Heeresverwaltung beauftragt war, verneint in ihrem Bericht an den .Kriegs minister die Möglichkeit, an dem Hccresetat er hebliche Ersparnisse zu machen, und beschränkt sich auf Vorschläge zur Vereinfachung der Verwaltung. Der Bericht der Kom mission, die 32 Sitzungen abgehalten hat, wird demnächst im Druck erscheinen. * Die radikalen Abgeordneten der italienischen Kammer werden sich im Laufe der Woche ver sammeln, um zu den von der Regierung ge planten Verwaltungsre formen Stellung zu nehmen. Die verschiedensten Elemente der Opposition wollen sich verbinden, uni die Ab lehnung dieser Reformen herbeizuführcn. Die Minister werden in diesem Falle die Auflösung der Kammer verlangen. Die Verwaltungsreform, — das ist der ewige Stein des Anstoßes für alle Ministerien, die eine gründliche Besserung auch der finanziellen Lage herbeiführen wollen. Sobald die überflüssigen Präfekturen, Universi täten rc. aufgehoben werden sollen, verbünden sich die Kirchturmsinteressen mit den jeweilig in der Opposition befindlichen Fraktionen, und sie haben bisher vermocht, jeden ernsten Reformplan zu vereiteln. Portugal. *Der spanische Parteiführer Salmeron ist in Lissabon von der Polizei festgenommen und nach zweistündiger Haft aus Portugal ausgewiesen wegen eines Banketts, welches daselbst lebende Republikaner ihm zu Ehren an Bord eines auf der Reede liegenden Schiffes veranstaltet hatten. Ruhland. *Dem Regenten von Rußland, dem Großfürsten-Thronfolger, wird gleich nach Erlaß des Ukases, der ihn dazu ernennt, ein Regentschaftsrat zur Seite gestellt werden, der aus Mitgliedern der Kaiserfamilie und dem Ministerium besteht. — Im Zustande des Zaren sind keine Aenderungen eingetreten, weder nach der günstigen noch nach der bedenklichen Seite hin. * In Rußland hält man den Zeitpunkt bereits für gekommen, das Fell des Bären zu verteilen. Man verlangt ein namhaftes Stück von China unter dem bescheidenen Titel einer Grenzverlegung. Die,Rußkaja Schisn' erinnert daran, daß Admiral Kryptow, der lange im Stillen Ozean kommandierte, stets der Ansicht gewesen sei, die sibirische Eisenbahn müsse auf eine erhebliche Strecke durch jetzt chinesisches Gebiet geführt werden, etwa 500 Werst weiter südlich, als die nunmehr projektierte Linie über Ssretensk - Csabarowka nach Wladiwostok, nämlich über Kjachta und von da an durch chinesisches Gebiet. Diese Strecke sei kürzer, ebener, und der Boden sei dort im Winter nicht so tief gefroren. Ueberhaupt liege die jetzige chinesische Grenze auf etwa 1000 Werst der sibirischen Bahn viel zu nahe. Ein allerdings durchschlagender und auch überaus beweiskräftiger Grund! Balkanstaaten. *Wie in Athen verlautet, werden der Kaiser von Rußland, die kaiserliche Familie und die Königin von Griechenland dem nächst in Korfu eintreffen. Der König von Griechenland wird sich schon vorher nach Korfu begeben, um den Kaiser daselbst zu empfangen, der in der königlichen Villa wohnen wird. * Die unruhigen Albanesen machen der Türkei immer wieder und wieder zu schaffen. Neuerdings wird aus Alt-Serbien gemeldet, daß der Mbanesenstamm der Curovice die Stadt Dijakovica angriff, jedoch von den Bewohnern nach einem Gefecht in die Gebirge zurückgetrieben wurde. Um in Ipek die Ruhe unter den streiten den Albanesenstämmen aufrecht zu erhalten, hat die türkische Regierung außer dem bereits fest gesetzten Häuptling Mula Zeka auch dessen Gegner, Mahmud Begovitsch, als Geisel in Kon stantinopel festgesetzt. Amerika. * Eine Junggesellen st euer wurde in Ottawa eingeführt; 480000 Junggesellen wurden von der Steuer betroffen. Ob's was helfen wird?! Asien. * Der König von Siam soll sich im letzten Stadium der Lungenschwindsucht befinden; gleich zeitig berichtet man aus Tongking offiziös über einige Fälle von Seeräuberei. Die Fran zosen werden sich die Gelegenheit wohl nicht entgehen lassen, um hier wie dort einzugreifen und so ihre Machtstellung in Hinterasien zu be festigen. * Der Kapitän des in Tientsin angekommenen Dampfers „Wenchow" berichtet, er Habe am Sonntag 10 Meilen südlich von dem Nordost- Vorgebirge bei Tschifu sieben große japa nische Kriegsschiffe angesprochen, die sich nach den Bewegungen des chinesischen Süd geschwaders erkundigt hätten. Einer anderen Meldung zufolge setzen die Japaner den Marsch auf Mukden (alte Stadt, aus der die jetzige chinesische Dynastie stammt) fort, ohne sich in gewagte Unternehmungen einzulassen. Japanische Kreuzer sollen die chinesische Flotte im Golf von Petschili überwachen. * Die Deutschen Jokohamas haben beschlossen, ein Gesuch an die Reichsregierung zu senden, in dem sic sich dagegen verwahren, daßDeuts ch- land einen Vertrag mit Japan abschließt, wie England, und die Konsulargerichtsbarkeit auch für die Deutschen aufhört. Uo« Uah «ad Fer«. Ein schwarzer Einjährig - Freiwilliger dürste wohl das neueste Einfuhr-Produkt aus i unseren Kolonien sein. Beim 4. Feldartillcrie- Regiment in Friedrichstadt-Magdeburg ist dieser Tage ein sehr intelligenter und hübscher Neger jüngling, bei der Untersuchung einzustellender Einjährig-Freiwilliger als diensttauglich befunden, und auch schon als Einjähriger eingekleidet worden. Er spricht sehr gut deutsch und brachte einen eigenen Burschen mit. Wiederhergestellte Ehre. Im vorigen Sommer war ein Zahlmeister-Aspirant deS in Liegnitz garnisonierenden Grenadier-Regiments von einem Kriegsgericht wegen Betruges zur Degradation zum Gemeinen und zu einer längeren Gefängnisstrafe verurteilt worden. Wie jetzt von der ,Schles. Ztg/ mitgeteilt wird, ist durch kaiserliche Ordre das kriegsgerichtliche Urteil auf gehoben worden, da sich die Unschuld des Ver urteilten herausgestellt hat. Derselbe ist wieder als Feldwebel bei seinem Regiment eingestellt worden. Ein langes Leiden. Am Sonntag nach mittag ist in Gotha ein Verwundeter aus der Schlacht bei Langenfalza nach 28jährigem schweren Leiden begraben worden. Dem Verstorbenen war durch eine hannoversche Kugel ein Knopf seines Waffcnrocks mit in den Körper geschlagen wor den und im Körper stecken geblieben, während die Kugel am Rücken einen Ausweg gefunden hatte. Die Eiterungen, die infolgedessen einge treten waren, haben schließlich nach verschiedenen Operationen den Tod des Mannes zur Folge gehabt. In der Familie eines Schneiders zu Liegnitz befindet sich ein fünf Jahre alter Knabe, der in für sein Alter auffallender Weise ent wickelt ist. Der Knabe, der äußerlich keinen un gewöhnlichen Eindruck macht, zeigt eine förmlich krankhafte Sucht, Zahlen zu lesen und zu schreiben. Auch bei ihm tritt, wie bei dem Braunschweiger Wunderknaben Otto Pöhler, die Erscheinung auf, daß er keinen geregelten Unterricht erhielt, son dern sich auf den Straßen, in den Kirchen und an anderen Orten Zahlenbilder merkte und sie bei seiner Rückkehr auS dem Gedächtnis nach malte und lasi Das Kind hat es dahin gebracht, Zahlenbilder bis zu fünf Stellen geläufig zu schreiben nnd zu lesen, während ihm das Be halten von Namen und Straßenbezeichmmgen schwer fällt. Die Stellung der Uhr kennt der Knabe ganz genau und gibt sie auf Stunden und Minuten richtig an. Das alte Schloß der Mansfelder Grafen, das von den Harztouristen viel be suche Schloß Rammelburg, ist am Freitag ein Raub der Flammen geworden, wiewohl die Feuerwehren des Mansfelder Kreises bis zum 7. d. unausgesetzt thätig waren. Das Feuer brach in der Nacht von Donnerstag zu Freitag auS und zwar infolge eines Schornsteinbrandes in den bewohnten Räumen des Schlosses, welches Amtsrat Zimmermann-Benkendorf pachtweise inne hat. Die 22jährige Gesellschafterin der Frau Amtsrat fand in den Flammen ihren Tod, mehrere andere Personen konnten, wiewohl bereits bewußtlos, durch die Dienerschaft gerettet werden. Schloß Rammclburg ist um das Jahr 1200 von einem Grafen Mansfeld erbaut und verblieb bis zum Jahre 1628 im Besitz dieser Linie. Im Jahre 1721 ging es in den Besitz des Freiherrn v. Friesen über. Eine freudige Ueberraschung wurde kürz lich dem Handwcrksburschen Meinel, einem etwa 40jährigen Instrumentenmacher aus Friedrichs- grün bei Falkenstein zu teil. Auf seine Er kundigung beim Konsulat eines amerikanischen Staates in Leipzig, was aus seinen vor vielen Jahren nach Amerika ausgewanderten Onkel, einem Bruder seiner Blutter geworden sei, erhielt Meinel die Antwort, daß dieser gestorben ist, er selbst aber der schon lange gesuchte Erbe eines Kapitals von mehreren Millionen Dollars sei. Da die Enkel und Geschwister des Meinel bereits gestorben sind, so dürfte ihm vermutlich die ganze Erbschaft znfallen. Leipziger Blätter bestätigen übrigens auf Grund der an maßgebender Stelle einacmgcnen Erkundigungen, daß diese Erb schaftsgeschichte ausnahmsweise einmal auf Wahr heit beruhen soll. Familiendrama. In Hamburg brachte in der Nacht auf den 7. Oktober der Tischler Sien- knecht seiner Frau und seiner 16jährigen Tochter Hammcrschläge auf den Kopf bei und tötete sich dann selbst durch einen Schuß in den Mund. Die Frau ist noch bewußtlos, die Tochter ist weniger verletzt. Beide befinden sich im Kranken hause. Ein Haberfeldtreiben fand in der Nacht zum Sonntag bei dem oberbayrischen Weiler Niklasreuth statt. Einzelheiten fehlen noch, doch ist wahrscheinlich niemand verletzt worden. Am Sonntag ist Militär, das von München requiriert wurde, in Miesbach eingetroffen. Der Schauplatz einer rohen That war in der Nacht zum Dienstag das Dorf Gcis- wasser bei Kolmar.- Abends um 10 Uhr über fielen zwei Burschen einen älteren, ruhigen Menschen kurz vor seiner Behausung und schlugen ihn mit Stöcken nieder. Der Ueberfallene war sofort bewußtlos. Die Thäter traten auf ihm herum, und da sie ihn für tot hielten, schleppten sie ihn auf eine nahegelegene Wiese, gruben ein Grab, entkleideten den Bauer und warfen ihn nackt in die Grube, deckten dann dieselbe völlig mit Grund und Laub zu. Ruhig, als wäre nichts geschehen, begaben sie sich in ihre Be hausung. Zwei Stunden mochte der Bedauerns werte so gelegen haben, als er wieder zu sich kam. Nur mit großer Mühe konnte er sich aus dem Loch herausarbeiten, um dann auf allen Vieren nach seiner Wohnung zu kriechen. Ob wohl der Weg ein sehr kurzer war, brauchte er drei Stunden, bis er an sein Haus kam. Ein Arzt aus Neubrcisach hofft den Schwerverletzten am Leben zu erhalten. Ein furchtbares Unglück hat sich in der neu errichteten Zementfabrik Rudnik bei Czen- stochau ereignet. Man hatte mit einem Hochofen mehrfache Brennversuche gemacht. Nach fünf tägiger Pause sollte nun der Ofen wieder in Brand gesetzt werden, weshalb der Heizer einen Arbeiter mit der Reinigung der Roste beauf tragte. Zu seinem Entsetzen gewahrte der Heizer, daß der Mann zusammcnbrach. Sofort stieg er in den Ofen hinab, um den Arbeiter zu retten. Doch auch er stürzte bewußtlos nieder. Ebenso erging es neun anderen Arbeitern, die nach und nach in den Ofen stiegen. Endlich wurden die VentilationSröhren geöffnet, und ein Arzt stellte Wiederbelebungsversuche an. Während sieben Mann tot blieben, gelang es, vier ins Leben zurückzurufen. Freilich liegen sie schwer krank danieder. Vier der Toten hinterlassen Frauen und Kinder. Der falsche Behanzin. Das in Paris erscheinende, von studierenden Negern heraus gegebene Wochenblatt „Brüderlichkeit" behauptet, daß der von den Franzosen gefangene und in die Verbannung geschickte Behanzin ein falscher Jie rechte Kabe. »j IFortteyung.i Was aber wußte Reimarus denn von einer vernünftigen, förderlichen Mädchenerziehung! Ihn freute Inez' Lernbegier, ihr klarer, leicht fassender Verstand, der freudige Eifer, mit dem sie die schwersten Aufgaben löste. So lernte Inez, weil sie es nicht anders sah und kannte, getrost die alten Sprachen und trieb ihre klassi schen Studien, ohne auch nur zu ahnen, daß ihre Erziehung allen Anforderungen des wirk lichen Lebens herzlich wenig genügen konnte. Ihres Vaters Interesse sür sie wurde erst rege, als er ein ungewöhnliches Zeichcntalcnt bei ihr entdeckte. Fortan schmiedete er sie stunden lang an das Zeichenbrett, und verkürzte sic nun so die Zeit, die sie ehedem im kindlichen Spiel zu notwendiger Erholung verbracht. Niemals aber wagte sie eine Bitte um eine Freistunde oder eine heimliche Flucht aus dem Atelier. Und als sie das erste beifällige Lächeln über ihre Leistungen in dem düsteren Gesicht des Vaters sah, als sie merkte, daß sie für ihn erst vor handen war, seit er sich so lebhaft mühte, sie in seiner Kunst heranzubilden, da lernte sie selber die hehre lieben und konnte sich nicht genug thun in dem Drange, einen Meister, wie ihr Vater es war, zu befriedigen. Der aber erzog in der Tochter lediglich die Künstlerin. Ihre seltene Begabung erfüllten ihn mit stolzen Hoffnungen. Mit Genugthnung er kannte er in Inez die Erbin seines Talents, dessen Ausbildung zur Meisterschaft er sich fortan ehrgeizig angelegen sein ließ. Bei all diesem ernsten Wissen und Können, mit dem sie den begabtesten Jüngling beschämt hätte, fehlte ihr das Höchste — die Religion der Liebe. Es fehlte die Mutterhand, welche ihr dies Paradies erschlossen hätte; sie hörte nicht das heilige, überzeugende Gebet der Mutter, das sie demütig glauben gelehrt hätte. Sie wurde in dem evangelischen Bekenntnis konfirmiert, ohne in demselben mehr als eine äußere Form zu sehen, der sie gesetzmäßig zu genügen habe. Der Vater sprach niemals mit ihr über dieses Thema, während der Professor die göttlichen Rätsel und Wunder der christlichen Religion einfach mit seiner Wissenschaft als Naturereignisse zu widerlegen strebte. Und dieser Mangel an kindlich einfältigem Glauben, an freudiger, dienstwilliger Liebe machte sie unbewußt unglücklich. Sie ahnte, daß ihr Herzensleben ein verkümmertes sei, daß eine große Liebeskrast in ihr schlummere, der sie doch auf dem kalten, harten Boden ihres Vaterhauses nimmer zur Entfaltung verhelfen könne. So schien sie drum selbst, trotz aller Genialität, eher eine kühle, verschlossene Natur zu sein, ohne jede einschmeichelnde Anmut und weiche Lieblichkeit. Sie war zu großer, körperlicher Schönheit er blüht, aber auch diese hatte etwas unnahbar Herbes, und selbst ihre metallhelle, klare Stimme besaß wenig biegsamen Wohllaut, sondern eher einen harten, kalten Klang. — Obwohl die eigentlichen Lehrjahre bei dem Professor für Inez nun beendigt waren und sie sich fortan ganz der Kunst widmete, so hatte sie sich doch wenigstens zwei Abende der Woche Vorbehalten, an denen sie einige Stunden bei ihm lesend und plaudernd zubrachte. Er wußte es wohl kaum, wie sehr sein altes Herz an der jungen, ernsten Schülerin hing, wenigstens redete er nicht darüber, wie er auch selten für das Kind eine Zärtlichkeit gezeigt hatte, aber die Lebensordnung schien ihm gestört, so bald sie wider Erwarten einmal ausblieb. Etwas später als gewöhnlich trat sie heute bei Reimarus ein. „Cäsar glaubte schon, ohne dich in den Krieg ziehen zu müssen," empfing er sie mit scherz haftem Vorwurf. „O, hast du wirklich meine Verspätung be merkt, Onkel?" lächelte sie. „Was sagen denn die Folianten zu dieser Abschweifung deiner Ge danken ?" „Ja, Kind, sie müssen sich schon an eine kleine Vernachlässigung gewöhnen, — ich fange in meinen alten Tagen an, die Rechte der Gegen wart zu begreifen." Mit einem Anklang von Wehmut hinzu: „Vielleicht wäre es zweckmäßiger gewesen, ich hätte vielleicht in jüngeren Jahren versucht, meiner Zeit gerecht zu werden. Nun kommt diese Lebensweisheit zu spät, deucht mir, und es wird da nicht mehr viel an mir zu ändern, zu bessern geben." Seufzend nahm er den gewohnten Platz auf dem altmodischen, steifen Kanapee ein, vor dem ein mit Büchern und Schriften bedeckter Tisch stand, und während Inez sich ihm gegenüber niederließ, fragte er: „Mn, Kind, sollen wir heute Cicero oder Cäsar lesen?" „Sei nicht böse, Onkel, wenn ich kein Jutcr- esse für deine Römer mitbringe." — „Wie, du möchtest nicht lesen?" sagte der Professor bestürzt. „Bitte, nein, ich würde Fehler machen und dich damit ärgern, ich muß zu sehr an andere Dinge denken. Der Gedanke an meines Vaters Jugendleben gibt mich nicht frei — du hast ihn zu jener Zeit gekannt — o bitte, Onkel, erzähle mir davon." „Warum fragst du deinen Vater nicht selbst darüber?" „O, wie könnte ich," verneinte sie erschreckt. „Weißt du denn nicht, wie ängstlich er jeder Erwähnung der Vergangenheit ausweicht? Aber ich habe oft darOer nachgedacht, wie es ge schehen konnte, daß ein so großer Künstler, wie er es unbestritten ist, ein so freudloses, einsames Leben führt, und was ihn so verbittert, so menschenfeindlich gemacht haben möge. Du hast ihn in der Jugend gekannt, war er damals auch so ernst und wortkarg?" . Des Professors trübe Augen leuchteten aus in Eriunerung der frohen Studienjahre, in denen ihm Wallmor ein heiterer Genosse gewesen. „Gewiß nicht," entgegnete er lebhaft, „dem Vater war einer der übermütigsten Akademiker, voller Geniestreiche und übersprudelnder Lebens kraft. Allerdings kannte er auch wieder Stun den, wo er in das gänzliche Extrem verfiel, m denen er an seinem Talent, an allem Glück vcr- zweifelte. Doch das waren flüchtig vorüber gehende Küustlcrstimmungen, die nicht Stans halten konnten vor dem raschen, frühen Erfolg, denn er errang. Er war ein Gense, das PW
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